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Einleitung

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Kaum ein Thema aus der Antike fesselt das öffentliche Interesse in Deutschland so wie die Varusniederlage. Das ist im Prinzip schon seit rund 500 Jahren der Fall, seitdem die Schriften des Tacitus bekannt wurden. Damals haben deutsche Humanisten, allen voran Ulrich von Hutten, begierig mit dem „klassischen Stoff“ belegen wollen, dass die geschundenen deutschsprachigen Zeitgenossen als Glieder des habsburgischen Weltreiches auf ehrwürdige „Vorfahren“ zurückblicken konnten: die Germanen.

Aber weder die Germanen noch die angesprochenen Werke verdienen diese einseitige Instrumentalisierung: Bei den Werken handelt es sich um die „Germania“ des Tacitus, die im Jahre 98 n. Chr. erschien, sowie um die „Annalen“, die die Geschichte des römischen Kaiserreiches vom Tode des Augustus an (14 n. Chr.) beschrieben. In den ersten beiden Büchern waren die Germanicusfeldzüge von 14–16 n. Chr. thematisiert. Das Bild, das hier von den „Germanen“ gezeichnet wird, ist keineswegs einheitlich positiv. Dem Autor ging es auch gar nicht um eine Glorifizierung. Vielmehr wollte Tacitus – wenn man sein Ansinnen überhaupt unter einem Motto zusammenfassen kann – in der „Germania“ ein Sittenbild entwerfen, das er seinen verweichlichten Zeitgenossen in Rom als unverbraucht entgegenhalten konnte. In den ersten beiden Büchern der „Annalen“ ging es ihm um die Darstellung des Grundgegensatzes zwischen (dem glänzenden Prinzen) Germanicus und dem gerade installierten (dunklen) Herrscher Tiberius (14–37 n.Chr.).

Eine Traditionslinie zwischen den Stämmen, die seit Caesar rechts des Rheins und nördlich der Donau unter dem Oberbegriff Germanen zusammengefasst werden, lässt sich nach den Umwälzungen der sog. Völkerwanderung ohnehin nicht ziehen.

Als „ein Volk“, das unter seinem Führer Arminius geeint und erfolgreich gegen die Römer kämpfte, kann man die Germanen überhaupt nicht bezeichnen. Als sich der Einfluss des Arminius auf dem Höhepunkt befand, wehrte sich nicht einmal die Mehrheit aller Stämme unter seiner Führung gegen die römische Herrschaft. Immer hat es eine starke Opposition gegen Arminius gegeben. Gleichwohl zieht der Historiker Tacitus für die Leistung des Arminius am Ende seines gewaltsam beendeten Lebens die Summe, dass er unstreitig „der Befreier Germaniens“ gewesen sei (Tac. Ann. 2,88,2).


Karte 1 Lage der Germanenstämme nach Tacitus, Germania.

In der Tat übte und übt diese Figur und ihre Leistung nicht nur auf Zeitgenossen, sondern auch auf die Nachwelt ungetrübte Faszination aus – das Jubiläumsjahr zur Feier der 2000. Wiederkehr der Katastrophe belegt dies durch eine Anzahl von Festakten, Ausstellungen und Publikationen. Zieht man die Feierlichkeiten des Jahres 1909, also vor hundert Jahren, zum Vergleich heran, so ist doch bezeichnend, wie unterschiedlich die Erinnerung an diesen „nationalen Helden“ ausfallen kann.

Der Fortschritt der Erkenntnis ist nicht nur hinsichtlich der Bewertung des Gesamtphänomens der Varuskatastrophe und der römischen Expansion in Germanien durchaus beeindruckend, sondern auch in der Einzelinterpretation. Wenn 1966 Harald von Petrikovits vor allem von der Archäologie „für die Zukunft am ehesten neue Indizien“ (H. v. Petrikovits 1966, S. 179) erwartete, kann man feststellen, dass sich gerade hier viel getan hat. Wenngleich sich seine Forderungen nicht alle erfüllt haben, so sind doch aufgrund von archäologischen Neufunden sowohl die Phase der römischen Okkupation als auch die Umstände der Niederlage des Varus heute wesentlich klarer zu beschreiben als noch in den 1960er Jahren – auch indem sich archäologische Befunde und literarische Darstellungen gegenseitig bestätigen und ergänzen.

Es ist ein begrüßenswertes Anliegen dieser Reihe, archäologische Befunde einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen und zugleich historisch einzuordnen. So werden wir versuchen, auf der Basis der literarischen und archäologischen Quellen die Geschehnisse des Jahres 9 n. Chr. zu erklären und in den Gesamtkontext der römischen Okkupation einzubetten. Hierauf ist der Fokus gelegt, weniger auf die ausführliche Erörterung der reichhaltigen Literatur zu diesem spannenden Thema. Weiter kann es hier nicht das Ziel sein, alle Theorien über den Verlauf und „den Ort“ der Niederlage eingehend durchzudiskutieren, zumal viele dieser Theorien inzwischen wegen der Neufunde „auf der Strecke“ geblieben sind.

Dementsprechend empfiehlt sich folgende Gliederung: Zunächst werden die Hauptakteure der Varusniederlage, der römischen Okkupation und der Germanicusfeldzüge, Arminius und Varus, vorgestellt, wobei ihre heute nachvollziehbaren Wirkungsstätten auf dem Gebiet der Germania Magna betrachtet werden. Es folgt eine Erörterung der Varuskampfstätten, in der die literarischen Aussagen über den Verlauf der Niederlage dargestellt und im Anschluss die heute aufgrund der neuen Funde plausiblen Örtlichkeiten diskutiert werden.

Wir erörtern dann die Stätten der römischen Herrschaft, an denen sich der germanische Widerstand in den Jahren nach 9 n. Chr. entlud, sowie die Örtlichkeiten der Germanicusfeldzüge, die im Wesentlichen nach dem ausführlichen Bericht des Tacitus zu rekonstruieren sind. Darauf werden die Folgen des römischen Rückzugs auf den Rhein und die Donau sowie die Glorifizierung der Arminiuserfolge dargelegt. Die wichtigsten Orte mit Dauerausstellungen zum Thema werden am Ende aufgelistet.

Bei der Entstehung dieses Buches habe ich von einem interdisziplinären Seminar profitiert, das im Wintersemester 2013/14 in Erlangen von meinen Kolleginnen Michaela Konrad (Bamberg), Doris Mischka (Erlangen) und mir mit Studierenden aus Bamberg und Erlangen abgehalten wurde. Mein Dank gilt allen Beteiligten. Zudem danke ich Frau Constanze Holler, Frau Nicola Weyer und Herrn Dr. Jürgen Kron vom Theiss-Verlag für die Unterstützung bei der Veröffentlichung. Die Korrekturlesungen übernahm dankenswerterweise Frau Christina Sponsel, die Registerarbeit freundlicherweise Frau Daniela Eckstein (beide Erlangen).

Erlangen, August 2014 Boris Dreyer
Orte der Varuskatastrophe

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