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Varus

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Als Varus auf Befehl des Augustus in Germanien das Oberkommando übernahm, hatte er nicht nur eindeutige Aufträge im Gepäck und eine lange erfolgreiche Karriere hinter sich. Er befand sich auch in einer wichtigen Stellung, da er nunmehr in einem noch nicht vollständig herrschaftlich erschlossenen und durchorganisierten Gebiet mit nicht weniger als fünf Legionen über eine große Macht verfügte. Es handelte sich um eine Vorzugsposition, die Augustus nach der Etablierung seiner Monarchie in der Regel nur Mitgliedern seiner Familie zu gewähren gewillt war.

Seit 27 v. Chr. hatte er nach dem Sieg im Bürgerkrieg seine umfassende militärische Macht zum Ausbau einer auf Dauer ausgerichteten monarchischen Stellung genutzt: Mit dem Auftrag der Befriedung und Verteidigung hatte Augustus, wie er von da an ehrenhalber hieß, für die Befriedung der Provinzen und die Verteidigung der Grenzen zu sorgen. Er erhielt dafür den Befehl (imperium proconsulare) auf Zeit – später gar eine übergeordnete Befehlsgewalt (imperium proconsulare maius) – über unbefriedete Grenzen und Gebiete, in denen Legionen stationiert waren. Seine exklusiven „außenpolitischen“ Kompetenzen, die aus republikanischen Traditionen hergeleitet und durch privilegierte Amtsbefugnisse in Rom abgestützt waren (Konsulat, ab 23 v. Chr. tribunicia potestas), waren an den Erfolg gekoppelt. Folglich konnten Niederlagen gegen auswärtige Gegner und Unruhen in den Provinzen die Macht des ersten Mannes (des princeps) in ihren Grundfesten erschüttern.

Die Reihen der senatorischen Familien, welche das Geschick der Republik bestimmt hatten, waren in den 100 Jahren römischer Bürgerkriege sowie nach zwei Pogromen unter Sulla und unter den Triumvirn Antonius, Lepidus und Octavian (Augustus) erheblich ausgedünnt worden. Gleichwohl war Augustus klug genug, mit dem inzwischen ziemlich handzahmen Senat Frieden zu schließen, da dieser seiner Alleinherrschaft als republikanisches Relikt Legitimation verleihen und zugleich das kompetente personale Reservoire zur Verwaltung dieses riesigen Reiches stellen konnte. Im Zuge der Einigung mit dem Senat erhielt dieses altehrwürdige Gremium ab 27 v. Chr. formal auch alle Kompetenzen zurück (so z.B. das Budgetrecht) und verwaltete die befriedeten Provinzen, in denen allerdings dann auch keine Legionen standen.

Seine Mitglieder, die demselben Stand entstammten wie der Princeps Augustus, verfügten jedoch über die ihrem Stand und ihrer Stellung entsprechende Autorität; folglich drohte dem ersten römischen Monarchen immer noch Gefahr gerade aus diesem Stand, wenn ein Senator Kontrolle über Truppen und Ressourcen erhielt. Der Zugang zu wichtigen Provinzen war ihnen daher verwehrt – zu diesen zählte die für die Verpflegung Roms wichtige Provinz Ägypten, die daher auch nur von einem Mitglied des Ritterstands verwaltet wurde.


Karte 2 Römische Provinzen unter Augustus (Stand 14 n. Chr.).

Diese stets präsente Gefahr erklärt auch, warum der Princeps für heikle Aufgaben und große Kommandos nur Mitglieder der eigenen Familie einsetzte: Seine Stiefsöhne, die Söhne seiner Gattin Livia, Tiberius und Drusus, hatten etwa die mit großem Truppenaufgebot betriebene Eroberung des Voralpenraums übernommen. Beide übernahmen wichtige Aufgaben gerade im Norden, bei der Eroberung und Sicherung der Germania Magna sowie Pannoniens.

Varus war schon zu Beginn der militärischen Karriere der Adoptivsöhne in der engsten Umgebung des Augustus und des Tiberius anzutreffen. Als Quaestor Augusti wurde er 22 v. Chr. in Tenos und in Pergamon geehrt und begleitete Augustus vielleicht auf dessen Orientreise (22–19 v. Chr.). Danach wird er irgendwann Praetor gewesen sein. Als Legat des Tiberius ist er dann 15 v. Chr. bei der Heeresgruppe belegt, die von Südwesten her den Stämmen des Voralpenlandes auf den Leib rückte. Er war Befehlshaber der 19. Legion in Dangstetten, der Beschriftung einer Bleischeibe nach zu schließen (H.U. Nuber 2009).

Von Süden her rückte derweil Drusus, der jüngere Bruder des Tiberius, vor. Der bereits im Jahre 16 v. Chr. eingeleitete und gut vorbereitete Feldzug erreichte daher auch bald sein Ziel, die Gebiete bis zur Donau zu unterwerfen. Ein Monument (tropaeum Alpium in La Turbie, Frankreich) kündete ebenso wie entsprechende Münzbeschriftungen stolz von den unterworfenen Völkern und den Ehren für Tiberius und Drusus. Einen Anteil am Erfolg hatte sicherlich auch Varus, der dafür vielleicht das neu eroberte Gebiet auch verwaltete, bis er gemeinsam mit Tiberius im Jahre 13 v. Chr. den Konsulat bekleidete. Schon dies zeigt, dass er der Familie des Princeps nahestand.

Durch seine Ehen wurde diese Nähe in eine feste Form gegossen: Seine zweite Frau, Vipsania Marcella, war die Tochter des Agrippa, welcher der engste Vertraute des Augustus war und bis 13 v. Chr. (also bis zu seinem Tode) beste Chancen auf die Nachfolge in der Position des Augustus hatte. In der dritten Ehe war Varus mit Claudia Pulchra, der Tochter des Marcus Valerius Messalla Barbatus Appianus und der Claudia Marcella der Jüngeren, verheiratet. Varus hatte damit in der Folge zwei Großnichten des Augustus geehelicht. Seine Schwester war darüber hinaus mit Asprenas liiert, der ebenfalls in enger Verbindung zum Princeps stand und als Legat Varus nach Germanien folgte. Asprenas bewährte sich nach der Niederlage des Varus und dem Untergang seiner drei Legionen (der 17., 18. und 19. Legion), indem er mit den verbliebenen zwei Legionen den Rhein so lange sicherte, bis Tiberius diese Aufgabe (bis 12 n. Chr.) übernahm. Eine weitere Schwester hatte sehr wahrscheinlich Sextus Appuleius zum Ehemann, der ein Neffe des Augustus war und in einer wichtigen Übergangsphase als Vertrauter des Princeps im Jahre 29 v. Chr. den Konsulat bekleidete, als es darum ging, die oben angesprochene Einigung mit dem Senat nach dem Sieg des Augustus im Bürgerkrieg auszuhandeln.

Es versteht sich, dass Varus daher ohnehin ein guter Kandidat für wichtige Aufgaben im Reich war, bei denen er sich auch bewährte: Um 9–8 v. Chr. hatte er die Statthalterschaft in Africa Proconsularis inne, in der nach Asia wichtigsten Provinz des Senats (s. Abb. 2). Darauf wurde er zwischen 7/6 und 5/4 v. Chr. zur Lösung schwieriger Aufgaben als kaiserlicher Statthalter in Syrien (legatus Augusti pro praetore provinciae Syriae) eingesetzt, wo er bereits über nicht weniger als drei Legionen verfügte. Als Herodes seinen Sohn Antipatros wegen Mordversuchs anklagte, war er der Richter. Er griff in die Erbauseinandersetzungen der drei Söhne des Herodes nach dessen Tod ein und sandte diese nach Rom, wo Augustus die Entscheidung fällte. Bis dahin hielt er alle Optionen offen, indem er verhinderte, dass der Schatz des Verstorbenen konfisziert wurde. Einen Aufstand in Palästina warf er in sechs Monaten blutig nieder und ließ 2000 Aufständische kreuzigen. Gleichwohl ließ Velleius Paterculus prinzipiell – auch hinsichtlich seiner Rolle als Statthalter von Syrien – kein gutes Haar an ihm, mit dem Wissen um seine Rolle bei der Niederlage in Germanien:

„Die Ursache der Katastrophe sowie die Person des Heerführers machen es erforderlich, dass ich hierbei kurz verweile. Quintilius Varus stammte aus einer angesehenen, wenn auch nicht hochadligen Familie. Er war von milder Gemütsart, ruhigem Temperament, etwas unbeweglich an Körper und Geist, mehr an müßiges Lagerleben als an den Felddienst gewöhnt. Dass er wahrhaft kein Verächter des Geldes war, beweist seine Statthalterschaft in Syrien: Als armer Mann betrat er das reiche Syrien, und als reicher Mann verließ er das arme Syrien. Als er Oberbefehlshaber des Heeres in Germanien wurde, bildete er sich ein, die Menschen dort hätten außer der Stimme und den Gliedern nichts Menschenähnliches an sich, und die man durch das Schwert nicht hatte zähmen können, die könne man durch das römische Recht lammfromm machen.“ (Vell. Pat. 2,117,1–3)

Die Tätigkeit vieler römischer Statthalter wurde von ihren innenpolitischen Gegnern auf diese Weise überspitzt beschrieben. So können wir diese beliebte Formel angemessen einordnen, wenngleich dies Varus nicht von allen egoistischen Motiven freisprechen soll. In jedem Fall übte Velleius Paterculus mit dieser Wertung auch Einfluss auf moderne Forscher aus. So hat auch Theodor Mommsen das Unglück der drei Legionen in Germanien im Jahre 9 n. Chr. insbesondere auf die Unfähigkeit der militärischen Führung zurückgeführt.

Augustus wird Varus jedoch nicht mit den schwierigen Verhältnissen in Syrien betraut haben, wenn er ihn für unfähig gehalten hätte. Auch der Umgang mit der Erhebung in Palästina und die Zusammenarbeit mit Augustus bei der Lösung der Erbschaft des Herodes haben ihn in den Augen des Augustus eher für die anstehenden Aufgaben am Rhein in einer für das Reich schwierigen Zeit empfohlen. Die gleichzeitige Einsetzung des Asprenas in Mainz scheint vielmehr für den Princeps eine ideale Lösung für die genauen, wenn auch schwierigen Aufgaben gewesen zu sein, die er Varus mitgab und die eine enge Abstimmung erforderten.

Diese ist auch dadurch belegt, dass Varus allein – vom Princeps abgesehen – gesichert die Erlaubnis hatte, in seinem eigenen Namen Spenden an die Soldaten vorzunehmen:

Neben Münzen, die den Gegenstempel „IMP“ und „AVC“ für den Princeps aufweisen, tragen viele Kupfermünzen aus der Zeit seiner Tätigkeit in Germanien einen Gegenstempel mit dem Kürzel „VAR“ (= Varus). Derartige Stempel sind Ausweis von Zuwendungen an die Soldaten, die zugleich an den Spender erinnern und damit die Loyalität bekräftigen sollten. Wenn andere Personen als der Princeps die Erlaubnis hatten, ihren eigenen Namen aufzuprägen, dann nur solche, denen der Princeps vertrauen konnte.

Als Varus erneut als legatus Augusti pro praetore provinciae für die geplanten Provinzen im Gebiet zwischen Rhein und Elbe von Augustus ausgesandt wurde, steckte das Reich in einer Krise, die einen Politikwechsel zur Folge hatte. Bislang hatte man die unterworfenen germanischen Stämme eher mit den Vorzügen der römisch-mittelmeerischen Städtekultur behutsam locken wollen.

Cassius Dio, ein Historiker severischer Zeit, der weit nach den hier beschriebenen Ereignissen, um 200 n. Chr., seine römische Geschichte abfasste, aber immerhin für diesen Bericht über die römische Herrschaft in Germanien und die Niederlage des Varus einen guten zeitgenössischen Bericht zur Verfügung hatte, beschreibt die römische Politik vor Varus’ Oberkommando, die wir im Weiteren noch näher erörtern werden (s. Cass. Dio 56,18):

„Ich möchte … die folgenden Ereignisse, die sich zu dieser Zeit in Germanien zutrugen, referieren. Die Römer hielten Teile davon, die nicht zusammenhängend waren, sondern vielmehr wie sie sie gerade zufällig unterworfen hatten. Deswegen war auch nichts davon eines Erinnerungsberichtes wert. Und Soldaten von diesen [Römern] überwinterten dort, und Städte [griech.: poleis] wurden gegründet. Und die Barbaren glichen sich ihrer Lebenswelt an, sie gewöhnten sich an Märkte und hielten friedliche Versammlungen ab. Sie hatten aber keineswegs ihre alten Sitten, die angestammten Bräuche, die selbständige Lebensführung und die Möglichkeit des Waffengebrauchs vergessen. Und deswegen, solange sie in kleinen Schritten und bei Wege unter Anleitung darin umlernten, wurden sie nicht durch die Veränderung der Lebensführung aufgebracht und veränderten sich, ohne dass sie es merkten. Als aber Quintilius Varus den Oberbefehl über Germanien antrat …, drängte er sie, sich schneller zu wandeln. Auch das Übrige schrieb er ihnen vor, als ob sie Sklaven wären, und er presste Gelder wie bei Unterworfenen aus.“

Auch die übrigen Quellen sprechen von einer verschärften Gangart des neuen Oberbefehlshabers, die insbesondere durch die Anwendung der römischen Rechtsprechung gekennzeichnet war. So Velleius Paterculus (Vell. Pat. 2,117,4): „Mit diesem Vorsatz ging er [Varus] ins Innere Germaniens wie zu Menschen, die sich an den Annehmlichkeiten des Friedens erfreuten, und zog die Sommerkampagne mit Rechtsprechung und formvollendeter Verhandlungsführung hin.“

Florus berichtet (Flor. 2,30): „Aber es ist schwieriger, Provinzen zu halten als diese zu schaffen. Durch Streitkräfte unterwirft man sie sich, durch Rechtsprechung erhält man sie aufrecht. Folglich dauerte die Freude kurz. Denn die Germanen waren eher besiegt als bezwungen. Unter dem Oberbefehl des Drusus achteten sie unsere Sitten höher als unsere Waffen. Nachdem jener verstorben war, begannen sie, die Willkür und den Hochmut des Quinctilius Varus ebenso zu hassen wie seine Grausamkeit. Er erdreistete sich, Gerichtstage abzuhalten, und sprach unsensibel Recht, als ob er das gewaltsamen Gemüt der Germanen durch die Stäbe der Liktoren und durch die Stimme des Herolds bezähmen könnte. Jene jedoch, die schon länger darüber trauerten, dass ihre Schwerter Rost ansetzten und ihre Pferde träge würden, ergriffen, als sie die Togai (römische Kleidung) und die Rechtsprechung als schädlicher empfanden als die (römischen) Waffen, unter der Führung des Arminius die Waffen.“

In der Wahrnehmung der Germanen dominierten unter Varus zunehmend römische Rutenbündel als Kennzeichen der Einführung römischer Rechtsprechung. Ebenso sprach nach Tacitus Arminius im Jahre 15 n. Chr. rückblickend auf die römische Herrschaft. Er prangerte das nach seiner Ansicht verräterische Verhalten seines Schwiegervaters Segestes in einer (indirekt referierten) Rede vor den Germanen an, der gerade mit seiner Gattin Thusnelda gegen ihren Willen zu den Römern übergelaufen war (Tac. Ann. 1,59,2–6):

„Das sei ein hervorragender Vater, ein großer Imperator, ein tapferes Heer, das mit so vielen Händen ein einziges schwaches Weib fortgeschleppt habe. Vor ihm [sc. Arminius] seien drei Legionen und ebenso viele Legaten auf die Knie gesunken. Nicht mit Verrat, nicht gegen schwangere Frauen führe er Krieg, sondern offen gegen einen bewaffneten Feind. Immer noch sehe man in den Hainen der Germanen die römischen Feldzeichen, die er als Weihgabe für die heimischen Götter aufgehängt habe. Möge Segestes das unterworfene Ufergebiet bewohnen, seinem Sohn wieder das Priesteramt verschaffen. Die Germanen werden sich nie damit abfinden, dass sie zwischen Elbe und Rhein Rutenbündel, Beile und die Toga gesehen haben. Andere Völker, die nicht mit der römischen Herrschaft konfrontiert worden sind, wissen nichts von Gerichten und Tributen: Diese Zeichen der Knechtschaft hätten sie ja nun abgeschüttelt. Weiter seien jener unter die Götter versetzte Augustus und jener als Nachfolger auserwählte Tiberius unverrichteter Dinge abgezogen. Darum sollten sie auch jetzt nicht vor einem unerfahrenen, ganz jungen Mann [Germanicus], vor einem meuternden Heer in Angst geraten. Wenn ihnen Vaterland, Eltern, die alten Verhältnisse höher stehen als Zwingherren und neue Ansiedlungen [coloniae novae = vgl. bei Cass. Dio 56,18 poleis], sollten sie lieber dem Arminius, dem Führer zu Ruhm und Freiheit, als dem Segestes, dem Führer zu schändlicher Knechtschaft folgen.“

Wenn nun Varus in enger Abstimmung mit Augustus die Zeit entgegen anders lautender Berichte für reif hielt, in Germanien die Provinzialisierung voranzutreiben, hatte er sich verschätzt. In jedem Fall zwangen aber äußere, nicht in Germanien selbst liegende Gründe zu diesem verschärften Kurs.

Für die Germania Magna war die Einrichtung von mindestens zwei Provinzen geplant. Das legen nicht nur die späteren Regelungen der flavischen Zeit nahe, als man zur Vertuschung der tatsächlichen Aufgabe der rechtsrheinischen Gebiete die zwei bis dahin existierenden Militärbezirke von Nieder– und Obergermanien in Provinzen umwandelte. Sie sind ebenfalls geographisch durch die zwei großen Flussstraßen ins Innere Germaniens, die Lippe und den Main, angelegt. An deren Mündungen waren vom Beginn der Eroberung des westelbischen Raumes an (ab 12 v. Chr.) bei Mainz und Xanten die beiden germanischen Heere stationiert. Diese dienten noch in der Kaiserzeit als „commune subsidium“ (Tac. Ann. 4,5,1) zur Verteidigung nach Osten und zur Aufrechterhaltung von Friede und Ordnung im gallischen Raum. Der administrative Aufbau der anvisierten germanischen Herrschaftsbereiche war schon weit gediehen, als nach der Diktion des Tacitus im Jahre 9 n. Chr. „germanische[n] Provinzen (!) abfielen“ (Germaniae descivere, Ann. 1,57,2; vgl. 11,19,3).

Nach dem Vorbild der Provinzen im Osten, in denen alte griechische Bundesstaatenstrukturen (Sg.: Koinon) u.a. zur Organisation des Loyalitätskultes gegenüber dem römischen Kaiser eingesetzt wurden, wurden auch im Westen vergleichbare Institutionen geschaffen, die gleich mehrere Provinzen umfassten: An den Orten, an denen die Loyalitätskulte eingerichtet wurden, fanden auch die Landtage (concilia) der unterworfenen Stämme (civitates) statt, die als Zwischeninstanz zur Kontrolle der Statthalter und der (Finanz–)Procuratoren dienen sollten. Eine solche Institution wurde in Lugdunum (Lyon) für einen Geltungsbereich der „tres Galliae“, der drei gallischen Provinzen, und für die germanischen Untertanen bis zur Gründung des Loyalitätskultes im oppidum Ubiorum (später Köln) eingerichtet. Dort war dann auch der Landtag der germanischen Stämme untergebracht. Als Erzpriester (sacerdos) wurde ein adliges Mitglied des privilegierten Cheruskerstammes, Segimundus, der der Sohn des Segestes war, „gewählt“ (creatus, vgl. aber oben Zitat Tac. Ann. 1,59).

Zur verschärften Gangart des Varus, die vom langsamen Kurs der unmerklichen und behutsamen Annäherung an die Vorteile der römischen Kultur abwich, gehörte neben der Rechtsprechung und der rigoroseren Steuerpolitik eine verstärkte Präsenz römischer Truppen in Germanien. Dabei hielt der Oberbefehlshaber – auf Einladung der Germanen zumindest im Jahre 9 n. Chr. – die Truppen nicht zusammen, sondern verteilte sie im angeblich befriedeten Land auf die Gemeinden, welche die Soldaten anforderten. Diese Anforderungen waren bereits ein Teil des germanischen Aufstandsplanes.


Karte 3 Die drei gallischen Provinzen (Tres Galliae) seit 16/13 v. Chr.

Doch gab es auch ‚außenpolitische‘ Gründe für die Präsenz der drei Legionen des Varus „an der Weser“ (Cass. Dio 56,18,5) und der zwei Legionen seines Legaten Asprenas etwas südlicher: Mit dem Sieg der Römer über die Germanen im Jahre 8 v. Chr. war eine Stämmewanderung zum Teil unter römischer Beobachtung verbunden, nach literarischer Überlieferung unter der Oberaufsicht von Lucius Domitius Ahenobarbus um die Zeitenwende. Auch nach Osten wanderten Stämme ab: Die Quaden und Markomannen, die sich nach der Niederlage des Ariovist gegen Caesar von dem Gesamtverband der Sueben getrennt hatten und danach im Bereich des Mittelmains siedelten, zogen nun nach Osten, die Markomannen etwa in den böhmischen Kessel und die Quaden südlicher davon, nahe der Donau.

Um diese Wanderung zu kontrollieren, bauten die Römer in strategisch guter Lage südlich und mit direktem Blick auf das Mainknie bei Marktbreit ein kleines Lager, das als Beobachtungsposten diente. In das Gebiet der abziehenden Stämme zogen die Hermunduren, die später im Grenzverkehr nördlich der Donau privilegiert Handel treiben konnten.

Die Stämme, die nach Osten zogen, kamen in bewohntes Gebiet (s. Karte 13, S. 76). Dort gab es Reste der ursprünglich keltischen Besiedlung, diejenige der Boier etwa. Es scheint so, als ob die keltische Besiedlung dort wie auch im süddeutschen Raum – hier sind die Befunde des Oppidums von Manching bei Ingolstadt am aussagekräftigsten, die von einer langen Zeit des Niedergangs zwischen 80 und 30 v. Chr. zeugen – schon seit einiger Zeit davor rückläufig war.

Der Grund ist nicht leicht ersichtlich. Caesar berichtet immerhin davon, dass auch rechts des Rheins die Kelten schon lange im Abwehrkampf gegen die vordringenden Germanen standen. Vielleicht ist so auch der Rückgang der keltischen Besiedlung im späteren Siedlungsgebiet der Markomannen zu erklären. In jedem Fall ist diese Ostbewegung ab 8 v. Chr. aus dem Maingebiet auch archäologisch in den Formen der materiellen Hinterlassenschaft in dem Gebiet ablesbar (P. Kehne/V. Salač 2009), das den literarischen Quellen zufolge weitgehend verlassen war (Strab. 7,1,3 f.; Vell. Pat. 2,108,1 f.).

Die genaueren Umstände des politischen Aufstiegs des Marbod, der nachher in einem Herrschaftszentrum, in einer regia, die Marboduum genannt wurde (Strab. 7,1,3; Tac. Ann. 2,62,2; Claud. Ptol. 2,11,14), residierte und sich König nannte, liegt weitgehend im Dunkeln. Sein Aufstieg, den die Römer zumindest am Anfang selbst begünstigt hatten, emanzipierte ihn in jedem Fall von der direkten römischen Kontrolle. Sein Machtbereich reichte schließlich im Jahre 6 n. Chr. im Süden von der Donau bis fast zur Ostsee, nachdem sich ihm auch die Semnonen und die Langobarden, die bis 8 v. Chr. an beiden Seiten der Elbe siedelten, angeschlossen hatten. Tiberius hatte trotz aller Bemühungen im Jahre 5 n. Chr. diesen Anschluss nicht verhindern können. Eine weitere Ausdehnung nach Westen in das von den Römern kontrollierte Gebiet war denkbar. Von seinem Einflussgebiet nördlich der Donau lag darüber hinaus der Einfallweg nach Süden über die leicht begehbaren Pässe der Alpen (Birnbaumpass) nach Italien gefährlich nahe.

Im Jahre 6 n. Chr. sollte dieser Gefahr begegnet werden. Von Carnuntum aus überschritt Tiberius mit mindestens sechs Legionen die Donau nach Norden. Gleichzeitig zog Gaius Sentius Saturninus von Mainz aus mit etwa sechs Legionen nach Osten. Marktbreit diente als Zwischenstation: Hier entstand bei dieser Gelegenheit ein Marschlager von kurzer Belegungsdauer in der Größe von 37 ha. Insgesamt war demnach nicht weniger als ein Drittel der gesamten Reichsarmee damit beauftragt, das Marbodreich zu zerstören. Dieser Vorstoß hätte Marbod sicherlich schwer zu schaffen gemacht, wenn nicht gerade zu dieser Zeit im Rücken der römischen Armee, die von Süden vorstieß, in Pannonien (heutiges Bosnien, Bosnien Herzegowina, Teile Serbiens, Nordalbanien) ein Aufstand ausgebrochen wäre.

Der Feldzug musste abgebrochen werden. Ohne dass Marbod einen Schwertstreich hatte führen müssen, war seine Position aufgewertet. Nicht nur, dass Rom sich hatte zurückziehen müssen, Marbods Machtbereich blieb darüber hinaus unbeschadet und befand sich nun in einer Schlüsselstellung direkt nördlich vom gefährlichen Aufstand in Pannonien, der für drei Jahre bis zu 15 Legionen band.

Marbod befand sich auf dem Höhepunkt seiner Macht. Diese Position wurde gleichsam diplomatisch bestätigt, da dem Germanenfürst für sein Stillhalten ein foedus aequum, ein Abkommen auf gleichberechtigter Basis, gewährt wurde. Dieses Privileg gewährte Rom nur in seltenen Fällen. Die Auszeichnung wertete Marbod unter den freiheitsliebenden Germanen auf, die noch nicht unter der römischen Kontrolle waren bzw. noch immer von der alten Freiheit träumten. Weiter verschaffte diese römische Garantie der eigenen Herrschaft eine Atempause und eröffnete ihm in der Zeit des Aufstandes in der südöstlichen Flanke alle Optionen. In seinem Interesse musste es außerdem liegen, dass sowohl in Germanien als auch in Pannonien die Verhältnisse möglichst lange unentschieden blieben.

Und es sah für ihn in dieser Hinsicht nicht schlecht aus: Im südlichen Pannonien konnte der Aufstand lange nicht eingedämmt werden. Die Breuker unter der Führung eines Bato bildeten den Kern der Aufständischen. Im Jahre 7 n. Chr. mussten die Römer gar eine furchtbare Niederlage zwischen Drau und Save einstecken, in der fünf Legionen untergingen. Erst als Bato am 3. August 8 n. Chr. kapitulierte, war das Ende des Aufstandes absehbar. Die Verbindungen von diesem Aufstand nach Germanien waren auch gerade in personaler Hinsicht eng. Arminius war hier – wie gesagt – in einer Auxiliareinheit eingesetzt, ebenso wie der Soldat und Historiker Velleius Paterculus. Die Legio I Germanica, die auch in Kalkriese ihre Spuren hinterlassen hat, und die Legio V Alaudae wurden nach 7 n. Chr. nach Mainz verlegt und standen fortan unter dem Oberbefehl des Asprenas, des Legaten des Varus. Der Aufstand hatte aber auch darüber hinaus aufgezeigt, wo die römische Armee verwundbar war, auf dem Marsch etwa beim Rückzug in unwegsamem Gelände.

Der Einsatz der Hälfte der Reichsarmee, 15 Legionen, die hohen Verluste und die lange Dauer des Einsatzes bis zur Niederschlagung verschlangen ungeheure finanzielle Mittel. Die Folgen zeigten sich bald, sie reichten bis nach Rom. Es gab Hungerrevolten (hier spielten sicher auch die Unruhen in einzelnen Städten im Reich sowie das Piratenunwesen mit hinein), welche den Aufruhr nach städtischen Bränden und durch Wahlen noch erhöhten. Auch im Kaiserhaus selbst, in der Familie des Princeps, verschärften Skandale die Situation. Augustus musste eingreifen, nicht nur im eigenen Hause. Ausweisungen waren die Folge. Agrippa Postumus, der nach den Regelungen des Jahres 4 n. Chr. weit in der Sukzession hinter Tiberius und Germanicus zurückgefallen war und sich deshalb benachteiligt fühlte, wurde relegiert und später auf der italienischen Insel Planasia (heute: Pianosa) interniert, weil er für eine Verschwörung verantwortlich gemacht wurde. Die Ruhe in der Stadt Rom sollte von nun an durch einen Präfekten aus dem Ritterstand, aus dessen Reihen unter Augustus immer lukrativere Positionen besetzt wurden, sichergestellt werden. Ritter konnten den Princeps im Unterschied zu den Mitgliedern des Senats längst nicht so schnell gefährlich werden. Der Präfekt stand den sieben cohortes vigilum vor, die jeweils zwei der 14 städtischen Regionen beaufsichtigten. Zusammen mit der eigenen Garde war dadurch die Stadt Rom, die ansonsten frei von Truppen zu sein hatte, fest in der Hand des Princeps, zumal auch die Garde unter ritterlichem Befehl von zwei Praefecti stand.

Damit waren aber die finanziellen Probleme noch nicht gelöst. Nicht zuletzt deshalb wurde Varus mit dem entsprechenden Auftrag an den Rhein ausgesandt, damit auch die anvisierten germanischen Provinzen endlich einen „Beitrag“ leisteten. Die Germania Magna hatte, seitdem man im Jahre 12 v. Chr. die Feldzüge begonnen hatte, um die sommerlichen Raubzüge germanischer Stämme in die gallischen Provinzen zu beenden, nur Geld gekostet.

Bislang hatte man aus taktischen Gründen in Germanien nach der Kapitulation der Stämme auf die unpopulären Seiten der römischen Herrschaft verzichtet, die aber auch Geld einbrachten. Im Gegenteil, der Bau von Städten und der Aufbau einer Infrastruktur, welche die Germanen nicht nur kontrollieren helfen, sondern die gerade Unterworfenen auch von den Vorteilen der römischen Kultur überzeugen sollten, kosteten ebenso wie die Präsenz der Truppen die römische Seite nur Geld, wenn man von den Ansätzen einer Ausbeutung der Bodenschätze in Germanien absieht.

Als die Politik der behutsamen Provinzialisierung erste Früchte zu tragen schienen, kam Augustus – unter dem Eindruck des finanziellen Engpasses – zur Überzeugung, dass jetzt bereits die Zeit reif sei, die Zügel anzuziehen: Varus und sein Legat Asprenas forcierten daher die anvisierte Provinzialisierung. Die Steuern wurden jetzt rigoros eingetrieben (Cass. Dio 56,18,3). Die römische Rechtsprechung wurde fortan rücksichtslos angewandt. Nach den Berichten des Cassius Dio, des Florus und des Tacitus waren dies die kennzeichnenden Elemente der römischen Herrschaft seit dem Beginn des Oberbefehls des Varus, die die Unzufriedenheit auslösten.

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