Читать книгу George Lucas - Брайан Джей Джонс - Страница 10
3 Das richtige Pferd 1967
ОглавлениеIm Januar 1967 kehrte Lucas an die USC zurück und belegte einige Graduiertenkurse, unter anderem einen Regiekurs bei Jerry Lewis. Er hasste den Unterricht. „Lewis hatte ein gigantisches Ego“, erinnerte sich ein Kommilitone.231 Lucas saß zusammengesunken in der hintersten Reihe und blickte finster vor sich hin. Fast niemand war an Lewis’ Unterricht interessiert, sondern man wählte den Kurs, weil man hoffte, mit Lewis’ Hilfe in die Directors Guild of America, die gewerkschaftliche Vereinigung der Regisseure, zu gelangen. Doch daraus wurde nichts.
Dennoch hatte Lucas Glück: Sein Freund Bob Dalva gab seinen Job bei der U.S. Information Agency auf, wo er dokumentarisches Filmmaterial geschnitten und archiviert hatte. Er schlug Lucas als seinen Nachfolger vor. Lucas, der vor allem begierig war, die Ausrüstung der USIA zu nutzen, nahm den Job dankend an. Seine Vorgesetzte war die mit allen Wassern gewaschene Cutterin Verna Fields. Sie hatte ein Studio in ihrer Garage im San Fernando Valley eingerichtet.
Fields war klein und etwas untersetzt, mit einer Brille, die ihre Augen eulenartig wirken ließen, und wirrem dunklem Haar – eine unauffällige Erscheinung, aber eine starke Persönlichkeit, laut und dreist. Sie war eine schnelle und extrem gute Cutterin – und das musste sie als eine der wenigen Frauen in einem männerdominierten Beruf auch sein. „Ich bin per Zufall zum Film gekommen“, sagte sie später, doch das stimmte nicht ganz. In den Dreißigerjahren lungerte sie mit ihrem Freund in einem Filmstudio herum, als Regisseur Fritz Lang sie bemerkte und mit seinem starken deutschen Akzent fragte: „Wer ist das junge Mädchen, das sich ständig hier herumdrückt?“ Er engagierte sie als Tonschnitt-Assistentin. Nach vier Jahren wurde sie in die Gewerkschaft aufgenommen – das goldene Ticket in den inneren Kreis, das so viele begehrten.
Fields gab das Schneiden auf, als sie heiratete und Kinder bekam. Doch 1954 starb ihr Mann infolge eines Herzinfarkts im Alter von achtunddreißig Jahren. Sie war nun alleinerziehende Mutter und musste zwei Kinder versorgen. Fields richtete einen Schneideraum in ihrem Haus ein und schnitt TV-Sendungen wie Sky King und Fury. („Ich erzählte den Kindern, ich sei die Samstagmorgen-Königin“, erinnerte sie sich lachend.) Bald wechselte sie ins Kinofach und arbeitete an Filmen wie der experimentellen Dokumentation Das grausame Auge und dem Charlton-Heston-Blockbuster El Cid. Fields war eine politisch liberale Kreuzritterin. „Der Film interessierte mich als sozialreformatorisches Mittel“, erklärte sie später, und so ließ sie sich vom Great-Society-Reformprogramm des Präsidenten Johnson begeistern und schnitt Filme für das Office of Economic Opportunity der US-Regierung und die USIA.232 Als Lucas bei ihr antrat, arbeitete sie gerade an einem USIA-Film mit dem Titel Journey to the Pacific. Er sollte von Johnsons Besuch in der Region vor der Vietnam-Gipfelkonferenz in Manila berichten und Fields brauchte jeden guten Cutter, den sie kriegen konnte.
Wie fast jeder, der für Fields arbeitete, verehrte auch Lucas sie schon nach kurzer Zeit – und genauso schnell verabscheute er die Arbeit an den Regierungsfilmen. „Wenn du einen Film für die Regierung machst, will diese darin natürlich gut aussehen“, sagte Lucas. „Hollywood durchdringt alles.“ Ihm wurde gesagt, dass Lady Bird Johnson nicht aus unvorteilhaften Blickwinkeln gezeigt werden durfte, ebenso wenig sollte Präsident Johnsons kahle Stelle sichtbar sein. Selbst Aufnahmen, die Lucas für künstlerisch hielt, wurden auf mögliche Anstößigkeit überprüft. „Es gab eine Aufnahme aus Korea von einem Pulk von Reitern im Galopp, die die Menschenmassen im Zaum halten“, erzählte er rückblickend. „Jemand fand, dass es etwas faschistisch aussah – was es nicht war –, und so mussten wir die Szene rausnehmen. Mir gefiel die Einstellung.“233
Lucas störte sich schon daran, Filmmaterial zu schneiden, auf dem „jemand Dinge sagte, an die ich nicht glaubte, nur damit ich über die Runden kam“, doch was er überhaupt nicht ertragen konnte, war, herumkommandiert zu werden.234 Es ärgerte ihn, wenn man ihm erklärte, welche Einstellungen er verwenden durfte und welche nicht: „Der Regisseur sagte: ‚So kannst du das nicht schneiden, du musst es so machen.‘ Und ich sagte: ‚Das gefällt mir nicht.‘ Zu dieser Zeit wollte ich unbedingt Cutter und Kameramann werden … Aber während dieser Arbeit kam mir irgendwann der Gedanke, dass ich vielleicht Regisseur werden sollte. Ich wollte nicht einfach die Befehle anderer ausführen.“235
Lucas war nicht der einzige Mitarbeiter bei Fields. Sie hatte die USC nach weiteren Studenten abgegrast, die Material schneiden und archivieren konnten. Diese arbeiteten dann im Team mit erfahrenen Cuttern aus kleinen Produktionsfirmen. Lucas landete an der Seite einer jungen Schnittassistentin von Sandler Films. Sie hieß Marcia Griffin, war ein Jahr jünger als er, aber schon seit über einem Jahr als professionelle Cutterin selbstständig. Griffin war eine begabte und intuitive Cutterin und, in John Plummers Worten, „höllisch süß“, mit glattem braunem Haar und einer leisen Stimme. Lucas fühlte sich durch ihre Anwesenheit allerdings zunächst eher bedroht als verzaubert. „Marcia verachtete uns ziemlich, weil wir alle Studenten waren, und sie der einzige Profi“, erinnerte er sich.236
Unter großen Anstrengungen hatte sie sich ihren Platz erobert. Sie stammte aus Modesto, der Vater war Air-Force-Offizier und verließ die Familie, als Marcia zwei Jahre alt war. Sie wuchs mit ihrer Mutter und der Schwester in einer kleinen Wohnung in North Hollywood auf. Marcias Mutter versuchte so gut es ging, mit ihrem mageren Gehalt als Versicherungsangestellte auszukommen, aber das Geld war immer knapp und Unterhaltszahlungen erhielt sie nicht. „Wir wurden sehr geliebt und unterstützt“, erzählte Marcia. „Aber wirtschaftlich war die Situation für meine Mutter sehr belastend.“237 In Marcias Teenagerzeit tauchte der Vater wieder auf und Marcia wollte zu ihm und seiner neuen Familie nach Florida ziehen. Dieses mit guten Absichten begonnene Experiment erwies sich jedoch als Fehlschlag. Nach zwei Jahren kehrte sie nach Hollywood zurück und schloss die Highschool ab. Tagsüber arbeitete sie Vollzeit bei einer Hypothekenbank, um ihre Familie zu unterstützen, und zusätzlich belegte sie Abendkurse in Chemie am Los Angeles City College.
Wie Verna Fields kam Marcia fast zufällig zum Schneiden. „Ich bin buchstäblich von der Straße hereingestolpert“, erzählte sie.238 Sie hatte über das California State Employment Office Arbeit als Bibliothekarin gesucht und wurde zum Sandler-Filmarchiv geschickt, weil dort nach einer auszubildenden Archivarin gesucht wurde. Sie verdiente nicht so viel wie in der Bank, aber die Arbeit gefiel ihr und sie hatte Erfolg. „Ich hätte auch geschnitten, ohne Geld dafür zu bekommen, weil es mir so viel Spaß machte“, sagte sie später. Und die Arbeit zahlte sich aus; sie wurde in die Gewerkschaft aufgenommen. Außerdem war sie entschlossen, sich hochzukämpfen. Es folgten oftmals frustrierende acht Jahre, in denen sie häufig zuschauen musste, wie Männer die interessanten Jobs einheimsten – weil man Frauen das Schleppen der schweren Filmdosen nicht zutraute oder weil man glaubte, dass sie nicht mit dem rauen und oft unflätigen Ton zurechtkamen, der unter Cuttern üblich war.
In der Zusammenarbeit mit Lucas bekam sie wenig davon zu hören – eigentlich gar nichts, um genau zu sein. Während des Schneidens hörte Lucas am liebsten Musik und beteiligte sich ungern an Gesprächen; falls es doch einmal zu einer Unterhaltung kam, dann bevorzugt über Filme. Die Anwesenheit einer weiteren Person im Schneideraum machte Lucas misstrauisch und schüchterte ihn fast ein wenig ein; und im Grunde ging es Marcia ebenso. Sie hatte direkt erkannt, wie gut er war. „Er war so schweigsam, aber er schien wirklich begabt und so selbstsicher, wie jemand, der ganz bei sich war“, erinnerte sie sich. „Ich kam aus der sehr hektischen kommerziellen Produktionswelt und hier saß dieser entspannte Typ und fädelte die Moviola ganz langsam und vorsichtig ein. Er ging so andächtig mit dem Material um.“239 Lucas blieb distanziert. Doch trotz seines Misstrauens gefiel Marcia ihm; irgendwann, dachte er, würde er sich mit ihr unterhalten.
Tagsüber saß Lucas in seinen Kursen, danach stundenlang für Verna Fields an der Moviola und abends arbeitete er als Lehrassistent für den Kameradozenten Gene Peterson an der USC. Diesen Job hatte er angenommen, um einen Teil seiner Studiengebühren zurückzahlen zu können. Im Kurs saßen außergewöhnliche Teilnehmer: Peterson war vom Militär beauftragt, Kameraleute, meistens von der Navy und der Air Force, „ein wenig lockerer zu machen“, so drückte es Lucas jedenfalls rückblickend aus. „Diese Navy-Veteranen hatten alles exakt nach Lehrbuch gelernt.“ Lucas sollte ihnen nun beibringen, künstlerischer zu denken. „Ich habe ihnen gezeigt, wie man mit natürlichem Licht arbeitet, wie man über die Bildkomposition nachdenkt; ich sollte sie dazu bringen, andere Filme zu machen.“240
Lucas musste dafür wahrscheinlich einige Kritik von der USC-Mafia einstecken. Der Vietnamkrieg war zunehmend Thema auf den Titelseiten der Zeitungen und die Studenten ließen ihre Wut gleichermaßen an Politikern wie an heimkehrenden Soldaten aus. Einen Kurs voller kurzgeschorener Militärs zu unterrichten, mochte einigen als Verbrüderung mit dem Feind erscheinen. „Die schickten diese Armeetypen zu uns und wir hatten wilde Haare und protestierten und demonstrierten“, sagte Willard Huyck. „Mit denen hatten wir nichts zu tun.“241 Für Lucas stellte sich die Sache ein wenig anders dar. Die Navy-Kurse waren besser mit Geräten ausgestattet als die normalen Kurse, weil sie von der Regierung bezuschusst wurden, und, noch wichtiger: Ihnen standen nahezu unbegrenzte Mengen Farbfilm mit Tonspur zur Verfügung. Was Lucas also vor sich sah, waren ein Kursraum voller hervorragender Geräte, endlose Mengen an Filmmaterial und eine Crew, deren Job es war, Befehle auszuführen. Er konnte alles genau nach seinen Vorstellungen machen und hatte das Equipment und das Filmmaterial, das er dafür brauchte.
Sein Bauchgefühl trog ihn nicht: Die Crew war es gewohnt, Befehle entgegenzunehmen. Nur nicht von ihm. Aber Lucas erfasste die Stimmung schnell und versuchte stattdessen, ihren Kampfgeist zu wecken. Er teilte den Kurs in zwei Teams auf. Ein Team würde seinen Film drehen, das andere wurde vom ranghöchsten Offizier angeleitet. Von Anfang an war die Niederlage des gegnerischen Teams besiegelt, denn Lucas wusste bereits, was für einen Film er machen wollte: Er basierte auf der Unterhaltung mit Matthew Robbins und Walter Murch in einer Küche in Hollywood – ein Mann krabbelt durch eine Falltür nach oben und rennt in die Freiheit.
Ein Plot war so gut wie nicht vorhanden; sie hatten nur zwölf Wochen Zeit und Lucas wollte sich mehr auf Optik und Atmosphäre konzentrieren als auf Geschichte und Figuren – etwas, wofür man einige seiner späteren Filme kritisieren würde. „Ich wollte etwas Futuristisches machen“, erklärte er. „Etwas extrem Visuelles, ohne Dialoge, ohne Figuren – halb Kino, halb das Gegenteil von Kino. Ein wenig experimentell.“242 Es wurde am Ende sehr experimentell, denn Lucas hatte einige ungewöhnliche Ideen, die, so bekannte er, „schon sehr lange in meinem Kopf gebrodelt hatten.“243
Wie Godard in Alphaville nutzte er die Gegenwart, um die Zukunft darzustellen. Er brauchte keine Kulisse aus dem Weltraumzeitalter; mit cleverer Kameraführung und ein wenig Klebeband und Stoff verwandelte Lucas Kleidung und Geräte der Sechziger in etwas, das futuristisch und gleichzeitig angestaubt und irgendwie vertraut wirkte. Diese „Used Universe“-Ästhetik würde er später in Star Wars wieder aufgreifen. Mit dem Militär im Rücken hatte Lucas Zugang zu Computerräumen und anderen Einrichtungen, die ihm normalerweise verschlossen geblieben wären, zum Beispiel zum Flughafen Los Angeles, zum Van Nuys Airport und zu einer Tiefgarage an der UCLA. Soweit wie möglich würde er nur mit natürlichem Licht drehen. Der Film sollte einen dokumentarischen Charakter haben, sollte fast wirken wie „Found Footage“, also gefundenes Filmmaterial, das es irgendwie aus der Zukunft ins Jahr 1967 geschafft hatte.
Außerdem hatte er eine neue Inspirationsquelle gefunden, wieder einmal ein Produkt des National Film Board of Canada: einen eklektischen Schwarz-Weiß-Film mit dem Titel 21-87, geschaffen von dem herausragenden dreißigjährigen Montagekünstler Arthur Lipsett. Lucas gab an, den Film „zwanzig oder dreißig Mal“ gesehen zu haben.244 Er hatte „eine sehr starke Wirkung auf mich“, erzählte er. „Er setzte ziemlich genau das um, was ich selbst machen wollte. Dieser eine Film hat mich besonders stark beeinflusst.“245 Er prägte nicht nur Lucas’ Soundgestaltung, sondern hatte auch Einfluss auf einen wichtigen Teil des Star-Wars-Mythos.
21-87 war eine fast zehn Minuten lange Montage aus Kurzfilmen, die Lipsett in New York gedreht hatte, und zufälligen Filmschnipseln vom Schneideraumboden im National Film Board. Das Ergebnis ist so irritierend wie faszinierend: Wir sehen normale Menschen bei alltäglichen Verrichtungen – sie spazieren im Park, telefonieren, fahren zur Arbeit. Unterbrochen werden diese Szenen von bizarren, oftmals verstörenden Bildern, zum Beispiel einem Pferd, das von einem Sprungbrett springt, einer Autopsie oder einem lächelnden Puppenkopf, der in einem Schaufenster für Zigaretten wirbt. Aber erst Lipsetts einzigartiger Umgang mit dem Ton verleiht dem Film seine wilde, fast aufrührerische Atmosphäre, alles Sichtbare erhält dadurch Stimmung und Charakter. Lipsetts Tonspur summt und surrt mit Gesprächsfetzen über Moral, die Bibel und Grübeleien über Gott. Blues und Gospel erklingen zu Bildern von tanzenden Paaren und jungen Männern, die mit Spielzeugpistolen aufeinander schießen. Ein Chor jubelt, während Menschen im Spiegelkabinett über ihre verzerrten Gestalten lachen und Pendler einen Aufzug verlassen. „Als George 21-87 sah, ging ihm ein Licht auf“, berichtete Walter Murch. „Wir wollten unbedingt einen Film machen, in dem Ton und Bild frei umherschwebten.“246
In einem denkwürdigen Moment – vor allem in Lucas’ Augen – kombiniert Lipsett Bilder von flatternden Tauben mit einem Ausschnitt aus einer philosophischen Diskussion zwischen Warren S. McCulloch, einem Vorreiter auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz, und dem Regisseur Roman Kroitor. McCulloch behauptet, dass der Mensch nicht mehr als eine komplizierte Maschine sei, und Kroitor hält dagegen, die Welt könne nicht so einfach und seelenlos sein. Er argumentiert, dass der Mensch in der Betrachtung der Welt „eine Art Macht … unter der Oberfläche der Dinge entdeckt, und diese Macht nennt er Gott.“ Ein Jahrzehnt später gab Lucas zu, dass die Macht in Star Wars, die auf der universellen Idee der Lebenskraft basiert, auch eine Reverenz an Lipsett ist, „ein Echo dieses Satzes in 21-87.“247
Und noch einen Einfall entlieh Lucas 21-87: „Ich glaube, wegen dieses Films habe ich fast alle meine Hochschulfilme mit Zahlen betitelt“, bekannte er.248 Sein nächstes Projekt trug den Namen der Hauptfigur, die Lucas in seiner Dystopie THX 1138 4EB taufte. Wie in Vorkapićs Life and Death of 9413: A Hollywood Extra trug der Protagonist seine Identifikationsnummer auf der Stirn. Lucas hat stets darauf beharrt, dass die Buchstaben THX „nichts zu bedeuten haben“249, aber Matthew Robbins, der den Protagonisten im ersten Treatment noch nicht benannt hatte, glaubte, dass Lucas schlicht die Optik mochte, da „T, H und X jeweils symmetrisch sind“.250 Andere spekulierten, dass Lucas einfach seine Telefonnummer für den Titel verwendete und dabei die Zahlen 8, 4 und 9 durch die zugehörigen Buchstaben auf der Wählscheibe ersetzte.251
Lucas drehte THX 1138 4EB in drei langen, zermürbenden Januartagen 1967. Seine Navy-Crew musste die Nächte durchschuften. Sie schleppten das Equipment in Computerräume und auf Parkplätze und filmten den Protagonisten, wie er einen Flur nach dem anderen entlanghetzt, während seine Verfolger ihn über die Monitore im Kontrollraum beobachten. Teilweise glich das Shooting eher einer Guerilla-Aktion, wenn sie beispielsweise so viel wie möglich in einer Tiefgarage drehen mussten, bevor das Licht sich änderte oder ihnen schlichtweg die Zeit davonlief. Und obwohl ihnen das Equipment der Armee zur Verfügung stand, gab es Engpässe und technisches Versagen. Lucas bewältigte all das mit Improvisation und sein Durchhaltevermögen beeindruckte sogar die abgebrühten Navy-Offiziere. Als zum Beispiel ein Dolly für eine Kamerafahrt fehlte, luden sich Lucas und Kameramann Zip Zimmerman die Kamera einfach auf die Schultern, setzten sich auf ein rollbares Brett und ließen sich völlig regungslos rückwärts ziehen.
Dass Lucas weiter Vollzeit bei Verna Fields arbeitete, machte die Sache nicht einfacher. Tagsüber ordnete und schnitt er Material für A Journey to the Pacific und abends widmete er sich wieder seinem eigenen Projekt. Dieses Tempo erschöpfte ihn; Fields fand ihn oft schlafend an der Moviola vor, den Kopf auf der Brust, während der Film sich langsam Richtung Fußboden abspulte. Nachts hatte er kaum mehr Kraft, die Kamera zu schultern, und hielt sie stattdessen in den Armen. Meistens überließ er die Kameraarbeit Zimmerman und zog es vor, von der Seite aus Anweisungen zu geben. Das Shooting war sowieso der leichteste Teil; die echte Arbeit erledigte Lucas ganz allein im Schneideraum, wo er sich um die visuellen Effekte, das Stanzen (das Zusammenbringen von neuem Hintergrund und freigestelltem Vordergrund) und um einen interessanten, aggressiven Soundtrack kümmern würde. Nach der Fertigstellung nahm der erschöpfte Lucas seine Filmrollen mit zu Fields, um in den folgenden zehn Wochen die Nächte an der Moviola zu verbringen.
Unterdessen wandte sich Lucas bereits seinem nächsten Projekt zu: anyone lived in a pretty [how] town, ein sechsminütiger Kunstfilm nach dem gleichnamigen Gedicht von e. e. cummings. Erstmals drehte Lucas auf 35-mm-Cinemascope in Farbe. Nur unter großen Schwierigkeiten war er an das Material gekommen. „Diesen Film durften wir eigentlich nicht in Farbe drehen“, bemerkte Lucas. „Das Projekt war auf fünf Wochen angesetzt und es hieß, in der Zeit können wir nicht in Farbe drehen, weil es schon fast eine Woche dauerte, die Muster zu entwickeln.“ Trotzdem entschied sich Lucas dafür und arbeitete wie bei Herbie wieder mit Paul Golding zusammen. Die Crew war recht groß, mit mehreren Schauspielern, es gab Kostüm und Requisite. Lucas drehte den Film mit einem Budget von vierzig Dollar in zwölf Tagen ab, brauchte also neun Tage länger als für THX. Und er stellte den Film tatsächlich pünktlich zur Deadline fertig. „Wir waren eine der wenigen Crews, die das schafften“, berichtete Lucas und ergänzte, dass sie einen Rüffel vom Dozenten Douglas Cox erhielten, weil sie entgegen den Vorgaben in Farbe gedreht hatten.252
Bis spät in den Abend schnitt Lucas also THX und dabei widmete er dem Ton besondere Aufmerksamkeit. Er hatte schon oft mit Walter Murch – der es „berauschend“ fand, Ton zu schneiden – darüber gesprochen, wie wichtig der Sound war. Beide waren der Ansicht, dass ein Film mit dem passenden Ton zu einem Erlebnis wurde.253 Sie hatten es unmittelbar an der USC erlebt: Der Vorführraum war dort so gelegen, dass der Ton über den Flur und hinaus auf den Hof dringen konnte – und „wenn der Filmton sehr interessant klang“, erklärte Lucas, „kam die gesamte Abteilung herbeigelaufen, um zu sehen, was das war.“254 Lucas strebte stets danach, Ton und Musik in seinen Filmen so klar und realitätsnah wie möglich klingen zu lassen. Diese Mission hat er seine gesamte Karriere über weiterverfolgt. Er wählte nicht nur den berühmten Filmkomponisten John Williams für die Soundtracks seiner Filme aus, sondern setzte sich auch dafür ein, dass Kinos mit besseren Lautsprechern und besserer Akustik ausgestattet wurden.
Während Lucas sich Tag und Nacht über die Moviola in Fields’ Schneideraum beugte, fiel es ihm zunehmend leichter, sich mit Marcia zu unterhalten. Sie plauderten noch immer meistens über Filme, aber es gefiel Lucas, dass sie genauso begeistert darüber sprach und die technische Seite des Filmemachens genauso liebte wie er. Die wenigen Frauen, mit denen Lucas sich an der Hochschule verabredet hatte, interessierten sich seiner Meinung nach für „viele dumme Dinge“.255 Er hingegen wollte sich über Storylines und Filmtechnik unterhalten. Marcia teilte seine Abneigung gegen das System Hollywood, obwohl sie ja gleichzeitig versuchte, sich darin hochzuarbeiten. Und sie war clever. Also brachte Lucas schließlich den Mut auf, sie um ein Date zu bitten – oder so etwas Ähnliches.
„Das war kein wirkliches Date“, sagte Lucas später. Sie schauten sich den Film eines gemeinsamen Freundes im American Film Institute an. „Aber das war das erste Mal, dass wir die ganze Zeit nur zu zweit waren.“ Darauf folgten weitere Gespräche zu Hause, weitere Filme, und plötzlich, noch bevor sie es selbst wirklich begriffen hatten, waren sie ein Paar. „Marcia und ich haben uns wirklich gut verstanden“, stellte Lucas schlicht fest. Sie fühlte sich von seinem Tatendrang und seiner Intensität angezogen und fand ihn überraschend „süß und witzig und albern“.256
Sie waren ein ungleiches Paar. Lucas wirkte ernst und grüblerisch, Marcia hingegen, so ihr Kommilitone Richard Walter, „war sehr aufgeweckt und fröhlich. Einfach die bezauberndste Frau, die man je gesehen hat.“257 Milius, der selten ein Blatt vor den Mund nahm, fand, dass sie eine Nummer zu groß für Lucas war. „Wir haben uns alle gefragt, wie der kleine George dieses tolle Mädchen gekriegt hat“, schnaubte Milius. Aber er glaubte, die Antwort zu kennen: „Marcia war clever, besessen von Filmen.“ Und, fügte er augenzwinkernd hinzu: „Sie war eine bessere Cutterin als er.“258 Golding hingegen fand, dass sie gut zusammenpassten. Nüchtern hielt er fest: „Sie sind beide sehr klein.“259
Lucas‘ nächstes Studentenprojekt war eine ehrgeizige Schwarz-Weiß-Dokumentation über den Radiomoderator Bob Hudson aus Los Angeles. Hudson war ein Prahlhans und nannte sich selbst „The Emperor“ (der Imperator). Lucas hatte seine halbe Jugend damit verbracht, während seiner Autotouren durch Modesto dem Geschnatter der DJs zu lauschen, und wollte schon lange eine Dokumentation über eine Persönlichkeit aus dem Radio machen. „Die Leute bauen eine Beziehung zu den Radiosprechern auf“, so Lucas. „Die Beziehung ist einseitig und dadurch wird eine bestimmte Atmosphäre erzeugt. Sie fühlen sich den Moderatoren nah, obwohl sie ihnen natürlich gar nicht nah sind.“260 Ursprünglich hatte er einen Film über den schillernden Wolfman Jack geplant. Dieser war 1967 über den Radiosender XERB im mexikanischen Tijuana durch die amerikanische Senderlandschaft gefegt. „Aber ich wusste nicht, wo er steckte“, erklärte Lucas.261 Auf Hudson war er durch einen glücklichen Zufall gekommen. „[George und ich] hörten beide die Emperor Hudson Radio Show“, erinnerte sich Paul Golding. „Und wir haben zur exakt selben Zeit versucht, uns gegenseitig anzurufen, weil uns beiden schlagartig bewusst wurde, dass wir einen Film über diesen Typen machen mussten.“262
Lucas und Golding stellten wieder ihr kleines Team von pretty [how] town zusammen. Die Dokumentation sollte ursprünglich zehn Minuten dauern, aber die beiden waren „ziemlich ehrgeizig“ und stellten sich den Film als eine Art halbstündige Fernsehsendung vor, inklusive Werbung.263 Lucas bemühte sich, den Dozenten mehr Filmmaterial abzuschwatzen, und geriet in einige laute Auseinandersetzungen, ergatterte jedoch schließlich ausreichend Material, um zusätzliche Aufnahmen zu drehen, unter der Bedingung, dass das Endergebnis auf maximal zehn Minuten heruntergeschnitten wurde. „Ich gewöhnte mich daran, tonnenweise Material zu drehen und dann im Schneideraum einen Film daraus zu machen“, erinnerte sich Lucas.264 Er hatte allerdings nicht vor, sich an die Beschränkung von zehn Minuten zu halten.
Für die Dreharbeiten zu The Emperor brauchte Lucas fast den ganzen März und April 1967. Er filmte Hudson dabei, wie er live im Radio und am Telefon seine Tiraden abließ. Es gelang ihm sogar, ein Interview mit dem Moderator zu führen. „Hudson wusste nicht, was passieren würde, während wir bei ihm im Studio waren“, erzählte Golding rückblickend. „Und er wollte auf keinen Fall, dass ihm irgendjemand seine Sendung vermasselte.“265 Schließlich fasste er aber Vertrauen zu Lucas und der Crew und hatte Spaß an ihrer Anwesenheit. Er spielte sogar bei einem Gag mit: Er steigt aus seinem Auto aus und Lucas und Golding flankieren ihn in einem von Hitchcock inspirierten Cameo als brutale Bodyguards. Wenn sie Hudson nicht gerade mit der Kamera folgten, filmte Lucas Fake-Werbespots, denen ein Hauch der Zeitschrift MAD und ein etwas deutlicheres Aroma von Gras anhaftete. Darunter waren Werbespots für einen Camaro, der sich als Rhinozeros entpuppt, und für rauchbare Bananen – mit einem genüsslich grinsenden Milius als mexikanischem bandito.
Das Projekt war für alle Beteiligten ein Gewinn. „Das war Filmemachen im reinsten Sinne“, schwärmte Golding. „Die Zusammenarbeit war wunderbar und wir alle waren offen für die Ideen der anderen.“266 Auch Milius betrachtete The Emperor als einen von Lucas’ prägenden Filmen: „Er war ohnehin ein sehr visueller Künstler. Er hatte eine sehr bestimmte visuelle Herangehensweise … Er spürte sehr genau, was er wollte, und er tat ungewöhnliche Dinge.“267 Einer der ungewöhnlichsten und irritierenden Augenblicke des Films ereignet sich etwa zur Halbzeit. Der Abspann läuft und markiert scheinbar das Ende des Films. Doch das ist ein vorgetäuschtes Ende, an die USC-Dozenten gerichtet, womit Lucas vorgibt, sich an die Zeitbegrenzung von zehn Minuten gehalten zu haben. Bei der Filmpremiere brach in Goldings Erinnerung „eine Welle des Bedauerns und der Enttäuschung los, denn die Leute hatten alle mitverfolgt, wie sehr wir für diesen Film gekämpft hatten … Sie dachten, wir hätten klein beigegeben.“ Als das Publikum merkte, dass der Film nach dem Abspann noch zwölf Minuten weiterlief, brach es in Begeisterung aus. „Jede Minute nach dem Abspann war ein bewusster Angriff auf die Institution“, resümierte Golding mit diebischer Freude.268 Lucas badete im Applaus. Er hatte gewonnen. Mal wieder.
Im Frühling zog Marcia zu Lucas in das Haus auf dem Hügel in Portola. Die Freunde waren irritiert; die beiden wirkten so verschieden. Aber Lucas und Marcia fanden, dass sie genau deshalb perfekt zusammenpassten. „Ich habe mich immer als Optimistin gesehen, weil ich extrovertiert bin. Und George kam mir introvertierter vor, still, pessimistischer“, so Marcia. Lucas hielt sich dazu gewohnt bedeckt: „Marcia und ich sind sehr verschieden und uns gleichzeitig sehr ähnlich“. Auf Nachfrage räumte er später ein, dass es ihm auch gefiel, dass sie ihm jeden Abend Essen kochte. Als Lucas sie seinen Eltern vorstellte, sahen diese, wie relativ ungezwungen er mit Marcia umging, und folgerten daraus, dass sie die Richtige für ihn war. Die Sache war in den Augen der Verwandtschaft beschlossen, als Lucas seinem Schwager anvertraute: „Marcia ist die einzige, der gegenüber ich laut werde.“269 Das aus dem Munde des zurückhaltenden Lucas war in der Tat ein großes Kompliment.
In den Wochen nach der Premiere von The Emperor stellte Lucas endlich THX 1138 4EB fertig. Er hatte hart daran gearbeitet, den Film zu einem überwältigenden Erlebnis zu machen und war zufrieden mit dem Resultat. „Ich hatte nicht erwartet, dass er so gut werden würde“.270 Lucas hatte eine Menge High-Tech-Effekte verwendet: verzerrte oder flackernde Bilder wie bei einem schlecht eingestellten Fernsehkanal, Zahlenreihen an der Seite oder am unteren Rand des Bildschirms, die beim Betrachter den Eindruck erzeugen, er schaue den Film auf einem Videomonitor, so wie die Jäger des Protagonisten THX. Manche Einstellungen sehen so aus, als seien sie mit einer Überwachungskamera gefilmt worden, manche sind orange getönt, so wie man sie durch das Visier eines Polizeihelms sehen würde, ergänzt um ein Display, das anzeigt, dass wir hier die Perspektive von PERFECTBOD2180 sehen. An einer Stelle blitzt kurz das Datum auf: 5-14-2187 – ein Hinweis auf Lipsetts einflussreichen Film.
Außerdem zahlte es sich aus, dass Lucas so viele Wochen auf den Sound verwendet hatte – selbst nach heutigen Maßstäben ist er einzigartig. „Das war eine wilde Mischung aus Bach und durcheinander plappernden Stimmen von Fluglotsen oder so etwas in der Art“, erzählte Walter Murch.271 Lucas sammelte außerdem überall interessante Musik, zum Beispiel das eindringliche „Still I’m Sad“ von den Yardbirds für den Vorspann. Mit laut hallenden Orgelklängen unterlegt er die letzten Augenblicke von THXs triumphaler Flucht in den Sonnenuntergang. Dem Plot fügte Lucas einen paranoiden Unterton hinzu, indem er THXs Freund YYO 7117 von der Obrigkeit verhören lässt, wegen eines Verbrechens mit dem Namen „SEXACTE“. Den Vertreter des Staates verkörpert eine christusartige Figur mit der Nummer 0000 auf der Stirn. Es gibt eine Menge ausgedehnter Sequenzen, in denen Menschen Schalter drücken und Maschinen bedienen, und Aufnahmen von THX, der mit rudernden Armen endlose Flure entlangrennt. Dennoch ist alles irgendwie aufregend, wegen des halsbrecherischen Schnitts, der Bildeffekte und des surrealen Sounds. Einfach gesagt: THX 1138 4EB funktioniert.
„Ich wollte durch rein technische Mittel Gefühle erzeugen“, erklärte Lucas später. „Alle Filme, die ich in dieser Zeit gemacht habe, versuchen das über das filmische Erlebnis zu erreichen, nicht notwendigerweise über die Geschichte. Meine ganze Karriere über bin ich Kinoenthusiast gewesen. Und obwohl ich später Filme mit einer konventionelleren Erzählweise drehte, habe ich immer versucht, mit den technischen Mitteln des Kinos Gefühle zu erzeugen.“272 THX war in der Tat ein Erlebnis; die Premiere kam einem Happening gleich. Die Studenten jubelten von dem Augenblick an, in dem das USC-Logo auf der Leinwand erschien. Und als die Farbe des Logos sich langsam von Gelb zu Blutrot wandelte, steigerte sich der Jubel zum Gebrüll.
Der Erfolg von THX trug auch einiges dazu bei, die weiterhin bestehenden Spannungen zwischen Vater und Sohn zu mildern. Lucas Sr. hatte zwar schon lange akzeptiert, dass sein Sohn unbedingt Filmemacher werden wollte, besonders glücklich war er damit aber nach wie vor nicht. Nun aber sah er den Film seines Sohnes beim Studentenfilmfestival der USC inmitten eines jubelnden Publikums und stellte fest, dass George nicht nur seine Berufung gefunden hatte, sondern auch hohes Ansehen unter seinesgleichen genoss. „Ich war ja von Anfang an dagegen, dass er an diese Filmhochschule geht, aber wir hatten den Eindruck, dass er schlussendlich seine Nische gefunden hatte“, gab Lucas Sr. in Retrospektive zu. „Auf der Heimfahrt sagte ich zu Dorothy: ,Ich glaube, wir haben unser Geld auf das richtige Pferd gesetzt.’“273
Lucas hatte durch den Erfolg von THX 1138 4EB Selbstvertrauen und Bestätigung gewonnen und so bewarb er sich für ein Praktikum bei Columbia Pictures. Der Autor und Produzent Carl Foreman leitete die Produktion des Gregory-Peck-Films Mackenna’s Gold in Utah und Arizona. Er hatte vier Plätze für Studenten frei – zwei von der UCLA und zwei von der USC. Sie sollten der Crew über die Schulter schauen und zeitgleich kurze Making-ofs erstellen, die Foreman dann später für die Promotion des Films verwenden konnte. Lucas war vermutlich enttäuscht, als er nicht ausgewählt wurde. Seine Kommilitonen Charley Lippincott und Chuck Braverman ergatterten die begehrten Plätze. In letzter Minute aber sagte Lippincott ab, weil er für einen Regieassistenten bei Columbia einen Job übernehmen konnte. Er empfahl Lucas – und so fuhr dieser in die Wüste Arizonas, um sich Foreman und der Crew für Mackenna’s Gold anzuschließen. Zum ersten Mal hatte er Gelegenheit, den Dreharbeiten einer großen Hollywoodproduktion beizuwohnen. Und er war nicht beeindruckt.
„Wir hatten noch nie so viel Überfluss gesehen, alle fünf Minuten gingen zig Millionen Dollar für dieses riesige, schwerfällige Projekt drauf“, sagte Lucas später. „Es erschien uns völlig verrückt, denn wir hatten Filme für dreihundert Dollar gedreht, und nun schauten wir dieser unglaublichen Verschwendung zu – das war das Schlimmste an Hollywood.“274 Was Lucas unerwähnt ließ: Auch er profitierte von dieser Freigiebigkeit. Foreman stattete seine vier jungen Filmemacher – neben Lucas und Braverman J. David Wyles und David MacDougal von der UCLA – mit allen Gerätschaften aus, die sie für ihre Kurzfilme brauchten. Er zahlte ihnen sogar einen wöchentlichen Betrag, von dem Lucas das meiste sparte. Lucas konnte weiterhin in seinem guerillahaften Stil arbeiten, unterstützt von Foreman, der den Anfänger mit dem besten Equipment versorgte, das dieser je benutzt hatte.
Trotz seiner Abscheu vor dem „Überfluss“ hoffte Lucas insgeheim, dass die Anwesenheit am Set ihm endlich eine Tür nach Hollywood öffnen würde. Daher wollte er einen guten Eindruck bei Foreman hinterlassen – mühsame Sache, denn Foreman galt als leicht reizbar. Und das aus gutem Grund: Der Autor von Zwölf Uhr mittags und Die Brücke am Kwai sowie Produzent des Erfolgsfilms Die Kanonen von Navarone war während der Kommunistenhatz in der McCarthy-Ära in den Fünfzigerjahren auf der „schwarzen Liste“ gelandet und hatte sich für über zehn Jahre nach London zurückgezogen. Mackenna’s Gold war sein erstes großes Projekt seit seiner Rückkehr in die Staaten.
Falls Lucas sich bei Foreman beliebt machen wollte, ging er die Sache recht ungeschickt an. Foreman ließ den vier jungen Filmemachern zwar grundsätzlich freie Hand – er erwartete allerdings ein Mitbestimmungsrecht bei der Auswahl des Themas. Wyles bot an, die Pferdepfleger zu filmen, MacDougal würde den Regisseur J. Lee Thompson begleiten und Braverman sich an Foremans Fersen heften. Lucas, der nach eigenen Angaben „damals ein ziemlich feindseliger Junge“ war, wollte etwas weniger Konventionelles machen. Er schlug ein „Tongedicht“ vor, im Stil von 1:42:08. Foreman versuchte ihm das auszureden, aber je mehr er dagegen einwandte, desto ausdrücklicher beharrte Lucas darauf. „Wenn sie mir ein Stipendium geben, um einen Film zu drehen, dann will ich auch einen Film drehen“, beschwerte sich Lucas damals, „und keinen Werbespot für einen Film machen.“275
Lucas zog also allein los. Foreman warf ihm später vor, er habe seine Kollegen „vor den Kopf gestoßen“, was Lucas bestritt. Er machte Aufnahmen von der Wüstenlandschaft, dem weiten Himmel, den Windrädern und den Präriehunden. Die Filmcrew ist in diesen Einstellungen nur im Hintergrund zu erahnen, Störenfriede in der Ferne. Lucas betitelte seinen Film mit dem Datum der Fertigstellung, 6-18-67, wieder also mit einer Nummer. Der Film war teils John-Ford-Western, teils ein Tongedicht, aber auch, wie er Marcia mitteilte, „ein Film über dich, denn egal was ich filme, stelle ich mir vor und wünsche mir, dass du es bist.“ Foreman war nicht begeistert und beschwerte sich, dass Lucas’ ambitionierter Vierminüter nicht dem ursprünglichen Auftrag entsprach und nichts mit Mackenna’s Gold zu tun hatte. Ein Jahr später aber, als 6-18-67 bei einem öffentlichen Fernsehsender in Los Angeles gezeigt wurde, gab Foreman widerwillig zu, dass Lucas mit dem Film eine Aussage getroffen hatte: „Das Leben [in der Wüste] war vor uns da und es ging weiter, als wir wieder weg waren. Und genau darum geht es in Georges Film.“276
Im Juni kehrte Lucas nach Los Angeles zurück. Überrascht stellte er fest, dass er und Walter Murch für das heiß begehrte „Samuel Warner Memorial“- Stipendium nominiert waren. Auch hier ging es ums Zuschauen – und „vom Zuschauen lernt man nichts“, so Lucas‘ Kommentar –, aber der Gewinner durfte sechs Monate lang in einer Abteilung seiner Wahl in den Warner Bros. Studios mitarbeiten und erhielt sogar wöchentlich achtzig Dollar Vergütung. „Das war schon eine große Sache“, räumte Lucas im Nachhinein ein. Und wenn man bedachte, dass er es sich mit Foreman verscherzt hatte, war dies nun vielleicht eine zweite Chance, Zutritt in die Hollywoodgesellschaft zu erhalten. Während er und Murch auf dem Hof der USC darauf warteten, dass der Gewinner von der Jury ausgerufen wurde, schworen sie sich gegenseitig, dass der Sieger den anderen irgendwie unterstützen würde. Lucas gewann das Stipendium und löste sein Versprechen Jahre später ein, indem er Murch für den Tonschnitt bei American Graffiti engagierte. „Wir waren während des Studiums gut befreundet und später konnte ich ihn unterstützen“, sagte Lucas voller Zuneigung. „Damals halfen sich alle gegenseitig.“277
Lucas merkte schnell, dass er zu einem schlechten Zeitpunkt zu Warner Bros. gekommen war. Wie die meisten großen Studios war die Firma ein Dinosaurier, der langsam auszusterben schien. In den vergangenen zwanzig Jahren waren die Besucherzahlen in den Kinos stark gesunken – schon Anfang der Fünfzigerjahre verkauften sie in den USA wöchentlich vierunddreißig Millionen Tickets weniger als nur drei Jahre zuvor. Das lag vor allem an der Erfindung des Fernsehens, das den Zuschauern eine größere Auswahl an Unterhaltung bot, und zwar bequem zu Hause. Auf der Jagd nach Zuschauern produzierten die Studios zunehmend bombastischere Monumentalfilme. Wenn der Kassenerfolg dann ausblieb, drohte ihnen häufig die Pleite. Das berühmteste Beispiel ist Cleopatra von Joseph Mankiewicz aus dem Jahr 1963, ein Streifen, durch den 20th Century Fox fast in den Ruin getrieben wurde. 1967 schadete das Musical Camelot – am Hofe König Arthurs Warner in ähnlicher Weise.
Zudem waren die alten Mogule tot oder hatten sich zur Ruhe gesetzt. Der fünfundsiebzigjährige Jack Warner hatte erst kürzlich seine Anteile an Seven Arts verkauft und war dabei, am anderen Ende der Stadt eine eigene Produktionsfirma ins Leben zu rufen. Die Studios bluteten finanziell aus, also entließen sie ihre festen Schauspieler und Autoren. Zusätzlich pressten die Gewerkschaften mit ihrem eisernen Griff die letzten Gewinne aus den Studios heraus. Viele Studiochefs gingen dazu über, lieber direkt an der Location zu drehen, oder sie beauftragten ausländische Crews. Die Studiosets blieben geschlossen. Lucas hoffte kurz, dass er in der berühmten Trickfilmabteilung bei Warner unterkommen konnte, wo jahrzehntelang in scheinbar endloser Folge die Looney Tunes entstanden waren. Doch auch dieser Bereich war 1963 für immer geschlossen worden. „Alles war abgesperrt. Es war wie in einer Geisterstadt“, erinnerte sich Lucas.278
Aber es war nicht alles geschlossen, wie sich zeigen sollte. Ein Regie-Anfänger drehte einen Film; die auf zwölf Wochen angesetzten Dreharbeiten hatten gerade begonnen. Es handelte sich um die Adaption eines angestaubten Musicals mit dem Titel Der goldene Regenbogen, mit einem ebenfalls schon recht angestaubten achuntsechzigjährigen Fred Astaire in der Hauptrolle. Lucas stöhnte, als er auf dem Set eintraf. „Das interessierte mich nicht“, berichtete er. „Ich hatte gerade Mackenna’s Gold hinter mich gebracht und war so gut wie sicher, dass ich sowieso nicht ins Spielfilmfach strebte; ich wollte Dokumentar-Kameramann werden.“279 Und jetzt war er hier, saß auf dem fast verlassenen Warner-Gelände fest, spielte wieder die verhasste Rolle des Zuschauers – und das auch noch bei einem Greenhorn von Regisseur.
Lucas drückte sich einige Tage am Set von Der goldene Regenbogen herum und schaute mit verschränkten Armen und verkniffenem Mund zu. Irgendwann fiel dem Regisseur der „dünne junge Mann“ auf und er fragte jemanden, wer der Zuschauer sei. Er erfuhr, dass sein Gast ein „Hospitant von der USC“ sei, und näherte sich zwischen zwei Takes zaghaft dem Jungen mit dem versteinerten Gesicht.
„Und, schon was Interessantes gesehen?“, war seine Frage an Lucas.
Lucas schüttelte langsam den Kopf. „Nee“, sagte er einfach und machte eine schnelle, zur Seite schneidende Handbewegung. „Noch nicht.“
„Und so“, wusste der Regisseur von damals, ein kräftiger, bärtiger Achtundzwanzigjähriger namens Francis Ford Coppola zu berichten, „habe ich George Lucas kennengelernt.“280