Читать книгу Dunkle Tiefen der Seele - Bärbel Junker - Страница 7
TÖDLICHE BEGIERDE!
ОглавлениеPaul Kowalski hielt seine blutverschmierten Hände unter das laufende Wasser und überlegte angestrengt. Er hatte Mist gebaut und musste einen Weg finden, um da wieder rauszukommen. Er nahm die Nagelbürste und begann seine Finger zu schrubben.
Nicht zu fassen! Da gibt dieses blöde Stück doch tatsächlich im spannendsten Moment den Geist auf! „Verdammter Mist! Und was mach ich jetzt mit der Leiche?“, knurrte Kowalski. „Eine Scheißidee war das, die Kleine hier zu bumsen.“
Bisher hatte er seine perversen Spiele immer außer Haus getrieben. Er kannte genügend Plätze, an denen er ungestört war. Aber heute hatte ihn die Gier so plötzlich übermannt, dass er nicht mehr hatte klar denken können. Die Gelegenheit war derart günstig gewesen, dass er sich einfach nicht mehr in der Gewalt gehabt hatte.
Klingelt das kleine Miststück doch an seiner Tür für ´ne Meinungsumfrage. Meinungsumfrage! So ein hirnverbrannter Blödsinn! Aber die Süße war toll gewesen. Höchstens achtzehn; tolle Titten; lange Beine unterm knappen Minirock. Einfach geil!
Natürlich hatte er sich nicht anmerken lassen, wie scharf er auf sie war. Mit dem Versprechen ihre Fragen zu beantworten, hatte er sie in die Wohnung gelockt; und dann war es einfach gewesen.
Ein Schlag auf den Kopf; Ohnmacht, fesseln und dann Spaß. Riesenspaß! Obwohl sie sich zuerst geziert hatte. Aber das hatte er ihr schnell ausgetrieben. Und dann hatte er es ihr gezeigt! Kichernd drehte er den Wasserhahn zu. In Wirklichkeit fanden die Weiber das Bumsen doch genau so toll. Nur dass er es zugab und seine Triebe auslebte. Aber die Weiber zierten sich. Dabei war mit den Schlampen überhaupt nichts mehr los. Keine Moral und kein Schamgefühl hatten die, war´n strohdumm und geldgierig. Das sah man doch an den Titelbildern und jeden Tag im Fernsehen. Ständig nur nacktes Fleisch und dann wurden die Männer auch noch dafür bestraft, wenn sie sich aus dem großzügigen Angebot bedienten, das ihnen geradezu aufgedrängt wurde.
Da rannten diese Schlampen fast ohne Klamotten herum und wunderten sich, wenn die Männer aktiv wurden und sich nahm´, was sie kriegen konnten. Die Weiber war´n doch einfach nich´ ganz dicht.
„Nich´ die Männer müssen bestraft wer´n, sondern das geile Weiberpack, das uns dauernd anmacht“, knurrte er böse. Warum die Puppe nebenan wohl so plötzlich den Löffel abgegeben hat? Vielleicht ´ne Herzsache? Oder ob der Knebel zu fest gesessen hat? Mann, war das ´n Schreck, als er plötzlich merkte, dass sie abgekratzt war.
Fast wie neulich mit der Tussi. Da hatte er auch für´n Moment geglaubt, die hätte sich ins Jenseits abgesetzt, als sie plötzlich wie erstarrt und so eiskalt, als wäre sie schon ´ne Weile tot, unter ihm gelegen hatte. Aber das war kein Problem gewesen. Die hatte er einfach abtransportiert und danach war er abgehau´n.
Aber die Kleine im Schlafzimmer, die war ein Problem. Da stellte sich echt die Frage: Wohin mit der Leiche und wie? Am besten schaff ich sie nachts weg, überlegte er. Wenn ich sie fest zusammenschnüre, müsste sie eigentlich in den klein´ Teppich passen.
Scheppernd schlug die Klingel an und riss ihn abrupt aus seinen Überlegungen. „Wer is´n das?“, murmelte Kowalski erschrocken und schlüpfte in seine Jeans. Hastig streifte er ein schmuddeliges T-Shirt über, schlich barfuß zur Wohnungstür. Durch den Spion beäugte er die beiden Männer. Er kannte sie nicht, also würde er einfach nicht öffnen. Er drehte sich auf dem Absatz herum und wollte zum Badezimmer zurückgehen, als er wie vom Donner gerührt stehen blieb.
„Herr Kowalski, wir sind von der Polizei. Bitte öffnen Sie. Wir wissen, dass Sie zu Hause sind“, verlangte eine energische Männerstimme.
„So´n Mist! Die Bull´n! Und ich hab ´ne Leiche im Schlafzimmer“, keuchte Kowalski entsetzt. Was sollte er tun, verdammt noch mal?! Und dann hatte er es.
„Moment, ich muss mir nur schnell was überzieh´n“, rief er auf nackten Sohlen zum Schlafzimmer eilend. Hastig warf er die schmuddelige Bettdecke über das tote Mädchen. Er unterdrückte seine Panik, atmete tief durch, ging zurück zur Haustür und legte die Sicherheitskette vor. Erst dann öffnete er. „Was gibt´s? Was woll´n Sie von mir?“, knurrte er unfreundlich durch den Spalt.
„Ich bin Kommissar Sörensen und das ist mein Kollege Inspektor Thomsen. Wir sind von der Mordkommission. Dürfen wir hereinkommen? Wir haben Ihnen eine Mitteilung zu machen“, sagte der Blonde namens Sörensen.
„Wenn´s unbedingt sein muss“, maulte Kowalski und löste die Sicherheitskette. „Aber ich hab nich´ viel Zeit.“
„Wir haben nur ein paar Fragen“, sagte Phil und trat in den Flur. Was ist das bloß für ein unangenehmer Geruch? dachte er angewidert und sah sich unauffällig um.
Paul Kowalskis Wohnung war so ungepflegt wie er selbst. Überall lag etwas herum, und in einer Ecke des schlampigen Wohnzimmers stapelten sich Bier- und Schnapsflaschen. Phil räumte einen Stapel übelster Pornohefte beiseite und setzte sich auf die äußerste Kante des fleckigen Sofas. Sven nahm neben ihm Platz. Kowalski ließ sich ihnen gegenüber in einen altersschwachen Sessel fallen und musterte sie unfreundlich. „Also, was woll´n Sie von mir?“, knurrte er gereizt.
Sven sah ihn an und konnte es kaum glauben. Dieses verkommene Subjekt sollte der Bruder seines besten Freundes sein? Zwar war die Ähnlichkeit verblüffend, aber alles Übrige...! Freds Gesicht war markant, während sein Bruders schwammig und verlebt aussah. Fred war kultiviert und gepflegt, war sehr belesen und hatte regelmäßig Sport getrieben.
Und dem gegenüber Paul Kowalski!
Von Kopf bis Fuß ungepflegt. Das Gesicht von vielfältigen Lastern gezeichnet. Absolut primitiv und ungebildet. Aber gefährlich! Das signalisierte sein unsteter, verschlagener Blick.
„Na, gefällt Ihnen was Sie seh´n?“, riss ihn Kowalskis spöttische Stimme aus seiner Betrachtung.
„Nein, absolut nicht. Aber es muss mir ja auch nicht gefallen“, erwiderte Sven kühl.
„Auch gut“, knurrte Kowalski aggressiv. „Also, was woll´n Sie?“
„Wir müssen Ihnen leider mitteilen, dass Ihr Bruder getötet wurde“, sagte Sven leise.
Paul Kowalski starrte ihn ungläubig an. Es dauerte eine ganze Weile, bis diese Information zu seinen schwerfälligen Gehirnzellen durchgedrungen war. Aber als es endlich soweit war, fing er schallend an zu lachen. „Ich lach mich tot!“, brüllte er, sich vergnügt auf die feisten Schenkel schlagend. „Mein Bruder, der heilige Antonius der Ehrbaren, wurde ermordet! Wenn das nich´ der Witz des Tages is´, dann weiß ich nich´! Das is´ doch nich´ zu fassen, das halt ich nich´ aus!“, keuchte er.
„Ich habe nicht gesagt, dass Ihr Bruder ermordet wurde. Wie kommen Sie darauf?“, fragte Sven mit vor Abneigung vibrierender Stimme.
Paul Kowalski wischte sich mit einem dreckigen Lappen die Lachtränen aus dem Gesicht. „Na, Sie sind vielleicht ´n Schlauberger“, sagte er spöttisch. „Wenn die Mordkommission plötzlich bei mir auftaucht wird´s ja wohl um ´n Mord geh´n und nich´ um ´nen kleinen Ladendiebstahl, oder?“
„Wissen Sie, ob Ihr Bruder Feinde hatte?“, fragte Phil, ohne auf Kowalskis Ironie einzugehen.
„Ne, woher soll denn ich das wissen. Der Herr Saubermann wollte mit mir doch nichts zu tun ha´m. Ich war ihm nich´ fein genug. Aber einen Feind muss er ja wohl gehabt ha´m, sonst wär´ er ja wohl nich´ ausgeknipst worden. Wie is´ er denn überhaupt umgebracht worden, Inspektor?“, fragte Kowalski neugierig, jedoch ohne jegliche Anteilnahme.
„Er wurde vergiftet.“
„Vergiftet! Na, das is´ ja ´n Ding! Wer tut denn so was? Erschießen oder abstechen, aber vergiften?! Merkwürdige Art jemanden umzubring´“, meinte Kowalski kopfschüttelnd. „Ach, da fällt mir was ein: Erb´ ich jetzt Freds ganzen Kram? Schließlich bin ich ja sein einziger Bruder. Da muss doch was zu hol´n sein. Bestimmt hat er auch was auf der hohen Kante. Also, was meinen Sie?“ Mit gierig funkelnden Augen wartete er auf die Antwort.
Wahrscheinlich zählt er in Gedanken bereits das Geld, dachte Sven. Aber die Freude werde ich dir versalzen, du widerlicher Leichenfledderer! „Ich weiß nur, dass Fred Sie in seinem Testament nicht bedacht hat“, sagte er kalt.
„Mistkerl“, knurrte Kowalski böse und ließ offen, wen er damit meinte. „Dann eben nich´. War´s das oder woll´n Sie noch was wissen?“
„Nein, wir haben keine weiteren Fragen“, sagte Sven knapp und erhob sich gemeinsam mit Phil. Schweigend gingen sie an der Schlafzimmertür vorbei, nicht ahnend, dass dahinter der geschundene Körper einer ermordeten jungen Frau nach Vergeltung schrie. Mit einem knappen Kopfnicken verabschiedeten sie sich von Paul Kowalski, der die Wohnungstür hinter ihnen zuknallte.
„Was für ein Brechmittel“, schüttelte sich Phil. „Und diese Wohnung! Hast du auch diesen eigenartigen Geruch bemerkt?“
„Ja, aber ich will nicht darüber nachdenken, sonst kommt mir bestimmt mein Frühstück hoch.“
Schweigend gingen sie zu ihrem Wagen, stiegen ein und fuhren davon.
„Na endlich“, murmelte der ganz in Schwarz gekleidete Mann, der einen tief ins Gesicht gezogenen Schlapphut trug. Er trat aus dem Schatten einer Toreinfahrt, überquerte schnellen Schrittes die Straße und betrat das Haus, aus dem die beiden Kriminalbeamten gerade gekommen waren. Geräuschlos stieg er die Treppe hinauf. Vor Paul Kowalskis Tür blieb er stehen. Er griff in die Tasche seines Trenchcoats und nahm etwas heraus. Dann legte er seinen in feinem Leder steckenden Finger auf den Klingelknopf.
Kowalski, mit einer Dose Bier in der Hand, riss wütend die Tür auf und keifte: „Was´n nun noch? Jetzt hab ich aber langsam die Schnauze gestrichen voll von eurer blöden Fragerei. Mein Bruder is´ tot. Na und? Langsam weiß ich´s nun. Hau´n Sie ab, Mann! Lassen Sie mich endlich mit Ihrem blöden Gelaber in Ruhe oder ich ...!“ Er verstummte abrupt und starrte mit offenem Mund auf den Unbekannten. „Zum Teufel, wer ...?“
Ein dicker Strahl Tränengas schnitt ihm das Wort ab. Die Bierdose schepperte zu Boden. Kowalski presste wimmernd die Hände vor seine wie Feuer brennenden Augen und taumelte zurück in den Flur. Der Unbekannte setzte geschmeidig hinterher, holte aus, und schlug ihm ein kurzes Bleirohr über den Kopf. Kowalski stürzte wie ein gefällter Baum zu Boden.
Sein Besucher verlor keine Zeit. Er zog die Tür hinter sich zu und schleifte den Bewusstlosen vor Anstrengung stöhnend vor die Küchentür. Er stieß sie auf, zerrte den schweren Körper ins Zimmer und schloss die Tür. Hastig fesselte er die Hand- und Fußgelenke des Bewusstlosen mit Klebeband. Erschöpft sank er auf den einzigen Stuhl.
Er hatte gut daran getan sich zu beeilen, denn bereits kurze Zeit später schlug Kowalski stöhnend die Augen auf. Er versuchte sich an den schmerzenden Kopf zu fassen. Als ihm das nicht gelang, starrte er begriffsstutzig auf seine gefesselten Hände. „Verdammt! Was is´n jetzt passiert“, knurrte er verwirrt und wälzte sich stöhnend auf die Seite. Sein Blick fiel auf ein Paar schwarze Stiefel, wanderten an den dazugehörigen, in schwarzen Jeans steckenden Beinen hinauf und blieb an dem tief ins Gesicht gezogenen Schlapphut und der großen Sonnenbrille hängen.
„Was soll ´n der Mist?! Wer, zum Teufel, sind Sie?“, knurrte er wütend an seinen Fesseln zerrend. Selbstverständlich ohne Erfolg.
Sein Besucher antwortete nicht. Schweigend holte er aus den unergründlichen Tiefen seiner Manteltaschen eine kleine Flasche hervor und schraubte den Verschluss ab. Dann stellte er die geöffnete Flasche vor sich auf den Tisch. Er stand auf und ging zum Kühlschrank.
Mit einer Dose Bier und einem Glas kam er zurück zum Tisch und setzte sich. Er gab aus dem Fläschchen einige Tropfen in das Glas und füllte mit Bier auf. Mit dem Glas in der Hand drehte er sich zu Kowalski um und sah ihn an.
„Was soll´n das werden, wenn´s fertig is´? Woll´n wir einen zusammen heben oder was soll das blödsinnige Theater?“, pöbelte Kowalski.
Sein Besucher antwortete nicht. Er ließ die kleine Flasche wieder in seiner Manteltasche verschwinden und holte eine kleine Plastikdose hervor, aus der er zwei lachsfarbene Wachskügelchen nahm. „Und nun werde ich dir sagen, was ich mit dir vorhabe“, sagte er ruhig.
Kowalski öffnete den Mund zu einer unflätigen Antwort.
„Ich warne dich“, sagte der Unbekannte eiskalt. „Noch ein einziges Wort und ich ziehe dir mit dem Bleirohr eins über, doch diesmal schlage ich richtig zu, verstanden?“
Wie viele Gewalttäter war auch Kowalski feige, sobald es um sein eigenes Wohl ging. Bloß keine Schmerzen! Die fügte er lieber anderen zu. Also nickte er hastig. Schließlich war er nicht blöde.
„Aber meine Chance wird kommen und dann wird sich dieses Weichei wünschen, nie geboren worden zu sein, dachte Kowalski. Der Typ will mir Angst einjagen, aber warum? Was will der von mir? Was hab ich dem Kerl getan? Will der mich wirklich umbring´? Nein! Dazu sind die meisten Menschen nich´ fähig. Ich kann das, aber ich stehe ja auch außerhalb der Norm, lebe nach meinen Vorstellungen und nich´ so wie diese Schwächlinge.
Ich droh´ nich´ wie die andern, sondern tu´, was ich sage. Die andern kneifen wenn´s darauf ankommt. Die zieh´n den Schwanz ein und hau´n ab wenn´s ernst wird. Schwächlinge! Alles Schwächlinge!“ Er konzentrierte sich auf die Worte des Mannes und grinste innerlich. Bluff! Alles nur Bluff! Und er ahnte nicht einmal wie sehr er sich irrte.
„Na, Kowalski, zurück von Ihrem gedanklichen Trip? Haben Sie einen Fluchtplan ersonnen? Nein? Es würde Ihnen auch nichts nützen, denn Sie sterben hier und jetzt“, erklang die zwar kultivierte, jedoch irgendwie seltsame Stimme des Unbekannten. Leise zischend, kaum den Tonfall haltend, plätscherte sie beängstigend in ihrer Monotonie durch den Raum. Und doch kam sie ihm irgendwie bekannt vor. Wo hatte er diese Stimme gehört? Er strengte seine kümmerlichen grauen Gehirnzellen an, jedoch ohne Erfolg.
„Sie sterben an mit Bier vermischtem Aconitin, dem Gift des Blauen Eisenhuts“, dozierte der Unbekannte. „Sie kennen es nicht, aber Sie werden es spüren.“
Bluff! dachte Kowalski abfällig. Alles nur billiger Bluff! Aber er konnte nicht verhindern, dass ihn ein Gefühl der Angst beschlich. Und wenn der Kerl seine Drohung ernst meinte? Unsinn! So was brachten diese so genannten kultivierten Leute nich´ fertig. Dazu musste man veranlagt sein und Mumm haben.
“Oder durch eine schreckliche Erfahrung dazu gebracht werden“, wisperte eine kleine, unangenehme Stimme in seinem Kopf.
„Eine Aconitin-Vergiftung ist ...“
„Ach, halts Maul, du blöder Scheißer“, unterbrach Kowalski den Schwarzgekleideten rüde. „Du spinnst doch. Du jagst mir keine Angst ein. Ich glaub dir kein Wort. Wenn du mich umbring´ willst, dann tu´s, aber verschone mich mit deinem blödsinnigen Gelaber. Wenn du mich wirklich umbringst, dann bist du ´n Mörder und wirst von den Bullen eingelocht. Aber du bringst mich nich´ um, dafür hast du einfach nich´ das Format“, sagte Kowalski höhnisch.
„So, meinst du. Und wer hat wohl deinen Bruder getötet?“
„Meinen Bruder? Wieso?! Was, zum Teufel, soll das dämliche Gequatsche? Was geht dich ...“, er verstummte so abrupt, als hätte ihm jemand die Stimmbänder gekappt. Entsetzt starrte er den Unbekannten an. Plötzliche Angst überfiel ihn mit brachialer Gewalt. Angst vor diesem Fremden, der ihn so kalt und mitleidlos fixierte, als sei er ein ekliges Insekt, das in der nächsten Sekunde als breiiger Fleck unter seiner Stiefelsohle enden würde.
„Du ha...hast Fred vergiftet?“, stotterte er entsetzt. „Aber warum?!“, quetschte er mühsam heraus und … begriff im selben Moment.
„VERWECHSELT!
Du hast ihn mit mir verwechselt, stimmt´s?“, krächzte er. Schlagartig wurde ihm klar, dass er sich geirrt hatte. Sein Besucher bluffte nicht! Und wenn ihm nicht augenblicklich etwas zu seiner Rettung einfiel, war er in wenigen Minuten so tot wie die Kleine im Schlafzimmer nebenan. „Aber ich hab Ihnen doch nix getan“, krächzte Kowalski. „Warum woll´n Sie mich umbring´?“
Der Mann starrte ihn an. „In den letzten Sekunden deines gewalttätigen Lebens wirst du es erfahren“, sagte der Fremde kalt.
„Gnade!“, wimmerte Kowalski. „Ich will nich´ sterben.“
„Das wollten deine bedauernswerten Opfer auch nicht, also erspare mir das Gewinsel, es widert mich an!“
Trotz seiner geistigen Armut erkannte Kowalski die Endgültigkeit in dieser Antwort, die keinerlei Gnade in sich barg. Und warum auch! Sein erbarmungsloser Besucher hatte ja bereits getötet. War durch einen schrecklichen Irrtum zum Mörder eines Unschuldigen geworden. Weshalb sollte er dann ausgerechnet ihn verschonen, den er als Schuldigen sah? Todesangst überwältigte ihn und ließ ihn verzweifelt an seinen Fesseln zerren. Doch das Klebeband gab keinen einzigen Millimeter nach.
Der Fremde hatte das Wechselspiel der Gefühle, welches sich im Gesicht seines Opfers widerspiegelte, ungerührt beobachtet. Seine Mundwinkel verzogen sich für den Bruchteil einer Sekunde zu einem winzigen Lächeln, welches die kalten wie Glasmurmeln wirkenden Augen jedoch nicht erreichte.
„Ja, Kowalski, du wirst so sterben, wie du es verdienst. Langsam und sehr, sehr qualvoll!“, zischte er.
Da begann der ach, so starke Mann zu wimmern und zu flehen. Vergebens! Seine Skrupellosigkeit, seine Gewalttätigkeit und seine Menschenverachtung waren ihm zum Verhängnis geworden, hatten ihn eingeholt und besiegelten nun sein Geschick.
TOD! TOD! TOD,
befanden die unsichtbaren Geschworenen mit den lebenswichtigen Namen. Namen, die in Kowalskis Leben keinen Platz hatten. Namen wie: Liebe und Gnade; Ethik und Moral; Achtung vor dem Leben; und Demut vor der Seele alles Sterblichen. Von Kowalski verachtete und verspottete Begriffe die hier und jetzt ihr Recht einforderten.
Der Mann nahm das Glas und stand auf. Langsam ging er zu Kowalski, der ihn aus blutunterlaufenen Augen anstarrte.
„Hau ab, du verdammter Mistkerl! Glaub´ man ja nich´, dass ich das Dreckszeug trink´“, geiferte er mit sich vor Angst überschlagender Stimme. Verzweifelt versuchte er seinen schweren Körper wegzurollen. Ein völlig sinnloses Unterfangen.
„Du wirst es trinken, das kannst du mir glauben.“ Der Mann stellte das Glas zurück auf den Tisch und nahm die beiden Wachskügelchen in die Hand.
Und Kowalski begriff! Ein Sadist wie er begriff nur allzu schnell, wenn es sich um eine Gemeinheit handelte. Er bäumte sich in seinen Fesseln auf, konnte jedoch nicht verhindern, dass ihm der Mann die beiden Wachskugeln in die Nasenlöcher schob. Dann ging er zurück zum Tisch. Mit dem Glas in der Hand kehrte er zu seinem Opfer zurück.
Kowalski starrte zu ihm hoch. Und dann brachen Angst und Verzweiflung, Wut und Hass in wüsten Beschimpfungen wie ein Orkan aus ihm hervor: „Du verfluchtes, mordendes Dreckstück! Ich wollt´ ich könnt´ dich umbring´, so wie dieses Miststück von nebenan!“, kreischte er.
„Du wirst deine Strafe kriegen, das glaub´ man ja. Die Bullen kriegen dich, denn du hast ein´ von ihnen umgebracht. Ja, da guckst du blöde aus der Wäsche, du Wichser. Mein Bruder war nämlich ´n Bulle, und du Blödmann hast ihn aus Verseh´n abgemurkst. Mann, was musst du dämlich sein! Hast Fred mit mir verwechselt! So was Beknacktes aber auch“, keifte er wie von Sinnen.
Sein Mörder beachtete ihn nicht. Er holte das Klebeband hervor und begann Kowalskis sich windenden Körper auf dem Fußboden festzukleben, indem er akkurat Klebestreifen für Klebestreifen zuerst über dessen Brustkorb und dann über die Beine führte und auf beiden Seiten des Körpers auf dem Fußboden andrückte.
Er hockte sich neben den Gefesselten und schüttelte ein letztes Mal den Schierlingsbecher. Kowalski atmete keuchend durch den geöffneten Mund, der einzigen Sauerstoffzufuhr die ihm verblieben war. Als sich das Glas seinem Gesicht näherte, presste er die Lippen so fest zusammen, dass sie eine messerscharfe, waagerechte Linie bildeten. Doch nicht lange. Wer kann schon leben, ohne zu atmen. Hochrot im Gesicht riss er seinen Mund sperrangelweit auf und japste krampfhaft nach Luft.
Und das war sein Ende!
Blitzschnell kippte ihm der Unbekannte die Giftmischung in den Rachen und presste ihm die behandschuhte Hand fest auf den Mund, damit er die Flüssigkeit nicht wieder ausspucken konnte. Kowalski schluckte krampfhaft.
Der Mann ging zum Küchentisch und setzte sich.
Als nach einer Weile Gevatter Tod auf leisen Sohlen den Raum betrat, um sich Kowalski zu holen, stand der Mann auf. Er trat neben Kowalski und stieß ihn mit dem Fuß an. „Sieh mich an!“, befahl er.
Paul Kowalskis Blick klärte sich ein letztes Mal. „Scheißkerl“, stöhnte er.
„Sieh her!“, befahl sein Mörder. Er riss den Schlapphut vom Kopf und nahm die Brille ab. „Na, erkennst du mich?“, zischte er.
„Duuu?!“, ächzte Kowalski. Und trotz der ihn zerreißenden Schmerzen ... LACHTE! er. „Duuu?!“, wimmerte er ein letztes Mal. Sein massiger Körper streckte sich. Paul Kowalski war tot.
Der Mörder wandte sich schaudernd ab. Einen Moment starrte er verwundert auf den Hut in seiner Hand. Warum hatte er ihn abgenommen? Es fiel ihm nicht ein. Egal. Er zuckte mit den Schultern. Plötzlich wollte er nur noch weg von hier, raus aus dieser grauenhaften Spelunke. Er riss die Küchentür auf, stürzte in den Flur und rannte zur Wohnungstür.
Dabei kam er an der offenen Schlafzimmertür vorbei, die durch die Erschütterung der zufallenden Küchentür aufgesprungen war. Im Vorbeihasten warf er aus den Augenwinkeln einen kurzen Blick hinein und blieb so abrupt stehen, dass er fast gestürzt wäre. Unter der unordentlich übers Bett geworfenen, speckigen Tagesdecke lugte ein schmaler Fuß hervor.
EIN FUSS!
„Ich wollt´, ich könnt´ dich umbring´, so wie dieses Miststück nebenan“, hörte er den Toten schreien. Zögernd trat er in das Zimmer. Langsam ging er auf das breite Metallbett zu.
EIN METALLBETT!
Kowalski schien eine Vorliebe dafür gehabt zu haben. Mit zitternden Händen lüftete der Mörder die schmierige Bettdecke an und … taumelte entsetzt zurück. Fassungslos starrte er in das blau angelaufene, blutige Gesicht eines jungen Mädchens.
Sie war tot! Daran ließen ihre weit aufgerissenen, starren Augen keinen Zweifel. Sie war erstickt! Erstickt an dem zu festen Knebel in ihrem Mund.
„Dieses Schwein“, flüsterte er. Dieses arme Mädchen war eine weitere Rechtfertigung für das, was er soeben in der Küche getan hatte. Paul Kowalski hatte den Tod tausendfach verdient! Er war eine menschliche Bestie, ohne jegliche Moral und Ethik gewesen. Nur seiner Gier und seinen perversen Gelüsten nachgehend, ohne Rücksicht auf die Empfindungen und das Leben anderer. Der sichtbare Beweis seiner grenzenlosen Schlechtigkeit, seiner moralischen Verwahrlosung und seiner Grausamkeit lag hier, auf diesem Metallbett.
Er hätte die Tote gerne von dem Knebel befreit, wagte es jedoch nicht aus Angst, irgendwelche Hinweise auf seine Person zu hinterlassen, denn die Spurensicherung der Polizei war ausgezeichnet. Nur gut, dass diese keinerlei Hinweise auf das Motiv hatte. Dumm war jedoch der irrtümliche Tod des Zwillingsbruders. Aber wer hätte so etwas auch ahnen können.
Ein ZWILLINGSBRUDER!
“Hättest du aufmerksamer recherchiert, wäre kein Unschuldiger getötet worden“, klagte diese kleine, impertinente Stimme in seinem Kopf, die sich immer wieder ungefragt einmischte und ihn nicht zur Ruhe kommen ließ.
„Ja, ich hätte dann zwar keinen Unschuldigen getötet, aber dieses Scheusal in der Küche wäre vielleicht ungestraft davongekommen. Es ist nun einmal so, wo gehobelt wird, fallen auch Späne“, murmelte er und schob das ungefragte Stimmchen in die hinterste Ecke seines Verstandes zurück.
Aber würde er das immer können? Er hatte getötet, obwohl er Gewalt verabscheute. Für Paul Kowalskis Tod mochte er vielleicht noch eine Rechtfertigung haben. Aber was war mit dessen Bruder Fred?
Wer dem Leitspruch des Alten Testaments anhing der da hieß: AUGE UM AUGE, ZAHN UM ZAHN,
konnte vielleicht damit leben eine menschliche Fehlentwicklung wie Paul Kowalski getötet zu haben, doch auch damit, einem Unschuldigen sein Leben gestohlen zu haben?
Tief bewegt und voller Mitleid schloss er die starren Augen der Toten und ging. Er öffnete die Wohnungstür einen Spalt breit und lauschte. Nichts! Das Treppenhaus war leer. Er schloss geräuschlos die Tür hinter sich und zog den Schlapphut tief ins Gesicht. Unbemerkt erreichte er die erste Etage.
Und hier passierte es!
„Guten Tag“, grüßte der ältere Herr freundlich, der mit Mülltüten bepackt aus der Wohnungstür trat.
Der Mörder drehte hastig den Kopf zur Seite und eilte stumm die restlichen Stufen hinab. Krachend fiel die Haustür hinter ihm zu. Obwohl er am liebsten gerannt wäre, ging er ruhigen Schrittes weiter. Durch die Gegend hastende Menschen erregten Aufmerksamkeit und das war das Letzte, was er gebrauchen konnte.
War der Mann als Zeuge gefährlich? Eigentlich nicht. Der Schlapphut und die große Sonnenbrille verdeckten den größten Teil seines Gesichts. Was sollte er da schon groß beschreiben können. Nein, der Mann war als Zeuge ungefährlich.
Kein Fingerzeig, kein Indiz wies auf ihn als Täter hin. Und nachdem er seinen gottgewollten Auftrag erfüllt hatte, würde er sein Leben dort fortführen, wo er es kurzfristig unterbrochen hatte, um Paul Kowalski zu bestrafen. Niemand würde ihn entdecken. Beruhigt ging er zu seinem Wagen, stieg ein und fuhr davon.