Читать книгу Gang ohne Wiederkehr - Bärbel Junker - Страница 6
GNADENLOS
Оглавление„Es tut mir so leid, Chefin“, sagte Hanno Stegner niedergeschlagen. „Ich hab einfach nicht damit gerechnet, dass die Schlampe es so einfach wagt abzuhauen.“
„Du hast es vermasselt, Hanno. Mir ist zu Ohren gekommen, dass die Leiche bereits gefunden wurde. Und ich frage mich nun, wieso hast du sie dann nicht finden können?“
„Ich hab’s versucht, Chefin. Glauben Sie mir. Ich hab’s wirklich versucht. Ich bin am Wasser entlanggelaufen und hab nach der Leiche gesucht“, beteuerte Hanno.
„Und anscheinend hat die Kleine irgendeine Spur hinterlassen“, sprach die Frau weiter ohne auf das Gestammel ihres Gegenübers einzugehen.
Er hatte versagt, daran bestand für sie nicht der geringste Zweifel. Dass er sich jetzt herauszureden versuchte, das resultierte aus der Furcht vor der Bestrafung, die ihn erwartete.
„Du hast versagt, Hanno. Hast dich von diesem kleinen Flittchen hereinlegen lassen. Ich bin von dir zutiefst enttäuscht, denn du hast nicht nur mich, sondern auch noch einen guten Kunden, einen Interessenten, vor den Kopf gestoßen, der uns eine Menge Geld eingebracht hätte. Jetzt verlangt er sein Geld zurück. Und außerdem hat er uns sehr zornig und sehr enttäuscht verlassen. Ich hatte Mühe ihn zu beruhigen und davon abzubringen, die bereits gezahlte Summe zurückzufordern. Zum Glück gelang es mir, ihn auf einen neuen Termin zu vertrösten.
Wäre mir das nicht gelungen, hätte uns das eine Stange Geld gekostet. Von den anderen Möglichkeiten ganz zu schweigen.
Ja, ich habe dein Versagen zwar ausgebügelt, aber einer Strafe wirst du nicht entgehen. Dazu hast du mich viel zu sehr verärgert. Dummheit und Unfähigkeit müssen bestraft werden, sonst reißen derartige Unsitten ein“, sagte die Chefin eiskalt.
„Ich mache es wieder gut, Chefin, ganz bestimmt“, versicherte Hanno Stegner klitschnass vor Angst. Er fühlte sich wie in der Sauna, so sehr lief ihm der Schweiß den Rücken runter.
Er fürchtete sich fast zu Tode.
Denn seine elegante Chefin Johanna Bach sah zwar aus wie ein Engel mit ihren langen, blonden Haaren, dem fein geschnittenen Gesicht, den großen himmelblauen Augen und den schön geschwungenen Lippen.
Sie hätte vielleicht auch als Model Erfolg haben können bei ihrem Aussehen, ihrer Größe und den grazilen Bewegungen. Aber sie hatte lieber eine andere, eine verbrecherische Laufbahn vorgezogen.
Ja, Johanna Bach sah aus wie ein Engel, aber sie war ein TEUFEL!
Und zwar einer von der allerschlimmsten Sorte.
Sie war eiskalt, erbarmungslos, grausam und absolut geldorientiert. Mitleid war für sie ebenso ein Fremdwort wie Gnade, dass sie mit Schwäche gleichsetzte.
Sie thronte zart und schön hinter ihrem rustikalen, überdimensionierten Schreibtisch und musterte den Mann ihr gegenüber so unerbittlich kalt und gleichgültig wie die Schlange das Kaninchen.
„Du hast diese Vietnamesin nicht nur entkommen lassen, sondern auch noch die Aufmerksamkeit der Bullen auf unsere Organisation gelenkt. Du musstest doch wissen, dass du die Leiche auf gar keinen Fall dort lassen durftest. Jedem Anfänger wäre das klar gewesen.
Aber nein, du setzt dich über diese Selbstverständlichkeit einfach hinweg. Also musst du auch die Folgen deiner Eigenmächtigkeit tragen.
Du weißt doch, dass ich keine Versager in meiner Organisation dulde. Für Nichtskönner ist hier kein Platz“, sagte sie kalt.
„Aber wie hätte ich die Tote denn im Dunkeln finden sollen?“
„Dumme Frage. Du hattest doch sicherlich eine Taschenlampe dabei, oder? Wenn nicht, wäre das ja ein weiterer dummer Fehler von dir, nicht wahr?“
Hanno nickte zitternd.
„Dir ist doch hoffentlich klar, was das für dich bedeutet, Hanno? Oder etwa nicht?“
„Nein, bitte nicht, Chefin! Ich hab Ihnen immer treu gedient. Jeder kann doch mal einen Fehler machen“, flehte der Mann.
„Bei mir nicht, Hanno. Ich dulde niemals Fehler.
Ich bestrafe sie!
Ausnahmen gibt es bei mir nicht. Du hast es dir selbst zuzuschreiben“, entschied sie bar jeglichen Gefühls.
Sie nickte dem Zweimetermann zu, der regungslos wie eine Statue neben der Tür stand und sie nicht aus den Augen ließ. Für Johanna Bach, die er hündisch verehrte, hätte er sich in Stücke schneiden lassen.
Er liebte sie, verehrte sie, blickte zu ihr auf und bewunderte sie über alle Maßen.
„Du weißt, was du zu tun hast, Sergej“, wies sie ihren Leibwächter und Vertrauten an.
Dieser nickte.
Er löste sich von seinem Platz und trat hinter den Stuhl, auf dem Hanno Stegner zitternd hockte. Mit völlig ausdruckslosem Gesicht klopfte er dem Todeskandidaten grob auf die Schulter. Es war der Befehl aufzustehen, denn sprechen konnte Sergej nicht.
Er war stumm.
Hanno Stegner, selbst ein skrupelloser Mörder, der sein Opfer verhöhnt und mit der kleinen Vietnamesin nicht einen Hauch von Mitleid empfunden hatte, stand auf. Seine Beine zitterten jedoch so stark, dass er sich einen Moment lang an der Stuhllehne festhalten musste.
„Bitte, Chefin“, bat er mit zittriger Stimme. „Bitte, nicht die Hunde.“
Johanna Bach musterte ihn so gleichgültig, als sei er ein lästiges Insekt.
„Schaff ihn mir aus den Augen, Sergej“, befahl sie eisig.
Der Russe packte Hanno an den Schultern und schob ihn grob vor sich her. Sein Opfer hatte seinen dicken Muskelpaketen, seiner gewaltigen Kraft, nicht das Geringste entgegenzusetzen. Vielleicht, wenn er seine Waffen dabei gehabt hätte, obwohl das auch eher zweifelhaft war.
Allerdings gelangte niemals jemand mit einer Waffe zu der Chefin dieser Verbrecherbande, dafür war sie viel zu vorsichtig. Sie kannte sich in dem Milieu besser aus, als viele andere.
Sie war skrupellos, raffiniert und intelligent. Sie agierte mit Erfolg aus dem Verborgenen, streckte ihre geistigen Fühler wie die Tentakel eines Kraken aus und erschloss für sich und ihre Organisation ständig neue, zumeist mitleidlose, jedoch sehr einträgliche Geschäfte.
Johanna Bach verschwendete weder Gefühle – falls sie überhaupt welche besaß – noch Gedanken an andere.
Als sich die Tür hinter den beiden Männern schloss, hatte sie den Todeskandidaten bereits aus ihrem Gedächtnis gestrichen.
„Nicht zu den Hunden, Sergej.
Bitte, nicht!“, wimmerte der Todeskandidat.
„Erschieß mich, das ist mir egal. Aber bitte tu das nicht, was die Chefin dir befohlen hat. Sie weiß es doch nicht, Sergej. Du brauchst es ihr doch nicht zu sagen“, flehte Hanno. Ein Mörder, der noch vor kurzem seinen Hund getreten hatte, weil er diesem nicht beim Zerfleischen seines Opfers hatte zusehen können.
Das ist ausgleichende Gerechtigkeit, würde vielleicht so manch einer zu seinem sich abzeichnenden, baldigen Schicksal sagen.
Sergej schüttelte abweisend den Kopf.
Was für ein Ansinnen von diesem Narren.
Wusste dieser denn nicht, dass er stets genau das tun würde, was seine von ihm vergötterte Chefin ihm befahl? Und natürlich würde er sie niemals belügen, sie niemals hintergehen, würde bis zum Tod zu ihr halten.
Denn seine Treue zu ihr war absolut!
Ob sie ein Engel war oder ein Teufel, eine Mörderin oder eine Nonne, all das zählte für Sergej nicht.
Für ihn war Johanna Bach alles. Sie war sein Leben. Ohne sie hörte er auf zu existieren.
Er gab Hanno einen Schubs, was hieß er solle schneller gehen. Zielstrebig trieb er ihn auf seinen Geländewagen zu, der in einer Seitenstraße des Clubs parkte. Hier angekommen, drängte er sein am ganzen Leib zitterndes Opfer auf den Beifahrersitz.
Hanno Stegner saß kaum, da versenkte ihn ein gezielter Handkantenschlag in tiefe Bewusstlosigkeit, die bis zu ihrem Ziel andauern würde.
Sergej schwang sich hinters Steuer, startete den anthrazitfarbenen Geländewagen und fuhr davon, um seinen Auftrag zu erfüllen.
Sein Gesicht war wie aus Stein gemeißelt. In seinen schlammfarbenen Augen spiegelte sich keinerlei Gefühl. Die schmalen, stets zu einem Strich zusammengepressten Lippen kannten keine Zärtlichkeit. Streichholzkurze dunkelblonde Haare betonten das Kantige des Kopfes. Und das vorspringende Kinn betonte zusätzlich die Gnadenlosigkeit und Kälte dieses Mannes.
Doch auch er war durch die Grausamkeit und Manipulation verbrecherischer Menschen zu dem geworden, was er jetzt war. Sie waren es gewesen die ihm seine Zunge, seine Männlichkeit, seine Sprache und sämtliche Gefühle genommen hatten.
Das mochte vielleicht keine Entschuldigung und keine Rechtfertigung für sein von Gewalt geprägtes Leben sein. Jedoch gab es einen gewissen Einblick, wozu die Gnadenlosigkeit und Boshaftigkeit anderer einen Menschen bringen kann.
Nur bei Johanna Bach kehrte ein wenig Wärme in diesen versteinerten Panzer zurück. Nur wenn er sie sah oder hörte fühlte er, dass er noch am Leben war, ein Leben, in dem es für ihn keinerlei Erinnerungen mehr gab. Denn auch die hatte man ihm genommen.
Jetzt war er ein leeres, vollkommen unbeschriebenes Blatt. Vielleicht war Sergej Michailow noch nicht einmal sein wirklicher Name.
War er überhaupt Russe? Er wusste es nicht und es war ihm auch gleichgültig wie alles in seinem jetzigen dürftigen Leben, alles, außer Johanna Bach.
Denn sie war es gewesen, die ihn zufällig in einem Kellerraum entdeckte, in dem ihn seine Folterer mehr tot als lebendig gefesselt zurückgelassen hatten, um sich ihn am nächsten Tag noch einmal vorzunehmen, wie sie sagten.
Es sei ein reiner Zufall gewesen, hatte sie ihm später erzählt. In dem bewussten Haus war ein Treffen mit einem Geschäftspartner vorgesehen gewesen, welches sich im letzten Moment zerschlagen hatte.
Er war schwer verletzt und kaum noch bei sich gewesen. Er wäre gestorben, hätte sie sich seiner nicht angenommen und ihm die bestmögliche Pflege angedeihen lassen.
Und als er dann endlich wieder körperlich genesen war, jedoch ohne die geringste Erinnerung, da hatte er sie händeringend angefleht bei ihr bleiben zu dürfen, um sie zu beschützen.
Aber wohin hätte er auch gehen sollen?
Er konnte sich nicht artikulieren und verfügte nicht über die geringste Erinnerung. Er hatte nur sie, die ihn so nahm wie er war. An sie klammerte er sich, suchte Halt an ihrer Stärke, sonnte sich in ihrer Sympathie, ihrem Vertrauen zu ihm.
Mit sexuellem Bedürfnis hatte das absolut nichts zu tun. Auch das hatten ihm seine Folterer für immer genommen, ebenso wie seine Zunge.
Und sie hatte ihn mit Freuden bei sich aufgenommen, denn sie brauchte zum Schutz vor ihren gefährlichen, ebenso skrupellosen, verbrecherischen Geschäftspartnern wie sie einer war, unbedingt jemanden, dem sie tausendprozentig vertrauen konnte.
Jemanden wie ihn!
Einen Vertrauten, der nur dann von ihrer Seite wich, wenn sie es befahl. Der zu jeder Tages- und Nachtzeit für sie da war, ihr sein Leben geweiht hatte.
Sergej fühlte kaum jemals irgendetwas, denn auch seine Gefühle waren ihm verlorengegangen. Er kannte nur ein einziges Gefühl, die Sorge um das Wohl seiner Chefin, wenn er nicht in ihrer Nähe war.
Doch im Moment fühlte er so etwas wie Frieden in sich, denn er fuhr gerne des Nachts. Er liebte die Dunkelheit, verlor sich manchmal im Funkeln der Sterne. Und doch wurde er schon wieder unruhig, fürchtete Schlimmes für sie, je weiter er sich von seinem Schützling entfernte.
Er gab mehr Gas, um schneller an sein Ziel gelangen.
Endlich tauchten in der Ferne Lichter auf. Wenig später lenkte er den Geländewagen vor den Eingang des Anwesens, dessen Mittelpunkt ein ehemaliges Kloster war.
Er hielt an.
Sergej sah zu dem Zwinger hinüber und dann auf den bewusstlosen Mann neben sich. Er lächelte verhalten.
Weder mochte er diesen Mann, noch mochte er ihn nicht. Er war ihm völlig gleichgültig wie ihm fast alles gleichgültig war.
Der Tod dieses Mannes war ein Auftrag.
Nur ein Auftrag, mehr nicht.
„Hast du alles zu meiner Zufriedenheit erledigt, Sergej?“, fragte Johanna Bach ihren Vertrauten, der gerade wieder zurückgekommen war.
Sergej nickte.
„Die Hunde?“
Neuerliches Nicken.
„Das wird allen eine Lehre sein mich besser nicht zu enttäuschen. Es war wieder einmal an der Zeit, ein Exempel zu statuieren“, sagte Johanna Bach zufrieden.
„Du wirst mich niemals enttäuschen, nicht wahr, Sergej?“
Der Stumme schüttelte vehement den Kopf.
Johanna Bach lächelte. Dann wandte sie sich wieder den vor ihr liegenden Unterlagen zu.
Sergej nahm wieder seinen obligatorischen Platz neben der Tür ein und wandte keinen Blick von ihr.