Читать книгу Rotz und Wasser - Bärbel Nolden - Страница 5
ОглавлениеHeimarbeit
Oh doch, ich habe Rolf geliebt, ganz bestimmt.
Selbst jetzt, wenn ich ihn vor meinem geistigen Auge auftauchen lasse, überschwemmt mich eine Welle von Zärtlichkeit.
Wie er von der Arbeit kam, überpudert mit weißem Gipsstaub, nur die Augen blankgeputzt und graublau, wie sein Overall. Wie er im Flur die Arbeitsschuhe abstreifte und die Tasche fallen ließ, in mein Arbeitskämmerchen hineinschaute oder ins Wohnzimmer, von wo ich ihm dann entgegenkam auf einen freihändigen Kuss, um nicht selber eingestaubt zu werden.
Sein „Hallo, Süße“, bevor er sich vor dem Bad aus seinem Arbeitszeug schälte und unter der Dusche verschwand. Ansprechen auf seinen Tag durfte ich ihn zu dem Zeitpunkt noch nicht. Das heißt ich hätte schon gekonnt, es wäre aber keine Reaktion gekommen, außer einem Schulterzucken oder Abwinken.
Ich wusste nie so genau, wann er nach Hause kam, er kloppte jeden Tag ein paar Überstunden. Meistens hatte ich Glück, und er kam erst gegen Ende eines der Vorabend-Krimis, die ich mir so gerne im Fernsehen anschaute. Wenn ich den Schlüssel im Schloß hörte, schaltete ich das Gerät aus, warf das Strickzeug in den Korb und rückte die aufgeschlagene Zeitung und meine Lesebrille auf dem Sofa zurecht. Ich wollte nicht, dass er mich gemütlich vor der Glotze hockend vorfindet, derweil er sich nach hartem Arbeitstag durch den Verkehr gequält hatte und unendlich durch die Straßen gekurvt war auf der Suche nach einem Parkplatz.
Während er im Bad war, legte ich letzte Hand an das Abendessen, deckte den Tisch und überlegte, wer denn diesmal der Mörder gewesen sein könnte, oder, wenn dieser schon festgestanden hatte, aufgrund welcher Indizien der Kommissar ihn würde überführen können.
Und wenn Rolf dann zu mir in die Küche kam, war das erste, wonach ich ihn frage, wo er das Auto abgestellt hatte, damit ich ihm das am nächsten Morgen sagen konnte, und er es nicht suchen musste. Dann beschwerte er sich jedesmal über die Scheiß-Verkehrssituation in meinem Viertel und das verflixte Einbahnstraßen-System. Darüber dass hier jeder Arsch ein Auto hat und deshalb alles verstopft ist. Und auch, dass ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, wo er nach Hause kam, die Sonne genau von vorne in meine Straße schien und ihn blendete. Regen aber, oder bedeckter Himmel, war noch schlimmer – es drückte ihm richtiggehend auf’s Gemüt, wenn er bei so einem Wetter vor die Tür musste, und er haderte wütend damit, dass es ihn in diese hässliche Stadt mit ihren grauen Häusern und dem grauen Fluss verschlagen hatte. Weiter ging’s mit einer Tirade über seinen unfähigen Chef und diesen schussligen Kollegen, mit dem er ein Team bildete, und den er überhaupt nicht leiden konnte. Aber wenn er mit all dem durch war, das Essen auf dem Tisch stand, und wir unsere Biergläser aneinanderklirrten, dann strahlte er, machte Komplimente über meine Kochkünste und manchmal auch über mein Aussehen. Eigentlich stand er gar nicht auf Blondinen, dafür war er selbst zu blond, aber ich bildete da eine Ausnahme, er hatte sich mit der Zeit einfach daran gewöhnt. Und die Tatsache, dass er auf mich abfuhr, obwohl ich im Grunde gar nicht sein Typ war, sollte ja auch schon was heißen.
Nach dem Essen konnte ich nicht umhin, mir die Nachrichten im Fernsehen anzuschauen. Mir war immer daran gelegen gewesen, politisch auf dem Laufenden zu sein. Eine der wenigen Angewohnheiten, die ich aus meinem Elternhaus herübergerettet habe. Mit der Zeit hatte ich auch Rolf mehr und mehr angesteckt mit meinem tagespoltischen Interesse. Wir konnten uns herrlich gemeinsam aufregen über diese und jene Aussage dieses oder jenen Ministers, die parteipolitischen Profilneurosen, die gesamte verrottete Politikerkaste, und ich konnte immer noch einige Hintergrundinformationen zuliefern, weil ich jede Woche ein politisches Wochenmagazin kaufte, das ich auf meinen langen montäglichen Bahnfahrten las.
Das Problem mit diesen Fernsehnachrichten war nur, dass Rolf sich, wenn die Glotze einmal lief und er sich nun schon auf das Sofa gepflanzt hatte, an einem Film oder einem Magazin festhakte. Obwohl, nein, ein Problem war das eigentlich nicht. Wenn es nicht gerade ein Krimi war, der auch mich interessierte, bin ich wieder rüber in meine Arbeitsecke und habe nochmal eine Runde getippt. Ich arbeite nämlich in Heimarbeit als Phonotypistin, hole mir montags von meinem Auftraggeber, einer psychotheraoeutischen Praxis am anderen Ende der Stadt, einen Stapel Kassetten mit den Patientengesprächen ab, die Arbeit für die laufende Woche, und mir ist daran gelegen, an den Werktagen so viel wie möglich wegzuschaffen, um mir das Wochenende weitgehend freizuschaufeln. Das gelang mir ganz gut, seit Rolf bei mir war, wie mir überhaupt diese Arbeit sehr viel leichter von der Hand ging als vorher, obwohl ich sehr viel mehr Aufträge annahm, weil das Leben zu Zweit doch um einiges teurer war.
Mein Tagesablauf war mit Rolf einfach sehr viel effektiver geworden. Kurz vor Sechs ging der Wecker. Während er im Bad war, machte ich ihm das Frühstück und ein paar Brote zum Mitnehmen. Im Bademantel, mit zottligen Haaren. Das war bewusst so geplant, damit es ihm nicht so schwer fiel, zur Arbeit zu fahren, und es ihn in der Erinnerung an das Bild, das ich abgegeben hatte, nicht drängte, so schnell wie möglich wieder zurück zu sein. Wenn er aus dem Haus war, habe ich mich fertig gemacht und drei, vier Stündchen gearbeitet. Dann musste ich sowieso eine Pause machen, weil mir nach ein paar Stunden mit dem Knopf im Ohr der Kopf rauchte und die Buchstaben auf dem Bildschirm tanzten. Also habe ich mir, während ich mich mit dem Haushalt beschäftigte – den Spül vom Vortag, Waschen, ein bisschen Putzen – Gedanken über die abendliche Verköstigung gemacht und bin auf den Markt und zum Metzger einkaufen gegangen. Der nächste Schub Arbeit, ein Häppchen zu mir genommen, dabei meine Zeitschrift weitergelesen oder ein Buch angefangen, manchmal ein Mittagsschläfchen, Vorbereitung für’s Abendessen und nochmal wieder tippen. Es sei denn, wie gesagt, es kam ein Krimi, den ich mir anschauen wollte, wobei ich ein paar Reihen an Rolfs Winterpullover weiterstrickte. Den hatte ich bereits seit einiger Zeit in Arbeit – ursprünglich war er schon für seinen Vorgänger Dietmar gedacht gewesen –, aber ich hatte gerade mal das Rückenteil fertig bekommen, als es mit dem vorbei war. Dann, zwischen halb Sieben und Sieben kam Rolf. Essen, die Nachrichten, und für mich die nächste Schicht. So gegen halb Elf klappte er das Sofa zum Bett auseinander und ließ sich vom Fernseher in den Schlaf dudeln. Ich genehmigte mir noch so ungefähr zwei Stunden, je nachdem, wann der Vorabend-Film wiederholt wurde, dessen Ausgang mich dann schon noch interessierte. Das war dann auch der Zeitpunkt, wo Rolf seine erste Erschöpfung weggeschlafen hatte. Ich kroch also ins Bett, und er wurde in der Regel wach, zog mich zu sich heran, streichlte mich, legte meine Hand auf seinen steifen Schwanz und murmelte „Nimm mich, nimm mich!“, bis ich auf ihn draufstieg und ihn vögelte.
Das waren unsere „kleinen Werktags-Ficks“, für die ich zuständig war, während wir uns am Wochenende dieser Sache doch sehr viel ausführlicher und aufwendiger annahmen. Wenn ich mit meiner Arbeit bis Freitag durchgekommen war, konnten wir die Tage ganz im Bett verbringen. Ich in meiner feuerroten Reizwäsche, und er in seinem Leoparden-Tanga. Rolf stand zwischendurch auf, um Brötchen zu holen, das Frühstück zu machen oder zu kochen, ich aber blieb liegen und ließ mich verwöhnen. Wir aßen im Bett, lasen ein paar Seiten, vögelten, plauderten, schliefen, schauten uns eine Sendung an, vögelten nochmal, und selbst wenn das Wetter schön war mussten wir uns einen Ruck geben, um vor die Tür zu gehen, ein bisschen spazieren oder auf der Terrasse unseres Lieblingslokals einen Kaffee oder ein Weizenbier schlürfen.
Das war dann aber auch lange unser einziges Ausgehen in all der Zeit, in der Rolf bei mir wohnte, und insofern stimmt es auch nicht so ganz, was ich über das teurere Leben zu Zweit gesagt habe. Vorher bin ich bestimmt jeden zweiten Abend unterwegs gewesen, und das geht schon auch ins Geld. Ich war zwar meistens nach dem ersten noch von mir selbst bezahlten Bier eingeladen worden, musste mir aber überlegen, wie weit ich diese Einladungen ausreizen konnte, ohne dass es als Signal für eine private Fortsetzung der Nacht mit dem jeweiligen Kavalier gewertet werden konnte. Mit Hinz und Kunz ging ich nun wirklich nicht nach Hause, und falsche Erwartungen zu schüren, das war nicht mein Ding. Und so gingen die letzten Biere oft genug wieder auf meine eigene Rechung.
Dennoch ging es mir natürlich, was diese Kneipen-Ausgaben betrifft, besser als Rolf. Als ich ihn kennenlernte, war er nicht nur pleite, er hatte auch noch einen Haufen Schulden. Einmal, weil er vom Trinken immer Hunger bekam und aufgrund seiner körperlichen Arbeit ja ganz andere Mengen brauchte, als ich etwa. Und dann weil es ihm passieren konnte, dass er, selbst wenn er eine Frau den ganzen Abend ausgehalten hatte, am Ende leer ausging, und sich dann im Puff Ersatz verschaffen musste. Und bekanntlich ist ja selbst das, was wir als „kleinen Werktags-Fick“ bezeichnen, dort in durchaus harter Währung abzugelten.
Wie gesagt, er hatte Schulden an allen Ecken, sogar eine Lohnpfändung am Hals, und weil er seine Wohnung behalten wollte, um nicht von mir abhängig zu sein, sein Auto behalten musste, um damit zu den Baustellen zu kommen, die zum Teil weit draußen am Stadtrand lagen, blieb ihm nicht mehr viel übrig. Da wäre es mir peinlich gewesen, Haushaltsgeld von ihm zu verlangen, wo doch Portionen für zwei Personen nicht sehr viel teurer sind, als solche für Singles.
Ich habe wirklich nichts vermißt in dem halben Jahr, wo Rolf mit mir zusammenlebte, im Gegenteil. Mein Job lief gut, ich habe mich vernünftig ernährt, nicht mehr so viel getrunken, so einiges gelesen, ich hatte einen Gesprächspartner und ich ersparte mir die lästige und zeitaufwändige Suche nach Parntern für meine körperlichen Bedürfnisse. Von mir aus hätte das eine Zeitlang so bleiben können.
Es war Rolf, der plötzlich und dann immer öfters damit ankam, ich könnte doch nicht zufrieden sein mit so einem Leben.
Ich weiß ja nicht, was sich bei Rolf für ein Bild darüber festgesetzt hatte, wie Frauen so gestrickt sind. Welchen Ansprüchen der Damenwelt er da vor mir ausgesetzt war. Aber mir reicht es völlig, wenn ich gut und befriedigt über die Runden komme, ich habe es nicht nötig, von allen Seiten hofiert und umschwärmt zu werden, ständig irgendwohin ausgeführt zu werden. Wir hatten fünf bis sechs Mal die Woche Sex, das ist doch ein durchaus guter Schnitt. Und dahin kommt man nicht, wenn man meint, Strategien fahren zu müssen, um auf Händen getragen zu werden, oder wie auch immer man das nennen will. Natürlich weiß ich, dass ein Großteil der Frauen sich nach Männern umschaut, die ihnen was bieten, die sie versorgen können, aber für mich ist dies eine Art der Prostitution, und dafür habe ich nunmal nichts übrig. Ich versorge mich lieber selber und habe alle Freiheit bei der Wahl meines Bettgenossen. Und, wie gesagt: Was das betrifft, ließ Rolf nichts zu wünschen übrig.
Ich glaubte auch eher, es ging um ihn selber, also darum, dass er mit einer umschwärmten Frau zusammen sein wollte, die auch andere haben könnte, aber ausgerechnet ihn will. Wenn er das braucht, dachte ich, nun gut, dann soll er das haben. Wenn’s weiter nichts ist.
Vielleicht ist der ewige Spruch meiner Mutter ja tatsächlich richtig: Dass eine Partnerschaft nicht nur Zuckerschlecken ist, sondern richtig Arbeit, gerade für uns Frauen. Vor Arbeit bin ich noch nie zurückgescheut. Dies wiederum ein Vermächtnis meinen Vaters. Und wenn man wirklich liebt, dann geht einem diese ganz leicht von der Hand.
Abgesehen davon, dass ich nicht das Gefühl hatte, so ganz aus der Übung zu sein, was das Erregen öffentlichen Interesses betrifft. Ich bin jetzt nicht die große Schönheit, sehe aber gut aus und weiß, was mir steht. Ich bin eine, die natürlich wirkt, also unkompliziert, und dadurch anziehend ist. Und ich gucke zurück, wenn mich jemand anschaut. Bei Gesprächen dann finde ich es spannend, was der andere zu erzählen hat, ich frage nach, ich staune, und vor allem lache ich mit ihm, das öffnet die Sinne. Das ist das ganze Geheimnis meiner Erfolge bei den Männern.
Rolf hätte sich eigentlich noch gut daran erinnern müssen, er hatte mich ja lange genug beobachtet, bevor es mit uns losging. Aber natürlich wollte ich ihm seinen Wunsch erfüllen, und es ihm nochmal wieder vorführen.
Wir suchten also eines Freitags nach den Nachrichten und dem Krimi eine Kneipe auf. Nicht unser Lieblingslokal, das vor meiner Zeit mit Rolf auch meine Stammkneipe war. Da kannte man mich ja, da kannte man uns als Paar, und es wäre niemandem eingefallen, mich anzubaggern. Wir gingen in einen Schuppen ein paar Straßen weiter. Zusammen zwar, aber jeder stellte sich an eine andere Ecke vom Tresen. Rolf diskutierte schon nach fünf Minuten mit seinem Theken-Nachbarn über das neue Fußballstadion, während ich mir zwei Mal Feuer geben lassen musste, bis ich ein Zweiergrüppchen aufgebrochen hatte, das sich mir dann aber um so intensiver widmete.
Der eine der beiden, Jürgen, hatte was leicht Zynisches. Ich glaube, er wollte mich vorführen, als er mir mit dem am Vortag gefällten Verfassungsgerichtsurteil kam. Er staunte nicht schlecht, als ich ihm die Hintergründe meiner Ansicht zu der Sache ausbreitete und auch noch seinen allerdings arg uninformierten Freund ins Stammeln brachte. Ich hatte mich hinreißen lassen, und mir war auch gleich durch den Kopf geschossen, dass ich’s damit vergurkt hatte. Denn von der Politik oder irgendeinem sonstwie intellektuell angehauchten Thema ist es fast unmöglich, die Kurve zu kriegen zu einer sinnlichen Atmosphäre. Vor allem, wenn auch nur der Hauch der Möglichkeit einer weiblichen Überlegenheit im Raume schwebt.
Mittlerweile war das jedoch gleichgültig geworden, denn Rolf hatte mir quer über die Theke signalisiert, er sei müde und ginge nach Hause, ich solle aber ruhig noch dableiben. Er verschwand, und ohne mein Zielpublikum hätte ich eigentlich auch gehen können. Ich gönnte mir aber eine Zugabe für mich selbst, weil wir mit unserem Thema noch nicht durch waren. Beziehungsweise mit diesem ersten zwar abgeschlossen hatten, aber irgendwie auf zeitgeschichtliche Zusammenhänge gekommen waren, die ich anders wertete, als Jürgen es tat. Vor lauter Diskussionseifer hatte ich auch noch vergessen, mich nicht mehr einladen zu lassen, das fiel mir aber erst auf, als es „Letzte Runde“ hieß. Und das war dann auch ein Glück, weil ich gerade mal genug Geld dabei hatte, um die beiden auf mich geschriebenen Biere und Rolfs Deckel zu bezahlen.
Vor der Türe dann stellte Jürgen die Frage, wie man denn jetzt den angebrochenen Abend ausklingen lassen solle. Der Freund schlug die Disko vor, aber ich warf ein, mit meinen 32 Jahren nun wirklich keine Lust zu haben, zwischen den Teenies rumzuhoppeln.
„Auch nicht in Begleitung zweier appetitlicher Mitt-Dreißiger?“ fragte der Freund, und parallel kam von Jürgen:
„Vielleicht bist du ja dort eine der Ältesten. Auf jeden Fall aber bist du die Atemberaubendste.“
Und er wollte, dass ich mal fühle, wie stark sein Herz klopft wegen mir, und riss sich das Hemd auf. Ich streichelte über seine schöne, behaarte Brust, aber als er mich an sich ziehen wollte, gab ich mir einen Ruck, wandt mich aus seinen Armen und verabschiedete mich.
Schade, dass Rolf diese Szene nicht mitbekommen konnte.
Als ich nach Hause kam, lag er hellwach im Bett. Ich war jedoch diesmal zu müde für irgendwelche Aktivitäten.
Das Wochenende verbrachten wir in altbewährter Manier. Rolf fragte ein paar Mal nach, wie ich denn den Kneipenausflug gefunden hätte. Erst sagte ich nur „nett“, und auch die beiden Männer wären „nett“ gewesen, aber als ich merkte, dass er mit dieser Auskunft nicht wirklich zufrieden war, schob ich hinterher, die Zwei wären schon so ziemlich heiß auf mich geworden im Verlauf des Abends.
Ob ich mir vorstellen könnte, mit einem von den beiden zu ficken?
„Vorstellen kann man sich einiges, wenn man sich bemüht.“
„Mit welchem?“
„Wenn, dann am ehesten mit Jürgen.“
„Warum hast du das nicht getan?“
„Natürlich wegen dir nicht.“
Ich hatte nun wirklich keine Lust, das Thema weiter mit Rolf zu erörtern, zumal mich die Vorstellung, Jürgen näherzukommen, tatsächlich angestochen hatte. Der Gedanke geisterte in meinem Kopf herum, vor allem im Laufe der Woche, zwischen der Arbeit, oder wenn ich an Rolfs Pullover strickte, der farblich fast noch besser zu Jürgen gepasst hätte. Im Grunde genommen habe ich mich richtig geärgert, dass mein Freund mir mit solchen Dingen gekommen ist, die mich dann angefangen hatten über Gebühr zu beschäftigen. Freitag bin ich sogar einigermaßen nervös geworden, hatte Jürgen doch zum Abschied gesagt: „Man sieht sich. Vielleicht ja schon morgen. Oder wenigstens nächste Woche. Ich bin freitags und samstags fast immer hier.“
Ich wollte aber ganz bestimmt nichts forcieren, und es Rolf überlassen, ob wir dort oder woanders hingehen oder auch Zuhause bleiben sollten. Er drängte dann richtiggehend darauf, wollte, dass ich schon mal vorgehe, er würde sich was ausruhen und nachkommen.
Wie gesagt, so geschehen: Um halb Zwölf tauchte er auf, ich stand mit Jürgen an der Theke und badete in seinen Komplimenten. Der Freund hatte sich einen anderen Gesprächspartner gesucht. Rolf kam gleich zu uns, stellte sich als meinen Bruder vor, was ich ein bisschen heikel fand. Jürgen hätte ihn ja vom Freitag zuvor wiedererkennen und sich wundern können, wieso Rolf da so getan hatte, als kenne er mich gar nicht. Er war Jürgen aber wohl nicht aufgefallen. Und die Anwesenheit eines Bruders hielt ihn auch nicht davon ab, mich weiter anzugraben. Mir wurde das Ganze aber doch etwas brenzlig, ich fühlte mich nicht recht wohl in meiner Haut, und als Jürgen auf dem Klo war, zahlte ich und gab Rolf noch einen Schein für sei-ne weitere Zeche.
Zuhause setzte ich mich mit meinem Strickzeug in die Küche, machte mir eine Dose Bier auf und ließ meine Gedanken schweifen. Oder besser kreisen, denn sie drehten sich um Jürgen: ein attraktiver Kerl, mit seinen braunen Locken und seinem blitzenden Lachen. Klug, aber beileibe kein Sessel-Pupser, wie etwa Dietmar einer gewesen war. Er arbeitete bei der örtlichen Tageszeitung als Layouter und war in der Gewerkschaft aktiv. Vor allem aber: Jürgen wollte mich. Das war nun wirklich unübersehbar. Sicher, erstmal nur ausprobieren, aber wenn es denn stimmen würde mit der Chemie, wäre auch noch eine Perspektive drin, dafür hätte ich nach diesen beiden Zusammentreffen meinen Arsch verwettet. Und ich wollte auch. Auf jeden Fall. Da musste ich nicht lange in mich gehen, um mir das einzugestehen. Und da musste ich mir Rolf gegenüber nun überhaupt nichts vorwerfen. Ohne dessen Getue wäre alles ganz schlicht weiter seinen Gang gegangen.
Ich verstehe sowieso nicht, wieso sich immer alle irgendwas zurechtfummeln müssen in Richtung „Abenteuer“, was dann doch immer nur im Null-Acht-Fuffzehn-Schema abläuft. Neulich noch habe ich mich mit der Witwe meines Ex-Freundes Dietmar darüber unterhalten. Mit der treffe ich mich seit damals regelmäßig. Dietmar, das war nämlich auch so einer. Schwärmte von Sex an exotischen Orten, und dann fiel ihm doch nur der Fahrstuhl ein oder die letzte Reihe im Kino. Oder Urlaub: Eisbrecher-Tour im Packeis, Dschunken-Kreuzfahrt auf dem Gelben Meer, aber alles in wohltemperiert klimatisierten Kabinen. Seine Frau machte den Zirkus längst nicht mehr mit und war froh, dass er andere Doofe dafür hatte.
Dann aber überspannte Dietmar den Bogen. Er träumte davon, sich in eine Aussteiger-Kommune irgendwo im Dschungel abzusetzen, zusammen mit mir und einem Rudel Kinder, das er mir machen wollte. Nur war ich so gar nicht darauf angesprungen. Aber er meinte, wenn ich erstmal die Kinder hätte, würde ich sie sicher auch natürlich aufwachsen lassen wollen. Und er verstieg sich dazu, meine Pille durch Traubenzucker-Dragees zu ersetzen, um wenigstens schon mal einen ersten Schritt zu tun. Das gestand er mir nach drei Monaten, als ich in Sorge war, weil meine Periode nicht pünktlich einsetzte. Ich war mehr als empört. Gleich am nächsten Tag fuhr ich raus zu seinem Haus und suchte seine Frau auf. Schon um abzuchecken, welche Zukunft ein Kind von ihm hätte, falls ich wirklich schwanger wäre. Sie fand Dietmars Verhalten genauso unmöglich wie ich, hatte sowieso längst die Schnauze voll von seinen ständigen Eskapaden. So beschlossen wir, dass ich mit ihm losfahren sollte in diesen Dschungel-Ort. Und ich versprach ihr, ihn nicht wieder mitzubringen. Zurück Zuhause machten wir beide auf große Trauer. Schwanger war ich zum Glück nicht gewesen.
Keine Ahnung, warum mir diese alte Geschichte wieder eingefallen war, als ich in jener Nacht in meiner Küche saß, wo ich doch eigentlich über Rolf oder vielmehr Jürgen nachdenken wollte. Vielleicht weil ich auch Dietmar durchaus geliebt habe, bis zum Schluss, und es auch noch in der Erinnerung ganz und gar rührend finde, wie er sich in seiner kindlichen Verbissenheit um die Umsetzung seiner großen und kleinen Spinnerein bemühte. Ich neige ein wenig zu Sentimentalitäten, wenn ich mit mir alleine angetrunken bin, und geschluckt hatte ich nun wahrlich genug, unseren Bierdosen-Vorrat hatte ich auf jeden Fall geköpft.
Ich brach also lieber meine Überlegungen ab, kletterte ins Bett und schlief auch auf der Stelle ein. Dass Rolf nach Hause kam, bekam ich gar nicht mit. Wir müssen aber wohl noch rumgeturnt sein, denn als ich am nächsten Vormittag wach wurde, hatte ich mein Spitzen-Negligée an.
Wir frühstückten im Bett, und es fiel Rolf gar nicht groß auf, dass ich nicht sonderlich gesprächig war. Danach knabberte, leckte und schlürfte er an mir rum, machte mich halb wahnsinnig, weigerte sich dann aber, zur Sache zu kommen. Zuerst habe ich mich ja noch über das Spielchen amüsiert, aber dann wurde ich fast sauer und drohte ihm an, es mir selber zu machen. Er beschwichtigte mich damit, er hätte noch eine Überraschung für mich. Als es zwei Mal klingelte, sprang er auf, um aufzumachen.
„Das ist sicher nur die Post“, rief ich ihm nach, aber er war schon an der Tür.
Vielleicht kommt die Überraschung ja mit der Post, dachte ich, und tatsächlich hörte ich Schritte auf der Treppe und leise Stimmen im Flur. Ja, und dann stand die Überraschung lebensgroß in der Zimmertür: Jürgen. Er grinste über das ganze Gesicht und kam langsam auf mich zu. Ich war so perplex, dass ich vergaß, unter die Bettdecke zu schlüpfen oder wenigstens mein Negligee zurechtzurücken. Ich muss wohl ziemlich skeptisch geschaut haben, denn als er vor meinem Bett stand, sagte er:
„Ich hatte gehofft, du würdest wenigstens so tun, als freutest du dich.“
Das hätte mir eigentlich zu denken geben müssen, aber weil ich mich wirklich freute, und außerdem irrwitzig scharf war, achtete ich nicht darauf, zog ihn herunter zu mir und schälte ihn aus seinen Klamotten, während er mich küsste, dass es mir den Atem verschlug. Es gelang uns nur mit Mühe, das Kondom überzustreifen, so aufgeregt waren wir, und kaum hatte er seinen Schwanz in mich reingesteckt, da kamen wir auch schon beide.
Das reichte uns aber längst nicht, wir machten gleich weiter, erkundeten einander und ließen kein einziges Körperteil unversorgt. Ich sah zwar Rolf hinter der halb offenen Türe stehen, aber das war mir absolut scheißegal, davon ließ ich mich nicht auch nur im Geringsten stören. Wie lange wir es trieben, kann ich nun wirklich nicht mehr sagen, endlos scheint es, bis wir erschöpft in die Kissen sanken.
Dann schnappte sich Jürgen seine Sachen und wollte ins Bad. Vor der Zimmertür hörte ich ihn mit Rolf murmeln, und bald ging die Dusche. Ich wollte noch nicht gleich aufstehen, lieber das nun wohl anstehende Gespräch, vor dem mir graute, noch ein wenig hinauszögern.
Jürgen war fertig im Bad, ich wickelte mich in meinen Bademantel, aber als ich aus dem Zimmer kam, fiel gerade die Tür ins Schloss. Er war gegangen, ohne sich zu verabschieden.
Noch im Flur wickelte Rolf mich wieder aus. Die Geschichte hätte ihn verflucht heiß gemacht, jetzt sei aber endlich er dran. Nachdem ich so ausgiebig meinen Spaß gehabt hätte, könnte ich ihn doch wohl nicht mit seinem Verlangen im Regen stehen lassen.
Zwar war er es ja selber gewesen, der uns diese Situation so eingebrockt hatte, ich bemühte mich aber dennoch, es ihm nun auch schön zu machen, jubelte ihm sogar noch was vor.
Damit war dann aber wirklich mehr als genug für heute. Ich wollte ein bisschen für mich sein, über die ganze Geschichte nachdenken, und ging ins Bad und schließlich rüber in die Küche.
„Was sind das für Scheine auf dem Küchentisch?“
„120 Euro.“
„Das seh ich auch. Hast du die da liegen lassen?“
„Nee. Dein Jürgen hat auf die vereinbarten 100 noch 20 draufgelegt. Weil du es ihm wert bist.“
Wie bitte? Was war denn da abgelaufen zwischen den beiden? Was für eine miese Nummer hatte dieses Arschloch von Rolf mit mir abgezogen? Wie eine Furie raste ich rüber und schlug auf ihn ein, aber er bekam meine Hände zu packen und hielt sie fest.
„Du bist süß, wenn du so wütend bist. Ich könnte dich auf der Stelle nochmal vernaschen.“
Ich spuckte ihm mitten ins Gesicht, und er ließ mich los. Ich lief raus, schloss ihn im Zimmer ein und zog mich auf dem Flur an.
„War doch nur ein Spaß“, rief er durch die Tür.
Schöner Spaß, lange nicht mehr so herzhaft gelacht!
„Du fickst doch so gerne, und da hab ich gedacht, da könnte man doch mal was draus machen.“
Er fickt auch so gerne. Warum geht er da nicht selber auf den Strich?
„Und unserer Beziehung kann doch ganz gut mal nen kleinen Kick vertragen.“
Oh ja! Nur dass aus dem „kleinen Kick“ jetzt ein ganz großer werden würde, nämlich der endgültige Tritt in den Hintern:
„Wenn ich wiederkomme, bist du hier verschwunden.“
„Das ist doch nicht dein Ernst. Komm rein, dann klären wir alles. Sonst sagst du doch immer, man kann über alles reden.“
Ja, sag ich immer. Weil meine Mutter das immer gesagt hat. Ich wußte aber auch noch einen Spruch von meine Vater, der mir in dem Zusammenhang viel besser gefiel: Reden ist Silber, Taten sind Gold.
Ich löste meine Hausschlüssel vom Rolfs Schlüsselbund und steckte sie in die Handtasche, schloss geräuschlos die Zimmertür wieder auf, knallte die Haustür zu und verschwand.
Ziellos lief ich durch die Straßen, ich ging runter zum Fluss und von da in die Einkaufszone. Ich sah mir die Nachrichten im Schaufenster eines Fernsehladens an und ärgerte mich, dass ich den Ton nicht hören konnte. Zwischendurch klingelte mein Handy, aber als ich sah, dass der Anruf aus meiner Wohnung kam, schaltete ich es aus.
Ich wollte nach Hause. Ich wollte, dass Rolf spurlos verschwunden ist. Ich wollte den letzten Rest seines Geruchs mit Duftkerzen, die er so sehr hasste, ausräuchern. Renovieren wollte ich, alles neu streichen, die Möbel umstellen, die Matratze entsorgen und diese Scheiß-Reizwäsche, die ich mir für Rolf gekauft hatte.
,Du fickst doch so gerne.' Ja, stimmt. Und ich hab es auch mit Jürgen richtig gerne getan. Aber für Geld? Als Job? Da hört für mich der Spaß auf. Ich hatte auch mal eine Leidenschaft für die Psychologie. Aber seit ich tagtäglich für Geld psychotherapeutische Sitzungen transkribiere, ist mir mein Interesse daran vergällt. So ist der Lauf der Dinge.
Inzwischen war ich wieder vor meinem Haus angelangt, aber als ich oben in der Wohnung Licht sah, ging ich gleich weiter. In Jürgens Kneipe.
Er stand mit seinem Freund an der Theke und war durchaus verlegen, als er mich sah, und es war ihm offensichtlich peinlich, dass ich mich neben ihn stellte und ein Bier orderte. Ich schüttete das Bier in mich hinein.
„Was war das für eine Geschichte heute?“
„Wieso? War doch okay. Ich hab da keine Probleme mir.“
„Ich schon.“
Er wandt sich an seinen Freund:
„Wenn du mal nen Hunderter für ne richtig tolle Sache ausgeben willst, da hätte ich nen Tipp für dich.“
Ich knallte ihm seine 120 Euro auf den Tresen und leerte mein zweites Glas. Er sah mich verwundert an.
„Ich verstehe nicht – dein Brüderchen hat ...“
„Der ist die längste Zeit mein ‚Bruder‘ gewesen.“
„Sag bloß ...“
„Egal. Vergiss es.“
Und ich ging.
In meiner Wohnung war immer noch Licht, aber ich wollte die Sache auf der Stelle zu Ende bringen. Rolf lag schnarchend im Bett, der Fernseher flimmerte, und auf der Kommode und dem Bord über dem Bett hatte er Batterien von Kerzen aufgestellt, die schon ziemlich runtergebrannt waren. Er hatte anscheinend auf mich gewartet in der Absicht, mich wieder rumzukriege, sich mit mir zu versöhnen. Nur hatte er dabei offenbar eine Flasche Wodka geköpft. Sie lag leer am Boden. Ich versuchte, ihn zu wecken, ihn aus dem Bett zu hiefen, steiß dabei gegen das Bord, das in eine leichte Schieflage geriet. Wachs tropfte auf Rolf herunter. Er grunzte nur, und ich kriegte ihn keinen Zentimeter bewegt. Ich machte noch eine Flasche Wodka auf, flößte ihm ein paar Schlucke ein, wobei ich ihn und das Kopfkissen satt benetzte, und drückte sie ihm in die Hand.
Dann ging ich rüber in meine Arbeitskammer, packte meine Wochenarbeit, den Lap-Top und ein paar Disketten in eine Tasche und steckte das Bargeld ein, das ich noch in der Schreibtischschublade liegen hatte.
Ich schaute nochmal bei Rolf rein, er schlief wie ein Baby, hatte die Flasche im Arm, deren Inhalt sich mittlerweile fast komplett ins Bett ergossen hatte. Die Kerzen auf dem Bord waren im flüssigen Wachs ziemlich nah an den Rand des Bords gerutscht, eine war bereits umgekippt, blakte aber noch mit riesiger Flamme.
Tja, Rolf, das war vielleicht nicht sone gute Idee, deine tolle Inszenierung! Ich verließ die Wohnung.
Von der nächsten Telefonzelle aus rief ich Dietmars Witwe an und bat sie um eine Einladung über‘s Wochenende.