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Ein neues Polenbild bei den Deutschen?

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Erinnern Sie sich an die Bilder des vergangenen Sommers? Es war die Fußballeuropameisterschaft in Polen und der Ukraine, die einen Beitrag zu einem neuen Polenbild lieferte. So groß ist die mediale Aufmerksamkeit für unser Nachbarland sonst nie. Und standen diese Bilder eines modernen Polen nicht in seltsamem Kontrast zu den sonst übertragenen Bildern?

Da wurden sonst allzu gern solche Bilder gezeigt: Ein klappriges zotteliges Pferd zieht einen noch klapprigeren Karren durch eine idyllische Landschaft nach Hause. Auf dem Bock sitzt zusammengesunken nach des Tages Mühsal ein verhärmter alter Bauer, der mutlos und abgestumpft durch des Tages Härte in den Sonnenuntergang guckt …

Eine Idylle aus einer vergangenen Zeit, ein Polen, das aus Rückständigkeit und Armut besteht, das gerade an der Schwelle vom Agrarland zum Industriestaat zu stehen scheint. Die Mehrzahl der Bilder über Polen, die vom Fernsehen in unsere Wohnzimmer geliefert wurden, sahen so oder so ähnlich aus.

Und nun bei der Europameisterschaft? Tatsächlich, die Mehrzahl der Polen lebt in Städten, in denen wahre Baubooms ausgebrochen scheinen, Städten, die fast täglich ihr Gesicht ändern. Man sah tolle, hochmoderne Stadien, eine Hauptstadt mit einer Skyline, die unaufhörlich wächst. Und viele Besucher Warschaus rieben sich die Augen, als sie dort Edelboutiquen zuhauf, schicke Einkaufszentren und Shoppingmalls in einer Zahl entdeckten, die selbst Berlin neidisch machen könnte. Die Erkenntnis vieler Besucher: Polen ist ein modernes Land und Warschau ein Shoppingparadies voll prallen Lebens!

In den grenznahen Polenmärkten kaufen die Deutschen. Die Polen kaufen heute in hochmodernen Supermärkten ein, meistens 24 Stunden an sieben Tagen der Woche. An Marktständen gewühlt hat Jan Kowalksi, wie der polnische Otto Normalverbraucher genannt wird, lange genug.

Es war der EU-Beitritt vom 1. Mai 2004, der Polen mit den regelmäßigen Überweisungen aus Brüssel den großen Sprung ermöglicht hat und selbst der maroden polnischen Landwirtschaft wieder Leben einhauchte und deren Lebensmittel zu Export-Rennern machte. Noch im Beitrittsjahr stiegen die Einkommen der polnischen Landwirte durch die EU-Subventionen um ein Drittel.

Warschau hat sich zu einer wahren Boomstadt wie aus dem Hochglanzmagazin entwickelt, die Investoren und Firmen aus aller Welt anzieht, nur geringe Arbeitslosigkeit kennt und Immobilienpreise wie in Westeuropa hat. Auch der Lebensstandard in der polnischen Hauptstadt ragt weit über Landesdurchschnitt hinaus und hat den von Ostdeutschland inzwischen übertroffen.


Polenbild bei der EURO 2012: Polen, ein modernes, weltoffenes Land mit schicken Stadien und tollen Fans Foto: Jörn Fehrmann, CC-BY-SA-3.0

Durch die Bilder der EM 2012 hat man bei uns auch wahrgenommen, dass es neben Warschau, Danzig, Breslau und Krakau noch andere Städte gibt, die nicht nur eine Reise wert sind, sondern auch ihren Einwohnern eine beachtliche Lebensqualität bieten. Erstaunt stellt man fest, dass die Menschen in den polnischen Metropolen sich inzwischen mit ähnlichen Problemen herumschlagen, wie in deutschen Großstädten: Suche nach bezahlbarem Wohnraum, gut bezahlte Jobs finden, Infrastrukturprobleme im Verkehrssektor. Dazu sind sie nicht fremdenfeindlich wie vermutet, sondern weltoffene Gastgeber, die selbst mitten in Warschau deutsche Fans mit wehender Deutschlandfahne umarmten.

So hat man durch die Fußball-Europameisterschaft so geballt wie nie zuvor das Bild eines modernen Polens mit aufgeschlossenen Menschen gesehen. Das Polenbild der Deutschen begann, sich zu verändern. Ob diese Entwicklung nachhaltig ist, bleibt abzuwarten.

Wie aber kam es zu unseren über so lange Zeit immer weiter gereichten und klischeebehafteten Bildern voller Stereotypen eines rückständigen, armen Polens. Haben da nur die Fernsehbilder und Reiseführerbeschreibungen Schuld, die oft rasend schnelle Veränderungen gar nicht zur Kenntnis nahmen? Oder ist dies nur das letzte Glied in einer langen Kette?

Die Bilder in unseren Köpfen

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