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ELFENSPRACHE

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Lautlos leuchtete das Mindpad auf, als die Uhrzeit auf sechs Uhr morgens sprang. Das Licht im Apartment ging sanft an, die Teemaschine aktivierte sich und erst sehr leise, dann lauter werdend, ertönte der gewählte Radio Morgendienst. Verschlafen blickte Shara zu dem Pad in der Wandhalterung neben der Türe.

So gesehen war es ja praktisch. Es gab einem ein Gefühl von Geborgenheit. Es sorgt für seinen Menschen und erspart ihm Zeit. Shara erinnerte vor allem dieses Morgenritual mit dem Pad immer wieder an ihre Kindheit. Sanft wurde sie damals von ihrer Mutter geweckt, während aus der Küche Radioklänge und Frühstücksgerüche in ihr Zimmer wehten.

*Die Präsidenten der planetaren Gemeinschaft haben für morgen einen neuen Termin anberaumt, um über die notwendige Abschiebung der Strafgefangenen in ein abgelegenes Sonnensystem zu entscheiden.

Die widersprüchlichen Argumente der einzelnen Glaubensgemeinschaften hatten zuletzt zu einer Aufschiebung des endgültigen Beschlusses geführt.*

Die Worte des Moderators rissen Shara schlagartig aus ihren Erinnerungen an eine glückliche Kindheit. Morgen schon wollten sie die Entscheidung fällen! Wenn die falsche Entscheidung getroffen wurde, wie viel Zeit blieb ihr dann noch?

„Oh, Marc“, seufzte sie. Schon wollte ihr ein Fluch über die Lippen kommen, doch sie besann sich schnell eines Besseren. „Übung macht den Meister“, dachte sie, setzte ihr verhasstes ‚Alles ist gut und die Welt ist so schön Lächeln‘ auf und erhob sich mit gespielter Fröhlichkeit.

Sie ging zu dem Käfig, der neben ihrem Sofa stand. Freudig pfeifend begrüßte sie der kleine Elf. „Guten morgen, mein kleiner Freund“, sagte Shara und streichelte ihm zart über den Kopf. „Gutenmorgen Sharalieb habglücklichtag“, ertönte es melodisch in Sharas Kopf.

Der Elf Grünschim, wie er sich selbst nannte, war vor ein paar Monden aufgetaucht. Eines sonnigen Tages saß er auf Sharas Balkon und flog nicht mehr weg. Da sie sehr tierlieb war, hatte sie begonnen ihn zu füttern und seinen Liedern zu lauschen. Doch was den Anschein hatte, eine zufällige Begegnung zu sein, war in Wahrheit weit mehr als das. Der Elf war mit einem Auftrag zu Shara gekommen. Er hatte eine wichtige Nachricht zu überbringen und es lag an ihm, Shara daran zu erinnern, wer sie war und welche Fähigkeiten sie besaß.

Doch es dauerte mehrere Wochen, bis es dem Elfen endlich gelang, ihre Vernunftebene zu durchbrechen und mit seiner Botschaft zu ihr zu dringen. Schon hatte er befürchtet, er könne seinen Auftrag nicht erfüllen, als sie endlich die Bilder und Gedanken wahrnahm, die er ihr sandte.

Hätte der Elf Sharas Großmutter nicht so gut gekannt, so hätte er wohl keine Chance gehabt. Eines Tages aber konnte er irgendwo am verschlossenen Herzen der jungen Frau eine Stelle finden, die mit der Erinnerung an großmütterliche Liebe verknüpft war. Das war seine Chance den Panzer zu durchbrechen und behutsam einen Zugang zu ihrem Innersten zu finden.

Elfen waren kleine Vögel in verschiedensten Größen und Farbvariationen. Wie alle Vögel hatten sie einen wachen, hellen, oft schelmischen Blick. Sie waren sehr flink und konnten wunderschön trällern oder pfeifen. Jeder auf seine eigene Art. Wenn sie im Sonnenlicht oder im Schein der Monde flogen, schimmerten ihre Flügel wie glitzernde Edelsteine. Was sie von anderen Vögeln unterschied, war zum einen die Fähigkeit lange an einer Stelle schweben zu können, zum anderen die kleinen spitzen Ohren, die bei anderen Vögeln kaum ausgeprägt waren.

Alle anderen Überlieferungen und die uralten Geschichten von Elfen gehörten laut offizieller Darstellung in den Bereich der Märchen. Der alte Volksglaube sagte Ihnen nach, dass sie magische Fähigkeiten hätten, Menschen behexen konnten, sich sogar in Menschenwesen verwandeln konnten.

Sharas Großmutter hatte immer gelächelt, wenn ein Elf sich in ihre Nähe verirrte. Verträumt hatte sie den Melodien der Vögel gelauscht und danach immer wieder zu ihrer Enkeltochter gesagt:

„Weißt du, Sharalieb, es gibt so viel mehr auf unseren Welten, als wir erahnen können. Lausche den Stimmen des Unsichtbaren! Höre genau hin, was sie zu sagen haben. Aber triff deine Entscheidungen immer nur mit deinem Herzen, denn dein Herz allein spürt die Wahrheit“

So war Großmutter Amelie. Herzlich und voll von uralter, sonderbarer Weisheit. Schon lange bevor Shara geboren wurde, hatte man sie als verrückte alte Frau abgestempelt, die nur wirres Zeug von sich gab.

Eines Tages war sie einfach weg. Die Leute redeten, sie sei wohl einmal zu oft alleine in den tiefen Wald gegangen und ein wildes Tier hätte sie gefressen. Oder sie sei einfach in einen Tümpel gestürzt, weil sie dachte, sie könne über das Wasser gehen. Es war unglaublich, welche Phantasiegeschichten sich die Menschen ausdachten. Aber das änderte nichts an der Tatsache, dass Großmutter Amelie verschwand, noch bevor Shara ihren 5. Geburtstag feierte.

Sharas Erinnerungen waren sehr verblasst. Was Ihr von Amelie blieb, waren wenige verschwommene Sätze, die sie dem Kind wieder und wieder vorgetragen hatte, sowie ein unglaublich wohliges Gefühl einer liebevollen Geborgenheit und Heiterkeit.

Als sich der Elf Grünschim nun bei Shara einquartierte, war er nicht mehr als ein hübscher Zeitvertreib, der schöne Lieder trällerte. Es dauerte lange, bis Shara den Zusammenhang zwischen den Liedern und den immer häufiger aus dem Nichts kommenden Bildern in ihrem Kopf wahrnahm.

Eines Abends, nach dem 3. Glas Rotwein bei Kerzenschein auf ihrem Sofa, sang der Elf ein außergewöhnlich schönes Lied und sandte ihr Gedankenbruchstücke:

„Sharalieb…… sovielmehr…… Weltenerahnenkönnen…..“

Auf einmal schien sich etwas in Shara zu regen und ihr wurden Bruchstücke von Erinnerungen bewusst. Wie sie vor vielen Jahren als Kind liebevoll hochgehoben wurde und Amelie mit klarer Stimme zu ihr sprach: „Lausche den Stimmen des Unsichtbaren! Höre genau hin, was sie zu sagen haben. Aber triff deine Entscheidungen immer nur mit deinem Herzen, denn dein Herz allein spürt die Wahrheit“

Verblüfft sah Shara den Elfen an. Dieser schloss die Augen, ließ ein kleines Seufzen ertönen und nickte langsam mit dem Kopf. Er schien unglaublich erleichtert zu sein.

Von diesem Moment an lernte Shara die verzerrten Bilder in ihrem Kopf zu deuten. Je mehr sie sich der fremdartigen Kommunikation öffnete, umso besser konnte sie verstehen, was er meinte. Er konnte ihr sogar seinen Namen mitteilen, Grünschim wäre sein Name, aber seine Freunde würden ihn einfach nur Grü nennen. Und es wäre ihm eine Ehre, wenn Sahra zu seinen Freunden gehören würde.

Es wurde zur Selbstverständlichkeit, sich mit ihm auf diese sehr phantasievolle Weise zu verständigen. Jeden Tag aufs Neue überraschte er sie mit seinem Wissen und seiner unglaublichen Weisheit, die nicht ernsthaft, sondern vielmehr in einer bunt schillernden Fröhlichkeit ihren Ausdruck fand.

"Ja, Grü ich hoffe es wird ein wunderschöner Tag", antwortete Shara wie selbstverständlich in ihren Gedanken und wurde sich sorgenvoll dessen bewusst, dass dieser Tag, den sie so lange Zeit bis ins Detail geplant hatten, heute tatsächlich angebrochen war.

"Ich hoffe wir tun das Richtige" fügte sie lautlos hinzu, während sie ihm frisches Vogelfutter und Wasser reichte.

Grü hüpfte in seinen Käfig und begann aufgeregt zu knabbern. Der Käfig war notwendig gewesen, um eine Tierhaltergenehmigung zu bekommen. Es war Shara klar, dass der Elf aus freien Stücken mit einem Auftrag zu ihr gekommen war, daher wurde der Käfig niemals verschlossen und das Tier konnte sich im Apartment frei bewegen.

Vorsichtig stellte sie den unverschlossenen Käfig nun auf den Balkon und legte Grü noch ein paar überreife Kirschen dazu. Die liebte er so sehr. Über den Käfig kam eine Decke, damit er nicht die Neugier der Nachbarn auf sich zog. So war der Elf in Sicherheit und falls etwas an dem gemeinsamen Plan schief gehen sollte, war er nicht in der Wohnung gefangen, sondern konnte davonfliegen.

Rasch und konzentriert erledigte sie ihre Morgentoilette und legte nachdenklich die vom Gesundungsamt verordnete Vitalpille auf ihre Handfläche. Sie tat so, als würde sie diese schlucken. In Wahrheit steckte sie die Pille zu den zweien der Vortage in ihre Hosentasche. Genau so, wie der Elf es ihr in seinen Gedanken beschrieben hatte. Auch, dass sie heute statt des üblichen Bürokostüms eine altmodische Jeans trug, war geplant. Da die neue Kleiderordnung noch nicht sehr ernst genommen wurde, würde es nicht weiter auffallen.

Sie trank genüsslich den Tee aus den Blättern, die Grü ihr von einem nächtlichen Ausflug aus dem Wald gebracht hatte. Die Droge würde ihre Augen ähnlich wie die Pillen verändern, so konnte keiner sehen, dass sie die Aufnahme der „lebensnotwendigen Vitamine“ verweigert hatte.

Nachdem sie das Mindpad von der Eingangstüre entkoppelt und mit dem Outdoorjaket verbunden hatte, war sie bereit zu gehen. Von der Türe aus ließ sie den Blick über ihre kleine heile Welt Wohnung schweifen, die ihr doch so viel Sicherheit und Wohlgefühl spendete.

Ihr Blick fiel auf die gerahmte Zeichnung an der Wand. Philipe hatte sie gemalt. Damals, in fröhlicher Runde im Urlaub. Mit seiner ganz eigenen Art die Realität mit wenigen Strichen unglaublich ausdrucksvoll wiederzugeben, hatte er Shara und Marc in einer zärtlichen Umarmung festgehalten.

Wie gerne wäre sie jetzt auf Antiguon! Dieser wunderschöne Planet, auf dem die Menschen es geschafft hatten, die Liebe und die Menschlichkeit über die Kontrolle und die Vernunft zu stellen. Der größte Fehler ihres Lebens war, damals wieder zurückzukehren. Aber wer konnte schon ahnen, wie schnell die Dinge sich verändern würden?

„Losloslos Sharaträumerle mögegroßeliebebeschützen“, lächelnd wurde Shara sich der Ermahnung bewusst, die der Elf ihr sandte. Und er hatte so recht. Jetzt war nicht die Zeit, um über Vergangenes zu lamentieren. Es war an der Zeit, die Zukunft neu zu schreiben.

Als die Wohnungstür hinter ihr automatisch verriegelte, wurden alle unnötigen Systeme der Wohnung heruntergefahren und ein kleines rotes Licht ging an der Türkamera an.

Der Strafplanet

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