Читать книгу Für Anna - Brigitte Krächan - Страница 6

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„Wer bestimmt eigentlich, was passiert?“

„Wie meinst du das?“

„Naja, wer hat bestimmt, dass es jetzt regnet? Wer hat bestimmt, dass ich heute Morgen meine Tasse umgestoßen habe?“

„Also das mit der Tasse, da hattest du doch wohl selber schuld; du hast eben nicht richtig aufgepasst.“

„Ja, aber doch nur, weil ich der schwarzen Katze zugeschaut habe, die vor unserem Fenster über die Straße gelaufen ist. Also wer bestimmt, wann eine Katze vor unserem Fenster über die Straße läuft?“

„Das war Zufall – würde ich sagen“

„Dann ist das mit dem Regen auch Zufall?“

„Nein, das hat etwas mit Hoch- und Tiefdruckgebieten zu tun. Das ist vorausschaubar.“

„Was bedeutet vorausschaubar? “

„Wenn man sich etwas genau anguckt und dann überlegt, wie es weitergehen könnte. Wenn man sich die Wolken auf der ganzen Welt anschaut, weiß man, wo es wann regnet.“

„Aber manchmal stimmt das mit dem vorausschaubar nicht. Ist das dann Zufall?“

„Eher ein Irrtum, würde ich sagen. “

„Und die Katze ? War die vorausschaubar?“

„Nein, die war Zufall.“

„Aber ich habe sie doch kommen sehen. Und ich konnte mir denken, dass sie bei uns über die Straße läuft. Ich habe es vorausgesehen – aber ich habe es nicht bestimmt. Wer hat das bestimmt, das mit der Katze?“

„Niemand. Ich denke immer noch, dass das Zufall war.“

„Aber sie ist doch von irgendwo losgelaufen. Wie die Wolken, die sind auch von irgendwo gekommen und deshalb war der Regen vorausschaubar. Wenn ich nun alle Katzen anschauen würde, die ganze Zeit, dann wäre meine schwarze Katze vorausschaubar gewesen, wie der Regen. Aber ich wüsste immer noch nicht, wer sie losgeschickt hat. Wer hat die Wolken losgeschickt? Wer bestimmt, wann es regnet?“

„Es wird Zeit. Wir müssen zum Kindergarten. Vergiss deine Regenjacke und die Gummistiefel nicht.“

Haben Sie einmal versucht, einer Fünfjährigen den Determinismus zu erklären? Oder die Prinzipien der Chaostheorie? Was würde Anna wohl zum Schmetterlingseffekt sagen?


Ich brachte Anna zum Kindergartenbus.


Und dann musste ich mich beeilen, um die S-Bahn in die City zu erreichen. Sie fuhr zwar alle 20 Minuten, aber ich durfte nicht schon wieder zu spät zum Treffen kommen. Ich konnte froh sein, dass ich diesen Job hatte. Es war sicherlich nicht genau das, was ich mir vorgestellt hatte als ich mein Studium begann, aber es kam so vieles anders, als ich damals dachte. Und ich war wenigstens noch im gleichen Fachgebiet unterwegs und konnte von zu Hause aus arbeiten, meistens wenigstens. Heute Morgen war eine Lektoratbesprechung im Verlag. Wir wollten die neuen Manuskripte auf die Lektoren verteilen. In einer Woche sollte dann entschieden werden, ob eines der Manuskripte ins Verlagsprogramm passen würde. An den Programmplanungen des Verlages wurde ich nicht beteiligt. Das machten andere. Mir wurden nur die Resultate mitgeteilt und nach welchen Kriterien ich die Manuskripte bewerten sollte. Früher hätte ich wohl kistenweise maschinengeschriebene Manuskripte mit nach Hause schleppen müssen, heute passte der Stick mit den Daten in meine Handtasche. Die Arbeit blieb die gleiche. Die Autoren dieser Manuskripte waren noch unbekannt und die meisten würden es auch bleiben. Immerhin: unser Verlag schaute sich tatsächlich noch alle Manuskripte an. Es war meine Aufgabe, sie zunächst zu überfliegen und dann zu entscheiden, ob es sich lohnte, sie näher zu betrachten. Die meisten wurden schon nach dem ersten Anschauen verworfen. Das durfte ich alleine entscheiden und sie dann, mit einer kurzen Stellungnahme den Autoren zurück senden. Auch ein Entgegenkommen das sich längst nicht mehr alle Verlage leisteten. Ich bemühte mich sogar, die Schreiben mit ein paar persönlichen Worten zu füllen. Die meisten meiner Kollegen benutzten Standartbriefe und meinten, ich sei zu weich, die Leute müssten doch eigentlich wissen, wie schlecht sie seien und dass sie es nie zu einem ernsthaften Autor bringen würden. Sie hatten recht, das meiste, das wir da oberflächlich lasen, war tatsächlich einfach schlecht und trotzdem, ich wusste, aus eigener Erfahrung, wie viel Zeit, Engagement und Hingabe oft hinter diesen Manuskripten standen. Wenigstens das wollte ich würdigen.


Manchmal war etwas dabei, das sich von der Masse abzuheben schien. Das waren die wenigen Manuskripte, die ich dann tatsächlich durchlas. Solche Manuskripte gab ich danach ohne Kommentare an einen zweiten Lektor weiter. Zusammen entscheiden wir dann, ob wir das Manuskript zur Übernahme in das Verlagsprogramm vorschlagen würden. Die endgültige Entscheidung wurde von anderen getroffen und an der eigentlich interessanten Arbeit, nämlich der redaktionellen Aufbereitung des Manuskriptes gemeinsam mit dem Autor bis hin zur Veröffentlichung war ich nicht beteiligt. Aber das war okay so, es war meine eigene Entscheidung gewesen. Die Zusammenarbeit mit den Autoren würde zu viel Zeit in Anspruch nehmen. Zeit, die oft bis spät in den Abend reichen würde. Und diese Zeit hatte ich nicht, ich musste und ich wollte mich in erste Linie um Anna kümmern. Aber ich hatte immerhin noch den Fuß in der Tür. Wenn ich die Stelle behalten würde, täte sich vielleicht später, wenn Anna älter wäre, daraus eine verantwortungsvollere, interessantere Arbeit ergeben. So war ich froh, dass ich wenigstens in meiner Sparte arbeiten konnte.


„Und, wie war es im Kindergarten?“, fragte ich Anna, als ich sie nachmittags vom Bus abholte.

„Vielleicht bin ich das ja, der bestimmt.“

„Der was bestimmt?“

„Na, das mit der Katze. Vielleicht habe ich mir ja gewünscht, dass die schwarze Katze kommt. Vielleicht habe ich es gar nicht richtig gemerkt, dass ich es mir gewünscht habe und trotzdem ist sie gekommen. Im Kindergarten, da haben wir eine Geschichte gelesen, da ist alles passiert, was man sich wünschte.“


„Ja, Anna, aber das war eine Geschichte und nicht alle Geschichten sind wahr.“

„Aber gib zu, es könnte doch sein. Ich war es, der bestimmt hat. Ich habe es mir gewünscht und deshalb ist es passiert.“

„Also ich glaube nicht, dass alles, was du dir wünschst, auch passiert. Du hast dir doch schon so viel gewünscht und es ist nicht wahr geworden.“

„Vielleicht klappt es nicht immer. In der Geschichte im Kindergarten, da mussten die beiden Kinder immer zu einem besonderen Baum gehen, um sich etwas zu wünschen.“

„Ja und du, wohin meinst du, musst du gehen, um dir etwas zu wünschen?“

„Weiß ich nicht. Vielleicht ist es ganz etwas anderes, das macht, dass ich bestimmen kann. Und manchmal, ohne dass ich es weiß, ganz zufällig ist es da und dann klappt das mit dem Wünschen. Dann kann ich bestimmen. Du sagst dann, es wäre Zufall. Dabei war ich es, der bestimmt hat. Ich muss also nur noch herausfinden, wie es geht, mit dem Bestimmen.“


„Na dann bleib mal an der Sache dran. Aber eines darfst du jetzt schon bestimmen: Was möchtest du gerne zu Mittag essen?“


Wie viele Male überall auf der Welt ist ein solches Gespräch wohl schon geführt worden. Gibt es ein Kind, das diese Frage noch nicht gestellt hat? Die Frage nach dem Zufall und dem, der bestimmt. Und das nicht wenigstens ein Mal davon träumte, derjenige zu sein, der bestimmen darf, dessen Wünsche in Erfüllung gehen.


Wie oft hatte ich mir das selber schon gewünscht. Nicht diese kindlichen Wünsche, nicht einmal jene berühmten Wünsche, von denen man immer drei hat. Wir Erwachsenen wissen, dass Wünschen nicht hilft. Ein Zeitvertreib bei einer Flasche Wein mit Freunden: die Frage, was würdest du wünschen, wenn du drei Wünsche frei hättest.

Nein, mein Wünschen ist bescheidener: nur ein ganz klein wenig die Gabe, die Welt zu bestimmen, ein klein wenig Einfluss nehmen zu können auf den Lauf der Welt. Ein ganz klein wenig dem Zufall eine Richtung geben zu können. Das hätte mir schon genügt. Ich habe es versucht, im Kleinen, aber mit Ausdauer, Lebenswege zu beeinflussen und Richtungen zu ändern, ein bisschen wenigstens zu bestimmen. Ich weiß, es klingt vielleicht alles andere als bescheiden, das zu sagen. Aber es ist wirklich nicht anmaßend. Kennen Sie Don Quichotte? Sein Kampf gegen die Windmühlenflügel ? Wissen Sie, was ich meine? Jeder kennt Don Quichote. Jeder kennt seinen Kampf gegen Windmühlen. Aber wissen Sie auch, ob er jemals damit aufgehört hat? Wissen sie, wie die Geschichte ausging?


Nun, egal.

Ich hatte damit aufgehört. Es war kindisch, zu meinen, man könnte etwas bewirken. Und gefährlich, es zu versuchen. Besser man lebt unauffällig und lenkt nicht zu viel Aufmerksamkeit auf sich.

Öffentlichkeit kann gefährlich werden.

Und doch …

Für Anna

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