Читать книгу Für Anna - Brigitte Krächan - Страница 8
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„Wieso bist du denn schon auf?“
„Ich weiß nicht, ich hatte plötzlich ausgeschlafen. Schade, dass du eben nicht in der Küche warst, es hat nämlich geklappt.“
Anna kam im Schlafanzug zu mir ins Arbeitszimmer.
„Was hat geklappt?“
„Das mit dem Wünschen hat geklappt. Aber jetzt ist sie weg.“
„Wer ist weg?“
„Na die Katze. Die, von der du mir gestern Abend vorgelesen hast. Ich habe mir gewünscht, dass sie heute Morgen an der Balkontür sitzen sollte und es hat geklappt. Es war genau die gleiche Katze, riesengroß mit grünen Augen. Und ein zerfetztes Ohr hatte sie gehabt. Ich habe es mir gewünscht und sie war da. Es klappt. Manchmal können wir bestimmen.“
„Aber ich hatte dir doch erzählt, dass sie schon einmal da gewesen war, und ich sie gefüttert hatte. Vielleicht ist sie zufällig heute Morgen wieder gekommen. Bist du ganz sicher, dass sie ein zerfetztes Ohr hatte?“
„Ich habe es ganz deutlich gesehen. Sie hat ganz lange ganz still da gesessen. Einen langen Riss hatte sie im Ohr. Aber dann ist sie weggelaufen.“
„Na schön, wenn sie wieder kommt, geben wir ihr etwas zum Fressen. Lass uns jetzt erst einmal frühstücken.“
Warum auch nicht. So unwahrscheinlich war es eigentlich nicht, dass diese Katze ein zweites Mal an unserer Balkontür auftauchte, zumal ich sie beim ersten Mal gefüttert hatte. Aber das zerfetzte Ohr hatte nichts mit der ursprünglichen Katze zu tun, das hatte ich beim Schreiben hinzuerfunden. Eine blödsinnige Idee übrigens viel zu klischeehaft, um sie in einer guten Geschichte zu verwenden. Aber wieso sagte Anna jetzt, die Katze an der Balkontür hätte einen Riss im Ohr gehabt ? Andererseits: Fünfjährige unterscheiden nicht immer zwischen Realität und Phantasie. Die schwarze Katze war da und weil es die schwarze Katze war, von der ich vorgelesen hatte, musste auch das zerfetzte Ohr da sein.
„Liest du mir heute Abend wieder etwas aus dem schwarzen Buch vor? Hast du eine Geschichte über die Katze geschrieben?“
„Ich bin dabei. Aber ich glaube nicht, dass es eine Geschichte werden wird, die man Kindern vor dem Einschlafen vorlesen sollte.“
„Schade- – Aber du lässt die Katze nicht sterben! Das musst du mir versprechen!“
„Versprochen.“
„Lies mir etwas anderes aus dem Buch vor.“
„Da steht noch nicht so besonders viel drin. Nur noch eine erfundene ziemlich langweilige Beschreibung von einem seltsamen Mann in einem seltsamen Haus in dem nur in einem Fenster Licht brennt.“
„ Lies schon! “
Und ich las Anna die Geschichte vor. Schon nach ein paar Minuten hatte sie genug.
„Das ist echt langweilig. Ein Haus mit so vielen Zimmern gibt es gar nicht. Und dass der Mann gar nichts macht außer immer nur Türen auf, ist doch blöd. Ich kann mir gar nichts vorstellen, wenn ich diese Geschichte höre. Nur die Beschreibung von dem Haus und wie der Mann dir die Tür geöffnet hat, das war schön. Aber den Rest musst du anders schreiben!“
„Ich habe dir doch gesagt, dass du diese Geschichte nicht verstehst. Eigentlich gibt es dieses Haus gar nicht. Das Haus ist eigentlich kein Haus sondern ist ein Bild für die Gedanken des Mannes ...“
„Und warum schreibst du dann, es sei ein Haus? Dann schreib doch Gedanken, wenn du Gedanken meinst.“
Anna hatte offensichtlich keinen Sinn für Metaphern.
Dabei fand ich diese Erzählung wirklich gelungen. Auch die Geschichte von der Katze hatte ich mittlerweile fertig geschrieben. Sie hatte sich ganz von selbst zu einer Horrorgeschichte entwickelt und ich war ziemlich sicher, Anna musste auf diese Geschichte als „Gute-Nacht-Geschichte“ verzichten. Aber die Katze überlebte, wie versprochen.
„Ich habe die schwarze Katze wieder gesehen. Gestern, als ich mit Tanja im Buchladen war. Sie hat oben auf einem Regal gesessen. Dürfen Katzen eigentlich in Buchläden?“
Hatte ich Anna den Abschnitt mit dem Buchladen aus meiner Horrorgeschichte doch noch vorgelesen? Ich war mir nicht sicher.
„Wieso warst du mit Tanja unterwegs? Ich habe dir doch verboten, mit ihr in die Stadt zu gehen!“
„Aber wir waren doch nicht lange fort. Und Tanja hat gesagt, sie kennt den Weg. Wir mussten nur in den Bus einsteigen und schon waren wir dort. Wir mussten gar nicht lange gehen. Da konnten wir uns gar nicht verlaufen. Und Tanja hat gesagt, in dem Laden würden sie die neuen Sammelbildchen verkaufen, die müsste sie unbedingt haben, die würden sie in der Arbeit immer tauschen. Und sie hat auch gut auf mich aufgepasst. Und mich immer an die Hand genommen, wenn wir über die Straße gegangen sind. Du bist Tanja doch jetzt nicht böse?“
Nein, ich war Tanja nicht böse. Aber ich habe Anna nochmals eingeschärft, nicht alleine mit Tanja das Haus zu verlassen.
Man konnte Tanja gar nicht böse sein. Sie war herzensgut, immer freundlich und die beste Freundin, die sich Anna eigentlich wünschen konnte. Tanja wohnte in der kleinen Wohnung über uns und arbeitete in einer Behindertenwerkstätte in der Stadt. Jeden Morgen wurde sie vom Bus vor der Haustür abgeholt und am Nachmittag wieder zurück gebracht. Einmal in der Woche kam eine Betreuerin vorbei, um ihr beim Wocheneinkauf zu helfen und darauf zu achten, dass das alleine Wohnen und Wirtschaften klappte. Tanja war sehr gewissenhaft mit ihrem Haushalt, viel ordentlicher und organisierter als ich, und sie freute sich immer, wenn ich ihr Anna für eine Stunde anvertraute. Anna besuchte Tanja schrecklich gerne, und Tanja war ungeheuer stolz auf ihren Job als „Babysitter“, und ich war sicher, sie würde auch in der Stadt auf Anna achtgeben. Aber ich durfte es einfach nicht riskieren. Wenn trotzdem etwas passieren würde - und mit Kindern kann ja immer etwas Unvorhersehbares passieren, würde es heißen, ich hätte keine Zeit für Anna, könne mich nicht angemessen um sie kümmern und würde meine fünfjährige Tochter einer geistig Behinderten anvertrauen. Das war genau die Art von Information auf die die Rechtsanwälte meiner Schwiegereltern warteten, um mir Anna endgültig wegzunehmen.
Es tat mir leid, dass ich Tanja nicht erlauben konnte, mehr mit Anna zu unternehmen, aber wie hätte ich den beiden diesen Sachverhalt erklären sollen. Und Zeit, die beiden bei geplanten Unternehmungen außerhalb des Hauses zu begleiten, hatte ich auch nicht. Ich musste meinen Job erledigen und so allen beweisen, dass ich fähig war, finanziell angemessen für meine Tochter und mich zu sorgen. Es gab immer noch genügend Leute, die davon überzeugt waren, Anna würde es im Hause meiner Schwiegereltern in jeder Hinsicht besser gehen. Ich hatte diese ganzen Streitereien endlich hinter mir und wollte nicht riskieren, dass alles wieder von vorne begann. Ich war ohnehin der Ansicht, dass ich nach wie vor unter sehr genauer Beobachtung stand und dass meine Schwiegereltern nur auf einen Anlass warteten, um wieder gegen mich vor Gericht zu ziehen.