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Kapitel 1 Das Bild von einem Mann

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Wie ich endlich den richtigen Mann gefunden habe


Zwei vor, eins zurück, einmal aussetzen, einen Mitspieler rauswerfen, selbst rausgeworfen werden, würfeln, warten auf die Sechs. Mit Erik war ich im sicheren Kästchen angekommen, aber das Spiel war für mich gelaufen. Ich war aus dem Rennen und im Abseits gelandet. Viele Jahre habe ich dort ausgehalten und nur noch flach geatmet. Doch kurz nach meinem fünfzigsten Geburtstag gab es kein Halten mehr, ich verließ den sicheren Hafen Ehe und tauschte ihn in anstrengende, aufreibende Beziehungskisten ein. Meine Hormone und mein Herz führten mich häufig zu den falschen Liegeplätzen, aber nie in die Monotonie, Bitterkeit oder Verzweiflung. Kurz vor dem sechzigsten landete ich nach einer Odyssee des Suchens und Ausprobierens an der richtigen Stelle. Davon erzähle ich in diesem Buch, von den Holzwegen und Umwegen, bis ich es endlich geschafft habe, ans Ziel zu kommen und den RICHTIGEN zu finden. Leicht war es nicht, im Gegenteil, es war harte Arbeit, aber es hat sich gelohnt. Während der ganzen Zeit, die ich im Beziehungsstress verschwendet habe, tat ich immerhin etwas Vernünftiges: Ich war Lehrerin an einer Gesamtschule. Von dieser schönen, anspruchsvollen Tätigkeit können andere besser berichten, in meinem Buch geht es um das eine Thema: Wie findet eine Frau den richtigen Mann? Wie das geht, können Sie in diesem Buch lesen.


Das Bild von einem Mann


Eine gleichaltrige Frau kam für Erik nicht in Frage, das hatte er oft genug betont.

„Nur als Schüler und Student habe ich mich mit älteren Mädchen und Frauen abgegeben, zum Üben sozusagen“, gab er immer wieder gern zum Besten und schaute dabei Beifall heischend in die Runde.

„Höre einfach weg“, sagte ich dann zu mir selbst und duckte mich vor den verstohlenen Blicken meiner Freundinnen.

„Hab dich nicht so, das nervt“, winkte Erik ab, wenn ich mich beschwerte.

Vorhaltungen waren sinnlos, ich wusste es schon lange, seit früher Kindheit um genau zu sein. Meine Mutter hat ständig an meinem Vater rumgemosert, geändert hat es nichts. Er ging immer wieder fremd und hat es sogar zu einem außerehelichen Kind gebracht, zu meiner Halbschwester. Kennen gelernt habe ich sie nie, die Gelegenheit dazu habe ich bei der Beerdigung meines Vaters versäumt. Wenn ich gewusst hätte, dass sie kommt, wäre ich auch zum Friedhof gefahren. Vielleicht ist sie nett, ich weiß nur, dass sie zehn Jahre jünger ist als ich und dass sie Johanna heißt. Johanna nach meinem Vater Johann. Heute nehme ich ihr nicht mehr übel, dass unser Vater ihr meine Puppen geschenkt hat. Er tat es heimlich, der Feigling, weil er wusste, wie sehr ich an meinen schönen Käte Kruse Puppen hing. Ich habe sie gehegt und gepflegt und ihnen sorgfältig die Kleider, Schuhe, Jacken und Mützen an- und ausgezogen, die meine Mutter genäht und gestrickt hat. Und eines Tages waren sie verschwunden, ohne die allerkleinste Vorwarnung. Als ich wieder einmal mit ihnen spielen wollte und sie nach langer, gründlicher Suche nicht fand, fragte ich meine Mutter, ob sie sie weggeräumt hätte. Meine Mutter machte ein erschrockenes Gesicht und half mir beim Suchen. Aber nur kurz, dann ließ sie sich auf den Stuhl im Kinderzimmer sinken und presste zwischen zusammengebissenen Zähnen: „Dass er es wagt, dass er die Stirn hat“, hervor.

Mich sah sie dabei nicht an. Ich habe heute noch das Bild meiner Mutter vor Augen, wie sie mit hängenden Schultern in sich zurückgezogen, wie zusammengefaltet und erloschen in meinem Zimmer saß. Ich bekam es mit der Angst zu tun und traute mich nicht zu fragen, was sie meinte. Eine Woche später kam ich dahinter. Ich lag schon im Bett und hörte, wie sich meine Eltern stritten. Ich hasste diese Streitereien, wollte nichts davon mitbekommen und zog mir meistens die Decke über den Kopf. Heute spitzte ich aber die Ohren, denn es ging um mich und meine kostbaren Puppen.

„Sie spielt doch kaum noch damit“, sagte mein Vater. „Mit den Puppen habe ich sie schon lange nicht mehr gesehen. Aus dem Alter ist sie raus“.

„Wann solltest du sie auch sehen, so selten wie du zu Hause bist“. Die Stimme meiner Mutter klang schrill. „Du glaubst doch nicht, dass ich für deinen Bankert gestrickt und genäht habe. Du machst vor nichts halt. Es ist die Höhe“.

Jetzt hörte ich nur noch mein eigenes Schluchzen. Ich zog wieder die Decke über den Kopf und kam auch nicht drunter hervor, als sie von meinen Tränen ganz nass war. Niemand sollte mich hören, mein Vater nicht und meine Mutter auch nicht.

„Heirate bloß keinen attraktiven Mann!“ Von allen Ratschlägen, mit denen meine Mutter mich bedacht hat, wurde mir dieser am dringlichsten ans Herz gelegt. „Was hast du davon, wenn andere Frauen hinter ihm her sind? Sieh mich an, was war ich nur für ein Schaf, ahnungslos und leichtgläubig. Wie stehe ich heute da? Wenn ich nur damals so schlau gewesen wäre, wie ich es heute bin. Es ist das alte, traurige Lied, nachher weiß man es immer besser. An Verehrern hat es mir weiß Gott nicht gemangelt. Aber ich wollte ja keinen vernünftigen, zuverlässigen, soliden Mann. Bloß das nicht. Die waren mir viel zu langweilig. Hätte ich doch nur bei so einem zugegriffen anstatt mich für solch einen Schaumschläger wie deinen Vater zu entscheiden. Was hatte ich für Chancen und alles in den Wind geschlagen wegen diesem Filou. Sei du mal nicht so naiv! Ein schönes Mannsbild, dass ich nicht lache. Suche dir einen bodenständigen Mann, lieber einen, der ein paar Jahre älter ist! Einen, der sich schon die Hörner abgestoßen hat. Hör auf deine Mutter, wiederhole nicht meinen Fehler! Ich habe bitter bereut und dafür gebüßt. Sei nicht so eine dumme Pute, wie ich es war!“ Gewappnet mit diesen Ratschlägen wurde ich erwachsen.


Als Erik und ich geheiratet haben, glaubte ich, dass ich alles richtig gemacht hatte. Ich fand ihn nicht besonders attraktiv, aber bodenständig und zuverlässig und zwölf Jahre älter als ich war er auch. Er war ein Mann mit Erfahrung, wie er gern durchblicken ließ. Alles, was sich bei ihm mit Frauen vor unserer gemeinsamen Zeit abgespielt hatte, interessierte mich nicht besonders, es tat mir nicht weh und war okay, auch wenn mich seine Prahlerei davon manchmal nervte. Er war nicht wie mein Vater, er hatte kein außereheliches Kind und ging nicht mal fremd. Da war ich ganz sicher, er war viel zu bequem für den Aufwand, zu dem er sich bei einem Seitensprung aufraffen müsste. Ihm reichte das eine Mal in der Woche mit mir. Dass irgendeine Kollegin oder Mitarbeiterin Herzklopfen bekam, sobald sie in seine Nähe geriet, konnte ich mir nicht vorstellen. Es gab einfach keinen Grund dafür. Er war nicht der Typ, der Frauenherzen höher schlagen ließ. Das tun die witzigen, schlagfertigen Männer, die mit ihrem Charme brillieren. Zu der Sorte zählte Er nicht. Es machte keine Frau kribbelig, wenn er in ihre Nähe kam, wozu auch, was hätte ich denn davon gehabt? Er war nicht hässlich, aber gut aussehend und anziehend ist anders. Das war er von Anfang an nicht, jedenfalls nicht, seitdem wir uns kennen. Viel wichtiger für unsere Ehe war seine Häuslichkeit. Er war gern zu Hause, im Wohnzimmer vor der Glotze, aber auch in der Küche. Hin und wieder kochte er, vor allem für Gäste. Die waren dann hingerissen von seinem Menü. Mir schmeckte es auch, aber bis es dazu kam, knirschte ich mehrfach mit den Zähnen. Um ihm beim Kochen nicht die Laune zu verderben, schluckte ich meinen Unmut hinunter und bat ihn nicht mehr, die Kartoffel- und Gemüseschalen in den Müll zu werfen anstatt sie auf der Arbeitsplatte liegen zu lassen. Ich unterbrach auch ständig ohne aufzumucken meine eigene Tätigkeit, wie aufräumen, Tisch decken oder meine Arbeit am Schreibtisch, weil er weder die Gewürze noch die nötigen Utensilien sofort fand und von mir verlangte, dass ich sie ihm suchte. Wenn er von unseren Gästen für das leckere Essen gelobt wurde, freute ich mich mit ihm. Es war schön einen Mann zu haben, der gut kocht, so ein Glück hat nicht jede Frau.

Erik hat gute Seiten, im Laufe unserer gemeinsamen Zeit hielt ich mir das zunehmend vor. Zu meinem fünfzigsten hat er mir rote Rosen geschenkt.

„Für deinen Mann bleibst du immer zwanzig“, sagte mein Bruder und deutete auf den Strauß.

„Du hast gut reden, deine Frau hat im Juni Geburtstag, fuhr Erik ihn an. Weißt du, was die jetzt kosten? Wenn Hella ebenfalls..“

Er sprach den Satz nicht zu Ende oder ich hörte nicht weiter zu. „Wozu auch?“, sagte ich mir. „Was kann er dafür, dass er anders empfindet als ich? Ich darf nicht so kritisch sein. Es bringt einfach nichts, es macht mich nur wütend oder was noch viel schlimmer ist, traurig.“

Erik lud sich das zweite Tortenstück auf den Teller, als mein Bruder und ich das erste zur Hälfte aufgegessen hatten.

„Von dem Käsekuchen muss ich auch gleich probieren“, verkündete er unbekümmert.

Diesen Geburtstagsnachmittag habe ich noch deutlich vor Augen. Ich wollte nicht feiern und hatte niemanden eingeladen. Mein Bruder kam trotzdem zum Gratulieren auf einen Kaffee. Erik lästerte über zwei Kolleginnen, wie die aus der Form geraten wären. Dabei lachte er und sein Doppelkinn zitterte. Das konnte auch der gestutzte Vollbart nicht verstecken. Beim Käsekuchen machte er den obersten Hosenknopf auf. Seine Wampe quoll über den Bund. An meinem fünfzigsten Geburtstag erschrak ich, weil ich einen Anflug von Ekel verspürte, als ich meinem Mann beim Essen zusah.

„Mit diesem Tortenbauch will er sich heute Nacht bestimmt nicht auf mich legen“, dachte ich und fühlte so etwas wie Erleichterung.

Der fünfzigste Geburtstag wird oft als Ende des ersten Lebensabschnitts bezeichnet. Als ich an meinem fünfzigsten darüber nachdachte, wie ich mich fühle, stand eins für mich fest: Auf Sex hatte ich keine Lust mehr, definitiv. Trotzdem wollte ich mich meinem Mann nicht verweigern, sondern mich meiner ehelichen Pflicht stellen, wenn auch mit zusammengebissenen Zähnen. Eine andere Entscheidung traute ich mir weder zu, noch erlaubte ich sie mir, sie wäre mir unfair und ungerecht vorgekommen. Außerdem schreckte ich vor Offenheit zurück. Wie hätte ich es denn erklären sollen, wie erklärt man so etwas einem Mann, der sich nichts zuschulden kommen lässt? Mein Ehemann hatte einen guten Job und war treu. Außerdem war ich davon überzeugt, dass ihm nie der Gedanke gekommen ist unsere Ehe infrage zu stellen. Für ihn war alles in Ordnung. Zaghafte Kritik von mir tat er mit dem Hinweis auf die Wechseljahre ab. Das machte mich dann so sauer, dass ich lieber den Mund hielt. Mein fünfzigster sollte kein Wendepunkt werden, sondern unsere Ehe sollte weitergehen wie gewohnt und wie bisher. Das wollte ich nicht gefährden, da schien es mir besser, ihn einfach machen zu lassen. Schließlich waren wir miteinander verheiratet. Und auch wenn ich keine Lust mehr auf unseren Sex hatte und es nicht mehr schön fand, so fand ich es doch nicht schlimm. Es als Zumutung zu bezeichnen, wäre übertrieben. Eine Zumutung war es nicht für mich, ich hätte es nur lieber gelassen. Wenn Erik seine Einmal-die Woche-Nummer haben wollte, zogen wir das durch. Danach drehte ich mich zur Seite und versuchte schnell einzuschlafen. Er fiel sofort in seinen gewohnten Tiefschlaf und schnarchte Sekunden später. Darum beneidete ich ihn.


Einige Wochen später veränderte sich mein Leben grundlegend. Beim Frühstück ahnte ich noch nichts davon, auch als ich das Haus verließ und Erik „Tschüs!“ zurief, war es wie an jedem Morgen. Ich stieg wie an anderen Tagen auf mein Fahrrad und machte mich auf den Schulweg. In Gedanken war ich schon bei meiner Klasse, als mich unterwegs etwas Unvorhergesehenes aufhielt. Es war ein Plakat, das mich wie ein Magnet anzog. Es zog mich so in seinen Bann, dass ich nicht mehr weiterfahren konnte, sondern stattdessen mit solcher Wucht auf die Bremse trat, dass ich um ein Haar kopfüber über den Lenker gestürzt wäre. Es zwang mich anzuhalten und vom Fahrrad abzusteigen. Was ich erblickte, war nicht einfach irgendein Plakat von der Sorte, wie sie haufenweise an jeder Ecke herumhängen und die Stadt zumüllen. Es war nicht die übliche Werbung für Dinge, die mich nichts angehen und nichts mit mir zu tun haben. Was mich jetzt aufhielt, war ein Ereignis, eine Erscheinung, eine Begegnung der besonderen Art. Es traf mich ins Mark und ließ mein Herz so laut klopfen, dass es mir in den Ohren dröhnte. Ich kniff meine Augenlider zusammen und befahl mir ruhig zu bleiben und regelmäßig zu atmen. Ich drehte meinen Kopf mit einem Ruck in eine andere Richtung weg von dem Plakat, wandte mich aber gleich wieder zurück und spürte eine Welle des Glücks, die mich vom Kopf bis zu den Fußspitzen einhüllte. Es war kein Traum, keine Vision und ich hatte mir nichts eingebildet. Er war immer noch da, dieser braun gelockte Adonis auf dem Plakat. An ihm kam ich nicht vorbei, er stellte sich mir in den Weg. Nie in meinem Leben bisher hatte ich so einen wunderschönen Mann gesehen, solch ein Bild von einem Mann. Verwirrt ließ ich meinen Blick hin und her wandern. Sein Gesicht war schmal und von dunkelbraunen Locken umrahmt. Die vollen, schön geschwungenen Lippen waren leicht geöffnet, als wollten sie mir etwas sagen. Es war nicht nur dieser verführerische Mund, der zu mir sprach, es waren vor allem seine Augen. Sie hatten ein Blau, das Erinnerungen an Ferien am Mittelmeer wach rief, das warme Sommerabende heraufbeschwor, an denen man mit einem Glas Wein in der Hand auf der Terrasse irgendeiner Taverne saß, es war das Blau der Ägäis im Hochsommer. Sie flüsterten von Verheißung, brachten in mir die viel beschworenen unbekannten Saiten zum Klingen, rührten etwas tief in meinem Innersten an und erweckten es zum Leben. So ermuntert ließ ich nun meine Augen mit großem Vergnügen weiterwandern. Was mir da gegönnt wurde, war ein Genuss. Mein Blick spazierte über den Hals bis zu den breiten Schultern, hin und her über diesen herrlichen, nackten, muskulösen Oberkörper. Makellos wie der Körper einer griechischen Statue, aber nicht kalt und steinern, sondern voll pulsierendem Leben, hocherotisch und fast animalisch.

„Was war da passiert?“, fragte ich mich erschrocken und betrachtete die Stücke von zerrissenen Fesseln, die an seiner Brust und seinem Waschbrettbauch herunterhingen.

SEI WIE DU DICH FÜHLST

stand am unteren Rand des Plakates. Der Mann war nicht mehr ganz jung und bezauberte mich vielleicht gerade deshalb so sehr, dass ich mir einbildete, seine Haare und seine Haut zu spüren, wenn ich ihn nur lange genug betrachtete. Ich schloss die Augen und sog die Luft ein. Erschrocken riss ich die Augen wieder auf.

„Bloß nicht durchdrehen und auch noch seinen Duft schnuppern wollen! Es ist ja lachhaft, was hat mich denn erwischt?“

Ich biss mir auf die Lippen und hörte, wie meine Zähne heftig knirschten, als ich mich anstrengte um mich aus dem Bannkreis dieses Mannsbildes wegzubewegen, ihm den Rücken zuzuwenden und mich auf mein Rad zu setzen. Mit aller Kraft trat ich in die Pedale ohne mich noch einmal umzudrehen. Den Vormittag in der Schule brachte ich hinter mich. Gedanken an den Plakatmann lagen auf Eis.

Auf dem Heimweg lauerte er mir wieder auf. Er brachte mich wie heute Morgen dazu mein Fahrrad anzuhalten und abzusteigen, damit ich ihn in Ruhe betrachtete. Je länger ich ihn mit den Blicken abtastete, desto größer wurde mein Verlangen. Wie gern hätte ich die Sehnen und Muskeln seiner Arme gefühlt, wie schön musste es sein diese vollen Lippen zu spüren. Wie sehr lechzte ich danach meinen Kopf an seine Brust zu schmiegen und seinen Herzschlag zu hören. Mein Puls lief auf Hochtouren, mein Herz hämmerte und meine Zunge klebte am Gaumen. Der Schweiß strömte an meinem Rücken und meinem Gesicht herunter und brannte in meinen Augen. Meine Wimperntusche hielt dieser Attacke nicht stand. Sie verlief und verschmierte so sehr, dass ich alles wie durch einen dunklen Nebel sah. Es war kaum zu ertragen, dass ich wieder nur seine Beine in den Jeans streicheln durfte, weil das Plakat für weitere Berührungen zu weit oben hing.

„Wenn du wüsstest, wie ich mich fühle“, flüsterte ich, „beschissen, einfach beschissen.“

Nachmittags korrigierte ich eine Klassenarbeit und belohnte mich zwischendurch mit einer Pause, in der ich mir einen Tagtraum mit dem Plakatmann gönnte. Ich war nahe dran, seine braunen Locken zu fühlen. Leider durfte ich uns beiden nicht länger als dreißig Minuten zugestehen, der halbe Klassensatz war noch nicht benotet.

„Wie war dein Tag?“, wollte Erik während der Abendnachrichten im Ersten wissen.

„Sehr schön.“

„Gab es was Besonderes?“

„Alles wie immer.“

„Und das ist sehr schön. So ist es nun mal bei langweiligen Leuten.“

Ich überhörte die Frechheit und konzentrierte mich auf die Nachrichten. Als ich mich später schlafen legte, sah ich meinen Plakatmann ganz deutlich vor mir, seine muskulösen Schultern, seine Brust und seine Arme. Mit strahlend blauen Augen schaute er von der Mauer, an die sein Bild angeschlagen war, herab. Er lächelte mir so verheißungsvoll zu, wie nur er es vermochte, keine Frage, er meinte mich.

Am nächsten Morgen fuhr ich etwas früher los als sonst. Ich wollte mehr Zeit für mein Rendezvous haben. Schon aus der Entfernung erkannte ich ihn, um ein Haar hätte ich ihm gewunken. Im letzten Moment hielt ich mich zurück, das war doch albern, schließlich war ich kein Teenager mehr. Kurz vor dem Plakat stieg ich wieder von meinem Rad ab. Ich ging einige Schritte zurück und betrachtete das Mannsbild aus der Entfernung von einigen Metern. Ich besah ihn von oben bis unten und genoss jedes Detail. Dann trat ich so nahe an ihn heran, dass ich meine Hand über seine Beine gleiten lassen konnte. Meine Finger fühlten seine Muskeln unter dem festen Jeansstoff. Ich legte meinen Kopf in den Nacken und sah ihm in die tiefblauen Augen. Wieder trafen mich leuchtende Blitze mitten ins Herz.

„Wenn ich hier länger verweile, legen sie meinen Willen lahm und hindern mich daran den Weg fortzusetzen. Nur jetzt nicht den Verstand verlieren, einen kühlen Kopf behalten!“, redete ich mir zu. „Den Vormittag muss ich überstehen. Bis bald“, sagte ich, riss mich von dem Bild los und schwang mich auf mein Rad.

In der Schule arbeitete ich so entspannt wie lange nicht mehr. Ich kontrollierte in keiner Klasse die Hausaufgaben, es war mir völlig egal, ob die einer gemacht hatte und ob die Schüler sie überhaupt verstanden hatten. Mich nervten weder die Unruhe während des Unterrichts noch die Änderung des Stundenplans, die in der großen Pause von der Schulleiterin angeordnet wurde. Ich dachte nur an meinen Schönen. Als ich ihn nach der Schule auf dem Heimweg traf, ihm gegenüber stand und mit großer Wiedererkennensfreude sein Bild in mir aufsog, fing es an zu regnen, zuerst leicht, bald heftiger. Erschrocken stellte ich fest, dass sich am oberen Rand das Papier ein wenig wellte.

„Es muss etwas geschehen und zwar sobald wie möglich. Warum bin ich nicht gleich darauf gekommen? Wir müssen uns nicht mehr trennen“, ich hatte eine Idee. „Ab morgen sind wir immer zusammen“, versprach ich ihm zum Abschied und fuhr dabei mit Hingabe über seine Beine.

Hatte ich da eine Bewegung, ein Zucken seiner Muskeln gespürt? Oder zuckten nur meine Hände? Ein letztes Streicheln und wir mussten uns trennen, nur noch dieses eine Mal.

Unterwegs auf dem Nachhauseweg versetzte mich der Regen in die allergrößte Unruhe. „Wie lange kann mein wunderschönes Mannsbild diesen Regen verkraften? Hoffentlich nimmt er keinen Schaden bei diesem Wetter!“


„Hörst du mir eigentlich zu?“, wollte Erik beim Abendessen von mir wissen.

„Na klar“, sagte ich.

„Und wovon habe ich geredet?“

„Von der Firma“, sagte ich auf gut Glück.

„Und was hältst du von dem ganzen Schlamassel?“

„Du kriegst das schon hin“, antwortete ich lahm.

„Ihr Lehrer in eurem Elfenbeinturm habt keine Ahnung, wie es draußen in der freien Wirtschaft zugeht. So gut wie ihr hätte ich es auch gern.“

Diese Litanei kannte ich bis zum Abwinken. Noch mehr davon wollte ich mir nicht zumuten.

„Wo ist unser Fotoapparat?“

„Da, wo er immer liegt, in der Kommode. Wofür willst du ihn denn haben?“

„Für ein paar Aufnahmen von meiner Klasse.“

„Heute habe ich eine Überraschung für dich, ich glaube, das interessiert dich“, sagte Erik in geheimnisvollem Ton.

„Was gibt es denn?“, fragte ich höflich.

Erik langte über den Couchtisch und griff nach meiner Hand. „Du hast mir doch mal von deinen echten Käthe Kruse Puppen erzählt. Wie sauer und gekränkt du warst, als dein Vater sie dir geklaut hat.“

„Daran kannst du dich noch erinnern?“

„Und ob.“

„Ja und?“

„Am Schwarzen Brett in der Kantine bietet jemand solche Puppen an. Willst du eine haben? Ich könnte sie kaufen.“

„Im Ernst? Das ist süß von dir. Danke. Sehr, sehr lieb.“ Ich war überrascht und musste schlucken. „Aber es sind nicht meine Puppen, nicht Ursel, Klaus und Margit. Wenn wir Kinder oder Enkel hätten, vielleicht. Aber trotzdem danke.“ Ich drückte und streichelte über den Couchtisch hinweg seine Hand.

„Schade, ich hätte dir gern eine Freude gemacht. Sollen wir sie uns nicht wenigstens mal ansehen?“

Ich schüttelte den Kopf. Das war wirklich lieb von ihm, dass er meine Wunden aus der Kindheit lecken wollte. Allein, wie ernst er meinen Kummer nahm, rührte mich. Daran wollte ich heute im Bett denken, wenn er an mich heranrücken würde.


Am nächsten Morgen verließ ich schon um Viertel nach sieben das Haus, obwohl ich die erste Stunde frei hatte. Der Regen hatte gestern Abend bald aufgehört und heute war der Himmel wolkenlos, das helle Morgenlicht schien mir für die Aufnahmen perfekt. Auf dem Weg zu meinem Traummann zwang ich mich sein Bild vor meinen Augen wegzuwischen und auf den Straßenverkehr zu achten.

„Du siehst ihn noch früh genug“, beruhigte ich mich. „Und außerdem hast du bald selbst Fotos von ihm.“Kurz bevor ich ihn erreicht hatte, erschrak ich zutiefst. „Um Gottes Willen, was war das denn?“

Ein Kerl im Blaumann war drauf und dran sich an der Plakatwand zu schaffen zu machen. Er hatte schon eine Leiter davor aufgestellt und holte etwas aus seinem Wagen.

„Halt!“, schrie ich, so laut ich konnte.

Erschrocken sah er sich um. Ich stoppte in voller Fahrt neben ihm.

„Zuerst muss ich ein Foto machen, bitte geben Sie mir etwas Zeit!“, stieß ich hervor.

Der Mann sah mich erstaunt an. „Warum denn? Warum brauchen Sie davon ein Foto?“

„Ich kann es erklären“, stammelte ich und holte die Kamera aus der Tasche. „Es ist für ein Schulprojekt.“

„Aha. Das hat mir keiner gesagt. Viel Zeit habe ich aber nicht. Ich muss noch mehr Plakate in der Stadt kleben.“

„Es tut mir Leid, dass ich Sie aufhalte.“

„Wenn mich einer informiert hätte, hätte ich mit meiner Arbeit nicht ausgerechnet hier angefangen. Das passt mir jetzt gar nicht.“

„Bitte, seien Sie so nett!“, flehte ich und drückte ihm zwanzig Euro in die Hand.

„Na, das ist aber übertrieben“, sagte der Plakatkleber und steckte das Geld ein. „Dann werde ich die Leiter erst mal wegstellen.“

Ich nickte ihm dankbar zu und versuchte ruhiger zu werden. Er zündete sich eine Zigarette an und lehnte sich neben seinem Auto mit dem Rücken zu mir an einen Pfosten. Ich stellte mich ganz nah an das Plakat heran und betastete verstohlen die langen Beine von meinem wunderschönen Freund.

„Wie gut, dass ich so früh gekommen bin, als hätte ich es geahnt. Wir haben die gleiche Wellenlänge, du und ich“, flüsterte ich ihm zu.

Endlich machte ich die Fotos, eins nach dem anderen, von vorne, von rechts und von links. Ich holte die einzelnen Partien heran, seinen Kopf, sein Gesicht, seine Augen, seinen Hals, seine Brust, seine Arme, seine Hände, seine langen Beine in den Jeans. Ich trat einige Schritte zurück und nahm ihn im Ganzen auf, immer wieder.

„Jetzt geh ich aber mal ran“, schreckte mich die Stimme des Plakatklebers auf.

Ich sah auf die Uhr. So spät war es schon? Da musste ich mich sputen um rechtzeitig zum Unterricht zu kommen.

„Danke, vielen Dank!“, rief ich dem Plakatkleber zu, schenkte meinem Mannsbild noch einen letzten Blick und trat in die Pedale.


Meinen Unterricht brachte ich wie ein Automat hinter mich. Beim letzten Klingeln verließ ich, so schnell es ging, das Schulhaus, schnappte mein Fahrrad und fuhr wie gejagt nach Hause. Ich hetzte in mein Zimmer, lud die Bilder auf meinen Laptop und dann auf einen Stick. Zum Betrachten gönnte ich mir dabei keine Zeit, sie sollten ja so bald wie möglich entwickelt werden. Bevor ich mit dem Stick in der Tasche das Haus verließ, löschte ich alle Aufnahmen von meinem wunderschönen Mannsbild auf dem Fotoapparat. Diese Bilder gehörten nur mir allein, Erik gingen sie nicht das Geringste an. In der Drogerie ließ ich mir bei der Bestellung und Entwicklung der Bilder Zeit. Es war undenkbar, sich nicht jedes Foto genau anzusehen. Am liebsten hätte ich einige als Poster angefordert, traute mich aber nicht. Vielleicht später einmal. Ich entschied mich für das Format 10 x 15 bei allen Abzügen. Die konnte ich wunderbar in jeder Handtasche verstauen und mit mir herumtragen. In den nächsten Tagen und Wochen verbrachte ich viel Zeit damit die Fotos zu betrachten. Auch in der Schule nutzte ich die Pausen auf der Toilette dazu meinem Liebsten zuzulächeln.

„Ist alles in Ordnung?“, fragte eine Kollegin besorgt, als ich neulich lange auf dem Klo blieb.

Die hatte ja keine Ahnung, wie gut es mir ging mit meinem abgelichteten Schatz.


Und dann geschah, was einfach kommen musste. Das Schicksal lässt sich nicht aufhalten, tief im Inneren habe ich es längst geahnt und das neue Ereignis erwartet. Auf jeden Fall war ich mit allen Sinnen und jeder Pore empfangsbereit. Dennoch war ich an diesem frühen Nachmittag kurz vor den Herbstferien nicht darauf gefasst. Es war schon die ganze Woche recht kühl und ich friere leicht, aber jetzt wurde mir plötzlich warm. Ich hatte den Tchiboladen gerade betreten, weil ich mir eine Thermokanne kaufen wollte, als sich unsere Blicke trafen. Da stand er an einem der hohen Bistrotische und trank einen Kaffee. Er war es, es gab keinen Zweifel, hier bei Tchibo stand mein Mannsbild und trank Kaffee. Diese Statur, die braunen, gelockten Haare, sein schönes Antlitz, die großen Augen, das Lächeln, die schlanken, langen Beine in den Jeans, er stand leibhaftig vor mir. Endlich! Ich lachte laut und ging zu ihm hin. Er sah mich überrascht, erstaunt, aber auch erfreut an. Hier im künstlichen Licht hatten seine Augen nicht dieses Mittelmeerblau, ihre Farbe war eher grau, grau wie die Havel oder die Spree. Ohne viel Federlesen holte ich die Fotos aus meiner Handtasche und legte sie vor ihm auf die Tischplatte. Bevor er Fragen stellen konnte, erklärte ich ihm, wie gut er mir auf dem Plakat gefallen hat und wie froh ich bin, dass ich mit den Fotos sein Bild für mich gerettet habe, bevor es überklebt wurde.

„Wie heißt du?“, fragte er mich, als ich nach Luft schnappte. „Ich bin Ricardo.“

„Ricardo, ich bin Hella.“

„Erst mal raus hier“, sagte Ricardo und ergriff meine Hand. „Lass uns ein bisschen spazieren gehen. Wolltest du hier etwas kaufen?“

Natürlich war ich mit einem Spaziergang einverstanden. Die Idee mit der Thermokanne verwarf ich auf der Stelle. So ein Ding brauchte ich überhaupt nicht. Unsere Küchenschränke quollen sowieso über. Auf der Straße war es immer noch warm, viel wärmer als heute Mittag, obwohl es allmählich dämmerig wurde. Wir entfernten uns bei unserem Spaziergang immer weiter von meinem Stadtteil und das war mir recht. Ricardo war ein guter Zuhörer. Er ließ mich reden ohne mich ständig zu unterbrechen, was ich bei Erik so hasste. Nachdem ich ihm von meinem Job berichtet hatte, fragte ich, wie es ist, seinem eigenen Konterfei überall in der Stadt zu begegnen. Anstatt zu antworten blieb er stehen.

„Hier wohne ich, sagte er und deutete auf einen Balkon im ersten Stock. Möchtest du jetzt bei mir einen Kaffee trinken?“

Es kam nicht zu dem Kaffee. Kaum hatten wir die Wohnung betreten, fielen wir übereinander her, zuerst hastig und gierig, dann überaus vorsichtig und zärtlich. Jeden Zentimeter, ach was, jeden Millimeter dieses gebräunten muskulösen Körpers wollte ich streicheln, meine Finger darüber gleiten lassen und liebkosen. Wie oft hatte ich es in Gedanken schon getan und nun war mein Traum Wirklichkeit geworden. Ich konnte nicht genug davon kriegen ihn zu berühren und fuhr mal mit der einen, mal mit der anderen Hand über seine Stirn, die Wangen, die schmale Nase, seinen Hals. Ich wuschelte in seinen Haaren, zerzauste sie und drehte einzelne Strähnen zu Locken. Ich legte mein Ohr auf seine Brust und lauschte seinem Herzschlag. Ricardo machte nicht viele Worte, aber seine Augen, seine Hände, sein ganzer Körper sprachen Bände.

„Ich bin angekommen“, flüsterte ich, „ich bin endlich angekommen.“

Mein Geliebter sagte nichts, er antwortete auf seine Art und beförderte mich damit erneut in andere Gefilde.

„SEI WIE DU FÜHLST“, sagte ich, bevor ich in der Nacht das Taxi bestieg.

„Mit dem Motto bin ich einverstanden“, Ricardo lächelte mir mit seinen herrlich grauen Augen und seinem göttlichen Mund zu. „Morgen treffen wir uns gleich bei mir?“

Was für eine überflüssige Frage!


Die folgenden Wochen mit Erik waren nicht leicht. Und wenn er mir noch so glaubhaft seine Liebe erklärte, so ernst und flehend wie nie bisher in all den Jahren unserer gemeinsamen Zeit, es interessierte mich nicht mehr. Ich hörte ihm nur aus Höflichkeit und aus Mitleid zu.

„Unser Haus, unsere Reisen, unsere Freunde, unser Leben, unsere Erinnerungen, ist das alles nichts wert? Was habe ich falsch gemacht? Wie kann ich es ändern? Ich bin bereit dazu, aber gib mir eine Chance! Sonst ist das einfach unfair.“ Er schluckte und schniefte und sein Doppelkinn zitterte dabei. Und dann legte er eine andere Platte auf. Diese Töne waren gemein. „Glaub` doch bloß nicht, dass dieser junge Stecher lange Interesse an dir hat. Sobald der sich was anderes zum Vögeln an Land gezogen hat, bist du für den nur noch eine alte Schachtel. Dann lässt er dich links liegen. Guck doch mal in den Spiegel! Wofür hältst du dich eigentlich? Wovon lebt der überhaupt? Womit verdient er sein Geld? Vermutlich hat er es auf dein Beamtengehalt abgesehen. Willst du jetzt in einer kleinen, miesen Absteige unterkriechen, Hauptsache ihr habt ein breites Bett?“

Solche Äußerungen voller Gift und Galle trieben mich zur Eile an. Hier in unserem Haus hatte ich nichts mehr verloren. Bei Ricardo konnte ich nicht einziehen, seine Wohnung war zu klein für uns beide. Aber zwei Straßen weiter fand ich etwas für mich. In meinem früheren Leben wäre mir diese Wohnung viel zu schäbig vorgekommen und die Gegend hätte mir auch nicht gepasst. Aber jetzt war es anders. Ich fühlte mich nicht mehr bürgerlich, was hatte ich dann in einer bürgerlichen Gegend zu suchen? Und außerdem wohnte ich nicht weit weg von Ricardo. Nur das zählte noch. Wie hatte ich es so lange in unserem Haus, diesem mit protzigen Möbeln vollgestopften Käfig ausgehalten? Warum hatte ich mich nie ernsthaft gegen Eriks Angebergeschmack gewehrt? Nicht mal bei der Küchenplanung hatte ich mich durchgesetzt. Jetzt konnte mir das endlich egal sein. Für Prospekte von Bulthaupt und Gaggenau würde ich keine weiteren Sekunden meines Lebens verschwenden. Der Plunder von Alessi konnte mir ebenfalls gestohlen bleiben. Erik durfte all das Zeug behalten, ihm war es wichtig, es machte das aus, was er als gehobenen Stil bezeichnete. Nur mein Arbeitszimmer zog mit mir um, alles andere ließ ich mit Erik zurück.

Ricardo und ich trafen uns, wann immer er es einrichten konnte, wenigstens am Anfang unserer Beziehung. Dann wurde es seltener, weil er viel zu tun hatte. Er war ständig unterwegs und arbeitete häufig in irgendeiner anderen Stadt. In diesen Pausen kümmerte ich mich intensiver um meine Arbeit, las viel, ging in Ausstellungen und verabredete mich mit Freundinnen.

„Du siehst gut aus“, sagten sie anerkennend, „glücklich und vor allem jünger.“

„Genau so fühle ich mich.“

„Wollt ihr irgendwann mal zusammen ziehen?“

„Keine Ahnung. Früher war mein Leben mit Erik geplant und organisiert. Leider blieb das Glück dabei auf der Strecke. Jetzt lebe ich nach einem anderen Motto.“

„Und das wäre?“

„SEI WIE DU FÜHLST“

„Und das funktioniert?“

„Bei mir tut es das. Das habe ich Ricardo zu verdanken. Erst seitdem ich ihn getroffen habe, ist es für mich das Richtige.“

„Und wie soll es weitergehen?“, eine Freundin stellte die Frage, die sie mit Sicherheit alle beschäftigte und die sie garantiert längst hinter meinem Rücken erörtert hatten.

„Was meinst du damit?“, entgegnete ich.

„Na in Zukunft. Wollt ihr zusammen ziehen oder was habt ihr für Pläne?“

„Pläne? Was soll ich mit Plänen? Wir reden nicht über Zukunftspläne, wir sind frei davon. Wir leben die Gegenwart und genießen sie.“ Ich sah meinen Freundinnen einer nach der anderen direkt in die Augen.

„Und der Altersunterschied?“

„Den gab es zu Erik auch, allerdings in die althergebrachte Richtung. Das hat uns aber nicht getrennt, es waren andere Gründe. Macht euch um mich keine Gedanken. Ich weiß, was ich tue. Vor allem fühle ich, dass es das Richtige ist und ich bin wild entschlossen es so lang wie möglich auszukosten.“ Den letzten Gedanken behielt ich für mich. Es kam mir bei meinen Freundinnen genau so sinnlos vor wie bei Erik ihn auszusprechen.


Als die Treffen mit Ricardo sich im Laufe des Jahres mehr und mehr zu seltenen Glücksmomenten und sparsam dosierten Kostbarkeiten entwickelten, habe ich es nicht herausposaunt. Wenn er mir nur nicht so verdammt gefehlt hätte! Verreist sind wir sowieso nicht zusammen, obwohl ich die Kosten für uns beide übernommen hätte. Nicht mal ein verlängertes Wochenende war drin. Er hatte immer etwas Wichtiges vor. Dabei wäre ich schon über ein oder zwei Dates im Monat glücklich gewesen. Ricardo machte nicht mit mir Schluss, er ließ es auslaufen und kam nicht mehr. Telefonisch habe ich ihn nicht erreicht, auch nicht, als sein Name noch an seinem Briefkasten und seiner Klingel stand. Ich wollte nicht, konnte es jedoch nicht lassen und ging mehrmals hin. Irgendwann war sein Name durch einen anderen ersetzt. Ich war drauf und dran zu klingeln und nach Ricardos neuer Adresse zu fragen, ließ es aber bleiben.

„Besser eine kurze, intensive Liebe erleben als eine laue Beziehung, in der es nie gelodert hat, durchzuhalten“, sagte ich mir und biss dabei so fest die Zähne zusammen, dass es knackte.

Ich rannte nach Hause und breitete die Fotos von dem Plakat auf der Bettdecke aus. Mit dem Zeigefinger fuhr ich über seine Arme und Beine, seine Brust und sein Gesicht und versuchte mich zu erinnern, wie er sich angefühlt hatte. Es gelang nicht, auch nicht, als ich die Augen schloss um es mir besser ins Gedächtnis zu rufen. Schließlich klebte ich einige Fotos an die Wand, löste sie aber kurz darauf wieder ab und verstaute sie in einer Schublade. Keiner außer mir sollte sie sehen dürfen, es wäre mir sonst vorgekommen, als hätte ich meine Zeit mit ihm nicht allein für mich gehabt, sondern im Nachhinein mit anderen teilen müssen.

Seitdem Ricardo sich aus meinem Leben gestohlen hatte, waren die Abende und Wochenenden lang. Mit anderen Paaren hatten wir uns nie verabredet, er wollte das nicht.

„Wozu soll das gut sein? Du bist die einzige, die mich interessiert“, hatte er behauptet und ich war darüber glücklich.

„Stell ihn uns doch mal vor“, hatte eine Freundin gebeten, „ich bin neugierig und will wissen, wer dich entflammt hat.“

„Kommt schon noch“, hatte ich gesagt und es auch geglaubt.

Während meiner Ehe mit Erik hatten wir häufig Besuch von anderen Paaren oder waren dort eingeladen. Nach unserer Trennung hörte ich von den Leuten, die mein Ehemann an Land gezogen hatte, nichts mehr. Am Anfang fand ich das völlig okay, es war ihr gutes Recht, Partei zu ergreifen, schließlich war ich die Böse. Und in der Zeit mit Ricardo litt ich nicht darunter, dass sie mich von ihrer Liste gestrichen hatten, aber nun nagte es an mir, dass mich Menschen, die ich einmal als Freunde bezeichnete, wie einen alten Hut entsorgt hatten. Dagegen ließ meine Mutter wieder ab und zu von sich hören. „Diesen Ricardo“ zu treffen hatte sie als das Allerletzte vehement abgelehnt, dabei hatte ich ihr das nie vorgeschlagen. Allein, dass er jünger war als ich, fand sie undiskutabel. „Du willst nicht klug sein, du dumme Pute“, war ihr Kommentar. Nun schien sie zu frohlocken, dass dieses „Verhältnis“, wie sie es nannte, beendet war. Sie stattete mir hin und wieder einen Besuch ab und lief dabei missmutig und kopfschüttelnd durch meine Wohnung.

„Ich darf nicht daran denken, wie schön du einmal gewohnt hast. Wie kann man nur!“

Einmal öffnete sie den Wohnzimmerschrank, schob das Geschirr hin und her, ging danach in die Küche und zog die Besteckschublade heraus.

„Wo ist das Meißner und wo ist das Silberbesteck?“ Sie sah mich so vorwurfsvoll an, als hätte ich es gestohlen.

Ich ersparte mir die Antwort, die wir beide kannten.

Als sie sagte: „Dass du in deinem Alter allein bleiben wirst, darauf solltest du dich einstellen, aber besser als sich auf so einen windigen Kerl einzulassen“, wusste ich, dass es mir zu schlecht ging, um mir meine Mutter zuzumuten. In der nächsten Zeit musste ich mich vor ihr in Sicherheit bringen, das war das Mindeste, was ich für mich tun konnte.

Wie ich endlich den richtigen Mann gefunden habe

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