Читать книгу Im Fluss – Seele in Bewegung - Brigitte Romer-Schweers - Страница 6

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VORWORT

In diesen Tagen stellten mir Menschen, die mitbekommen, dass ich ein Buch schreibe, mehrfach die Frage: „Wie bist du eigentlich auf die Idee gekommen?“

Meine Antwort kam spontan, ohne nachzudenken, und beim ersten Mal war ich selber überrascht. Sie lautete: „Bin ich nicht. Die Idee ist auf mich gekommen, und ich habe mich in ihren Dienst gestellt.“ Die meisten schauen mich dann irritiert an; kennen sie mich doch als geerdeten, pragmatischen Menschen, von dem sie solche Antworten nicht erwartet haben. Ich sehe, dass sie kurz überlegen und zu dem Schluss kommen, dass ich vermutlich nicht übergeschnappt bin, sondern allenfalls leicht verwirrt – und wechseln das Thema. Andere halten es für eine scherzhafte Antwort und mutmaßen, dass ich so weiteren Nachfragen entgehen will. Es gibt aber auch die, die das sehr spannend finden und gleich darum bitten, das Buch irgendwann lesen zu dürfen.

Je öfter ich jedoch diese Antwort gebe, desto klarer wird mir, dass genau das meine Wahrheit ist. Und dass es besser ist, der Wahrheit nicht auszuweichen, hat mir schon meine Mutter vermittelt, die zu sagen pflegte: „Ach, weißt du, ich bleibe lieber bei der Wahrheit. Würde ich lügen, bräuchte ich ein sehr gutes Gedächtnis – und das habe ich nicht.“

Die Initialzündung, diese Idee umzusetzen, vielmehr mich ihr hinzugeben, verdanke ich einem Traum, aus dem ich mit dem Satz „Du musst ein Buch schreiben“ erwachte. Ich erzählte das meinem Mann, der völlig selbstverständlich sagte: „Dann mach!“

So lade ich nun ein zu einer Reise, meiner Reise, und es wird eine Flussreise sein.

Das kommt nicht von ungefähr – wer mich kennt, weiß, wie sehr ich das Wasser liebe. Im Alltag tut’s ein Schwimmbad, besser ein See, noch lieber das Meer. Das Schönste für mich aber sind Hausboottouren auf einem Fluss … da fühle ich mich im wahrsten Sinne des Wortes im Fluss.

Wenn ich ein Bild für mein Leben finden soll, kann es eben nur ein Fluss sein, mit allem, was einen Fluss ausmacht: Er kommt von irgendwoher und fließt irgendwohin. Für mein Unterwegssein muss ich weder Quelle noch Mündung kennen. Der Fluss ist einfach da, und ich erlebe mich als einen Ausdruck des Lebens, als eine bestimmte Ausgestaltung der Natur, nämlich als Mensch Brigitte, selbst in diesem Fluss. Ich werde bewegt und muss mich einfach nur mitnehmen lassen.

Nun, ganz so einfach ist das nicht.

Flüsse haben unterschiedliche Fließgeschwindigkeiten, sind mal hochwasservoll, mal ausgetrocknet. Es gibt Stauungen, Stromschnellen, Umwege, Zuflüsse, Abflüsse. Das Wasser kann klar oder trüb sein, warm oder kalt, und, und, und.

So ist mein Leben geprägt durch die ganz unterschiedliche Beschaffenheit des jeweiligen Flussabschnittes, in dem ich mich gerade befinde.

Dazu kommt, dass ich von Zeit zu Zeit versucht habe, den Fluss anzuhalten, eine Weile aufzustauen, um dann zu erleben, wie er durchbricht und mich mitreißt. Mit anderen Worten: Ich habe vergeblich versucht, den Fluss meinen Vorstellungen anzupassen.

Oder ich bin ausgestiegen und habe mein Flussleben beobachtet, analysiert, versucht, mir passendere Verläufe auszudenken. Ich habe versucht, Erklärungen zu finden, wenn ich etwas, was mir auf der Reise geschah, nicht verstanden habe. Ich habe versucht, einen besseren Fluss für mich zu finden und mich, und manchmal auch andere, dafür verantwortlich gemacht, dass das nicht gelungen ist. Manchmal bin ich geflüchtet, damit ich den Fluss weder sehen, hören noch spüren musste. Oft habe ich mich aber einfach nur weggeduckt und am Ufer versteckt.

Ein Standardwerk der Gestalttherapie heißt: „Don’t push the river“ – für mich könnte es heißen: „Don’t push, stow or leave the river.“

Daran habe ich mich offenbar nicht gehalten; und so ist dieses Buch auch ein Versuch zu ergründen, was mich zu der gemacht hat, die ich bin, und wie es gekommen ist, dass ich so oft zu untauglichen Mitteln gegriffen habe.

Wer mag, ist eingeladen, mich zu begleiten. Vielleicht nur ein kleines Stück, vielleicht nur unter einem bestimmten Stichwort … wie auch immer: Die Einladung steht! Es ist sozusagen mein Vermächtnis.

Mir kommt ein Vers von Fritz Woike (deutscher Lyriker, Ende 19. Jahrhundert) in den Sinn:

„Was wir sammeln, was wir speichern, mag’s die Erben noch bereichern, einst vergeht’s. Nur der Schatz der Seelenspenden wächst, je mehr wir ihn verschwenden – nun und stets.“

Jeder vererbt das, was zur Verfügung steht – materiell habe ich nichts; also werden es „Seelenspenden“, die ich hinterlassen möchte.

An dieser Stelle danke ich all den Menschen, die mich im Laufe der Zeit mit Ein-Flüssen geprägt haben. Ich sage ganz bewusst danken, denn auch die Ein-Flüsse, die sich irgendwann als nicht so lebensfördernd entpuppt haben, gehören zu meinem Leben; sie haben genauso wie ihre lebensspendenden Geschwister ihren Anteil an meiner Entwicklung. Alles, was ich weiß, weiß ich ja letztendlich von oder durch die Begegnung mit anderen Menschen. Alles, was ich entdecke und hier mit meinem Leben verknüpfe, haben andere lange vor mir entdeckt – das zeigen die Gedichte, Zitate und Wirkworte, die jedem Kapitel vorangestellt sind.

Für die Spender besonders lebensfördernder Ein-Flüsse nenne ich hier stellvertretend Peter Schellenbaum, der mir die „Psychoenergetik“ nahe gebracht hat, mit seinen Büchern und auch persönlich im Rahmen einer Weiterbildung. Der Begriff „Spürbewusstsein“ stammt von ihm, der ihn wiederum auf Teilhard de Chardin zurückführt. Ich danke Peter Levine für seinen Ansatz „Somatic Experiencing“, entstanden als Resultat seiner Traumaforschung. Wilfried Nelles und Thomas Gessner für ihren phänomenologischen Weg mit dem „Lebensintegrationsprozess“ und Gerald Hüther, der mir auf sehr anschauliche Weise die Augen geöffnet hat für neurobiologische und psychodynamische Zusammenhänge.

Zitate, die ich bewusst verwende, sind als solche gekennzeichnet. Darüber hinaus wohnen in mir, z. T. schon seit Jahrzehnten, Wirkworte, die ich nicht mehr auf ihren Ursprung, zu ihrem Autor, zurückverfolgen kann. Mein Gedächtnis neigt dazu, Formulierungen und ganze Sätze abzuspeichern, verbunden mit einem visuellen Erinnern, in welchem Bereich einer Buchseite etwas Bestimmtes steht. Der Titel des Buches hingegen wird nicht abgespeichert. Theoretisch könnte ich so gegen das Urheberrechtsprinzip verstoßen. Das möge man mir nachsehen.

Nicht zuletzt danke ich meinem Mann, mit dem ich meine Vision von Partnerschaft in Ausgeglichenheit zwischen Bindung und Autonomie leben darf, der seit nunmehr 20 Jahren meinen Weg mit mir geht. Ohne Erwartungen, authentisch, mich geduldig und langmütig begleitend, bereit, sich selbst jederzeit in Frage zu stellen oder stellen zu lassen, ohne direktive Einflussnahme, ohne Wertung, ohne fruchtlose Diskussionen – eher mit Zwiegesprächen und Inspirationen. Jederzeit bereit, mich in Alltagsdingen zu unterstützen und mir damit Freiraum zu verschaffen.

Er hat manches, das bei mir zur Entwicklung bereitstand, „aus mir heraus geliebt“, um den wunderschönen Begriff zu wählen, den die Schweizer Psychoanalytikerin Verena Kast geprägt hat.

Peter Schellenbaum nennt es Leitbildspiegelung.

Ich nenne es Glück.

Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen,

die sich über die Dinge ziehn.

Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen,

aber versuchen will ich ihn.

Und ich kreise um Gott, um den uralten Turm

und ich kreise jahrtausendelang;

und ich weiß noch nicht,

bin ich ein Falke, ein Sturm

oder ein großer Gesang.

R. M. Rilke

Im Fluss – Seele in Bewegung

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