Читать книгу Suche, Zweifel, Liebesglück? - Britta Bley - Страница 4

2. Kapitel

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Völlig gerädert wachte Hannah am nächsten Morgen durch den schrillen Klingelton ihres Weckers auf, was sie darauf schließen ließ, dass es noch lange Zeit gedauert haben musste, bis sie der erlösende Schlaf schließlich doch noch übermannt hatte. Sie meinte sich an Schafe erinnern zu können, mit den Gesichtern von Ben, Joschi und Co. Eines hatte auch stechend grüne Augen gehabt, das musste dann wohl Pete gewesen sein. Sie schüttelte energisch den Kopf. „Möööhhhh“, entfuhr ihr zu ihrem Erschrecken ein deutlich hörbarer, blökender Laut. Ertappt blickte sie sich im Raum um.

„Kaffee, Geburtstagsgeschenk, neuer Auftrag“, schwirrten ihr die vermeintlich rettenden Gedanken unsortiert im Kopf herum, die sie wieder zu einem normalen Menschen werden lassen sollten. So hoffte sie es zumindest.

Kurzerhand warf Hannah sich die erstbesten Kleider über, lediglich darauf bedacht, dass es nicht gerade die vom Vortag waren. Ein Schwall kaltes Wasser im Gesicht kurbelte endlich ihren Kreislauf an, der sich nach der schlaflosen Nacht noch nicht so recht auf Aktivität hatte einstellen wollen. Ein bisschen Wimperntusche aufgetragen und schon würden ihre großen Augen perfekt von den leichten Schatten direkt darunter ablenken. Auf Make-up verzichtete sie aus voller Überzeugung gänzlich, was ihr zu einem natürlichen Look verhalf.

Die Frühstücksentscheidung fiel schnell zu Gunsten ihres Kaffeedealers aus. Kein dreckiges Geschirr, die beste Latte schlechthin, die Hoffnung auf ein warmes Lächeln von Joschi und überhaupt - einfach nur schnell raus! Irgendwie schien die düstere Stimmung des gestrigen Abends noch wie Pech an den Wänden zu kleben.

Das ausgelassene Frühstück und die damit gewonnene halbe Stunde hatten außerdem den positiven Nebeneffekt, dass die Straßen noch deutlich freier waren. Hannah legte ihren Arbeitsweg in Rekordgeschwindigkeit zurück. Nachdem sie ihren Schreibtisch, gesättigt, mit dem richtigen Pegel Koffein und ohne das Aufeinandertreffen unliebsamer Kollegen, erreicht hatte, war sie mehr als optimistisch, dass ein guter Tag begonnen hatte. Voller Tatendrang machte sie sich an die Arbeit. Nach kurzem Überlegen entschied sie, die Organisation des Geburtstagsgeschenks für Julia und die Arbeit miteinander zu verknüpfen. Oder müsste sie ein schlechtes Gewissen haben, wenn sie die Konzertkarten kostenlos als Teil ihrer Recherche übers Management von Twentyfour ergatterte. Wohl kaum, schließlich war es ja die Idee, die zählte und im Übrigen könnte sie die gesparten Finanzen gut in Cocktails investieren, um den Konzertabend angemessen in einer chilligen Bar ausklingen zu lassen. Vielleicht würde sie, um dem Ganzen noch eine persönliche Note zu geben, ein Bettlaken für Julia bemalen: Paul, du willst es doch auch! Verschmitzt lächelte Hannah bei dem Gedanken in sich hinein.

Den Zeitdruck im Hinterkopf habend, entschied sie kurzerhand das Telefonat mit dem Management nicht nur mit dem Ziel zu führen, Konzertkarten für Julia und sich zu erhalten, sondern sie wollte auch direkt um einen Interviewtermin und einen weiteren für eine Fotostrecke bitten. Für einen Moment überlegte sie, ob sie um eine dritte Karte für Patrick bitten sollte, war sich dann aber schnell sicher, dass er wohl kaum Lust haben würde, sie zu einer derartigen Frauenveranstaltung zu begleiten. Außerdem wollte sie ihm den demütigenden Anblick einer verschwitzen, farbverschmierten Julia ersparen, die mit irgendwelchen Teenies beim Anblick fünf halbstarker Jungs um die Wette kreischte.

Ein kurzer Blick in Hannahs Unterlagen und die gesuchte Telefonnummer war gefunden. Direkt daneben lag ihr aufgeschlagener Kalender, bereit drei neue Termine aufzunehmen. Hannah bevorzugte die traditionelle Papiervariante und übertrug nur wenige Termine in ihr Smartphone. Das führte nicht selten zu diversen Streichungen und einer Ansammlung loser Seiten. Natürlich wurde sie für ihr altertümlich anmutendes, geordnetes Chaos von so manchem Kollegen belächelt, an erster Stelle von Wiebke, was ihr in diesem Fall jedoch gänzlich egal war. Sie liebte ihren abgegriffenen Lederband, der jedes Jahr aufs Neue aktiviert wurde, wenn kurz vorm Jahreswechsel die jungfräulichen Seiten zu den vollgeschriebenen der vergangenen Monate dazu geheftet wurden, bereit mit Leben gefüllt zu werden. Und für ihre klare Handschrift hatte sie schon oft Komplimente bekommen. Sie liebte es, die blanken Seiten mit eben dieser zu füllen.

Für diese Woche war erst ein einziger Eintrag vermerkt und dabei handelte es sich um den Geburtstagstermin ihrer Herzensfreundin Julia am Donnerstag, der passenderweise mit einem kleinen Herzen verziert war. Nachdem sie im vergangenen Jahr drei Geburtstage verschlafen hatte, war sie wieder dazu übergegangen, auf die Trennung von privaten und geschäftlichen Terminen zu verzichten. Aber auf kleine Zeichnungen, die dem Ganzen eine persönliche Note verliehen, wollte sie deswegen nicht gänzlich verzichten.

Hannah wählte die angegebene Nummer und hoffte, zu dieser frühen Stunde bereits einen Ansprechpartner zu erreichen. Eine sehr dunkle, sonore Männerstimme ertönte mit den Worten: „Management Twentyfour, Maus am Apparat“, durch den Hörer.

Hannah musste schon wieder in sich hineinkichern, bei der Vorstellung an einen Hünen von Mann, der sich den Namen mit einem winzigen Nagetier teilte. Vielleicht stimmten ja abgesehen von der Größe andere Attribute des Herrn Maus mit denen einer Maus überein.

„Rehbein, von dem erfolgreichen Frauenmagazin Fruitfull, guten Morgen!“, stellte sich Hannah selbstbewusst vor, wohlweißlich, dass sie mit einem großen Anliegen an den Mann herantrat. „Wir planen einen Artikel über Twentyfour und stellen uns in dem Zusammenhang die Veröffentlichung eines Interviews vor, sowie die einer ausführlichen Fotostrecke Ihrer Jungs. Dazu würden wir uns über Termine im Laufe der Woche, spätestens aber zu Beginn der nächsten freuen. Außerdem wäre im Rahmen der Recherchearbeit der Besuch des Konzerts am kommenden Samstag in der Fabrik wünschenswert.“

Nach einer kurzen Pause erklang die sonore Stimme des Herrn Maus erneut und Hannah meinte eine leichte Verärgerung darin zu hören.

„Sie müssen mir lediglich sagen, wie viele Karten sie benötigen und ich lasse sie Ihnen unverzüglich zukommen. Was Ihr Anliegen bezüglich der Termine angeht, mache ich Ihnen für den genannten Zeitraum wenig Hoffnungen.“

Hannah war froh, noch einen Trumpf im Ärmel zu haben.

„Ich nehme an, Ihnen ist der Name unseres Magazins Fruitfull ein Begriff, auch wenn Sie vermutlich nicht gerade zu unseren Käufern zählen.“

„Ja, da haben Sie in beiden Fällen Recht“, erklang es am anderen Ende.

„Nun, der mindestens fünf Doppelseiten umfassende Artikel wird nicht nur die 750.000 Leserinnen erreichen, sondern Ihre Jungs werden auch hübsch vom Titelblatt alle Vorbeikommenden am Zeitungskiosk anlächeln. Ach ja und Konzertkarten benötige ich lediglich zwei.“

„Zum jetzigen Zeitpunkt kann ich Ihnen nur anbieten, Sie im Laufe des Tages zurückzurufen, um nach Rücksprache mit der Band und dem übrigen Management zu sehen, was noch kurzfristig möglich ist. Ich erreiche Sie unter der im Display erscheinenden Nummer?“

„Ganz genau. Dann bedanke ich mich bereits jetzt für Ihre Mühe und Kooperationsbereitschaft und freue mich auf Ihren Rückruf. Auf Wiederhören.“

„Wiederhören.“

Hannah legte strahlend den Hörer an die Seite, bereits jetzt sicher, ihr Ziel erreicht zu haben. Sie hoffte auf einen baldigen Rückruf, um keinesfalls Gefahr zu laufen, den Anruf persönlich zu verpassen. Unter keinen Umständen wollte sie die Früchte ihres Gesprächs von irgendeinem Kollegen erfahren, der lediglich mit der Entgegennahme ihrer Telefonate während der Mittagszeit betraut sein würde.

Geschäftig schob sie ihren aufgeschlagenen Terminplaner an die Seite und machte so Platz für ihren Arbeitslaptop. Auf der redaktionsinternen Internetplattform rief sie die Seite zur Buchung der dem Magazin zur Verfügung stehenden Fotografen auf.

„Für den potentiellen Zeitraum sollte es keine Schwierigkeiten geben“, entnahm Hannah in Gedanken erleichtert der Übersicht.

Neben zwei festangestellten Fotografen in Vollzeit, standen den Mitarbeitern von Fruitfull mehrere selbstständig arbeitende zur Verfügung, so dass es nur in den allerwenigsten Fällen zu Engpässen kam. Freudig stellte sie fest, dass ihr Lieblingsfotograf Malte beim jetzigen Buchungsstand ihr Mann sein könnte.

„Ja wäre er doch nur mein Mann!“, beschwor sie den Himmel.

Schon im nächsten Moment fand sie sich bei dem Gedanken ziemlich erbärmlich und verurteilte sich zutiefst dafür, jeden zweiten Mann als möglichen Partner zu betrachten und ihre Stimmung so sehr vom Aufeinandertreffen eben solcher abhängig zu machen.

„Ich werde einfach einen anderen und nicht Malte buchen. Und mich außerdem beim nächsten Kaffeetrinken nicht von Joschi bedienen lassen, sondern mich bewusst an einer anderen Kasse anstellen“, lautete die an sich selbst gerichtete Kampfansage in ihrem Kopf.

Komplett in die Arbeit vertieft hatte Hannah gar nicht bemerkt, wie die Stunden ins Land gezogen waren und sich das Büro bis auf den letzten Platz gefüllt hatte. Die Idee für den Aufmacher stand und auch erste Interviewfragen, die ihr immer wieder in den Sinn kamen, wurden kurzerhand notiert und ergaben bereits einen ordentlichen Fragenkatalog. Gut, einige müssten noch einmal überdacht oder auch gänzlich gestrichen werden, denn gerade aus denen formten sich in ihrem Kopf bereits ganze völlig verrückte Interviewpassagen.

Pete, wie geht es Ihnen als grüne Ausgabe von Terence Hill. Oh entschuldigen Sie, Terence Hill, der Partner von Bud Spencer, der mit den blauen Kontaktlinsen ist Ihnen doch ein Begriff, oder? Wie alt waren Sie doch gleich?

Mit dem einsetzenden Hungergefühl, das dem Einläuten der Mittagszeit gleich kam, schrillte das Telefon. Glücklicherweise noch gerade rechtzeitig, bevor die ersten Zweifel aufkommen konnten, dass es vielleicht doch nicht mehr mit den Terminen geklappt haben könnte.

„Redaktion Fruitfull, Rehbein, guten Tag!“, meldete sich Hannah, plötzlich hellwach.

„Maus, guten Tag Frau Rehbein. Bezüglich Ihrer Anfrage von heute Morgen kann ich Ihnen eine positive Rückmeldung geben.“

„Das freut mich zu hören. Was können Sie mir denn anbieten?“

„Als Interviewtermin kann ich Ihnen den morgigen Tag, 15 Uhr anbieten. Allerdings mit der Einschränkung, dass Ihnen lediglich Pete, der Leadsänger zur Verfügung steht. Ein Termin mit der gesamten Band wäre erst wieder Ende nächster Woche frei. Für die Fotostrecke wäre es möglich, dass Sie die Jungs zu ihrem Videodreh am kommenden Dienstag begleiten.“

„Sehr schön! Ich würde gerne beide Termine wahrnehmen. Wo soll denn das Interview stattfinden? Selbstverständlich laden wir Sie herzlich ein, zu uns in die Räumlichkeiten zu kommen oder aber ich komme gerne an einen von Ihnen gewünschten Ort.“

„Für das Interview wäre es hilfreich, wenn Sie sich pünktlich um 15 Uhr im Foyer des Hotels Krone einfinden würden, dort stehen Ihnen dann ein ruhiger Raum und eine Stunde Zeit zur Verfügung. Für die Fotostrecke möchte ich Sie bitten, am Dienstag ab 8 Uhr bereit zu stehen. Ich hoffe, Sie haben Verständnis dafür, dass der Videodreh Priorität hat und die Fotodokumentation am Rande laufen muss, ohne die Dreharbeiten zu behindern.“

„Selbstverständlich“, lenkte Hannah ein.

Nachdem noch einige organisatorische Dinge zur Sprache gekommen waren und vertragliche Feinheiten, wie Fotonutzungsrechte abgehandelt worden waren, wurde das Gespräch freundlich und mit einer Spur gegenseitigen Respekts beendet.

Schnell waren die Termine inklusive samstäglichem Konzertbesuch im Planer notiert. Fast so etwas wie Vorfreude machte sich mit Blick auf den gemeinsamen Konzertabend mit Julia in ihr breit. Wobei sie ein bisschen Sorge hatte, welche Wirkung die Musik, insbesondere der Gesang, bei erneutem Hören auf sie haben würde. Vermutlich machte sie sich ganz umsonst Sorgen und würde stattdessen doch noch in ihren Vorurteilen bestätigt, wenn sich der durch- und durchgehende Gesang vom Tonband live dann als dünnes Stimmchen entpuppen wird. Am Ende werden dennoch alle Zuschauer restlos begeistert sein, weil alles gekonnt mit jeder Menge Tanz und gutem Aussehen übertüncht wird.

Hannah ließ den Bildschirmschoner mit wechselnden, imposanten Landschaftsaufnahmen, einer Ansammlung eigener Fotografien aus vergangenen Urlauben, mit einem Knopfdruck verschwinden. Dahinter wartete noch artig die Übersicht zur Buchung der Fotografen. Ein Blick auf die Dienstagsspalte der nächsten Woche offenbarte die Auswahl zwischen Johannes und Malte.

„So ein Mist!“, fluchte Hannah in sich hinein.

Ihr wäre es lieber gewesen, ihr wäre die Entscheidung abgenommen worden. Ihr Mauszeiger wanderte zwischen dem etwas trägen, aber durchaus netten Johannes und dem attraktiven Malte hin und her. Johannes machte eine gute, solide Arbeit. Maltes Arbeiten waren dagegen etwas eigensinnig und fanden mal viel Zuspruch, hin und wieder aber auch deutliche Kritik.

„Johannes, Malte, Johannes, Malte, Johannes … Malte! Schade, Kampf verloren“, sagte sich Hannah trotzig.

Dennoch machte sich jetzt ein mehr als zufriedener Ausdruck in ihrem Gesicht breit.

Ein lautes Magengrummeln erinnerte erneut an die fällige Mittagspause und ein Blick auf die Uhr bestätigte, was der Bauch schon längst gewusst hatte. Hannah warf sich ihre Jacke über den Arm und hielt schnellen Schrittes auf Julias Schreibtisch zu. Auf der Schreibfläche zeigte sich ein ähnliches Bild, wie noch am Montagmorgen auf der von Hannah. Sichtlich erfreut hob Julia beim Eintreffen ihrer Freundin den Kopf.

„Du kommst gerade richtig zur Rettung aus dieser Papierflut. Ich glaube, ich brauche erstmal einen klaren Kopf und einen gut gefüllten Magen, um der Sache wieder Herr werden zu können.“

„Das könnte man meinen, wenn man die Berge auf deinem Schreibtisch betrachtet. Aber wie ich dich kenne, steckt da System dahinter, oder?“

„Ja, ganz genau! Aber nichtsdestotrotz benötige ich erstmal ein bisschen Abstand und die gute Gesellschaft einer noch besseren Freundin.“

Ein ausgelassenes Frauenpärchen bahnte sich den Weg durchs Büro und weiter durch die gut gefüllten Straßen, zielsicher ins erstbeste Restaurant mit Mittagstisch. Immer wieder wurden die Köpfe verschwörerisch zusammengesteckt, um kurze Zeit später wieder mit einem herzhaften Lachen auseinander zu stoben. Von trüben Gedanken und dunkel geränderten Augen war längst keine Spur mehr.

Unmittelbar nachdem Hannah und Julia sich mit ihren dampfenden Tellern an den Tisch gesetzt hatten, begann Hannah mit einem Leuchten in den Augen von ihrem neuen Projekt zu berichten und den erreichten Zwischenzielen.

„Du brennst ja plötzlich für dein neues Vorhaben. Ist dein Enthusiasmus rein beruflicher Natur oder hast du gestern noch die CD gehört und bist über Nacht zum Fan geworden? Und vermutlich hast du die in der Infomappe enthaltenen Poster schnell mal entwendet und direkt über deinem Bett platziert? Ich hätte ja auch längst eins von Paul aufgehängt, aber an der Stelle hat Patricks Verständnis leider aufgehört“, feixte Julia.

„Du spinnst ja! Ich hatte einfach einen erfolgreichen Arbeitsvormittag. Außerdem bin ich Profi und Ü-30, da lasse ich mir ganz sicher nicht von einer Teenyboyband den Verstand ausknipsen. Im Gegenteil, ich bin mehr als skeptisch. Pete wird es im morgigen Interview sicher nicht leicht mit mir haben.“

„AAAAHHHHHHH, du triffst dich schon morgen mit der Band?!“, fassungslos war Julia von ihrem Platz aufgesprungen. Und ebenso fassungslos starrten sie nun die übrigen Gäste im Restaurant an.

„Du triffst dich schon morgen mit der Band?“, wiederholte Julia nun deutlich leiser und bereits wieder im Sitzen, jedoch nicht minder aufgeregt. „Ich fasse es nicht. Wir unterhalten uns hier bereits seit einer gefühlten halben Stunde und du rückst erst jetzt und dazu auch noch so ganz nebenbei, mit dieser Hammernachricht heraus?“

„Nun krieg dich mal wieder ein! Der Interviewtermin ist morgen nur mit Pete und erst am nächsten Dienstag treffe ich den Rest der Band und damit auch deinen herzallerliebsten Paul zum Fotoshooting, zu dem mich übrigens Malte begleitet. Wenn wir schon keine Männer fotografieren, dann nehme ich mir wenigstens einen mit.“

„Du spinnst ja völlig und tust den Jungs, entschuldige Männern, komplett unrecht. Also wenn da nicht ein passendes Sahneschnittchen für jeden dabei ist, dann weiß ich auch nicht. Außerdem sollst du ja auch keinen der fünf heiraten, sondern dich nur an der guten Musik und ihrem guten Aussehen erfreuen. Sonst hast du doch auch keine Probleme damit!“

Hannah sackte ein bisschen in sich zusammen. Autsch, voll ins Schwarze getroffen. Vielleicht war ihr das einfach zu viel Klischee, neben all den Männern von nebenan auch noch einen Star anzuhimmeln. Vermutlich hätte sie sich damit noch schlechter und armseliger gefühlt, als sie es ohnehin schon ständig tat.

„Du hast gut reden, du hast deinen Patrick, der dich über alles liebt und der dich nicht mehr gehen lassen wird. Mir kommt es jetzt schon völlig ausweglos vor jemals einen Mann zu finden, der es dauerhaft mit mir aushält. Soll ich mich da vielleicht auch noch Hals über Kopf in einen Star verlieben und in eine durch und durch phantastische Vorstellung verrennen?“

„Nein, eben nicht! Du sollst einfach nur Spaß haben und die Sache nicht so bierernst nehmen!“

„Tut mir Leid, was Männer und Partnerschaft angeht, ist mir irgendwo zwischen erster Cellulitis und dreißigstem Geburtstag der Humor verloren gegangen“, seufzte Hannah.

„Nein, mir tut es Leid. Du bist die tollste Frau, die ich kenne, mal abgesehen von mir und meiner Mutter“, fügte Julia mit einem Augenzwinkern hinzu, „und ich bin mir sicher, dass der Richtige schon ganz in der Nähe ungeduldig auf dich wartet.“

Ein kurzes betretenes Schweigen machte sich im Raum breit, bis Julia erneut ansetzte und kurzerhand das Thema wechselte: „Übrigens wollte ich dich fragen, ob du Lust hast am Donnerstagabend mit Patrick, Sven und mir auf meinen Geburtstag anzustoßen? Ich hatte dir ja schon gesagt, dass ich in diesem Jahr nicht feiern will, aber nur zu Hause sitzen kann ich mir wiederum auch nicht vorstellen. Sven ist der Studienkollege von Patrick, von dem ich dir gestern schon erzählt hatte. Wir müssen ihn nicht mitschleppen, aber Patrick meinte es wäre vielleicht ganz nett.“

„Es geht um deinen Geburtstag. Natürlich hab ich nichts gegen einen weiteren Gast“, antwortete Hannah resignierend. Alles andere hätte nur eine wiederholte Diskussion zum Thema Hannah und Beziehung zur Folge gehabt, was sie unbedingt vermeiden wollte.

An Hannahs positiver Grundstimmung hatte sich nach diesem Essen nichts geändert, ein wenig aufgewühlt war sie dennoch.

Den Rückweg ins Büro hatten Hannah und Julia noch genutzt, um sich mehr oder weniger ernsthaft über mögliche Interviewfragen auszutauschen. Und schon war auch wieder das erste unbeschwerte Lachen zu hören gewesen.

Die Zeit drängte ein wenig. Auch wenn Hannah genau genommen der gesamte morgige Vormittag noch zur Verfügung stehen würde, wollte sie die Zeit lediglich für den letzten Feinschliff nutzen und das Gros bereits heute zum Abschluss bringen.

Nach einem langen Arbeitstag, der früh begonnen und sehr spät geendet hatte, schloss Hannah müde und zufrieden die Wohnungstür auf. So manche Überraschung hatte sich bei den Recherchearbeiten noch ergeben und sie zum Grübeln gebracht. Aber das Wichtigste war, dass sie ihre selbstgesteckten Ziele erreicht und damit den Weg zu einem entspannten Abend geebnet hatte. Sie entschied sich, es sich richtig schön kitschig, mit einem Buch und ein paar Kerzen in der Badewanne gemütlich zu machen. Die Badewanne war bei der damaligen Wohnungsbesichtigung neben den Holzdielen und den hohen Decken das i-Tüpfelchen gewesen, warum sie unbedingt die Wohnung hatte haben wollen. Ihren gesamten weiblichen Charme hatte sie spielen lassen, mit dem Ergebnis, dass sich der Makler tatsächlich aus der Vielzahl von Bewerben für sie entschieden hatte. Sie erinnerte sich genau, wie die Zusage ihrem weiblichen Ego damals einen gewaltigen Schub nach vorne verpasst hatte. Jetzt setzte die Badewanne bereits Staub an und wurde entgegen aller guten Vorsätze viel zu selten genutzt. Genau wie die Badekugeln, die sich noch irgendwo in der letzten Ecke des Badezimmerschrankes befinden müssten. Hannah warf als erstes die Kaffeemaschine an und klaubte dann ihre in der Wohnung verteilte Wohlfühlgarderobe zusammen. Im Vorbeigehen sah sie die CD von Twentyfour. Sie könnte sie ja mit ins Bad nehmen und in den dortigen CD-Spieler legen, falls sich herausstellen sollte, dass sie zum Lesen zu müde wäre. Die Kaffeemaschine machte ihr altbekanntes Getöse und sorgte gemeinsam mit dem aufsteigenden Duft für eine seltsame Form von Behaglichkeit.

Schließlich waren Badewanne und Kaffeetasse gefüllt und wohl temperiert, die Kerzen brannten, die Badekugel sprudelte, das Buch lag parat und auch die CD war für den Notfall eingelegt. Hannah streifte ihre Arbeitskluft vom Körper und hielt den großen Zeh testweise ins heiße Wasser, um nach kurzer Überwindung mit dem ganzen Körper einzutauchen. Der leichte Vanilleduft der Badekugel mischte sich mit dem aufsteigenden Duft des Kaffees. Genießerisch schloss sie die Augen, unmittelbar davon überzeugt, sie nicht so schnell wieder öffnen zu wollen und zu können. Also tastete sie sich mit der noch trockenen Rechten zum erhöht stehenden CD-Spieler und drückte auf Play. Mit einsetzendem Gesang war Hannah wieder, wie bereits am Vorabend, völlig gefangen von der warmen Stimme, die sie unmittelbar ins Herz traf. Aber heute war sie positiv gestimmt, besser vorbereitet und konnte es durch und durch genießen, wie die Musik ihre Seele davontrug und zum Spielball der Harmonien wurde. Eine perfekte Symbiose aus Wärme, Duft, Musik, Kerzenschein und Erfolg. Hannah reizte das Bad bis zum äußersten aus und erst das erkaltende Badewasser und ihre aufgeweichte Haut konnten sie dazu veranlassen, ihre selbstgeschaffene Wohlfühloase zu verlassen.

Hannahs zerschlissener grauer Kapuzenpullover schmiegte sich an ihren gereinigten, wohlriechenden Körper wie eine zweite Haut. Unvorstellbar, dass es jemals anders gewesen sein könnte. Mit dem Buch unterm Arm und der aufs Neue gefüllten Kaffeetasse huschte sie zu ihrem Biedermeiersofa und kuschelte sich gemütlich in ihre Wolldecke. Die gedimmte Bogenlampe aus der gegenüberliegenden Ecke erhellte den Raum nur so weit, dass Hannah die Wörter in ihrem Buch noch gerade ohne allzu große Anstrengung lesen konnte. Unmittelbar tauchte sie in die Romanwelt ein und erlebte gemeinsam mit der Protagonistin das, was man bedingungslose Liebe nennt. In der Hoffnung sie schon bald in ihrem richtigen Leben selbst erleben zu dürfen, legte sie schließlich das Buch an die Seite.

Suche, Zweifel, Liebesglück?

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