Читать книгу Es war einmal ein kleines Mädchen ... - Brooke Shields - Страница 10

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Neben all der Nähe und den Turbulenzen, die ich mit meiner Mutter durchlebte, hatte ich immer noch etwas anderes, nämlich die Beziehung zu meinem Vater und seiner Familie. Ich verbrachte ziemlich viel Zeit bei ihm in den Hamptons, wo Pop-Pop, der ehemalige Tennis-Champ, im Meadow Club in Southampton so etwas wie eine Legende war. Mom und ich verbrachten die Sommer dort draußen, besuchten meinen Dad und ließen es uns im Strandclub, in dem mein Großvater Mitglied war, gutgehen. Wir hatten dort zwar kein eigenes Haus, aber Mom wollte, dass ich meinen Dad kannte und an seiner privilegierten Existenz, die ihm seine Herkunft ermöglichte, teilhaben konnte.

Zuerst wohnten wir bei Freunden oder bei Verwandten meines Vaters, aber wir mieteten auch ein Zimmer über dem Laden Herrick Hardware in Southampton. Tagsüber war ich im Ferienlager und lernte im riesigen, rechteckigen, scheinbar Olympia-tauglichen Swimmingpool des Strandclubs zu schwimmen. Es gibt viele Fotos von mir und meinen kleinen Freundinnen, wie wir Hotdogs und Eis essen und dabei unsere kleinen Badehöschen von Lilly Pulitzer mit Blumenmotiven ohne die zugehörigen Oberteile tragen.

Als ich noch ein Baby war, nahm mich Mom mit in den Meadow Club, wenn sie dazu eingeladen wurde, und als ich älter wurde, lieferte sie mich dort am Vormittag ab und verschiedene Mütter und Familien passten auf mich auf, als wäre ich eines ihrer Kinder. Ich bin mir nicht sicher, was Mom in der Zeit, die ich im Strandclub verbrachte, tat, aber ich kann mich nicht daran erinnern, dass sie die ganze Zeit dort gewesen wäre. Sie hätte speziell eingeladen werden müssen, da sie kein Mitglied war. Mom schaffte es dennoch, sich zu beschäftigen. Sie freundete sich mit einem Barmann in einem Lokal namens Shippy’s an. Es befand sich in der Stadt und war ein beliebter Ort, um zu essen und zu trinken. Es wurde de facto zu Moms Lieblingskneipe. Sie hatte ihre Anlaufstellen in jeder Stadt, die wir gerade bewohnten. Ich kann mir vorstellen, dass Mom viele Stunden an der aus dunklem Holz gefertigten Bar dieses speziellen Etablissements verbrachte.


Es liegt eine gewisse Tragik darin, wenn ich daran denke, wie ich diesem Segment der Gesellschaft vorgestellt und dort auch willkommen geheißen wurde, während meine Mutter nur eine untergeordnete Rolle spielen durfte. Sie ließ es sich nie anmerken, ob sie sich wie eine Außenseiterin fühlte oder sich gewünscht hätte, in diese exklusive Welt aufgenommen zu werden. Retrospektiv scheint es, als ob sie es wieder einmal genossen hätte, im Grenzgebiet zwischen diesen elitären Kreisen und ihren eigenen Wurzeln, die in Newark lagen, die Grenzen zu verwischen. Ihr gefiel es gleichermaßen, mit den Ortsansässigen und den Wohlhabenden zu verkehren.

Am Ende eines Tages am Strand, wenn all die anderen Kinder in ihre großen Häuser am Meer zurückkehrten, wurde ich entweder abgeholt oder von jemandem zurück in das kleine Zimmer über Herrick’s Hardware gebracht. Es war eine sehr bescheidene Unterkunft. Die Badewanne stand in der Küche und war mit einem langen Holzdeckel bedeckt. Um baden zu können, musste man diesen Deckel abnehmen und dann Wasser einfüllen. Mein Vater wohnte bei diversen Freunden und Verwandten, die in atemberaubenden Häusern in unmittelbarer Nähe zum Ozean wohnten. Dort gab es außerdem noch Rollrasen, Swimmingpools und Gästehäuser. Ich war glücklich, egal, wo ich war, und wechselte zwischen den Herrenhäusern und dem Zimmer über dem Laden hin und her. Ich muss einfach glauben, dass ich die Nähe zu meiner Mom in diesem winzigen Zimmer gut fand. Ich fühlte mich manchmal unwohl in diesen enormen anderen Unterkünften und im Kontrast dazu einfach geborgen in unserem isolierten kleinen Nest. Ich war immer noch so jung, dass ich die sozioökonomischen Unterschiede, die diese unterschiedlichen Unterbringungen symbolisierten, nicht begriff.

Eines Nachts, als ich schon ein wenig älter war, vielleicht fünf oder sechs, waren Mom, ich und meine Freundin Lyda zusammen zu einer Dinnerparty weit draußen in den Kartoffelfeldern eingeladen. Meine und Lydas Mutter waren gleichzeitig schwanger gewesen und nun beide alleinerziehende Mütter. Zwischen ihnen bestand ein spezieller Bund, weshalb auch „Lydes“ und ich allerbeste Freundinnen wurden. Ihre Großmutter besaß ein Haus in Southampton und wir verbrachten einen Großteil des Sommers bei ihnen.

An besagtem Abend trank Mom konstant ziemlich viel. Die Erwachsenen saßen nach dem Abendessen im Wohnzimmer, während die Kinder auf dem Boden spielten. Mom machte eine Bemerkung zu den schönen Haaren eines der Mädchen. Sie streckte dann ihre Hand aus, um sie zu berühren. Als sie dies tat, verlor sie das Gleichgewicht. Mom trug immer viele Ringe, manchmal auf all ihren Fingern außer dem Daumen. Einer dieser Ringe verfing sich in den Haaren des Mädchens und sie wurde zusammen mit Moms Hand zu Boden gerissen. Die Mutter des Mädchens wurde sehr wütend und beschuldigte meine Mom, absichtlich an den Haaren ihrer Tochter gezogen zu haben. Sie sagte, dass Mom sich von ihrer Tochter fernhalten solle. Untypischerweise ließ sich Mom nicht auf eine Auseinandersetzung ein. Ursprünglich hätten wir alle über Nacht bleiben sollen, aber dieser Vorfall veränderte die Lage drastisch. Lyda rief bei ihrer Großmutter an, die schon bald darauf aufkreuzte. Lyda sagte zu mir: „Brookie, du kannst mit zu meiner Großmutter kommen, wenn du willst.“

Ich erklärte ihr, dass ich bei meiner Mutter bleiben müsse. Ich musste mich um sie kümmern.

Auch damals begriff ich, dass etwas nicht in Ordnung war. „Du hast so ein Glück, Lyda, dass du irgendwohin kannst“, sagte ich noch zu ihr. Ich war sehr jung, aber ich machte mir mehr Sorgen um das Befinden meiner Mom als um mich. Klar hätte ich die Wärme, den Komfort und die Gemütlichkeit eines hübsch dekorierten Gästezimmers in einem dramafreien Zuhause vorgezogen, aber ich fühlte mich meiner Mutter zutiefst verbunden und dazu verpflichtet, für ihr Wohlbefinden zu sorgen. Ich hätte meine Mutter niemals im Stich lassen können, indem ich mich für meine Freundin und gegen sie entschieden hätte. Ich war ja die einzige, die sich um meine Mom kümmerte, und ich machte mir ständig Sorgen, dass ihr etwas zustoßen könnte. Ich hatte ihr still versprochen, bei ihr zu bleiben und sie zu beschützen – und ich würde es nicht zulassen, dass diese Episode etwas daran ändern würde.

Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir mit dieser speziellen Familie nie wieder Kontakt pflegten. Auch kann ich mir vorstellen, dass dieser Zwischenfall die Gerüchteküche bezüglich Moms Alkoholkonsums und ihres Verhaltens zum Brodeln brachte. Nie verstand ich, warum Mom nie wen von ihrer Unschuld zu überzeugen versuchte. Alles hatte doch nur mit einer warmherzigen Geste gegenüber einem kleinen, blonden Mädchen angefangen. Und überhaupt: Warum sollte eine Erwachsene absichtlich an den Haaren eines Kindes ziehen? Mir kam das alles unfair vor und ich genierte mich für meine Mom. Es machte mich traurig.

Über die Jahre hinweg sammelte ich auch viele lustige Erinnerungen sowohl an den Strandclub als auch an die ortsansässigen Menschen. Ich erinnere mich daran, dass ich in dieser zweigeteilten Welt willkommen war und mir der Unterschied zwischen den beiden Hälften gar nicht bewusst war.

Für viele Jahre war ich einfach zu jung, um die sozialen Barrieren verstehen zu können. Mir waren von meiner Mutter sehr strenge Manieren beigebracht worden. Andere Mütter sagten gerne, wie höflich ich sei und wie gut ich mich benähme, weshalb ich auch immer zum Spielen eingeladen wurde. Bei einer solchen Verabredung zum Spielen mit einem anderen Kind trug ich nach dem Essen meinen Teller zum Spülbecken. Ich wurde schnell von der Mutter daran erinnert, dass ich das hier nicht zu tun bräuchte.

„Aber meine Mommy hat gesagt, dass ich immer meinen Teller zum Spülbecken bringen soll.“

Als ich nachhause zurückkehrte, erhielt meine Mutter einen Anruf von dieser Frau, die zu ihr sagte: „Bitte sagen Sie Ihrer Tochter, dass wir Leute haben, die für uns den Tisch abräumen. Wenn sie zu Besuch ist, braucht sie ihren Teller nicht zum Küchenbecken zu bringen.“

„Nun, wir haben keine Leute, die das für uns tun, und Sie müssen sich keine Sorgen machen, dass meine Tochter das noch einmal machen wird, weil sie nicht mehr zum Spielen kommen wird. Aufwiederhören.“

Mom lachte, als sie mir die Geschichte später erzählte. Ihr gefiel, dass eine Frau aus Newark ihrer Tochter bessere Manieren beigebracht hätte, als das Leute mit mehr Geld jemals hätten tun können.

Als ich fünf Jahre alt war, heiratete Dad Didi Auchincloss. Die Hochzeit fand am 1. Mai 1970 in Manhattan statt. Didi stammte aus einer prominenten New Yorker Familie und hatte eine dementsprechende traditionelle Ausbildung genossen. Sie war zuvor mit Tom Auchincloss, Jackie Kennedys Stiefbruder, verheiratet gewesen.

Ich kann mich nicht daran erinnern, wie wir sie getroffen haben oder miteinander ausgingen. Da ich meine Mutter und meinen Vater nie als verheiratetes Paar, das zusammenlebte, gesehen hatte, fühlte ich keinerlei Eifersucht gegenüber Dads neuer Braut. Eigentlich fand ich sie sogar sehr hübsch und alles in ihrem Haus war so elegant. Sie war zierlich und achtete auf strenge Ordnung in ihrem Leben. Sie war eine brünette, wohlerzogene und gebildete Debütantin, die mich an Jackie Onassis erinnerte. Dad hatte sich für eine Antithese zu meiner Mutter entschieden. Das muss Mom zweifellos sehr gestört haben. Es gibt ein nettes Foto, das Dad und Didi zeigt, wie sie gerade lächelnd aus einer Kirche an der Upper East Side kommen und die Straße überqueren. Dad trägt Abendanzug und Didi hat Blumen im Haar. Auf mich wirkte das wunderschön und vollkommen. Ich starrte gerne jedes Detail auf diesem Foto an, wenn ich die beiden in ihrem Apartment in der Eighty-Sixth Street besuchte. Alles daran wirkte so klassisch und schön.


Didi hatte zwei Kinder aus ihrer ersten Ehe. Ihre Tochter Diana war sechs Jahre alt und ihr Sohn Tommy war neun. Plötzlich hatte ich eine Familie und war angesichts dessen, was die Zukunft bringen würde, sehr aufgeregt. Es sollte nicht lange dauern, bis sich ein weiteres Baby ankündigte. Meine Stiefschwester Diana und ich konnten von Glück reden, dass ihre Mom und mein Dad heirateten – denn obwohl wir es damals noch nicht wussten, sollten wir Partnerinnen, Verbündete, Vertraute und lebenslange Schwestern werden.

Didi brachte schließlich meine erste Halbschwester, Marina, zur Welt, als Diana und ich sieben und sechs Jahre alt waren. Stellt euch doch bitte mal vor, wie sehr ich mich darüber freute, nun eine ältere Schwester zu sein und ein Baby zum Spielen zu haben! Ich hätte mir gewünscht, dass Mom noch ein Kind bekommen hätte, aber das war nicht möglich. Ich kann mich noch vage daran erinnern, wie sie ins Krankenhaus musste und sich einer „Frauenoperation“ unterzog. Ich schlug vor, dass wir ein Baby adoptieren könnten: „Hol doch einfach eines aus dem Findelhaus.“ Ich wollte zwar nicht, dass sie mit einem Mann zusammen war, doch wollte ich sehr wohl ein kleines Geschwisterchen. Nun hatte ich endlich eines und Mom war damit vom Haken.

Im Laufe der Jahre fingen Diana und ich an, immer mehr Zeit miteinander zu verbringen und hemmungslos gemeinsam zu lachen. Diana baute auch eine ziemlich enge Bindung zu meiner Mutter auf und Mom stellte uns oft als ihre beiden Töchter vor. Das ist doch mal unkonventionell! Didi schien keine Probleme damit zu haben, dass ihre Erstgeborene Zeit mit der Exfrau ihres Ehemanns verbrachte. Sie erlaubte Diana, sehr viel Kontakt zu uns zu haben und sich oft in unserem vergleichsweise kleinen Apartment in der Seventy-Third Street aufzuhalten. Später durfte sie sogar mit Mom und mir überall auf der Welt herumreisen. Diana und ich wurden zu äußerst innigen Freundinnen und meine Mom liebte uns beide. Alle involvierten Parteien schienen unsere Zweisamkeit zu unterstützen. Zu dritt wurden wir zu einem echten Team, wovon alle profitierten. Diana vertraute meiner Mutter, die sie wiederum aufrichtig liebte. Ich hatte nun eine Vertraute, der ich mein Herz ausschütten konnte. Während der Zeit, die Diana mit meiner Mutter und mir verbrachte, schien es, als würden wir nur Spaß haben und lachen.

Bald zogen Dad und Didi ans nördliche Ende von Long Island, da sie sich ein wunderschönes Haus in einer Gegend namens Meadowspring gekauft hatten. Das Haus war riesig und der Garten groß. Ich teilte mir bei meinen Besuchen das Zimmer mit Diana. Tom und Marina hatten ihr jeweils eigenes Zimmer.

Über die nächsten sieben Jahre hinweg sollten sich kleine Mädchen zur wachsenden Kinderschar hinzugesellen – zuerst war Cristiana und dann noch Olympia „das Baby“.

Manchmal blieb Diana in der City bei Mom und mir. Wir drei fuhren durch die Gegend in unserem silbernen Cabrio, mit offenem Verdeck, und aßen Kirschen oder Pfirsiche vom Obststand. Wir parkten vor Dads Büro, hörten laut Radio und warteten auf meinen Vater, der Diana dann wieder nach Long Island mitnahm. Es erinnerte alles ein wenig an damals, als Mom Dad gerne vor seinem alten Bürogebäude auflauerte. Mittlerweile zielte das Ganze ein wenig mehr darauf ab, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Man stelle sich ein altes, silbernes Cabrio vor, das Verdeck offen, laute Musik und Gelächter darin, das vor einem Bürogebäude voll mit Investmentbankern und Firmenbossen in der Park Avenue parkt.

Manchmal nahm Dad uns beide und manchmal nur Diana mit. Ich verbrachte viele Wochenenden auf Long Island mit Dads Familie und begleitete sie auch in die Frühlingsferien auf die Bahamas. Ich führte zwei völlig unterschiedliche Leben und hatte anscheinend keinerlei Probleme vom einen ins andere und wieder zurück zu wechseln. Bei meinem Dad herrschte Ordnung und Routine und wir alle verhielten uns dementsprechend. Es gab drei Mahlzeiten am Tag, die immer zu ungefähr denselben Tageszeiten serviert wurden. Die Kinder wuschen sich vor dem Essen und aßen oft gemeinsam mit der Nanny. Während der Dinnerpartys speisten die Erwachsenen im Esszimmer und die Kinder in der großen Küche. An Abenden, an denen Dad erst spät von der Arbeit aus Manhattan zurückkehrte, richteten ihm Didi oder die Nanny einen Teller her, den er sich dann später aufwärmen konnte. Es gab nicht viele Überraschungen. Am Ende eines Tages konnte man meinen Dad immer in seinem Arbeitszimmer vorfinden, wo er vor der Glotze saß. Die Schlafenszeit war in Stein gemeißelt und nur spätabendliches Geflüster hielt einen vom Schlafen ab.

Im krassen Kontrast dazu gab es bei meiner Mom keine festen Essenszeiten. Wir aßen oft in chinesischen oder italienischen Restaurants und später als für Kinder üblich. Es gab nur selten einmal ein warmes Frühstück. Stattdessen gingen wir in einen Feinkostladen an der Ecke, um ein Brötchen mit Butter zu essen, Kaffee zu trinken und Zeitungen wie die Daily News und die New York Post zu lesen. Wir lasen uns gegenseitig unsere Horoskope vor und genossen den Geschmack von gesüßter Butter auf dem Brötchen. Es war immer perfekt knusprig außen und weich innen. Mein Kaffee bestand vorrangig aus Milch und Zucker, aber ich liebte es, mit „Das Übliche, bitte!“ bestellen zu können.

So sah unsere Routine aus und wir liebten es. Bei Mom hatte ich nie eine Nanny und nur selten einmal einen Babysitter. Mom und ich gingen gemeinsam ins Kino und zu Vorstellungen abseits des Broadways. Wir blieben lange wach und mitunter wachte ich nicht rechtzeitig auf, um pünktlich in der Schule zu sein.

Aber wenn wieder ein Besuch bei meinem Dad auf dem Programm stand, freute ich mich über die Abwechslung, denn ich liebte es, Zugang zu unterschiedlichen Lebensstilen zu haben. Die Struktur, die die Welt meines Dads mir bot, war eine unglaubliche Entlastung angesichts der abenteuerlichen und bohemehaften Lebensweise, der ich mit meiner Mutter folgte. Gleichermaßen waren der Mangel an Routine und die Spontanität, welche das Leben mit meiner Mom charakterisierten, eine willkommene Atempause vom Alltag unter dem Dach meiner Stiefmutter.

Diese Dualität sollte später jedoch für Komplikationen sorgen. Wo gehörte ich hin? Es war so, als würde ich zwei verschiedene Leben führen. Das Umfeld, das mein Vater bereitstellte, war die Antithese zu jenem, in dem ich mit meiner alleinstehenden Mutter lebte.

Obwohl ich mich stets auf das geordnete Leben, das ich im Hause meines Vater erfuhr, freute und außerdem wusste, wie sehr ich als Familienmitglied akzeptiert war, fühlte ich mich meiner eigenen Mutter jedoch so eng verbunden, dass meine Stiefmutter für mich nie irgendeine Art von Mütterlichkeit symbolisierte. Ich warf einmal Eis in das Hemd unserer englischen Nanny, flüchtete dann und fiel hin, wobei ich mir mein Knie aufschnitt. Ich wurde ins Krankenhaus gebracht und musste definitiv genäht werden. Didi begleitete mich, als ich auf ein Bett gelegt wurde, um diese Prozedur zum ersten Mal in meinem Leben über mich ergehen zu lassen. Sie versuchte mir warmherzig die Hand zu halten, während mich der Arzt zusammenflickte, aber ich wehrte sie ab. Ich hielt mich mit einer Hand an der Seite des Bettes und mit der anderen an einem Büschel Haare auf meinem Hinterkopf fest und sagte trotzig: „Nein, danke. Du bist nicht meine Mutter.“

Ich hatte nichts gegen meine Stiefmutter – nicht im Geringsten – oder dagegen, dass mein Dad wieder geheiratet hatte. Jedoch fühlte ich mich ihr einfach nicht nahe. Ich stellte klar, dass niemand im Universum meine Mutter ersetzen könnte. Und mit allem gebührenden Respekt muss ich sagen, dass Didi das auch nie versuchte. Meine Stiefmutter war komplett das Gegenteil zu meiner Mom. Sie war winzig, systematisch und hatte auch nie einen Hang zum Drama. Sie glaubte an Protokolle und Listen. Sie war sehr penibel und ordnete sogar ihre Gewürze nach dem Alphabet. Ich versuchte alles, um sie aus dem Konzept zu bringen. Es war das Größte für mich herumzuschreien, bis sie in die Küche gerannt kam, in Sorge, ob ich mir wieder wehgetan hätte, nur um sie dann danach zu fragen, ob der Cayenne-Pfeffer nun unter „C“ oder „P“ einzuordnen wäre.

Sie roch immer gut und kümmerte sich selbst um ihre Nägel. Ich konnte oft den Nagellack vom anderen Ende des Flurs riechen und wusste stets, dass sie sich für einen subtilen Farbton entscheiden würde. Ich hingegen achtete darauf, dass meine Nägel schwarz lackiert waren, wenn ich zu Besuch kam. Didi trug immer zahlreiche Armreifen und Halsketten. Bis heute denke ich an Didi, wenn ich das Geklimper von Halsketten höre.

Im Gegensatz dazu war meine Mutter extravagant, unorganisiert und verursachte oft Chaos. Sie war regelmäßig ungestüm, trank und fluchte wie ein Bauarbeiter, sie trug feuerroten Lippenstift und Nagellack. Mom war gepflegt, aber unordentlich. Moms Vorstellung von Ordnung war es, sich wichtige Telefonnummern auf winzige Papierschnipsel zu notieren, die sie dann verlor, oder Kreditkarten mit einem der Tausenden Gummibänder, die die Tageszeitungen, die uns geliefert wurden, zusammenhielten, aneinander zu binden.

Meine Mutter gab sich nach außen hin nie ablehnend gegenüber dem anderen Leben, das ich bei meinem Vater führte, aber es gab Anzeichen, dass sie nicht alles, was es repräsentierte, gänzlich akzeptierte. Sie versuchte, es unter Kontrolle zu behalten. Zum Beispiel nahm mich Dad jeden Sommer mit, um ein Paar Slipper sowie einige kurzärmelige Lacoste-Shirts für mich zu besorgen. Ich liebte diese Ausflüge und konnte es kaum erwarten, das zu tragen, was auch die anderen Kinder trugen. Mom shoppte für mich nur in Second-Hand-Läden ein und kaufte mir nie Markenklamotten. Tatsächlich entfernte sie jedes Mal in mühsamer Kleinarbeit das kleine Krokodil, wenn ich mit einem Lacoste-Shirt nachhause kam. Das war keine einfache Aufgabe, da es mit einem widerstandsfähigen Plastikfaden befestigt war. Außerdem war es unvermeidbar, dass ein Loch zurückblieb. Mom vernähte es daraufhin mit einem Faden, der dieselbe Farbe wie das Shirt hatte – und auch wenn es brandneu war, sah es dann wie ein Second-Hand-Shirt aus. Erst dann durfte ich das – mittlerweile No-Name – Shirt anziehen. Es erstaunt mich, wie sehr sie das privilegierte Leben begehrte, aber gleichzeitig dessen Symbole verabscheute. Es war eine verwirrende Zeit für mich, aber ich wusste, dass ich da wie dort geliebt wurde. Beide Seiten behüteten und sorgten für mich auf ihre jeweils individuelle Art und Weise und von ihrer einzigartigen Perspektive aus.

Alles in allem hatten meine beiden Familien ein gutes Verhältnis zueinander. Ich war immer angenehm überrascht und aufrichtig erleichtert, dass weder meine Mutter noch mein Vater oder meine Stiefmutter jemals schlecht übereinander sprachen. Auch versuchten sie nie, mich gegen die jeweils andere Familie aufzuwiegeln oder ihre Überlegenheit zu beweisen. Ich wechselte regelmäßig hin und her und musste mich nie wie eine Verräterin fühlen. Etwas, das immer gleich blieb, war meine Zuneigung zu meiner Mutter sowie das Gefühl, dass unsere Leben für immer miteinander verbunden wären.

Einmal versagten die Bremsen unseres neuen schwarzen Jeeps, als wir in Richtung New Jersey über die George Washington Bridge fuhren. Mom wies mich schreiend an, auf den Rücksitz zu klettern und mich festzuschnallen, weil wir nicht anhalten konnten. Ich weiß noch, dass ich seltsamerweise stolz war, meinen Blick geradeaus nach vorne richtete und sagte: „Nein! Wenn du stirbst, sterbe auch ich.“ Ich war fest entschlossen. Wir fuhren von der Brücke auf den Palisades Parkway und dann eine Anhöhe hinauf, wodurch wir schließlich langsamer wurden. Wir stellten den Motor ab und waren so weit in Ordnung, aber dieses Jeep-Modell aus diesem Jahr wurde schon bald zurückgerufen. Ich bin mir sicher, dass ich mich so lebhaft an dieses Vorkommnis erinnere, weil Mom diese Anekdote selbst so gerne zum Besten gab und erzählte, dass ihre Tochter lieber sterben würde, als ohne sie zu sein. Sie durfte mitanhören, wie ich im Angesicht des Todes meine Liebe für sie verkündete. Was mehr hätte sie sich jemals wünschen können?

Ich modelte weiterhin, meine ganze Kindheit hindurch. So erhielt ich nun mehr Aufträge für Fernsehwerbungen, etwa für Tuesday Taylor, eine Puppe in der Art von Barbie, deren Haare wuchsen, wenn man auf einen Knopf drückte. Dieser Job gefiel mir, weil ich eine der Puppen behalten durfte und das andere Mädchen, mit dem ich den Clip drehte, Tuesdays Schwester Piper mit nachhause nehmen durfte. Außerdem drehte ich auch einen Werbespot für Suzy Q, was nicht annähernd so lustig war, da ich dafür die ganze Zeit diese Küchlein essen musste und mir sehr übel davon wurde. In diesem Spot spielte auch Mason Reese mit und ich weiß noch, dass ich mir dachte, seine Mom wäre eine echte Type.

Als ich neun Jahre alt war, hatte ich meine erste Filmrolle in Communion – Messe des Grauens. In dieser Horrorgeschichte wurde meine Figur von ihrer Schwester gefoltert und schließlich ermordet. Der Film spielte über weite Strecken in einer Kirche und während der Erstkommunionsfeier der jüngeren Schwester. Das Casting für die Rolle verlief eigenartig und die Geschichte davon wurde zu einer Lieblingsanekdote, die meine Mom jedem erzählte, der sie hören wollte. Wie üblich ging ich alleine ins Vorsprechzimmer, während meine Mom vor der Tür wartete. Ich wurde dann gefragt, wie ich es darstellen würde, erdrosselt zu werden. Lustigerweise war ich gerade in dem Alter, in dem meine Freunde und ich diese verrückte Sache mit unserer Atmung machten, die mich immer zum Lachen brachte. Wir pusteten die ganze Luft aus unseren Lungen und lachten dann dieses tiefe, kehlige Maschinengewehrlachen, bis wir ganz rot und verquollen waren. Wir fanden das zum Totlachen. Da unsere Gesichter so rot wurden und sich unsere Augen mit Tränen füllten, sah es ziemlich eklig und beängstigend aus. Also war ich absolut darauf vorbereitet, so zu tun, als ob ich erwürgt würde.

Mir wurde mitgeteilt, dass in der entscheidenden Todesszene meine Figur mithilfe einer Kerze erwürgt, in den Innenraum einer Diakonsbank gestopft und verbrannt würde. Auf einer solchen Bank, die man üblicherweise in Kirchen und Kapellen findet, sitzt in der Regel der Diakon oder Priester während der Messe. Zumeist ist sie aus Holz und Rückenlehne und Armstützen sind geschwungen. Während dem Vorsprechen, in einem Raum voller Menschen, fuhr ich daraufhin fort, mein erstickendes, rotes Gesicht vorzuführen. Ich hielt meinen Atem an – und ließ dann einen gewaltigen Furz. Das war mir unglaublich peinlich und ich sagte, dass ich das während der echten Dreharbeiten nicht tun würde.

Später am selben Tag, nachdem ich die Rolle bekommen hatte, erschien ich bei den Proben. Eine Gruppe von Schauspielern unterhielt sich über Sternzeichen und erkundigte sich danach, wann ich geboren wäre. Ich sagte, dass ich Zwilling sei. Eine Dame meinte: „Oh, das ist ein Luftzeichen.“

„Das wissen wir schon!“, fügte daraufhin der Regisseur mit einem Lachen hinzu. Ich lief knallrot an – und dieses Mal nicht mit Absicht. Mom fand das unerhört komisch und sollte noch für Jahre darüber lachen. Sie sagte, dass ich bei Castings vielleicht öfter mal einen an die Luft setzen sollte – damit ich mehr Rollen bekäme. Der Film erwies sich letztlich nicht als großer Erfolg an den Kinokassen, aber erlangte später den Status eines obskuren Kultklassikers.

Bald nach Communion – Messe des Grauens wurde ich von Woody Allen zu einem Vorsprechen eingeladen und prompt in seinem nächsten Film mit dem Titel Der Stadtneurotiker besetzt. Darin spielte ich das Objekt der Begierde des jungen Alvy Singers. In einer Flashback-Szene spielte ich in einer Schulaufführung zu Thanksgiving eine sexy Pilgerin. Ich stand nur zwei Tage vor der Kamera und obwohl ich kurz im Mittelpunkt stand, war ich nur eines von vielen Kindern in dieser Szene. Ich stach allerdings heraus, weil ich ganz in Weiß gekleidet war, mit wehenden Haaren, und alle anderen Kinder sich in ihren nicht zusammenpassenden Klamotten unwohl zu fühlen schienen. Woody hatte es geschafft, jedes etwas seltsam aussehende Kind in ganz New York City ausfindig zu machen. Die Szene wurde in einer Turnhalle gedreht und wir bekamen alle ein Mittagessen aus Proviantbüchsen. Zu jener Zeit hatten meine Mutter und ich einen Husky-Welpen adoptiert, den Mom mit auf das Filmset nahm, um mich zum Mittagessen zu besuchen. Ich wollte meinen Lunch nicht fertig essen und fragte Mom, wohin ich den Rest geben sollte. Sie sagte: „Gib es doch der witzigen Schnauze.“

Ich ging rüber zu einem Jungen, der sehr klein war für sein Alter sowie schwarze, ölige Haare hatte und eine Brille mit fetten Gläsern trug, um ihm mein Mittagessen abzutreten. „Ich meinte doch den Hund!“, platzte es aus Mom heraus.

Ich fühlte mich schlecht, weil ich gedacht hatte, dass der Junge die „witzige Schnauze“ wäre, und hoffte inständig, dass seine Mutter nichts von der Unterhaltung mitbekommen hatte. Zum Glück hatten weder der Junge noch seine Mutter etwas gehört. Allerdings muss ich gestehen, dass Mom und ich später am selben Tag ziemlich heftig darüber lachen mussten.

Das merkwürdigste Detail an den Dreharbeiten zu Der Stadtneurotiker war, dass Woody Allen meine Mom auf ein Date einlud und sie zusagte. Ich denke, dass es nur dieses eine Mal war und sie nur gemeinsam zu Abend aßen. Mom verließ das Apartment und unsere gute Freundin Alice, die auf der anderen Straßenseite wohnte, kam vorbei, um auf mich aufzupassen. Alice war eine junge Blondine und für mich wie eine große Schwester. Während Mom fort war, bastelten Alice und ich diese verrückten witzigen Schilder, auf denen Sachen standen wie „Ooooooh, wie war dein Date?“ oder „Hat Woody Bussi-Bussi bekommen?“ und „Hoffe, du hattest Spaß, Mom“.

Wir klebten sie quer über den ganzen Flur im sechsten Stock. Als sie dann aus dem Aufzug stieg, warteten bereits all diese lustigen Schilder auf sie und geleiteten sie auf ihrem Weg zu unserem Apartment am Ende des Flurs. Es stellte sich heraus, dass das Date unspektakulär verlaufen war. Mom erklärte, dass Woody ihr zu neurotisch sei und eine Therapie nötig hätte – und zwar zu dringend für ihren Geschmack. Es war durchaus passend, dass sie die Situation so einschätzte: Sie war eine Frau, die nie wirklich in der Lage war, sich ehrlich zu beurteilen, und einen Mann kritisierte, der ganz erpicht darauf war, seine Neurosen unter die Lupe zu nehmen. Ich verstehe ja, dass der Teil mit den Phobien bei jeder Person unattraktiv wirkt, aber Selbstreflexion ist in meinen Augen nie eine schlechte Sache.

In der fertigen Version des Films war die Flashback-Szene von der Schulaufführung nicht mehr enthalten. Meine Darstellung einer sexy Pilgerin landete somit auf dem Fußboden des Schneideraums. Ich bin mir ziemlich sicher, dass das nichts mit dem Date zu tun hatte, aber es machte Spaß, Mom deswegen auf den Arm zu nehmen und ihr zu unterstellen, dass sie etwas getan hätte, was Woody zu diesem Schritt bewogen hätte.

Mom und ich waren uns am nächsten, wenn wir miteinander lachten. Unser Humor und unser Gespür für Timing trugen zum engen Bund zwischen uns bei. Wir fanden beide dieselben Dinge lustig und das sollte uns über so manche Krise hinweghelfen. Mom verlor praktisch bis ganz zum Schluss nie ihren Witz.

Auch wenn es mit Woody nicht geklappt hatte, hatte Mom doch zwei andere erwähnenswerte Beziehungen zu dieser Zeit. Der erste Mann hieß Bob und sie fing an, sich immer wieder mal mit ihm zu treffen, als ich drei war. Ich glaube nicht, dass Mom sich jemals wirklich zu ihm hingezogen fühlte oder in ihn verliebt war, aber er war ein sehr großzügiger Mann, der uns sehr lieb hatte und vollauf akzeptierte. Er arbeitete auf Ölbohrinseln und unterstützte uns auch finanziell. Ich denke, dass Mom in ihm einen vorübergehenden Versorger sah. Allerdings wollte sie nicht noch einmal heiraten. Er war während ein paar der turbulenteren Jahre da, als Moms Trinkerei eskalierte, und gab mir dabei Halt.

Mom lernte außerdem eines Sommers im Urlaub in Brasilien einen Mann namens Antonio Rius kennen. Wir reisten zum ersten Mal nach Rio, als ich zwei Jahre alt war, sollten jedoch während meiner Kindheit immer wieder dorthin zurückkehren. Ihre Beziehung war sehr intensiv. Nie war sie schöner oder glücklicher, als wenn sie zusammen waren. Doch lebte er getrennt von seiner Frau – sie waren nicht geschieden – und seine Ehefrau drohte ihm, dass er seine Kinder nie wieder sehen würde, wenn er es wagte, eine Amerikanerin zu ehelichen. Mom war am Boden zerstört, sagte aber auch, dass er nicht der Mann wäre, in den sie verliebt sein sollte, wenn er sich tatsächlich gegen seine Kinder entschieden hätte. Sie sagte, dass sie auf ihn warten würde … was sie schließlich tatsächlich irgendwie tat.

Während dieser Jahre reagierten meine Eltern jeweils sehr unterschiedlich auf meine heranreifende Karriere. Mein Vater tat sich schwer mit meiner Berühmtheit und achtete darauf, dass sie keine Rolle in unserer Beziehung zueinander spielte. Ich weiß, dass ihm meine Tätigkeiten als Model und Schauspielerin ein Dorn im Auge waren. Er sah sich auch nie einen meiner Filme an. Eher behagten ihm noch meine Arbeiten fürs Fernsehen und in späteren Jahren schaute er sich gerne meine Auftritte in Bob-Hope-Fernsehspecials beziehungsweise meine TV-Serie Susan an. Aber damals

hatte er echt ein Problem mit meinem Leben als Model und Schauspielerin. Ich weiß noch, wie wir einmal das jährliche Familienfoto schießen wollten. Dad trat vor und sah mich an. Dann sagte er: „Jetzt posiere mal nicht, Brookie!“

Ich genierte mich und war gekränkt, verstand aber später sein inniges Bedürfnis danach, dass ich „normal“ bliebe.


Meine Mutter glaubte zwar immer an mich und ermutigte mich dazu, Risiken einzugehen und niemals aufzugeben, doch ihr selbst waren auch Zurückweisung und Verlassenwerden nicht fremd. Sie machte sich deshalb Sorgen darum, wie ich damit umgehen würde. Es war nicht so, als ob sie sich mit mir auf einer emotionalen Ebene darüber ausgetauscht hätte. Sie versuchte mich nur vor Schmerz und der Zurückweisung durch andere zu bewahren. Ironischerweise sollte es aber im Verlauf der Jahre sie selbst sein, die mich durch ihre Trinkerei am meisten im Stich ließ und mir den größten emotionalen Schmerz zufügte.

Sie konnte aber auch wunderbar sein. Ungefähr zu jener Zeit, als ich anfing, Filme zu drehen, nahm mich meine Mutter mit ins Musical Grease. In den Hauptrollen waren Adrienne Barbeau und Jeff Conaway zu sehen. Wir saßen unweit der Bühne. Das waren die Sitze, die wir uns leisten konnten – und damals erzählte mir Mom: je näher zur Bühne, desto besser. Später erfuhr ich natürlich, dass das eigentlich nicht stimmte. Wir hatten das zwar so nicht geplant, aber es war die hundertste Vorstellung der originalen Broadway-Produktion. Die Vorab-Show bestand üblicherweise aus etwas Fifties-Sound. Der DJ heizte dem Publikum ein wenig ein und brachte es dazu, zu klatschen und auf den Plätzen zu tanzen. Um diese besondere Aufführung allerdings gebührend zu feiern, hatten die Produzenten entschieden, einen Hula-Hoop-Wettbewerb auszutragen. Jeder Zuschauer durfte dabei mitmachen. Hauptsächlich Leute aus der Ära, in der Grease spielte, also den Fünfziger- und Sechzigerjahren, fühlten sich angesprochen. Der Preis für den ersten Platz war eine signierte Schallplatte, ein Foto mit den Schauspielern und eine Einladung zu ihrer Party anlässlich der hundertsten Vorstellung. Ich hatte zuvor noch nie einen Hula-Hoop-Reifen kreisen lassen, wollte aber unbedingt das Ensemble kennenlernen. Ich sprang auf und hob die Hand. Mom lächelte und erinnerte mich mit halb geschlossenem Mund daran, dass ich das zuvor noch nie gemacht hätte. Mir war das egal. Mom unterstützte mich bei allem, was ich versuchen wollte, doch dies war das erste Mal, dass ich mich für irgendetwas meldete, von dem ich überhaupt keine Ahnung hatte – und dann auch noch vor einem zahlreich erschienenen, aufgekratzten Theaterpublikum. Das hier war nicht unbedingt das Kellergewölbe einer Kirche. Sie war zwar nervös, ermutigte mich aber doch, es zu versuchen.

„Ich gehe da rauf.“

„Okay, dann hau sie aus den Schuhen.“

Nun, ich kletterte auf die Bühne, bekam einen Hula-Hoop-Reifen überreicht und begann das Ding kreisen zu lassen, als ob mein Leben davon abhinge. Da waren außer mir noch neun Erwachsene, die in den Fünfzigerjahren Teenager gewesen waren und wussten, was sie da taten. Ich war jedoch wild entschlossen. Ich sah niemanden an und bekam gar nicht mit, wenn der Reifen einer meiner Gegner zu Boden fiel und er oder sie somit ausschied. Es dauerte gar nicht lange, da waren nur mehr ein älterer Mann und ich übrig. Ich gab einfach nicht auf. Mein Reifen berührte schon fast den Boden und kam dann plötzlich wieder herauf, wobei jeder Richtungswechsel das Publikum dazu brachte, in jeweils unterschiedlichen Tonlagen zu brüllen: „Wuuuhuuuuh!“

Meine Mom konnte ihren Augen kaum trauen. Dann, in einem fabelhaften Augenblick, den ich so gar nicht wahrnahm, glitt der Reifen des Mannes zu Boden. Ich machte noch weiter, bis mich der DJ schließlich stoppte und sagte: „Nun, kleine Lady, wir sollten dich vielleicht in unser Ensemble aufnehmen! Gratulation, ich treffe dich später auf der Party!“

Ich konnte nicht einmal den donnernden Applaus hören. Als ich zurück auf meinem Sitzplatz angelangt war, begann die Show. Von der Ouvertüre bis zum großen Finale verfolgte ich die Aufführung ganz gebannt. Nach der Show traf ich die Schauspieler, ließ sie auf meiner Schallplatte zum Stück unterschreiben und nahm an ihrer Feier teil. Sie überreichten mir außerdem eine kleine Trophäe, auf der „Hula-Hoop-Sieger 1976“ stand. Von diesem Tag an, wann auch immer ich Angst vorm Versagen hatte, sagte Mom stets: „Erinnere dich an den Hula-Hoop-Wettbewerb!“

Es war einmal ein kleines Mädchen ...

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