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2. Zu diesem Buch Kleine Lese- und Praxishilfen
ОглавлениеMit den einfachen Anweisungen des Bruders Lorenz kann es einem merkwürdig ergehen: Auf den ersten Blick faszinieren und verlocken sie. Das Leben so wie dieser Klosterbruder »in beständiger Freude zubringen« – das ist es! Aber mancher macht nach anfänglicher Begeisterung später ganz andere Erfahrungen. Man spürt das Fremde, das Zeitbedingte an dem, was der Bruder uns rät. Wir erleben eine gewisse Ernüchterung, vielleicht sogar einen gewissen Überdruss, zumal wenn wir merken, dass Bruder Lorenz sich wiederholt, dass er nach einiger Zeit nichts Neues mehr zu sagen hat, sondern immer nur auf dasselbe Thema zu sprechen kommt. Und wie soll man das, was Bruder Lorenz sagt, umsetzen? Wie kann ich es in meine Lebenswelt übersetzen?
Die Botschaft des Heiligen in der Klosterküche lässt sich in einem Satz zusammenfassen: Was immer mir zu tun aufgetragen wird, tue ich aus Liebe zu Gott, indem ich mich bei all meinem Tun mit ihm unterhalte. Dabei schätzte Bruder Lorenz nicht zufällig gerade die einfachsten Verrichtungen, also Arbeiten, die rasch zur Routine werden und dem, der sich nach Abwechslung und Kreativität sehnt, eher öde und langweilig vorkommen.
Wie aber soll ich mich bei meiner Arbeit mit Gott unterhalten, wenn ich an einem Computer sitze? Wenn ich als Lehrerin vor einer Schulklasse stehe? Wenn ich als Arzt einen Patienten untersuche? Wenn ich als Busfahrer mein Fahrzeug durch den Großstadtverkehr steuere? Ich muss mich doch konzentrieren! Und was haben meine Berufsgeschäfte mit meinem Glauben zu tun? Ja, wenn ich in der Gemeinschaft der Gläubigen singe und bete, dann kann ich an Gott denken und mit ihm liebevolle Gespräche führen. Wenn ich in der Arbeitspause vor einem Berufskollegen Zeugnis von Jesus gebe, da lebe ich meinen Glauben. Aber beim Einschalten der Mikrowelle oder beim Ausräumen der Geschirrspülmaschine?
Ich selbst hatte es an dieser Stelle besonders schwer. Mein Beruf als theologischer Lehrer verlangte immer ein Höchstmaß an Aufmerksamkeit und ungeteilter Konzentration: im Unterricht mit meinen Studenten, im Seelsorgegespräch, beim Lesen der Fachliteratur, in einer Konferenz mit meinen Kollegen. Und wenn ich es doch einmal versuchte, so wie Bruder Lorenz bei meiner Arbeit an Gott zu denken, dann machten mir meine quirligen Gedanken bald einen Strich durch die Rechnung, denn die bewegten sich nicht in geordneten Bahnen und waren nur in den seltensten Fällen von frommer Art und frommem Inhalt.
Ich wäre wohl trotz allen guten Willens frühzeitig an Bruder Lorenz gescheitert, hätte ich nicht eines Tages eher zufällig und ohne Absicht eine beglückende Entdeckung gemacht, eine Entdeckung, die übrigens zunächst gar nichts mit Bruder Lorenz zu tun hatte. Was hatte sich mir da entdeckt?
Ich war verliebt, und es ging mir so wie jedem, wenn der Liebesfunke gezündet hat. Und dann hatten wir zu zweit eine kleine Reise gemacht, einen traumhaft schönen Ausflug in eine wunderschöne Landschaft, und waren miteinander glücklich gewesen. Mit meinem Fotoapparat hatte ich die schönsten Bilder unserer Fahrt festgehalten, und es war klar, was ich bei nächster Gelegenheit als Geschenk präsentieren würde: ein von mir selbst liebevoll gestaltetes Reisetagebuch! Da saß ich nun viele Abende lang an der Arbeit, beseelt von der Liebe und beseelt von dem Wunsch, etwas einzigartig Schönes zu basteln. Und siehe da – die Konzentration auf das Werk und das Spüren meiner fröhlichen Liebe waren ein einziger Vorgang! Da stand nicht eines dem anderen im Weg, sondern beides war untrennbar miteinander verschmolzen, zweierlei und doch einerlei, unvermischt und ungeteilt!
Ich weiß nicht mehr genau, wann und wie es geschah, aber irgendwann wurde mir diese Erfahrung plötzlich zum Gleichnis: Das Himmelreich, die Sache mit Gott, ist gleich einem Verliebten, der seiner Geliebten ein kostbares Geschenk machen wollte. Mit ganzer Aufmerksamkeit arbeitete er an der Gabe, und gleichzeitig spürte er in seinem Herzen mit ungeteilter Aufmerksamkeit das Glück der liebevollen Nähe des geliebten Menschen.
Später fiel mir noch mehr ein. Ich dachte daran, dass Martin Luther gelegentlich davon gesprochen hat, wie gut wir Deutschen es haben, weil in unserer Muttersprache die Worte »Gott« und »gut« aus einem Wortstamm kommen und entsprechend gut zusammenklingen und zusammenstimmen. Gott und Güte, Gott und Qualität, das kann und darf man nicht mehr auseinanderreißen, seit der Schöpfer selbst sein »Und siehe, es war alles sehr gut« (1. Mose 1,31) über sein Werk gesprochen hat. Darum ist die Liebe zu meinem Gott und mein Verlangen nach Qualität, nach der Güte meines Tuns, nicht zweierlei, sondern eins.
Es ist gut, wenn wir hier für einen Augenblick innehalten. Was ist Qualität? Wir führen das Wort so selbstverständlich ein, wir gebrauchen es dauernd in der Wirtschafts- und Warenwelt und sollten doch auch einmal fragen, wovon wir eigentlich sprechen, wenn wir Qualität einfordern. Das scheinbar so klare Wort ist nämlich eigentlich eher ein schwieriger Begriff. Sobald wir ernstlich versuchen, »Qualität« zu definieren, stoßen wir auf unüberwindliche Schwierigkeiten. Das Wort »gut« entzieht sich jedem Versuch einer Begriffsbestimmung, es entwindet sich uns, je mehr wir uns bemühen, einen klaren, praktikablen Begriff von Qualität zu gewinnen. Es scheint so, als handele es sich um ein Wort, das allem Definieren zugrunde liegt, selbst aber keiner Definition unterworfen ist. Von dem, was in Wahrheit gut ist, haben wir immer nur eine Ahnung, jedoch kein eindeutiges, sicheres und gesichertes Wissen. Ich habe Bilder von dem, was gut genannt zu werden verdient, aber diese Bilder haben keine allgemein verbindlichen Konturen, sie liefern keine präzisen Kriterien. Und doch können wir Wort und Sache nicht entbehren. Die Sehnsucht nach Qualität, nach Güte, lebt in jedem Menschen. Sie macht nirgends Halt, sondern betrifft alles, was wir tun und was uns widerfährt.
Doch noch einmal: Was meinen wir, wenn wir Qualität verlangen? Uns verlangt danach, dass das Produkt, das wir kaufen oder das wir selber fertigen, guttut. Es soll vertrauenswürdig und verlässlich sein, es soll gefallen, es soll froh machen und zufrieden. Es soll seinen Zweck erfüllen, soll lange halten und nicht so schnell kaputt gehen. Damit es dieser Ursehnsucht gerecht wird, müsste es ein Mittleres sein zwischen Pfusch auf der einen und perfektionistischem Vollkommenheitswahn auf der anderen Seite.
Zurück zum Bruder Lorenz: Ich denke, so müssen wir uns seine Küchenarbeit vorstellen. So müsste auch unsere eigene Arbeit aussehen: tätig werden wie ein Verliebter, der dem geliebten Menschen Freude bereiten will. Und dabei wird die Arbeit gut und sie wird Freude bereiten, und zwar beiden, dem, der sie tut, und dem, der das fertige Produkt genießt.
Nach diesen allgemeinen Erklärungen ist es höchste Zeit, dass wir zur Praxis kommen. Dazu einige kleine Hinweise. Es wird hilfreich sein, wenn ich mit einer bestimmten Tätigkeit beginne. Ich kann nicht gut an mehreren Stellen gleichzeitig üben. Wenn jemand keine eigene spontane Idee hat, wo er oder sie beginnen kann, mag die folgende Anregung willkommen sein: Ich beginne mit dem Tischdecken, Tischdecken für das Frühstück am Morgen, für das Mittagessen, für den Nachmittagskaffee und für das Abendessen. Tischdecken für die alltäglichen Mahlzeiten oder auch einmal für ein besonderes Festmahl mit Gästen. Am Anfang sammele ich mich für einen Augenblick auf mein Tun. Ich vergegenwärtige mir kurz, dass Gott da ist. Und ich frage mich, ob ich da bin. Letzteres scheint eine pure Selbstverständlichkeit zu sein, ist es aber keineswegs. Wie oft erlebe ich mich als nicht richtig präsent!
Und wie bin ich da? Für einen Augenblick spüre ich meine jetzige Verfassung: tatendurstig oder angespannt oder müde oder gestresst oder in Eile oder von irgendeiner Sorge angefressen. Ich begnüge mich mit der einfachen Feststellung des Ist-Zustandes. Ich werte also nicht; ich will nichts verändern und widerstehe der Versuchung, das, was jetzt ist, zu überspielen, »so zu tun, als ob«. Nur eines möchte ich sein: wach, aufmerksam, achtsam, lebendig-präsent im Hier und Jetzt. Wenn ich meine Arbeit, das Tischdecken, gut mache, wird es mir gut tun, und ich werde denen, für die ich den Tisch decke, Freude bereiten. So gehe ich ans Werk, lasse mir Zeit, gebe dem Wunsch, dass der Tisch einladend aussehen möchte, Raum. Ich tue die einzelnen Handgriffe fühlsam. Mit dem Geschirr und dem Besteck gehe ich achtsam und liebevoll um; ich freue mich an seiner schönen Gestalt, an seinen Formen, und ich spüre, wie schön es ist, wenn ich denen, die sich hier nachher zum Essen niederlassen werden, Freude mache.
Und wenn ich alleinstehend bin, so dass ich den Tisch in der Regel nur für mich selbst herrichte? Vielleicht ist das Tischdecken ja gerade dann eine heilsame, segensreiche Übung! Wieviele Singles nehmen ihre Mahlzeiten hastig ein, vielleicht so, dass sie sich nicht einmal in Ruhe setzen! Und wie groß ist die Versuchung, sich selbst zu vernachlässigen, wenn man nur für sich selbst kocht! Aber gerade dann ist es wichtig, dass ich die Botschaft höre: Du bist es wert, dass dir der Tisch liebevoll und einladend gedeckt wird! Du bist es wert, dass du dir deine Mahlzeit liebevoll zubereitest! Und – man verzeihe mir die scheinbare Naivität – wenn ich nach altem Brauch mit einem Tischgebet den Herrn Jesus selbst zu Gast an meinen Tisch bitte, damit er mir die Gaben segnet, sollte dann nicht für diesen Gast das Schönste und Beste gerade gut genug sein? Liebe sagt immer wieder: »Du sollst es gut bei mir haben!«, das ist nun einmal der Liebe Art.
Anfangs wird mir das so feierlich zelebrierte Tischdecken vielleicht unnötig umständlich vorkommen. Aber lassen wir uns Zeit; nach einiger Übung werden wir die Erfahrung machen, dass liebevoll arbeiten und flink zu Werke gehen sich keineswegs ausschließen. Irgendwann können wir unser Übungsfeld ausweiten, vielleicht auf das Blumengießen oder auf das Leerräumen der Geschirrspülmaschine oder auf eine einfache Büroarbeit oder das Kehren der Treppe oder die Reinigung der Windschutzscheibe meines Autos.
Und wenn mir trotz aller Bemühung um Konzentration bei der Arbeit die Gedanken immer wieder davonlaufen? Bruder Lorenz spricht davon, dass »unnütze Gedanken« alles verderben können, und rät, sie zu »verwerfen« (vgl. Seite 47). An dieser Stelle möchte ich dem verehrten Bruder allerdings ins Wort fallen und sagen: Lieber Bruder, ich glaube dir gerne, dass du auf diese Weise auf deinem spirituellen Weg gut vorangekommen bist. Ich stimme dir auch darin zu, dass es jammerschade ist, wenn meine Gedanken sich dauernd selbständig machen und sich beispielsweise mit der nachher zu erledigenden Steuererklärung beschäftigen, anstatt dass ich mich im gegenwärtigen Augenblick der Gegenwart meines Gottes erfreue und die Liebe, die mich mit ihm verbindet, fröhlich genieße. Aber ich fürchte, dass das Verwerfen solcher und anderer Gedanken für viele Menschen sehr leicht kontraproduktiv werden kann. Verwechselst du, lieber Bruder, nicht das so erwünschte Loslassen der zerstreuenden Gedanken mit einem willentlichen Wegwerfen? Die meisten Gedanken, die ich gewaltsam weggeworfen habe, weil sie mich in meinem Gebet oder in meiner Andacht störten, haben sich als Bumerang erwiesen: sie kamen irgendwann zurück! Und was wir vergessen wollen, setzt sich meistens besonders hartnäckig in unserem Gedächtnis fest.
Besser scheint es mir, die Gedanken Gedanken sein zu lassen. Wenn ich sie auf Abwegen entdecke, hole ich sie sanft zu meiner gegenwärtigen Arbeit zurück – wie es übrigens Bruder Lorenz an anderer Stelle auch empfiehlt. Und das tue ich, wenn es sein muss, viele Male und lasse mich davon nicht beunruhigen.
Und noch etwas wird in der Praxis wichtig sein: dass ich die unsichtbare Grenze zwischen lieblosem Pfusch und unbarmherziger Perfektion sorgsam erspüre und beachte. Auch beim liebevollen Tun der kleinen Dinge gibt es zwei Seiten, auf denen man vom Pferd fallen kann: es gibt ein Zuwenig an liebevoller Sorgfalt, doch auch ein Zuviel. Beide Fehlhaltungen aber schaden doppelt: sie schaden dem gedeckten Tisch und sie schaden mir selbst, denn mit Pfuscharbeit tue ich mir nichts Gutes, ja, ich vernachlässige, ich verpfusche mich selbst; mit jeder Grenzüberschreitung zur Perfektion aber tue ich mir selbst Zwang an und verliere so an Lebendigkeit und Freiheit. Bleibe ich jedoch in dem weiten Spielraum zwischen liebloser Pfuscherei und steriler Perfektion, dann bleibe ich im Raum der Liebe und der Freude, die mir und anderen gut tun.
Noch ein Letztes: Ich kann eine solche Übung mit einem einfachen Gebet oder einem Liedvers beginnen und sie am Ende mit einem Dankgebet beschließen. Die Liebe und die Freude werden mir sagen, was und wie ich beten kann.
Es dürfte klar sein, dass man solche gehaltvollen Texte nicht »verschlingen« kann wie einen spannenden Roman. Es empfiehlt sich, pro Tag nicht mehr als nur einen Brief oder eines der Gespräche zu lesen. Wer die kurzen Texte laut liest, kommt wohl eher zu der Erfahrung, dass die Worte des Bruders Lorenz ihn wirklich »ansprechen«.