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Tagebuch-Auszug
Оглавление29. Dezember 2011
Morgen fahren wir zum Skilaufen. Ich freue mich schon seit Wochen darauf. In den Alpen liegen mehr als zwei Meter Schnee, und herrliche Wintertage stehen uns bevor.
In der Pause zwischen Weihnachten und Neujahr schaffte ich es, einen Termin bei meiner Gynäkologin zu ergattern. Es ist eine Routine-Vorsorgeuntersuchung. Ich weiß gar nicht, wann ich das letzte Mal bei ihr war.
Ich freue mich, meine Frauenärztin zu sehen. Sie hat mich sehr kompetent bei der Geburt meiner jüngsten Tochter begleitet. Vor der Schwangerschaft war ein Myom in meiner Gebärmutter diagnostiziert worden. Verschiedene Frauenärzte meinten, aufgrund seiner Lage würde ich nicht mehr schwanger werden; kein Ei könnte sich in meiner Gebärmutter einnisten. Daraufhin verhütete ich nicht mehr – und war ein halbes Jahr später schwanger! Welch ein Glück … Und das Myom spielte während der Schwangerschaft keine Rolle.
Sie beginnt mit dem Ultraschall. Das Myom in der Gebärmutter ist jetzt ganz klein. Plötzlich sagt sie: »Was ist denn das?«
Ich sehe einen schwarzen Fleck auf dem Bildschirm.
»Das ist mehr als eine Zyste!«
Ich nehme die Panik in ihrer Stimme wahr. Sie versucht, ruhig zu bleiben, aber ich spüre, wie sich ihre Aufregung auf mich überträgt. Sie misst den schwarzen Fleck aus: »Sieben mal acht Zentimeter.«
Ich frage: »Was bedeutet das?«
»Das kann ich nicht sagen. Sie müssen sofort ins Krankenhaus. Das Ding muss raus!«
Ich denke: »Jetzt ganz ruhig bleiben«, und sage: »Ich will morgen in den Skiurlaub fahren.«
Sie schaut mich an. »Das geht auf keinen Fall. Ich empfehle Ihnen, sich jetzt sofort beim Chefarzt der Frauenklinik einen Termin geben zu lassen.«
Ich sage erst mal gar nichts. Sie macht weitere Messungen. Dann hake ich nach: »Sie sind gerade sehr erschrocken, nicht wahr?«
Sie nickt.
»Was wird bei dieser Operation passieren und wie lange werde ich im Krankenhaus bleiben müssen?«
»Das weiß ich nicht, das kann erst der Chirurg während der Operation entscheiden. Kann sein, dass nur der Eierstock betroffen ist; kann sein, dass auch die Gebärmutter und die Lymphknoten entfernt werden müssen. Es darf auf jeden Fall keine Flüssigkeit in den Bauchraum gelangen! Von der Art der Operation hängt auch ab, wie lange Sie im Krankenhaus bleiben müssen.«
Ich lasse das erst mal wirken. Dann merke ich: Ich will jetzt alleine und unter diesem Druck nichts entscheiden. Und ich will in den Skiurlaub fahren. Ich traue mich zu fragen: »Meinen Sie wirklich, es ist absolut notwendig, dass ich morgen, am 30. Dezember, ins Krankenhaus gehe? Und dass dann etwas passieren wird?«
Sie ist still, dann antwortet sie: »Stimmt, der Chefarzt ist bis zum 3. Januar in Urlaub. Aber gehen Sie in sein Sekretariat und machen Sie sofort einen Termin für den Tag aus, an dem Sie wieder zurück sind.« Zögernd stimmt sie mir zu, dass der »Tumor« nicht in einer Woche gewachsen ist. Sie informiert mich auch darüber, dass »Tumor« nur »Geschwür« bedeutet und nicht unbedingt »bösartig« heißt.
Sie bietet mir an, sofort Blut abzunehmen, um die Tumormarker zu bestimmen. Ich könne dann in drei Tagen bei ihr anrufen.
Ich lehne das ab und merke, dass ich nur noch weg will. Ich bin völlig durcheinander. Mittlerweile kostet es mich Kraft, Haltung zu bewahren.
Ich steige auf mein Fahrrad und überquere die Straße. Ich schaue weder rechts noch links. Ein Auto hupt. Ich stehe vor einer Stoßstange und kann mich gerade noch halten. Ich denke: »Es kann noch schneller gehen …« Und: »Wie lange habe ich noch zu leben?«
Ich fahre an der Klinik vorbei und verabrede den Termin bei dem mir empfohlenen Chirurgen.
Zum Glück ist momentan niemand zu Hause. Ich muss mich sammeln und frage mich, wie ich den Rest des Tages bewältigen soll. In drei Stunden werde ich meinen Sohn verabschieden, der für fünf Monate nach Island geht. »Werde ich ihn noch einmal gesund sehen?«, denke ich. Dann treffe ich meinen 84-jährigen Vater. Ihn will ich auch nicht mit Ungewissheit und Angst belasten.
Also spiele ich an diesem Tag die unbeschwerte Frau in der Begegnung mit meinen Lieben. Es fällt mir schwer. Erst abends erzähle ich meinem Partner, was ich an diesem Tag erlebt habe. Ich fange an zu weinen.
Später ruft mich eine vertraute Freundin an. Sie ist der zweite Mensch, dem ich alles erzähle. Sie hört sich das Ganze ruhig an und sagt am Schluss: »Also weißt du, ich mache mir gar keine Sorgen um dich. Ich habe ein gutes Gefühl.«
Das stärkt mich. Ich kann schlafen.
30. Dezember 2011
Wir fahren früh los. Wie in Trance habe ich gestern die Koffer gepackt, das Essen eingekauft. Ich bin froh, endlich im Auto zu sitzen und nichts tun zu müssen. Alles strengt mich an. Meine Tochter und ihre Freundin plappern voller Vorfreude. Es fällt nicht auf, dass ich still bin.
Je weiter wir uns von zu Hause entfernen, desto ruhiger werde ich innerlich. Es ist richtig, dass ich heute in den Skiurlaub fahre. Bei der Abfahrt habe ich noch gedacht: »Oder soll ich jetzt doch lieber ins Krankenhaus?« Ich habe beschlossen, nur mit meinem Partner über die Diagnose »Eierstocktumor« zu reden und sie weder den Kindern noch den Freunden, mit denen wir uns die Hütte teilen, preiszugeben.
Mein Partner legt mir während der Fahrt die Hand auf den Oberschenkel: »Du bist gesund.« Er lächelt.
»Danke!« Ich entspanne mich.
Während der Fahrt sinniere ich über meine Frauenärztin. Ich beginne, ihre Aussagen von meinem Gefühl zu trennen. Langsam schleicht sich der Gedanke ein, dass sie nicht nur aus ärztlicher Professionalität gehandelt hat, sondern in irgendeiner Weise persönlich betroffen ist. »Ob sie selbst einen bösartigen Eierstocktumor hatte – oder eine andere Patientin? Und dadurch ist sie befangen?«
Als wir die deutsch-schweizerische Grenze überqueren, fühle ich mich leichter. Ich lade meine Familie zu Kaffee und Birchermüsli ein. In zwei Stunden kommen wir an der Seilbahn an. Vorher fahren wir noch ungefähr 15 Minuten in einem Zug durch den Tunnel. Dort ist es stockdunkel. Und plötzlich habe ich die Idee: Ich kann mich ja mal selbst testen. Schauen, was mein Unterbewusstsein, meine Körperweisheit zu alldem meint. Traue ich mich?
Ja, ich traue mich.
Ich denke: »Ich habe Krebs.« Es folgt eine schwache Muskelreaktion, das bedeutet: Nein.
»Ich habe eine Zyste.« Das Ergebnis ist eine starke Reaktion, das heißt: Ja.
»Ich habe eine große Zyste am rechten Eierstock.« – Ja.
»Mein linker Eierstock ist gesund.« – Ja.
»Meine Gebärmutter ist gesund.« – Ja.
»Meine Lymphknoten sind gesund.« – Ja.
Fünfzehn Minuten im Dunkeln, die mir pure Erleichterung bringen. Als wir ins helle Licht tauchen, kann ich heute zum ersten Mal lächeln.
Wir treffen die Freunde an der Gondel, ich freue mich. Wir fahren auf den Berg, kämpfen uns durch viel Schnee zur Hütte und machen Feuer. Ich glaube, alles wird gut.
31. Dezember 2011
Heute ist Silvester. In den letzten Tagen hat es so viel geschneit, dass ich fürchte, das Dach kann die Schneelast nicht tragen. Auf manchen Dächern um uns herum schippen Menschen Schnee. Wir schippen auch. Es macht Spaß. Ich fühle mich zwar schlapp und ausgelaugt von der inneren Anspannung der letzten Tage, aber ich genieße es, im Schnee auf dem Dach zu sein. Durch die Bewegung spüre ich meinen Körper; er fühlt sich gut und kräftig an.
Kurz vor Mitternacht beschließen wir, das neue Jahr auf dem Dach zu begrüßen. Wir müssen nur einen Schritt machen, um von der Schneemauer, die das Haus umgibt, aufs Dach zu steigen. Wir tragen Sekt, Gläser und Wunderkerzen hoch. Um Punkt 24 Uhr stoßen wir an und wünschen uns ein gutes neues Jahr. Ich denke: »Wie wird es wohl für mich werden? Was wird in vier Wochen sein?« Leicht und unbefangen fühlt sich anders an.
Um uns explodieren die Lichter grell gegen den weißen Berg. Auch brennende Kerzen steigen auf. Ich habe einen sprühenden, die Farben wechselnden Vulkan mitgebracht, noch gekauft, bevor ich den Arzttermin hatte. Er steht auf dem Dachfirst und wir hören »Plopp, plopp, plopp«, wenn eine Salve von Funken sprüht. Die Mädels lachen.
1. Januar 2012
Ich wache auf im neuen Jahr. Heute lädt alles zum Skifahren ein. Als die Hütte leer ist, bitte ich meinen Partner, den Muskeltest bei mir durchzuführen. Als Erstes sage ich: »Es ist im höchsten und besten Interesse, jetzt verschiedene Aussagen abzutesten.« Damit habe ich mein höheres Selbst einbezogen. Das mache ich immer, wenn mir etwas sehr wichtig ist. Die Muskelreaktion war stark, das ist ein »Ja«.
Dann spreche ich erneut den Satz aus: »Ich habe Krebs.« Die Reaktion ist schwach, also: Nein.
»Ich habe eine Zyste.« Die Reaktion ist stark, also: Ja.
»Ich habe eine große Zyste.« Wieder eine starke Reaktion.
»Es ist in meinem höchsten und besten Interesse, die Zyste operativ entfernen zu lassen.« Die Antwort ist ebenfalls ein »Ja«.
Ich seufze. »Ich will nicht ins Krankenhaus, und ich will auch keinen Teil meines Körpers hergeben.«
»Dann probier doch erst mal mit anderen Methoden, mental, mit Überzeugungen – das ist doch deine Arbeit«, sagt mein Partner.
Ja, er hat recht. Ich balanciere die Überzeugung: »Die Zyste schmilzt dahin.« Beim Skifahren auf der Piste bewege ich mich im Rhythmus des Satzes: »Die Zyste – schmilzt dahin – die Zyste – schmilzt dahin …«, Bogen für Bogen. Ich werde in den nächsten Tagen immer wieder den Durchmesser der Zyste mit dem Selbsttest prüfen. Bei der ersten Messung hatte sie 7 mal 8 Zentimeter. Nach dem Skiurlaub werden es bei der Ultraschall-Messung 5 mal 6 Zentimeter sein.
Und trotz all dieser Unterstützung: Das Feld der Angst vor Krebs, an das ich durch die Reaktion meiner Frauenärztin angebunden wurde, ist stark. Ich sitze im Sessellift, und plötzlich bemerke ich einen Zug, der von meinem Hals in den Brustmuskel geht. Ich taste meine Lymphknoten unter dem Kiefer ab. Sind sie angeschwollen? Ich spüre eigentlich nichts, aber ich habe auch keine Erfahrung …
Abends werde ich die Lymphknoten unter meiner Achsel untersuchen und meine Brust abtasten lassen, obwohl das meine Frauenärztin schon getan und nichts gefunden hat. Nach ein paar Tagen werde ich feststellen, dass dieser Schmerz vom Hals in den Brustmuskel nachlässt. Und ich werde mich daran erinnern, dass es jedes Jahr so ist, dass während der ersten Tage des Skiurlaubs alles schmerzt: die Schulter, die Armmuskeln vom ungewohnten Stockeinsatz, die Oberschenkel und natürlich die Knie. Und nach ein paar Tagen ist mein Körper angepasst, es ist vorbei.
Aus heutiger Sicht war mein ständiges Achten auf Symptome eine Überreaktion. Aber leider ist es so – ich stehe unter dem Einfluss der Angst vor Krebs. Diese Angst kreiert ein massives energetisches Feld. Es ist nicht so leicht, sich dem zu entziehen. Ich bin froh, dass ich jeden Tag ein wenig mehr Distanz schaffen kann. Nach jedem – manchmal zwanghaften – Selbst-Muskeltest atme ich auf und entspanne mich.
Am Abend spielen wir »Activity« und ich lasse mich darauf ein; ich vergesse meinen »potenziellen« Krebs.
2. Januar 2012
Ich stelle mich auf die Skier und fahre allein ab ins Tal. Ich genieße es, aus dem Trubel herauszukommen. Es ist auf Dauer anstrengend, mit Freunden beim Frühstück zu sitzen und nicht darüber sprechen zu können, was mich tief im Inneren bewegt. Und ich weiß, dass meine Entscheidung richtig ist. Ich will den Wirbel nicht, den ich verursachen würde. Ich will mir – mit ein paar für mich wichtigen Menschen – über meine nächsten Schritte klar werden.
Im Tal kaufe ich mir die »Neue Zürcher Zeitung« und freue mich darauf, sie später in der Hütte zu lesen. Kaffee und Kuchen dazu, und vor dem Feuer sitzen, das ist es! Es schneit, und mein Leben ist schön. Ich bin dankbar dafür.
Wieder auf dem Berg und schließlich in der Hütte angekommen, mache ich es mir mit der Zeitung gemütlich. Zuerst lese ich die aktuellen Nachrichten. Dann blättere ich weiter. Unter der Überschrift »Wissen« entdecke ich einen ganzseitigen Artikel über die Bedeutung von Tumormarkern bei Eierstockkrebs. Ich blicke wie gelähmt und gleichzeitig schockiert auf das Blatt. Ich denke: »Was soll das? Ist das die Botschaft, dass ich Krebs habe?«
Ich lege die Zeitung zuerst einmal weg. Später nehme ich sie wieder zur Hand und lese den Artikel aufmerksam. Eine Zeile fällt mir in den Blick: »Bei herkömmlichen Therapien besteht bei Eierstockkrebs die Chance, noch drei bis fünf Jahre zu leben.« Ich atme auf: Noch drei bis fünf Jahre! Das ist immerhin noch viel Zeit! Bis dahin kann ich alles regeln, was nötig ist.
Ich lese weiter. Die Hauptaussage des Artikels lautet: Mit den heutigen Methoden ist die Identifikation von Tumormarkern noch zu unspezifisch, um in sehr frühem Stadium Eierstockkrebs zu erkennen und sicher zu diagnostizieren. Bestimmte Proteine, die als Tumormarker gesehen werden, werden auch von gesunden Zellen produziert. Erst die Menge macht den Unterschied. Ich denke: »Zum Glück habe ich mir kein Blut abnehmen lassen, sonst müsste ich mitten im Urlaub bei der Ärztin anrufen, um das Ergebnis zu erfragen. Erstens ist es unklar, was es bedeutet, zweitens kann ich das ruhig und mit mehr Unterstützung zu Hause durchführen lassen.«
Ich lasse von meinem Partner mit dem Armtest klären: »Ich habe Krebs.« Die Antwort lautet: Nein. »Ich bin gesund.« – Ja.
Ich überlege mir genau, mit wem ich spreche, wenn ich wieder daheim bin. Meine älteste Tochter ist Ärztin. Sie werde ich als Erstes anrufen. Ich habe sie vor unserem Urlaub nicht angerufen, da ich wie gelähmt war. Außerdem wusste ich, dass sie ebenfalls in den Urlaub fährt, und habe ihr eine glückliche und entspannte Zeit gewünscht.
Dann schicke ich einer hellsichtigen Freundin eine SMS und bitte sie um ein Telefongespräch in den kommenden Tagen.
4. Januar 2012
Heute rufe ich meine Freundin an. Ich bin aufgeregt, als ich ihr erzähle, worum es geht. Sie sagt sogleich: »Ich denke, du wirst das operieren lassen, aber damit ist dann alles erledigt.«
Mir fällt ein Stein vom Herzen. Ich vertraue ihr. Wir reden noch ein bisschen über Zysten, und sie meint: »Dieses Thema hat sehr viel mit verletzter Weiblichkeit zu tun. Jede dritte Frau in Deutschland hat eine Zyste. Schau mal, was du mit diesem Thema anfangen kannst.«
Ein wunderbarer Tipp, ich kann einiges damit anfangen.
In den nächsten Tagen schneit es. Die wichtigste Beschäftigung ist, das Dach vom Schnee zu befreien. Ich nutze die Zeit für mich und bringe verschiedene Aspekte meiner Weiblichkeit in Balance: von Verletzungen, die meine Mutter erlitten hat und die ich als Mädchen miterlebte, bis zu eigenen Verletzungen in Beziehungen zu Männern. Mein Selbst-Muskeltest ist mir dabei eine große Hilfe, ich kann mir keine bessere Möglichkeit vorstellen.
7. Januar
So beschäftige ich mich während unseres Urlaubs mit Themen rund um meine Weiblichkeit und kann die Tage mehr und mehr genießen. Obwohl heute das Tal wegen Lawinengefahr gesperrt ist und es unklar ist, ob wir morgen nach Hause fahren können, bleibe ich ganz entspannt. Am 9. Januar stehen zwar drei Arzttermine an: ein zweiter Frauenarzttermin, bei dem es mir um eine Zweitmeinung geht; der Termin mit dem Chirurgen; das Gespräch mit meiner Allgemeinärztin. Aber ich denke: »Wenn es nicht übermorgen ist, dann halt ein bisschen später.«
8. Januar
Wir fahren heimwärts. Am Abend rufe ich meine Tochter an und erzähle ihr von meinen Erlebnissen mit meiner Frauenärztin. Sie meint: »Das alles ist kein Grund zur Beunruhigung. Es gibt keine aussagekräftige Diagnose und keinen Hinweis darauf, dass du Krebs hast.« Davon bin ich mittlerweile auch fest überzeugt.
9. Januar
Trotzdem bin ich vor dem Termin mit dem zweiten Frauenarzt aufgeregt. Er untersucht mich genau und meint am Ende: »Das sieht eher wie ein Sturm im Wasserglas aus. Die Zyste ist nicht durchblutet und sehr gut beweglich.«
Ich atme auf.
Dann rät er: »Lassen Sie sich auf jeden Fall auch den zweiten Eierstock entfernen.«
Auf meine Nachfrage, warum das nötig sei, unkt er: »Die Eierstöcke haben bei Ihnen keine Funktion mehr. In zwei Jahren sind Sie wieder mit einer Zyste hier. Es dauert nur zwei Minuten länger.«
Jetzt höre ich auf, ihm zu vertrauen.
Das Argument von den nutzlosen Eierstöcken, wenn eine Frau keine Kinder mehr bekommen kann, legt mir zwei Stunden später auch der klinische Frauenarzt dar. Zum Glück bin ich darauf vorbereitet. Ich muss lange mit ihm debattieren, bis er zustimmt, dass ich meinen zweiten Eierstock behalten kann, wenn er gesund ist. Daraufhin mache ich einen Operationstermin aus.
An diesem Abend teste ich verschiedene Aussagen ab:
»Mein linker Eierstock ist gesund.« – Die Antwort: Ja.
»Es ist in meinem höchsten und besten Interesse, meinen rechten Eierstock operativ entfernen zu lassen.« – Ja.
»Es ist in meinem höchsten und besten Interesse, den linken Eierstock zu behalten.« – Ja.
»Die Klinik in XY ist der beste Ort, um mich operieren zu lassen.« – Ja.
»Es gibt noch andere Methoden, um die Zyste zu integrieren.« – Ja.
»Sie sind für mich besser als die Operation.« – Nein.
Nach nochmaligen Gesprächen mit meinem Partner und meiner Tochter entschließe ich mich endgültig für die Operation und für das Krankenhaus.
In den nächsten Tagen bin ich noch ab und zu mit der Operation beschäftigt, aber mehr in organisatorischer Hinsicht. Ich habe ein gutes Gefühl, den richtigen Weg zu begehen. Ich habe geklärt, unter welchen Bedingungen die Operation stattfinden wird. Ich fühle mich nicht ausgeliefert, sondern als diejenige, die die Entscheidungen bewusst getroffen hat. Dabei hat mir der Muskeltest – vor allem der Selbsttest – sehr geholfen.
Aus heutiger Sicht, nachdem alles vorbei und genau so gelaufen ist, wie ich es mir vorgestellt und gewünscht habe, sage ich: Durch die Diagnose meiner Frauenärztin fühlte ich mich überwältigt, hilflos und ausgeliefert. Davon konnte ich mich immer weiter distanzieren, indem ich die Beziehung zu meinem Körperwissen aufgebaut und intensiviert habe. Am Anfang noch unsicher, aber mit der Zeit immer klarer, hörte ich die Botschaft: »Ich bin gesund.« Natürlich wurde ich durch meine Mitmenschen unterstützt. Aber entscheidend sind die Zeiten, in denen ich mit mir alleine war; in denen ich mit meiner Angst gerungen habe, im Lift, beim Spazierengehen im Schnee, wenn ich nachts wach lag. Und da war der Selbst-Muskeltest, dem ich vertraute und der immer gleich ausfiel – das Beste, was ich mir vorstellen kann.