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Kindheitserinnerungen

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Ich wurde am 5. März 1952 geboren und war das zweite Kind meiner Eltern. Mein Bruder war knapp eineinhalb Jahre älter als ich.

Die Kindheit und einen großen Teil der Jugend verbrachte ich in meinem Geburtshaus in einem kleinen Ort in der Nähe von Leipzig in Waldsteinberg. Dieser Ortsteil von Brandis war weitgehend von Wald umgeben. Er stellte eine sogenannte Streusiedlung dar mit sehr wenigen Einwohnern. In der Nähe befand sich auch ein Berg, welcher sich Kohlenberg nannte. Das war immer unser Winterdomizil zum Rodeln. Ein kleiner Nebenfluss der Parthe floss mitten durch unseren Ort, genannt die Faule Parthe.

Von meinen Erinnerungen an die Kindheit sind leider nur noch Bruchstücke vorhanden. Unser Wohnhaus war einfach, klein und aus Holz, umgeben von einem über tausend Quadratmeter großen Garten. Es war alles sehr einfach eingerichtet in dieser Zeit.

Fließendes Wasser war noch unbekannt für uns. Im Garten war ein tiefer Brunnen, wo mittels einer Schwengelpumpe das Wasser nach oben gelangte. Das sehr eisenhaltige Wasser bedurfte eines Kiesfilters zum Reinigen. Erst durch das Filtern wurde es als Trinkwasser verwendbar. Regenwasser für vielfältige Zwecke wurde in Fässern aufgefangen.

Die Toilette, welche damals als Lokus oder Abort bezeichnet wurde, befand sich in den ersten Jahren in einem kleinen Verschlag im Hinterhof außerhalb des Wohnhauses. Es gab keinerlei Kanalisation. Später wurde ein kleiner Anbau am Haus mit einer Jauchengrube und einem Plumpsklosett geschaffen. Die Gülle musste regelmäßig mit einer Jauchenkelle aus der Grube geschöpft werden. Dieses Abwasser kam auf die Beete und die Wiesen.

Ich entsinne mich, dass es damals auch keinerlei Toilettenpapier gab. Jegliches Einpackpapier oder Zeitungen wurden in kleine handliche Stücke gerissen oder geschnitten und so verwendet. Wenn man das heutzutage jungen Leuten erzählt, können sie sich so etwas absolut nicht vorstellen. Wie auch!

Im Haus gab es eine Wohnküche, eine gute Stube, ein Schlafzimmer, eine kleine Speisekammer, einen fast ebenerdigen Keller, einen Raum, welcher das Waschhaus darstellte, und einen Oberboden. Kinderzimmer kannten wir nicht. Mein Bruder und ich schliefen viele Jahre mit im elterlichen Schlafzimmer.

Von meinem Vater habe ich nur eine sehr blasse Erinnerung. An ein Erlebnis denke ich aber sofort, auch wenn es heute eine sicher total unbedeutende Sache darstellt, welche kaum jemand nachvollziehen kann. Es war damals für mich ein sehr einschneidendes Erlebnis im Alter von etwa fünf Jahren. Ich hatte einen kleinen Holzsteckmann gebastelt und lief nach hinten in den Hof, um ihn stolz meinem Vater zu zeigen, aber er war wütend, vielleicht sollte ich irgendetwas machen und hatte es verträumt. Er nahm diese Figur und warf sie in hohem Bogen in die Bäume des Nachbargrundstückes. Ich war tieftraurig. Das habe ich nie vergessen und verziehen.

Weitere Erinnerungen sind sehr vage. Ich weiß nur, dass ich am Tag des tödlichen Unfalls meines Vaters nicht weinen konnte. Wie kam es dazu? Unser Vater verunglückte 1960 bei einem Betriebsunfall im damaligen Spannbetonwerk Naunhof während der Arbeit mit Hochspannung. Ein Kranauto wollte auf dem Betriebsgelände unter einer Hochspannungsleitung zu einem anderen Arbeitsplatz fahren und zerriss das Hochspannungskabel beim Durchfahren. Es kam zu einem gewaltigen Stromschlag. Der Fahrer hatte die Höhe falsch eingeschätzt. Mein Vater und ein Kollege, beide arbeiteten an diesen Strommasten, wurden der tödlichen Hochspannung ausgesetzt. Es gab keinerlei Rettung. Ein dritter hatte Glück, der sprang rechtzeitig ab, da er nicht gebraucht wurde. Meine Mutter musste uns nun allein großziehen. Es war sicher eine sehr harte Zeit für sie, das wurde mir aber erst viel später bewusst.

In die Schule ging ich ganz gern. Ich war etwas neidisch auf die anderen, da sich viele schon durch den Kindergarten kannten. Ich hatte nie die Möglichkeit, in einen Kindergarten zu gehen, da es in unserem Ort so etwas noch nicht gab. Er wurde erst gebaut, woran mein Vater wohl auch mitgewirkt hatte. So hing ich am Rockzipfel meiner Mutter. Sie war nicht berufstätig. Das war damals so üblich. Die Frau hatte die Kinder großzuziehen und den Haushalt zu machen.

Später arbeitete meine Mutter als Aushilfe in unserem kleinen Konsum, der sich gleich in unserer Straße befand.

Außer unserem Garten um das Haus herum hatten wir ein Bodenreformlandstück, welches wir auch noch bearbeiteten. Das befand sich in der Nähe unseres Hausberges, dem Kohlenberg. Dort wurde für das Vieh, welches wir besaßen, Futter angebaut. Wir hatten unter anderem Hühner, Kaninchen, Ziegen, Schafe und Katzen.

Eine Begebenheit ungefähr im Alter von sieben Jahren hat mich besonders geprägt. Unser Ort lag wie schon erwähnt am Rand eines Waldes. Im Sommer fuhren wir oft mit den Fahrrädern durch diesen Wald bis zu einem Badesee. Das war damals gang und gäbe, ohne sich darüber Gedanken zu machen. Wir Kinder unseres Ortes waren daran gewöhnt.

Eines Tages fuhr ich wieder mit meinem Bruder zum Baden. Auf dem Rückweg stritten wir uns über irgendetwas, keine Ahnung, was es war. Mein Bruder hatte meine Badesachen bei sich auf dem Fahrrad, wütend verstreute er sie auf dem Waldweg und fuhr schneller nach Hause. Ich begann alles einzusammeln. Plötzlich hielt ein Mann neben mir und sprach mich an: „Zeig mir doch mal deine Lulli.“ (Das war die Bezeichnung des weiblichen Geschlechtsorgans eines Kindes.) Ich bekam riesige Angst und begann zu weinen. Er sprach wieder auf mich ein, aber ich sagte, ich mache es nicht, und heulte wie verrückt. Endlich ließ er ab und fuhr davon. Ich machte mich so schnell wie möglich auf den Weg nach Hause.

Ich glaube, ich erzählte es gar nicht sofort, sondern erst abends meiner Mutter. Aber sie zweifelte an der Wahrheit, da ich oft fantasiereiche Dinge äußerte. Als ich immer wieder davon sprach, glaubte sie mir endlich. Viel später vermutete sie, dass es jemand von einer Familie in Waldsteinberg gewesen sein könnte.

In der heutigen Zeit wäre diese Begegnung wohl nicht so glimpflich abgelaufen, denn da werden kleine Kinder vielfach vergewaltigt oder schlimmer noch.

Mit meinem Bruder kam es sehr häufig zu Streitereien, wie so etwas unter Geschwistern üblich ist. Sicher war ich dabei auch ziemlich gnadenlos. So schlug er mir vor Wut einmal einen Stift mit einer Bleistiftmine neben das Schienenbein, die Narbe habe ich heute noch.

Ein viel größeres Missgeschick ereignete sich an irgendeinem Badetag. Ich habe absolut keine Ahnung, in welchem Alter ich da war. Ich bekam eins über die Nase, sodass das Nasenbein brach. Keiner achtete darauf, die Schmerzen gingen irgendwann vorbei.

Mir wurden diese Verletzung und ihr Ausmaß aber erst sehr viel später bewusst, da man ja als Kind nicht darauf achtet, wie die Nase aussieht. Vielleicht im Alter von elf Jahren oder noch etwas später wurde mir klar, dass sie verunstaltet war und ich eine Hakennase hatte. Sicher war das in der Zeit der Pubertät, denn da beginnt man ja seinen Körper zu erforschen. Ich war so schon keine Schönheit und nun erst recht nicht. Ich merkte, dass man auf mich schaute und sich lustig machte, teilweise nur still, aber auch mit Worten. Ich schluckte das jahrelang hinunter. Auch meiner Mutter vertraute ich mich nicht an. Ich wuchs mit Minderwertigkeitskomplexen auf. Einen richtigen Freund in der Schulzeit hatte ich dadurch nie.

Spielkameraden schon, alle aus unserem Ort. Wir trafen uns oft auf unserer Wiese am Konsumladen und spielten dort sehr häufig Völkerball oder erkundeten unsere Gegend. So war unser Hausberg mit seinen Steinbrüchen ein wahres Domizil unserer Abenteuerlust. Dort befanden sich zwei Steinbrüche, der Ostbruch, von uns immer als Alter Steinbruch bezeichnet, und der Westbruch, der Neue Steinbruch, in denen früher Granitporphyr abgebaut wurde. Erste Erschließungen des Ostbruches sollen schon 1919 gewesen sein. Diese Brüche waren für uns ein interessantes Kletterparadies. Der sogenannte Ostbruch war der gefährlichere. Aber wir als Kinder erforschten dieses Gebiet gern. Es hieß, dass in den letzten Kriegstagen des Zweiten Weltkriegs oder danach Munitionssprengungen im Bruch durchgeführt worden seien. Auf der Suche nach Schätzen entdeckten wir leere Patronenhülsen und waren stolz auf unsere Funde.

Unschöne Dinge der Schulzeit merkt man sich wohl am besten. Ich entsinne mich, dass in meiner Klasse eine Mitschülerin war, die Haarausfall hatte und eine Perücke tragen musste. Dadurch war sie sicher auch sehr bescheiden dran. Sie nahm es allerdings mit der Ehrlichkeit gar nicht genau.

Ich hatte von meiner Mutter zum zehnten Geburtstag ein neues Kopftuch aus Dederon bekommen, welches ich liebte. Das war damals so üblich, wir Mädchen gingen bei schlechtem Wetter mit Kopftuch. Nach geraumer Zeit vermisste ich es. Wo war es abgeblieben? Irgendwann entdeckte ich es auf dem Kopf meiner Mitschülerin, sie hatte es gestohlen. Ich erzählte es zu Hause meiner Mutter. Sie setzte sich mit der Mutter dieser Schülerin in Verbindung und forderte es wieder ein. Darüber war ich sehr glücklich.

Ich hatte auch eine Klassenkameradin, welche im Ort zu einer etwas besseren Gesellschaft gehörte, da ihr Vater eine kleine Buchdruckerei in Leipzig besaß. Mit ihr gab es ebenfalls ein unschönes Vorkommnis, an das ich mich erinnere. Ich denke, es war in der fünften Klasse. Sie erzählte meiner Mutter, dass wir am kommenden Tag Schulausfall hätten. Ich ging natürlich nicht in die Schule und bekam ziemlichen Ärger mit meinem Klassenlehrer. Es stellte sich heraus, dass es eine Lüge war. Wir hatten Schule. Meine Mutter klärte das in der Schulleitung und die Schulkameradin bekam eine Strafe.

Unsere Mutter legte großen Wert darauf, uns zur Ehrlichkeit zu erziehen. Das fand ich sehr gut. Wir wurden sprichwörtlich schon in der Wiege mit Ehrlichkeit gepudert.

Wir beide, mein Bruder und ich als Halbwaisen durch den tödlichen Unfall unseres Vaters, hatten die Möglichkeit, trotz Zehn-Klassen-Schulpflicht mit der achten Klasse die Schule zu beenden. Darüber wurde zu Hause beratschlagt.

Für Jungs war es allemal wichtig, zehn Jahre in die Schule zu gehen, damit sie einen ordentlichen Beruf erlernten. Ich bat meine Mutter, mich ebenfalls in der Schule zu lassen, ich wollte auch gern einen Abschluss der zehnten Klasse besitzen. Meine Mutter gestattete es mir.

Ich ging überaus gern in die Schule, besonders der Klassenlehrer meines Bruders, bei dem wir Physik hatten, trug dazu bei. Ich mochte ihn sehr, wegen ihm lernte ich wie verrückt Physik und machte darin eine Hauptprüfung. Vielleicht war er auch ein gedanklicher Vaterersatz für mich geworden, ich habe keine Ahnung.

Organisiert in den Jungen Pionieren und später in der FDJ, der Freien Deutschen Jugend, waren wir beide, mein Bruder und ich. Meine Mutter war sogar Mitglied der SED und erzog uns auch in diesem Sinne, ohne irgendwelche Bösartigkeiten dahinter zu sehen. Sie erzählte, es sei nach Kriegsschluss wichtig, um eine Arbeit erhalten zu können.

Da wir keinerlei Verwandte im sogenannten Westen hatten, wuchsen wir im Sinne der DDR auf. Klar, manches interessierte uns schon, aber in unserem kleinen Ort Waldsteinberg und meinem Schulort Beucha waren die westlichen Dinge noch nicht das Primäre.

Die von mir bereits erwähnte Schulfreundin mit dem Vater als Firmenbesitzer hatte Verbindungen mit dem sogenannten Klassenfeind. Die Familie bekam regelmäßig Westpakete mit Kaugummi, Petticoats (modische Schaumgummiunterröcke), Schokolade, Kaffee und was weiß ich noch alles. Auch Medikamente waren dabei. Meine Mutter legte mir besonders ans Herz, dass ich von der Schulkameradin auf gar keinen Fall irgendwelche Tabletten nehmen solle, weil das sehr gefährlich sei. Daran hielt ich mich absolut.

Jahre später gab es die Contergan-Missgeburten durch Medikamente, die aus Westdeutschland stammten.

Die organisierte Freizeit in der Schule machte mir Spaß. Ich war in verschiedenen Arbeitsgemeinschaften tätig. So war ich zum Beispiel beim Handball, im Chor und im Kaninchenzüchterverein. Wegen der Sportprüfung in der zehnten Klasse war ich irgendwann auch im Geräteturnen. In den Sommerferien beteiligte ich mich am Kanu-Sportverein. Die Teilnahme an diesen Vereinen war kostenlos. Wir waren im Sport im DTSB organisiert und hatten nur einen sehr geringen Monatsbeitrag zu zahlen, ich glaube, es waren 25 Pfennige.

So verging die Schulzeit und ich beendete die zehnte Klasse mit einem recht ordentlichen Ergebnis.

Nun galt es, einen Beruf zu erlernen. Die Suche begann natürlich schon in der neunten Klasse. Ich hatte nur vage Vorstellungen, was ich erlernen wollte. Mit unserem Klassenlehrer führten wir verschiedene Exkursionen in den kleinen Betrieben in Beucha durch, um eventuell den richtigen Berufswunsch herauszufinden. Das war für uns interessant. Mal interessierte mich Pelznäherin, dann Zootierpfleger, die LPG, Krankenschwester und am Schluss blieb der Wunsch, den Beruf einer Verkäuferin zu erlernen.

Eine Witwe erinnert sich

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