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Оглавление2. Kapitel
Swakopmund und die Kleinsiedlung
Wir zogen erst mal zu Onkel Pepi nach Nonidas, zehn Kilometer außerhalb von Swakopmund, wo heute die gleichnamige Burg steht.
Vater bekam dann eine Anstellung in Swakopmund bei der Firma Woermann & Brock, die zu der Zeit auch das Elektrizitätswerk betrieb. Sie suchten einen Maschinisten, der die Generatoren zur Stromerzeugung wartete. Dies bedeutete wieder Schichtdienst für Vater. Ich wurde nun nach Swakopmund umgeschult, bekam ein Fahrrad und musste von der Kleinsiedlung zur Schule in die Stadt radeln.
Inzwischen schrieben wir das Jahr 1940, ich war neun Jahre alt geworden und täglich fuhr ich mit meinem Rad zehn Kilometer zur Schule hin und auch wieder zurück. Die Fahrstraße nach Swakopmund war eine gehobelte Schotterpiste. Da sie nicht ganz gerade verlief, fuhr ich mir einen eigenen Radweg ein, um so viele Meter wie möglich abzukürzen. Horst bekam eine Klempner-Lehrstelle bei Franz Boost in Swakopmund. Zunächst fuhr auch er noch mit dem Fahrrad, bis er ein Zimmer in der Stadt mieten konnte. Vater kaufte sich ein Miele-Motorrad, um zur Arbeit zu fahren. Seine Schichteinteilung war von morgens um sieben bis um drei Uhr nachmittags, von drei Uhr nachmittags bis um elf Uhr am Abend oder von elf Uhr abends bis um sieben Uhr morgens.
Nachdem wir etwa ein halbes Jahr auf Nonidas gewohnt hatten, wurde westlich davon eine Kleinsiedlung privat zum Kauf angeboten. Es war eine ehemalige Hühnerfarm, die Eier produziert hatte. Der Betrieb war inzwischen stillgelegt worden und so stand dort nur ein kleines Wohnhaus mit nichts weiter, kein Wasser, keine Einzäunung. Die Siedlung war offiziell auf den Namen „Farm Eier“ eingetragen, was natürlich etwas albern klang und als Vater sie dann kaufte, benannte er sie gleich in „Swakopaue“ um, weil das Ufer des Swakop Riviers dort ganz üppig bewachsen war mit Eukalyptusbäumen und Tamarisken-Hainen. Wir hatten zum ersten Mal einen eigenen Besitz in Südwestafrika und zogen ganz stolz in das alte Haus ein.
Zu meiner Freude waren es jetzt „nur“ noch neun Kilometer zur Schule. Was ich nicht ahnen konnte, war, dass Vater mich, neben den täglichen Hausaufgaben und erst recht in den Ferien, auch für den Aufbau der neuen Kleinsiedlung eingeplant hatte.
Zu Anfang der Ferien montierte er immer das hintere Teil unseres Nash Lavayette ab und nietete das Rückfenster und das Dachteil hinter den Vordersitzen fest, so dass wir dann einen sogenannten Bakkie (Pick-up) mit Ladefläche hatten. Seitlich wurden noch Holzplanken zum Runterklappen angebracht. Wir waren ganz stolz auf unser Patent.
Damals war das stehende Wasser im Swakop noch trinkbar und es befand sich ein großer offener Teich in der Mitte des Riviers, wo wir zunächst Wasser schöpfen konnten. Auch unsere Gänse flogen täglich zum Teich zum Baden und dann wieder zurück in den Stall.
Fünfzig Meter vom Ufer entfernt bauten wir dann zuerst einen Brunnen, von dem aus das Wasser angetragen wurde. Ich bekam ein Joch mit Eimern auf jeder Seite über die Schulter und musste nachmittags jeweils fünf Mal Wasser holen und den Haustank auffüllen. Zugegebenermaßen stank mir diese Arbeit manchmal sehr, was ich auch öfter kundtat, aber jeder hatte seine Aufgabe, die es zu erfüllen galt. Vormittags, wenn ich in der Schule war und Vater bei der Arbeit, trug Mutter oft das Wasser. Sie versuchte, mich zu entlasten und füllte so manches Mal den Tank für mich. Ich schämte mich dann, wenn der Tank mittags bereits voll war. Es ist mir bis heute ein Rätsel, wie sie so viel laufen konnte. Ihre Eimer waren dazu auch noch größer und entsprechend schwerer. In den Ferien machte ich es wieder gut und sorgte dafür, dass der Tank immer voll war.
Vater besorgte eine Flügel-Handpumpe. Auf der Müllkippe holten wir Fünfundzwanzig-Millimeter-Stahlrohre, die die Hansa-Brauerei ausrangiert hatte. Wir bogen die Rohre gerade und so wurde endlich eine Wasserleitung gelegt. Man musste also fortan nur noch zum Brunnen gehen und pumpen. Die lästige Tragerei hatte zum Glück ein Ende. Vater stellte noch einen kleinen Windmotor über der Pumpe auf. Wenn der Wind blies, lief der Tank sogar über. Mutter legte nun einen Garten an und pflanzte Gemüse für den Hausgebrauch.
Mein Schulfreund Kurt war in Otavi zu Hause, im Nordosten des Landes. Seine Eltern hatten dort eine Farm. Kurt war in Swakopmund im Schülerheim, aber auch in den zehntägigen Ferien konnte er aufgrund der Entfernung nicht nach Hause. Er wohnte dann immer, bis zum Ende der Ferienzeit, bei uns. Schnell erledigten wir unsere tägliche Ferienarbeit auf der Kleinsiedlung und dann stromerten wir in der Gegend herum, vor allem gingen wir Onkel Pepi auf die Nerven.
1941, inzwischen herrschte seit fast zwei Jahren Krieg auf der Welt, kam plötzlich die britisch-südafrikanische Polizei und verhaftete Onkel Pepi. Sie nahmen ihn gleich mit, um ihn zu internieren. Später hörten wir dann, dass Pepi und einige seiner Freunde unvorsichtigerweise bei einer Feierlichkeit in Swakopmund nationalsozialistische Lieder gesungen hatten. Er kam, wie viele andere Deutsche aus Südwest, in das Internierungslager Andalusia in Südafrika und wir sahen ihn erst viele Jahre später wieder. Welch ein Schock das für mich und alle anderen aus dem Umfeld war! Sein Vater musste wieder selbst die Milchwirtschaft übernehmen. In dieser Zeit hielten sich meine Eltern auch mit Bekanntschaften in der Nachbarschaft sehr zurück. Es gab damals nur wenige Siedler am Rivier und man musste wirklich sehr vorsichtig sein, was man sagte, um nicht irgendwie angeschwärzt zu werden. Die Zeiten waren schlecht und zwischen den Kleinbauern herrschte große Konkurrenz. So manch einer gönnte dem anderen nicht die Butter auf dem Brot.
Nur ein Nachbar aus der Umgebung östlich von uns kam oft vorbei. Gustav war jedoch bei der „Home Guard“ und man hatte uns ohnehin gewarnt, dass er immer auf seinen Vorteil bedacht war und außerdem eine sehr eigene Rechtsauffassung besaß. Also mussten wir auch ihm gegenüber vorsichtig sein. Später haben wir ihn dann noch viel besser kennengelernt und es hat sich bestätigt, dass „Onkel“ Gustav es nicht immer so genau nahm mit dem Recht und der Wahrheit.
Er baute größere Mengen Gemüse an und schickte diese unter anderem auch nach Oranjemund, per Zugwaggon. Beim Transport ihrer Erzeugnisse von den beiden Eisenbahnstationen Nonidas und Rössing aus mussten die Siedler dann doch zusammenarbeiten, um die hohen Frachtkosten zu teilen.
Ich machte Bekanntschaft mit einem jungen Mann namens Billy King. Er war Mechaniker bei der Eisenbahn und pumpte das Wasser per Zentrifugalpumpe mit einem Petter-Motor nach Nonidas, wo es dann in großen Tanks gechlort und in die Dampflokomotiven gefüllt wurde. Billy war ein Engländer, wie er im Buche stand und sprach auch ausschließlich Englisch. Außerdem war er Junggeselle und fast zwanzig Jahre älter als ich, aber wir wurden die besten Freunde oder „Pellies“, wie man in Südwest sagt.
Herr Schieri-Lartz, Pepis Vater, verkaufte meinen Eltern zwei Kühe, Auguste und Louise. So hatten wir nun auch immer eigene Milch, Quark und Butter. Auch Vaters Qualifikationen als Schlosser hatten sich rumgesprochen und nach und nach fingen die Siedler an, ihre kaputten Motoren und Geräte zu ihm zu bringen, damit er diese nach Feierabend reparierte. Bezahlt wurde meist mit Gemüse, Eiern oder anderen nützlichen Dingen.
Ich bekam auch ein neues Fahrrad, ein Phillips, und Vater erwartete, dass dieses bis zum Ende der Schulzeit hielt. Wenn etwas kaputt ging, was aufgrund der strapaziösen Fahrten, die ich machen musste, nicht gerade selten vorkam, musste ich auf irgendeine Art einen Plan machen. Es war sehr schwierig, während des Krieges Ersatzteile zu bekommen. Wann immer ich einen neuen Mantel, Schlauch oder eine Kette für mein Fahrrad brauchte, half mir Herbert, ein Damara, der bei der Woermann & Brock-Handelskette Transportfahrer war. Er war berufsbedingt im ganzen Land unterwegs und konnte mir meistens das Nötigste besorgen. Da Südwest ja unter südafrikanischer Verwaltung stand, Südafrika wiederum britisch war, hatten wir natürlich auch deren Währung. Ich bezahlte Herbert also zehn Schilling für ein Ersatzteil und ein Pfund Kommission ging dann jeweils in seine Tasche. Wie und woher die Teile kamen, wurde lieber nicht gefragt. Auch Benzin war inzwischen rationiert und gab es nur noch über zugeteilte Coupons. Vater war froh, dass er das sparsame Miele-Motorrad hatte. Mit den Benzincoupons und auch mit Öl wurden in der Zeit die schönsten Tauschgeschäfte gemacht.
Im Oktober und November 1941, immer wenn ich von der Schule kam, konnte ich beobachten, wie sich prächtige Kumuluswolken im Inland aufbauten. Riesige Wolkentürme, die sich scharf vom blauen Wüstenhimmel abgrenzten, sah man am fernen Horizont. Dann, Anfang Dezember, kam eines Tages das Swakop Rivier ab. So heisst es, wenn sich die Trockenflüsse mit Wasser füllen, meist in Form von reissenden Fluten. Dass der Fluss wirklich vorstieß bis ins Meer, war ein sehr seltenes Schauspiel und höchstens alle paar Jahre oder sogar Jahrzehnte mal zu beobachten. Meistens war das Spektakel dann auch nach wenigen Tagen wieder vorbei. Das Flussbett des Swakop ist in der Nähe der Mündung sehr breit und das Wasser lief zuerst auf der gegenüberliegenden Seite der Kleinsiedlungen. Wir dachten, dass es eigentlich nichts zu befürchten gab, vor allem was unseren Brunnen, der viel tiefer als das Haus lag, betraf. In diesem Jahr jedoch führte der Fluss schon einige Wochen Wasser und der Pegel stieg langsam höher und höher. Der Strom wurde immer breiter und dann waren es nur noch wenige Meter bis zum Brunnen. Den Windmotor bauten Vater und ich vorsorglich ab und so wurde in den nächsten Wochen wieder mit der Hand gepumpt, Mutter vormittags und ich nachmittags, und auch Vater – je nachdem, wie er Schicht hatte.
Wir hielten den Haustank immer ganz voll und stellten weitere Fässer auf, die wir ebenfalls immer füllten, für den Fall, dass wir auch die Pumpe noch abbauen mussten.
Dann, am ersten März 1942, Vater hatte Nachtschicht gehabt und schlief, sah ich wieder, während ich von der Schule kam, ganz dicke, bedrohliche Wolkenberge am Horizont. Die Strömung hatte allerdings etwas nachgelassen. Ich ging zur Pumpe, pumpte alles voll und hörte, wie Mutter mich zum Essen rief. Irgendein Gefühl sagte mir: „Nimm die Pumpe mit!“ So schleppte ich sie mit zum Haus, woraufhin Mutter schimpfte: „Was machst du uns für unnötige Arbeit?“ Ich sagte: „Ach, morgen kann ich sie ja wieder mit runternehmen.“
Dann kam Billy mit dem Motorrad und erzählte aufgeregt, dass das Kahn Rivier sehr hoch bei Usakos stand und auch das Swakop Rivier. Der Kahn mündete in den Swakop. Billy hatte, per Telefon der Nonidas-Station, den Auftrag erhalten, die Pumpe der Bahn im Auge zu behalten. Er war noch keine fünf Minuten weg, Mutter und ich standen noch draußen, da kam eine unglaubliche Flutwelle an. Mutter rannte ins Haus, um Vater zu wecken. Ich erschrak ganz fürchterlich, aber der etwas höhergelegte große Garten von Mutter rettete uns. Durch ihn wurde ein Teil der Woge umgeleitet und diese spülte einen Hohlraum davor aus. Ein Teil des Wassers wurde so zurück zur Riviermitte geleitet. Überall um uns war Wasser, Vater wollte das Auto rausfahren – musste zu allem Übel aber erst noch einen Reifen wechseln. Er stand dabei schon bis über die Knöchel im Wasser, schaffte es aber in letzter Minute, das Auto rauszuholen und auf einen nahen Hügel zu fahren. Wir konnten nichts weiter unternehmen, alles, auch unser Haus, stand im Nu unter Wasser. Das Swakop Rivier war weit über die Ufer getreten. Nach nur zwanzig Minuten war der Höchststand erreicht und der Pegel senkte sich wieder.
Später hörten wir, dass zwei Dämme am Oberlauf des Swakop gebrochen waren, daher die große Flutwelle, die uns überrascht hatte. So gegen halb sieben kam mein Bruder mit ein paar Freunden aus Swakopmund angefahren. Wir räumten das Haus fast leer und stellten alles zum Trocknen in die Fläche. Es wurde bereits dunkel, als alles leergeräumt war. Aber nun wurde die Strömung des Swakop wieder stärker, das Rivier fing an, am Ufer zu sägen. Viel Sand wurde weggeschwemmt und wir befürchteten das Schlimmste. Vorsorglich kampierten wir bei unseren Möbeln in einiger Entfernung. Um halb eins in der Nacht war dann das Haus an der Reihe. Das Rivier nahm die Küche, das Wohnzimmer und ein Schlafzimmer mit. Ich werde niemals den nächsten Morgen vergessen, als wir vor einem halben Haus standen. Das Wasser war jedoch dort, wo sich die Reste des Gebäudes befanden, nicht mehr ganz so reißend. Mehr konnte nicht weggespült werden, da sich unterhalb der verbliebenen Mauern Granitklippen befanden.
An dem Tag ging ich natürlich nicht zur Schule und auch mein Freund Kurt sagte zum Klassenlehrer: „Entschuldigen Sie mich, aber ich muss weg, ich muss Bruno helfen.“ Er lieh sich ein Fahrrad und kam um neun Uhr bei uns an. Das, was übrig geblieben war von unserem Haus, wurde saubergemacht. Wir putzten also die Garage und die drei restlichen Zimmer. Komischerweise stand dort, wo mal die Küche gewesen war, noch der Sendling-Holzofen auf drei Beinen. Er wurde zurechtgeschoben und so konnten wir wenigstens kochen.
Billy kam vorbei und bot uns an, erst mal das Eisenbahnhaus zu nutzen. Aber Vater lehnte dankend ab, weil wir ja noch ausreichend Platz übrighatten. Die Garage wurde als Allgemeinzimmer eingerichtet und diente als Küche, Wohn- und Abstellraum und die Eltern und ich hatten noch ein Schlafzimmer. Kurt blieb über Nacht und am nächsten Morgen mussten wir zur Schule. Damals hatten wir auch samstags Schule bis um zwölf Uhr. Wir schwänzten allerdings und ließen den Lehrer glauben, dass wir noch helfen mussten.
Was wir noch besaßen, wurde nach und nach wieder eingeräumt. Vieles war jedoch der Flut zum Opfer gefallen, der Garten und alle Gartengeräte waren weg, Amboss und Schraubstock, Eimer, Wassertank und sogar die Wasserleitung, alles war weg. Später fanden wir lediglich noch eine Harke und einen Spaten. Billy sagte, wir sollten bei ihm auf der Station mal schauen kommen, wie schief der Wasserturm seiner Pumpanlage stand. Die Flut hatte alles auf einer Seite ausgewaschen und nun sackte der Turm stark ab. In ihm befanden sich der Putter-Motor und die Stufenpumpe, zum Glück unversehrt. Herr Utech, der Eisenbahnmechaniker, kam und setzte die Maschinen mit Baken und Eisenbahnschienen gerade, so dass wenigstens Wasser nach Nonidas-Station gepumpt werden konnte. Bis heute steht der schiefe Turm noch an derselben Stelle.
Kühe, Gänse und Hühner hatten wir, im Gegensatz zu anderen Siedlern zum Glück nicht verloren – es gab aber kein Futter mehr im Rivier und so musste Vater für viel Geld trockene Luzerne bei Woermann & Brock kaufen. Der Swakop floss noch bis Ende April, die letzten zwei Wochen weniger, so dass man vorsichtig darin waten konnte. Man musste nur aufpassen, dass man im schwammigen Sand nicht wegsackte. Viele Kühe und Schweine von Onkel Gustav mussten ausgebuddelt und rausgezogen werden. Einige der Tiere verreckten auch. In der Mitte vom Rivier war eine schmale Insel übrig geblieben. Da entdeckte ich noch viel Schilf, was ich zu meinem eigenen Leid Vater berichtete. Es wurde sofort eine Sichel gekauft und Bruno musste fortan nachmittags Schilf schneiden und nach Hause bringen, da die Kühe zu ihrer eigenen Sicherheit im Stall bleiben mussten. Vater sagte: „Da du ja jetzt nicht mehr pumpen musst, kannst du auch Schilf holen.“ Nun ja, die Kühe waren dankbar, nur ich nicht so sehr.
Unterhalb unserer Wohn-Ruine wurde ein Fass als Brunnen eingebuddelt, die Pumpe aufgestellt und das Wasser unter das verbliebene halbe Dach der nicht mehr existierenden Küche gepumpt. So ging dann alles wieder langsam seinen Gang, Vater musste wieder ins E-Werk, ich zur Schule und Mutter legte einen neuen, allerdings viel kleineren Garten an.
Eines Tages, Anfang 1943, erzählte uns Billy, dass zwischen Schieri/Nonidas und Onkel Gustavs Grundstück Land von der Stadtverwaltung angeboten wurde, welches keiner bewirtschaftete. Mein Vater und ich kannten das Gelände und gingen daraufhin zum Magistrat, um einen Kaufantrag zu stellen. Der Magistrat füllte mit uns alle Formulare aus und schickte den Antrag nach Windhoek zum Tintenpalast, dem Sitz des Parlaments. Die Magistrats-Sekretärin war sehr freundlich und uns Deutschen gut gesinnt. Sie fragte immer wieder nach bei der Obrigkeit und legte ein gutes Wort ein. Die Antwort lautete dann aber doch: Da wir Reichsdeutsche waren, hatten wir nicht das Recht, Land zu erwerben. Man bot uns jedoch an, das Stück über einen Zeitraum von zwanzig Jahren zu pachten und zu bewirtschaften. Meine Eltern stimmten sofort zu und beauftragten einen Landvermesser mit der Vermessung. Wir bezahlten fünf Pfund Pacht im Jahr.
Jetzt ging es erneut an die Arbeit, Vater wünschelte nach Wasser und wir stellten einen Arbeiter vom Owambo-Stamm ein. Der musste zunächst ein großes Loch graben. Ich half nachmittags dabei und nach ungefähr drei Metern Tiefe erreichten wir Wasser. Dieses war süß, gut und trinkbar. In den zehntägigen Ferien kam, wie üblich, Kurt mit auf die Kleinsiedlung und wir schufteten nun zusammen an dem neuen Brunnen. Vater besorgte alte Blechplatten, ein Ring wurde gebaut, Zement und zwei Schubkarren gekauft. Als der erste Ring endlich gegossen war, waren die Ferien schon wieder um. So ging es nun nachmittags weiter – Vater, der Owambo und ich. Ringe wurden gegossen, dann wurde wieder geschaufelt und allmählich sackte der Brunnen in die Tiefe. Eine alte Zentrifugalpumpe wurde bei der Salzkompanie von Herrn Klein abgesahnt und ein alter Schlüter-Motor musste dann die Pumpe antreiben.
Mutter benutzte nun meines Bruders Fahrrad, da dieser es nach seinem Umzug nach Swakopmund nicht mehr brauchte. Sie fuhr jeden Tag von unserer alten Siedlung zur neuen, um Zementsteine zu gießen. Vater hatte dafür eine Form gebaut, so dass man jeweils drei Steine am Stück formen konnte. Mit diesen Steinen sollte ein neues Haus gebaut werden.
Wie schon erwähnt, wurde Benzin durch die Vergabe von Coupons rationiert. Wir bekamen pro Monat zehn Gallonen Benzin für das Auto und drei für das Motorrad. Da dies sehr wenig war, wurde viel mit Benzincoupons geschmuggelt und gehandelt. Onkel Gustav war hier ganz in seinem Metier. Er hatte sich den Transportauftrag ergattert, Diesel für den Pumpmotor von Nonidas-Station zur Pumpe zu fahren. Für die Fahrten bekam er Diesel-Coupons, nur dass er gar kein Fahrzeug hatte, stattdessen transportierte er die Dieselfässer mit dem Eselskarren. So hatte er die begehrten Coupons zum Handeln zur Verfügung, wovon auch wir profitierten. Und auch die Füllmenge der Dieselfässer, die Onkel Gustav bei der Pumpe ablud, entsprach selten der ursprünglich geladenen Menge. Unterwegs gab es immer Schwund.
Vater kaufte für fünf Pfund einen Eineinhalbtonner-Pick-up der Marke Whippet bei Herrn Wenk, der Maurerarbeiten in Swakopmund verrichtete und einen größeren Laster brauchte. Mit diesem Whippet lernte ich schon mit elf Jahren Auto fahren. Das viele Holz, welches der Swakop vom Inland hergespült hatte, fuhr ich damit zur Siedlung. Wir benutzten das Holz zum Anfeuern des Küchenherdes und zum Bau der Einzäunung der neuen Siedlung.
Mit Mutters Zementsteinen wurden drei Zimmer gebaut, gleich neben dem Brunnen. Später wurde vergrößert und ein Badezimmer angebaut. Ende 1943 konnten wir dann endlich in das neue Haus umziehen. Onkel Gustav, der jetzt unser direkter Nachbar war, kam nun noch öfter zu Besuch, wobei wir beim Abschied immer darauf achteten, dass er nichts mitgehen ließ, da er sich ganz gerne Dinge aneignete, die er selbst gut gebrauchen konnte.
Zu meinem Leidwesen war mein Schulweg jetzt wieder zwei Kilometer weiter. Um sechs Uhr dreißig fuhr ich morgens mit dem Rad los. Meistens war dicker Nebel und so kam ich dann pitschnass in Swakopmund an. Wenn der Ostwind allerdings von hinten blies, raste ich mit dem Wind im schnellen Tempo zur Stadt, aber wehe, wenn er mittags immer noch wehte. Dann musste ich das Fahrrad im Gegenwind schieben und kam halb verdurstet erst um drei oder halb vier zu Hause an.
Die Schule selbst war eigentlich recht vergnüglich. Kurt und ich heckten oft Streiche aus. Einmal fing ich auf dem Schulweg eine große Maus ein, die ich in meine Frühstücksbox sperrte. In der Schule angekommen dachten sich Kurt und ich sofort einen Plan aus. Als dann Fräulein Storm die Lehrstunde führte, ging ich zur Tafel und putzte diese, in meiner Tasche befand sich die Maus. Kurt ging zur Ablenkung mit einem Buch zum Lehrerpult und fragte Fräulein Storm etwas. Ihre Handtasche stand zwischen Pult und Tafel auf dem Boden und schnell landete die Maus darin. Die ganze Klasse wartete nun gespannt auf die weiteren Geschehnisse, aber leider passierte gar nichts. Fräulein Storm nahm nach der Unterrichtsstunde ihre Bücher in den Arm, schloss ihre Handtasche und verließ den Klassenraum. Sie unterrichtete die nächste Stunde nun im Nachbarzimmer. Es verging eine ganze Weile, wir waren bereits in den nächsten Lehrstoff vertieft, da gab es plötzlich einen lauten Schrei nebenan, gefolgt von Gepolter und aufgeregten Rufen. Fräulein Storm hatte ein Taschentuch aus der Handtasche nehmen wollen, als die Maus heraussprang und durch das ganze Klassenzimmer rannte. So war es uns gelungen, nicht nur eine Lehrerin, sondern gleich ein ganzes Klassenzimmer zu erschrecken. Natürlich kam heraus, wer dahintersteckte und ich bekam mal wieder eine Verwarnung.
Trotz der Arbeit auf der Kleinsiedlung waren die Ferien am schönsten. Und zumindest den Sonntag hielten die Eltern frei. Mutter pflanzte Gemüse an und Vater nahm die Ernte im Rucksack mit zur Stadt, wo er sie an Privatkundschaft verkaufte. Da es jedoch immer mehr Abnehmer für das Gemüse gab, musste er bald immer mit dem Auto fahren. Das Hansa-Hotel und Woermann & Brock-Einzelhandel wurden ebenfalls ständige Abnehmer. Auch das Hotel Europahof und Eggers-Hotel kauften von uns Gemüse. Inzwischen hatten wir noch zwei weitere Owambo-Männer eingestellt, die sehr fleißig waren. In den dreiwöchigen Juniferien schaufelte ich mit dem einen Owambo ein Wasserloch. Wir mussten nun einen zweiten Brunnen bauen, weil Mutter einen zusätzlichen Garten anlegte.
In einigen Jahren wuchsen Zucker- und Wassermelonen im Überfluss und im nächsten Jahr gab es wieder ganz wenig Ernte. Ich erinnere mich noch gut, dass wir einmal so viele Zuckermelonen ernteten, dass wir nach Walfischbucht fahren mussten, um sie dort einfach auf der Straße zu verkaufen. Abends bin ich mit dem Whippet nach Nonidas-Station gefahren, wenn ein Personenzug unterwegs war und verkaufte Melonen während der Haltezeit im Zug. Der Lokführer hupte dann schon, wenn er fast bei der Station war, ich sprang schnell in den Laster und raste hin. Der Zug stand dann etwas länger, damit jeder kaufen konnte. Der Lokführer bekam immer einige Melonen umsonst und auch Billy erhielt seinen Teil. Die Verspätung des Zuges konnte der Lokführer trotzdem wieder ganz gut aufholen, so dass der Zug pünktlich in Usakos ankam.
Herr Lindau von der Siedlung Brockenfels erntete in einem Jahr so viele Tomaten, dass er einen großen Vertag mit der Fischfabrik in Walfischbucht schließen wollte, um Fisch in Tomatensoße in Dosen einzumachen. Der Vertrag kam aber nicht zustande, worüber Herr Lindau dann heilfroh war, da im nächsten Jahr die Tomatenernte sehr kläglich ausfiel.
So gab es gute und schlechte Jahre und man konnte nie wissen, wie die Ernte ausfallen würde.
In den Juniferien half ich auch oft bei Onkel Gustav. Er hatte von der Regierung die Farm Jakkalswater gepachtet, wo sein Trockenvieh auf Weide stand. Die Milchkühe, die „trocken“ waren, wurden hierhergebracht und die, die frisch gekalbt hatten und gemolken werden sollten, wurden zur Siedlung getrieben, von wo aus er Butter, Milch und Sahne verkaufte. Außerdem schlachtete er auch selbst und verkaufte Frischfleisch. Seine Frau, Tante Sofie, fuhr drei Mal in der Woche mit dem Eselskarren nach Swakopmund, um die Produkte zu verkaufen. Sie konnten jede helfende Hand gebrauchen und ich verdiente mir so ein schönes Ferientaschengeld, mit dem ich mir ein Francis-Barnett-Motorrad kaufte. Es war alt und verrostet, dafür aber billig. Billy half mir, es zu überholen und wieder fahrtüchtig zu machen. Anmelden konnte ich es nicht, da ich ja unter sechzehn war und noch keinen Führerschein besaß. Sonntags fuhren Billy und ich meist mit dem Motorrad zum Angeln. Den Fisch verkaufte Billy dann an das EggersHotel. Er kaufte sich von dem Entgelt meistens eine Flasche Brandy und ich bekam den Rest bar in die Hand. Es war ein gutes Zusatzgeld und ich sparte alles, damit ich mir eines Tages ein größeres Motorrad leisten konnte. Ersatzteile bestellte Billy für mich in Johannesburg bei Motor Cycle Works. Alles kam per Post und wir hatten zumindest keine Ersatzteilprobleme.
Die Ferienarbeit bei Onkel Gustav war vielseitig. So musste ich unter anderem auch mit der Sense Luzerne für die Kühe schneiden. Eines Nachmittags fuhr ich wieder um vier Uhr zu seiner Siedlung und schnitt das Futter. Als Onkel Gustav von Jakkalswater zurückkehrte, bekam ich meinen Lohn: zwei Schilling und sechs Penny, dazu einen vier Wochen alten Welpen. Tante Sofie brannte gerade Schnaps von Pfefferminze, die bei ihnen im Garten wuchs. Ein großer Kupferkessel stand auf dem Holzofen, von dem aus durch ein kleines Rohr das Destillat in ein großes Glas tröpfelte. Zur weiteren Belohnung bekam ich ein Schnapsglas von dem warmen Gebräu. Es schmeckte herrlich und sogleich bekam ich noch ein Gläschen. Das Resultat war, dass die Erde etwas schwankte, während ich, meinen Welpen unter dem einen Arm, das Fahrrad über dem anderen, singend zu Hause ankam. Zum Entsetzen der Mutter war ihr Bub mit dreizehn Jahren betrunken. Onkel Gustav musste sich eine Predigt anhören, die sich gewaschen hatte. Zu Mutters weiteren Ärger war sein einziger Kommentar: „Früh übt sich, wer ein Meister werden will.“ In meinem späteren Leben war ich dann tatsächlich bei so mancher Gelegenheit ein Meister.
Auch während weiterer Ferien bat mich Onkel Gustav immer wieder um Hilfe. Wenn meine Eltern mich entbehren konnten, nahm ich die Arbeit gerne an. Immer wenn wir das Trockenvieh nach Jakkalswater hin- und die Milchkühe zurückbrachten, mussten wir alles, was im Weg stand, zum Beispiel Esel, einfach mitnehmen, egal wem sie gehörten. Onkel Gustavs These war, dass es ja schließlich nicht unsere Schuld war, wenn diese Tiere sich uns einfach anschlossen.
Als ich eine nagelneue Schubkarre für die Arbeit vorfand, erklärte er mir, dass er sie sich bei Woermann & Brock als Entgelt mitgenommen hätte. Er hatte am Vortag dort fünf Sack Zement gekauft. Da gerade keine Hilfskraft zur Verfügung stand, um ihm die Säcke auf seinen Eselskarren zu laden, fuhr er sie mit der Schubkarre selbst aus dem Laden. Da sei es doch nur recht und billig gewesen, dass er die Karre gleich mit aufgeladen habe. So war er, der Onkel Gustav, liebenswert, aber trotzdem ein Gauner durch und durch.
Auf der elterlichen Siedlung waren für die beiden Owambo-Arbeiter inzwischen auch Unterkünfte aus Zementsteinen gebaut worden. Da Milchprodukte sehr begehrt in Swakopmund waren und oft Mangel herrschte, hatte Vater eines Tages eine brillante Idee. In den Juniferien rief er mich zu sich und sagte: „Bruno, jetzt sind Ferien, du bist nun schon vierzehn Jahre alt und damit groß genug. Am Montag bringe ich dich mit dem Owambo Lukas in die Nähe von Karibib, ich möchte dort auf der Farm Ababis drei Kühe bei dem Farmer Gladis kaufen. Du und Lukas bringt die Kühe mit den zwei Kälbern dann zu Fuß, entlang des Swakop, zurück zur Siedlung.“
Ich hatte keine Ahnung was „in der Nähe von Karibib“ hieß und auch nicht, wo der Lauf des Swakop Riviers verlief. Vater sagte: „Es ist recht einfach: Von der Farm bis zum Rivier ist noch gute Weide, danach finden die Kühe im Flussbett genug Grün. Den Weg solltet ihr in etwa fünf Tagen schaffen.“ Der Owambo Lukas und ich bekamen jeder einen alten, geflickten Rucksack. Dann wurde gepackt: ein gusseiserner Dreibeintopf, Streichhölzer, Maismehl, ganz wenig Zucker, denn zu viel davon machte, laut Vater, nur schlapp, Kaffee, Corned Meat aus südafrikanischen Armeebeständen und ein paar Pakete Trockenfleisch. Milch sollten wir unterwegs direkt von den Kühen melken. Billy lieh mir noch sein Tesching-Gewehr und gab mir viele Patronen mit, damit ich unterwegs Perlhühner schießen konnte. Er riet mir außerdem: „Wenn die zäh sind, koch sie einfach die ganze Nacht, im Revier gibt es ja genug Holz.“ Vater füllte noch zwei große alte Wassersäcke, made in Germany, noch aus Oranjemund stammend, und ab ging es mit dem Nash-Bakkie Richtung Wüste.
Mittags kamen wir auf Ababis an. Vater schloss mit dem Farmer Gladis den Handel mit den Kühen ab und verabschiedete sich mit den Worten: „Ihr beide habt alles, was man braucht. Schöne Ferien, Bruno!“ Dann fuhr er in einer großen Staubwolke davon.
Am nächsten Morgen sollte es losgehen. Während ich bei Gladis im Farmhaus übernachtete, hatte Lukas auf der Werft bei den Farmangestellten geschlafen. Er hatte die Gelegenheit genutzt und sich bei den Leuten schlaugemacht, wo genau wir trecken mussten. Die Damara-Arbeiter kannten die Gegend gut und so war Lukas schon etwas besser über die Route im Bilde. Frau Gladis gab mir auch noch ein Päckchen mit selbstgebackenem Biskuit und ein Farmerbrot mit. Voll bepackt machten wir uns dann auf den Weg, die Kühe mit zwei Kälbern vor uns hertreibend.
Lukas sagte, dass unser Treck einen Monat dauern würde, dies zumindest hatten die Arbeiter behauptet. Das waren keine guten Nachrichten und obwohl ich sehr gespannt war auf die Dinge, die auf uns zukommen würden, machte ich mir auch entsprechend Sorgen.
Am ersten Tag ging alles gut. Wir waren stundenlang durch die wogenden Grasflächen der endlosen Namib-Wüste gelaufen. Gegen Abend trafen wir dann auf ein einsam gelegenes Gehöft. Es war die Farm Ubib von einem Herrn Kruger.
„Wo kommt ihr denn her, seid ihr wahnsinnig, zu Fuß nach Swakopmund?“, war seine erste Frage.
„Ja, Herr Kruger, es muss halt sein, sonst bekommen wir unsere Kühe nicht zu unserer Siedlung“, antwortete ich.
Wir wurden mit gutem Essen versorgt und im Haus untergebracht. Am nächsten Morgen gab Herr Kruger uns noch mehr Vorräte mit. Außerdem zeichnete er uns eine Skizze von seiner Landkarte ab. Jetzt planten wir neu, der Weg, den Lukas auf der Werft besprochen hatte, wurde korrigiert. Herr Kruger sprach gut Herero, was auch Lukas beherrschte und so konnte er ihm alles noch mal deutlich erklären. Er verfasste auch einen Brief in Herero, da weiter draußen auf dem einen Viehposten Herero-Arbeiter stationiert waren. Sie sollten uns von dort aus weiter die Richtung weisen.
Dank dieser Hilfe gelangten wir schließlich am nächsten Abend bei Ukuib endlich an den Swakop. Hier war die Landschaft viel zerklüfteter. Der Fluss hatte sich über Jahrtausende tief in die Schichten der Wüste gefressen und dabei die verschiedenen Gesteinslagen freigelegt. In der Abendsonne leuchteten die Felswände in allen Braun-, Grau- und auch Rosatönen. Als wir schließlich unten im Flussbett angekommen waren, bereiteten wir uns auf dem Feuer schnell unsere Mahlzeit zu, rollten unsere dünnen Matten im weichen Sand aus und legten uns dann erschöpft unter dem südlichen Sternenhimmel schlafen. Das Feuer brannte die ganze Nacht und die Kühe, die wir angebunden hatten, blieben ganz in der Nähe, damit herumstreunendes Raubwild sie nicht attackieren konnte.
Am Morgen waren wir ganz zeitig wieder auf den Beinen und treckten am und im Swakop, je nachdem, wie das Gelände es zuließ, vorbei an der Farm Dieptal und dann erreichten wir Salem, wo ein Herr Bertram siedelte. Er kannte mich noch von Oranjemund her. Herr Bertram besaß ein BMW-Motorrad und wollte damit am nächsten Tag nach Swakopmund fahren. Er versprach, bei meinen Eltern vorbeizufahren und ihnen zu berichten, dass alles gut ging und wir wohlauf waren. Am nächsten Tag erreichten wir Gaub, wo einige Mischlinge wohnten. Sie nahmen uns sehr gastfreundlich auf und auch sie reichten uns allerhand zu essen.
Der fünfte Treck-Tag brach an und mittags waren wir bei Riet, wo die Familie Brockerhof siedelte. Herr Brockerhof, der selbst nicht da war – seine Familie bewirtete uns jedoch köstlich – war ein alter Schutztruppler, den ich auch kannte. Er lief nämlich einmal im Monat zu Fuß nach Swakopmund, um Post zu holen und Besorgungen zu machen. Dabei kam er regelmäßig an unserer Siedlung vorbei und trank bei den Eltern immer einen Kaffee. Nun wusste ich, dass es nicht mehr allzu weit war und dass die Damara mit ihrem Monat deutlich übertrieben hatten.
Nach dem Mittagessen bei Brockerhofs zogen wir weiter. An dem Abend, wir lagerten gerade zwischen Arcadia-Siedlung und Husab, bekam die dritte Kuh plötzlich Wehen. Mitten in der Nacht kam dann ein gesundes Kälbchen zur Welt. Husab war ein Trockenposten von „Oubaas“ Schieri-Lartz, Pepis Vater. Dort mussten wir dann zwei Tage Rast einlegen, bis das neugeborene Kälbchen kräftig genug war, um den Treck zu begleiten. Trotzdem mussten wir es abwechselnd immer wieder ein Stück weit tragen. Inzwischen waren wir bereits sieben Tage unterwegs und als wir bei der Siedlung von Familie Poser vorbeitreckten, bat ich Frau Poser, im Hansa-Hotel anzurufen und meinem Vater, wenn er dort das Gemüse ablieferte, ausrichten zu lassen, dass wir bald kommen würden. Am Abend des achten Tages erreichen wir dann endlich die elterliche Siedlung – wohlauf mit drei Kühen und drei Kälbern.
Vater war erleichtert und freute sich. Dass er stolz auf mich war, zeigte er, indem er mich immer wieder damit aufzog, dass ich drei Tage länger gebraucht hatte, als er berechnet hatte. Zwei Jahre später kaufte er vier neue Kühe bei Herrn Kruger auf Ubib und schickte mich und Lukas wieder los. Diesmal brauchten wir nur ganze drei Tage, um die Strecke zu schaffen.
Nach dem ersten Treck hatten wir dank der neuen Kühe natürlich viel Milch, die wir an die Milchwirtschaft Nonidas zu „Oubaas“ Schieri-Lartz lieferten. Ich stand also morgens eine Stunde früher auf, melkte drei Kühe und gab die Milchkannen, die ich mir an die Lenkstange hängte, dort ab. Mittags, auf dem Rückweg, nahm ich dann die leeren Kannen wieder mit. So gab es also noch mehr für mich zu tun als ohnehin schon. Aber die Eltern brauchten jeden Penny. Der Gemüseanbau wurde mehr und mehr, die Nachfrage war groß. Mutter konnte das alleine nicht mehr schaffen und so kündigte Vater schließlich bei dem Elektrizitäts-Werk, um sich ganz auf der Siedlung einzubringen. Er fuhr jeden Dienstag und auch freitags mit dem umgebauten Nash-Bakkie nach Swakopmund und lieferte die Bestellungen ab.
Jeder Tag war ausgefüllt. Neben den Arbeiten auf der Siedlung mussten täglich die Schulaufgaben erledigt werden. Dann kam noch der Konfirmandenunterricht bei Pastor Schmidt dazu. Zusätzlich einmal in der Woche nachmittags zwei Stunden und dann musste ich auch noch am Sonntag zur Kirche gehen, an dem ich bisher meinen Ruhe- und Fischfangtag gehabt hatte. Meist hatte ich das Glück, dass eine benachbarte Siedlerfrau am Sonntag Milch ablieferte und so konnte ich oft mit ihr mit dem Auto mitfahren. Sie hatte so auch einen Grund, private Besuche zu machen, bis ich aus der Kirche kam. Wenn das Wetter gut war, wartete Billy schon auf mich, damit wir wenigstens am Nachmittag noch zum Angeln fahren konnten.
An einem dieser Angeltage erzählte mir Billy von einem seiner Eisenbahnkollegen, der kürzlich verstorben war. Kurz vor dessen Pensionierung fuhr er mit seinem Motorrad am Strand entlang, um zu angeln. Er war etwas kränklich, hatte Asthma, fuhr aber trotzdem regelmäßig an diesen Strandabschnitt. Eines Tages, auf der Rückfahrt, sah er ein Stück von einem hölzernen Schiffsrumpf aus den strandnahen Wogen ragen, darauf einen Schiffsnamen eingebrannt. Er schrieb diesen Namen auf seine Zigarettenschachtel und fuhr heimwärts. Zu Hause berichtete er seiner Frau davon und gab ihr die Schachtel zur Aufbewahrung. Kurz darauf verstarb er und seine Frau hatte Billy nach der Beerdigung die Schachtel gegeben. Die Ehefrau war gleich wieder zurück nach Südafrika gegangen, wo die Familie ursprünglich hergekommen war. Billy gab mir dann die leere Schachtel mit der Aufschrift und ich verstaute sie zu Hause in meinem Kleiderschrank.
Meistens kam ich spät nach Hause, wenn ich mit Billy angeln war. Aber es gab dann immer frischen Fisch und auch das Kleingeld stimmte.
Anmerkung: Viele Jahre später fand ich bei irgendeiner Sucherei den abgerissenen Deckel der alten Zigarettenschachtel wieder und erzählte einem befreundeten Anwalt von dieser Geschichte. Wir gingen nicht weiter auf die Sache ein, aber es ließ ihm doch wohl keine Ruhe und am nächsten Morgen rief er mich an und sagte: „Bruno, bring mir den Deckel doch mal ins Büro, wir sollten vielleicht einige Nachforschungen anstellen.“ Ich brachte den Deckel also zu ihm. Da der Name, der auf dem alten Stück Schiffsrumpf gestanden hatte, portugiesisch klang, beauftragte er seine Sekretärin zunächst einmal, einen Brief an das portugiesische National-Archiv in Lissabon zu schreiben. Sie sollten uns informieren, ob sie Kenntnis von einem Schiff mit diesem Namen hatten. Wir hatten den Vorfall längst vergessen, als viele Monate später die Antwort aus Portugal eintraf. Mein Freund rief mich eiligst in sein Büro. Das Segelschiff war tatsächlich unter der Flagge Portugals, sie teilten uns das genaue Jahr Ende des achtzehnten Jahrhunderts mit, auf Handelsreise nach Indien gefahren. Auf der Rückreise muss es zwischen Angra Pequena und Cape Frio untergegangen sein. Die letzte Rollenmeldung war nachweislich in Angra Pequena abgegeben worden, das Schiff war aber nie am nächsten Stützpunkt, Cape Frio, angekommen. Das Archiv Lissabon hatte eine Liste der Ladung beigelegt. Diese bestand aus sechshundert Kilogramm Elfenbein, vierhundert Kilogramm Goldbarren und noch sehr vielen anderen Edelsachen. Immer wieder habe ich daraufhin an der von Billys Kollegen beschriebenen Stelle nach weiteren Hinweisen am Strand gesucht, leider ohne Erfolg. Meine Suche war allerdings aus Zeit- und Geldmangel auch nie besonders intensiv gewesen.
Eines Tages in den Ferien kam Pastor Schmidt auf seinem Motorrad zu Besuch. Er blieb zu Mittag und wie gewöhnlich fing dann gegen eins der Südwest-Wind zu wehen an. Gegen drei Uhr blies er dann aber so heftig, dass der Pastor unmöglich mit dem Motorrad fahren konnte. Vater sagte: „Bruno, lade das Motorrad auf den Nash und bringe den Pastor heim.“ Ich gab zu bedenken, dass ich ja noch keinen Führerschein besaß. Vater sagte: „Wenn der Pastor nicht heimkommt, hat er ganz andere Sorgen, also lasst euch nicht erwischen und bringe bitte noch die Post mit.“ So fuhr ich mit Pastors Segen das erste Mal selbständig in die Stadt hinein. Zuerst lud ich den Pastor bei der Kirche ab, danach fuhr ich zur Post, die in derselben Straße lag wie das Magistratsgebäude und die Polizeistation. Angeberisch, wie ich mich fühlte, fuhr ich dann auch noch zu Kurt und besuchte ihn im Schülerheim. Alles ging gut und ich kam ohne Probleme wieder zu Hause an. Von da ab fuhr ich auch oft allein mit dem Motorrad in die Stadt. Führerscheinlos, wie ich war, verließ ich mich dabei immer „auf Pastors Segen“. Bald war es die normalste Sache der Welt und es war allseits bekannt, dass Bruno in Swakopmund herumfuhr. Ich wurde niemals erwischt.
Das Problem kam dann erst, als ich sechzehn Jahre alt wurde und nun tatsächlich den Führerschein machen musste. Zuerst musste man einen Lehrschein beantragen, den man ohne Fahrprüfung bekam. Mit Lehrschein durfte man dann in Begleitung eines erwachsenen Führerscheininhabers das Fahren üben. Wenn man das gut genug konnte, prüfte die Polizei die Fahrtüchtigkeit. Erst dann erhielt man den eigentlichen Führerschein.
Ich fuhr also mit dem Auto in die Stadt, parkte vor der Post und ging zu Fuß rüber zur Polizei, um zunächst einmal meinen Lehrschein zu organisieren. Sergeant Venter war der oberste Polizeiwachtmeister. Er kannte meine Eltern gut und mich natürlich auch.
„Guten Morgen Sergeant“, sagte ich freundlich.
„Kann ich dir helfen, Bruno?“, fragte er.
„Sergeant, die Zeit ist gekommen, ich bin jetzt sechzehn und brauche nun einen Führerschein.“
Sergeant Venter fiel der Stift aus der Hand: „Du hast gar keinen Führerschein? Und fährst schon seit zwei Jahren hier mit dem Auto herum? Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich dich eingesperrt!“
„Sergeant, Sie haben ja nie gefragt und ich hatte einfach Glück.“
„Geh sofort rüber zum Magistrat Maritz und hole dir dort den Lehrschein!“
„Sergeant, der Herr Maritz ist nicht besonders freundlich, der macht bestimmt Probleme.“
Sergeant Venter verdrehte die Augen und stöhnte: „Ich komme mit!“
So marschierten wir zum Magistrat. Er entnervt vorneweg und ich hinterher. Und schon tratschten die Leute auf der Straße, dass der Bruno Hoppe wohl eingelocht werden solle.
Beim Magistrat Maritz angekommen, sagte der Sergeant barsch: „Gib Bruno einen Lehrschein!“
„Was, der hat gar keinen Führerschein?“
Der Sergeant antwortete, dass dies nicht sein Problem sein sollte und so stellte mir Magistrat Maritz widerwillig einen Lehrschein aus. Zum Glück war ich dort nicht alleine anmarschiert, das wäre mit Sicherheit nicht gut gegangen.
Der Sergeant fragte mich: „Wie bist du hergekommen?“
„Natürlich mit dem Auto, das steht bei der Post.“
„Nun ja, dann kannst du mich jetzt prüfungshalber auch gleich zum Eggers-Hotel fahren!“
Ich tat wie geheißen und Sergeant Venter setzte sich an die Bar im Hotel und unterschrieb auf dem Lehrschein, dass ich die Fahrprüfung bestanden hatte. Er sagte: „So, nun kannst du deinen Führerschein holen und danach holst du mich hier wieder ab.“
Eine halbe Stunde später war ich wieder beim Magistrat und gab den offiziell von der Polizei unterschriebenen Lehrschein wieder ab, um nun den Führerschein zu erhalten. Der Blick von Magistrat Maritz sprach Bände, als er mir ein Pfund Gebühr abrechnete, den Führerschein ausstellte und dann „raus!“ brüllte.
Inzwischen war Billy im Hotel zum Sergeanten an die Bar gestoßen und die beiden tranken gemütlich ein Bier zusammen. Ich sagte: „Ich habe den Führerschein, Sergeant, und kann Sie nun zurück zur Polizeistation fahren.“
„Du bezahlst die Rechnung hier zur Strafe“, sagte er und stand auf. Als ich vor der Polizeistation hielt und der Sergeant ausgestiegen war, rief ich noch: „Danke und bis Morgen dann!“
„Du Lump, ich will dich hier nicht wiedersehen“, war die Antwort.
Diesen Gefallen konnte ich dem Sergeanten jedoch leider nicht tun. Am nächsten Morgen lieh ich vorsorglich das Motorrad von Billy und erschien wieder auf dem Polizeirevier.
„Guten Morgen!“, rief ich fröhlich. Grimmig fragte er: „Was willst du schon wieder hier?“
Als ich sagte „Sergeant, ich brauche doch nun auch noch einen Motorradführerschein“, dachte ich, dass er gleich platzen würde.
Die ganze Prozedur vom Vortag wiederholte sich also. Zum Glück fanden wir anstelle des Herrn Magistrat Maritz nur eine freundliche Dame vor, die keinerlei Probleme bereitete. Sergeant Venter war inzwischen darauf gekommen, dass mein Motorrad ja nicht angemeldet, also nicht lizensiert sein konnte, da ich bisher noch keinen Führerschein besessen hatte. Schlau und voller Vorfreude fragte er mich, wo ich denn heute parke und ich solle doch einmal vorfahren. Als ich dann mit Billys angemeldeten Motorrad vorfuhr, ärgerte er sich gewaltig: „Seit wann stecken die Engländer mit den Deutschen unter einer Decke?“
Den Kommentar überhörte ich und sagte: „Bedauerlicherweise kann ich heute nicht beim Eggers-Hotel vorfahren, da Billy sein Motorrad dringend zurück braucht, außerdem habe ich nach den ganzen Ausgaben jetzt kein Taschengeld mehr übrig, um Drinks zu bezahlen.“
Nachdem ich dann endlich den Motorradführerschein in der Tasche hatte, fuhr ich schnell zurück zur Nonidas-Station und brachte Billy seine Maschine zurück.
Am nächsten Tag fuhr Vater Gemüse in die Stadt und wurde von allen möglichen Leuten angesprochen, was sein Sohn denn ausgefressen hätte, da er ja mehrmals in den vergangenen Tagen im Schlepptau von einem wütenden Polizisten ins Magistratsgebäude musste.
Sergeant Venter und ich waren noch lange Stadtgespräch und -gelächter.