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EINE KINDHEIT AUF DER HABSBURG? Woher die Habsburger kommen

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Eine Burg unter vielen anderen?

Es ist schwer vorstellbar, dass das mächtige Haus Habsburg in der heute bescheiden wirkenden Burg gleichen Namens seinen Anfang genommen haben soll. Wie muss man sich die Habsburg in der Zeit nach 1200 vorstellen, als die Besitzer ihren Aufstieg im deutschen Reich begannen? Wie sah die Burg aus, wer hat sie erbaut und warum? Hat der 1218 geborene Rudolf und spätere König seine Kindheit auf der Habsburg verbracht?

Im Jahr 1108 begleitete Otto, ein «Graf von Havichsberg», den deutschen König Heinrich V. auf einem Kriegszug gegen die Ungarn. Otto, in der Habsburgergenealogie der II. benannt, wird nach der Rückkehr vom Ungarnfeldzug im Jahr 1111 auf seiner Burg Butenheim (Petit Landau) südlich von Ottmarsheim ermordet. Sein Bruder, «Adalbertus de Havesborc», nimmt 1114 an einem Hoftag des unterdessen zum Kaiser gekrönten Heinrich V. in Basel teil und erwirkt dort einen Freibrief für das familieneigene Hauskloster in Muri.3 Ottos Sohn, Werner II., wird schliesslich als erster Habsburger als Landgraf im oberen Elsass bezeichnet. Seit dieser Generation nennt sich das Adelsgeschlecht nach der Burg, die in den folgenden Jahrhunderten zum Inbegriff für ein weltumspannendes Reich wird.

Wie andere Dynastenburgen braucht auch die Habsburg eine Gründungssage. Und wie die meisten Sagen, wird auch diese Geschichte Jahrhunderte später entstanden und noch später aufgeschrieben worden sein. Danach soll der Grossvater von Otto II., Graf Radbot, der ein festes Haus in Altenburg an der Aare in dem von den Römern erbauten Kastell besass, auf der Jagd seines Habichts verlustig gegangen sein. Auf der Suche nach dem entflohenen Vogel stieg die Jagdgesellschaft auf den dicht bewaldeten Wülpelsberg. Zuoberst auf dem Hügel fand man den Habicht. Radbot erkannte sofort, dass sich dieser Ort für den Bau einer Burg eignete – und nahm die Aufgabe in Angriff.4 Eine schöne Geschichte, wenn auch eher von einer Vorstellung des mittelalterlichen Ritterlebens aus dem 19. Jahrhundert inspiriert. Vielleicht hatte der Geschichtenerzähler den jungen Staufer Konradin auf Beizjagd vor Augen, eine Miniatur aus der Manessischen Liederhandschrift, die immerhin an den Beginn des 14. Jahrhunderts gehört. Auf jeden Fall, Fortsetzung folgt …

Richtig an dieser Geschichte ist, dass die Habsburg tatsächlich als Rodungsburg in den Wald gebaut worden ist. Ebenfalls richtig könnte die Verkürzung des Namens von Habichtsburg auf Habsburg sein, eine Bezeichnung, die seit dem ausgehenden 12. Jahrhundert gebräuchlich wird, auch wenn schon andere Herleitungen vorgeschlagen worden sind.5 Wie kommt aber Graf Radbot von Altenburg dazu, sich auf dem Hügel eine Burg zu bauen? Er tut das, was viele seiner Standesgenossen auch machen. Burgen werden im 11. und 12. Jahrhundert zuhauf gebaut. Frühere Geschichtsschreiber gingen davon aus, dass die Burgen primär als Befestigungen erstellt wurden, um das eigene Land oder die Grenze zum Nachbarland zu beschützen. Für den Bau der Habsburg wäre demzufolge die Auseinandersetzung zwischen dem deutschen König und dem Königreich Burgund im Vordergrund gestanden. Die Habsburg hätte dabei die Funktion einer Grenzburg gehabt, verlief doch die alte Grenze zu Burgund entlang der Reuss.6 Heute geht man jedoch davon aus, dass der Burgenbau in erster Linie dem Landesausbau diente. Das 11. und 12. Jahrhundert ist eine Zeit, in der die Bevölkerung wächst. Vom Klima begünstigt, entwickelten sich die Lebensgrundlagen positiv, die Erträge in der Landwirtschaft stiegen mit der neu eingeführten Dreifelderwirtschaft an, Wälder wurden gerodet und der Boden urbar gemacht. Eine wichtige Rolle in dieser Entwicklung spielten die lokalen Adligen. Sie gründeten Klöster und bauten Burgen, um diesen Landesausbau voranzutreiben und ihre Machtbasis auszuweiten. Mit dem Burgenbau setzten sie weithin sichtbare Herrschaftssymbole. Die frühen Habsburger verhielten sich nicht anders, als sie die Burg auf dem Wülpelsberg erbauen liessen.

Was müssen wir uns aber unter dieser neuen Burg vorstellen? Was hat die Realität mit der Burgen- und Ritterromantik aus Büchern und Filmen zu tun? Die Archäologen haben in den letzten 25 Jahren mehrmals auf der Habsburg gegraben und spannende Bezüge zur schriftlichen Überlieferung herstellen können. Und dabei hat sich herausgestellt, dass die Habsburg vielleicht doch nicht nur als eine Burg unter vielen anderen erbaut worden ist, sondern dass sie etwas mehr darstellte.7

Eine mächtige und repräsentative Burg

Graf Radbot von Altenburg hatte zu wenig Geld, um sich eine neue Burg zu bauen. Deshalb bat er den Bruder seiner Frau, den mächtigen Bischof Werner von Strassburg, um Unterstützung. So geht die Sage von der Erbauung der Burg weiter. Bischof Werner habe ihm Unterstützung zugesagt und dann seinen Besuch angekündigt, um das von ihm mitfinanzierte Werk zu begutachten. Er war enttäuscht, als er auf der Anhöhe des Wülpelsbergs nur einen bescheidenen Wohnturm ohne eine starke Mauer vorfand. Sein Schwager versicherte ihm, dass er in der Lage sei, über Nacht ein solche Mauer zu erstellen. Als der Bischof am nächsten Morgen erwachte und aus dem Fenster blickte, erschrak er. Rund um den Turm lagerte eine grosse Zahl gepanzerter Ritter mit ihren Knechten. Bischof Werner glaubte sich in den schwach befestigten Mauern belagert. Graf Radbot beruhigte ihn. Die Ritter seien seine Gefolgsleute und auf seinen Ruf hin herbeigeeilt, um eine eiserne Mauer zu bilden und ihn zu verteidigen. Werner war erleichtert und sah sein Geld gut angelegt. Was nützen dicke Mauern, wenn niemand da ist, um sie zu verteidigen?


Der noch erhaltene Teil der Habsburg besteht aus der erst am Ende des 12. Jahrhunderts erbauten hinteren Burg, wird heute als Gastbetrieb genutzt und beherbergt eine kleine Ausstellung zur Geschichte der Habsburger.

Sagen und Legenden haben oft einen wahren Kern, auch wenn sie frei erfunden und ausgeschmückt wurden. Die archäologischen Untersuchungen der Habsburg haben, nicht unerwartet, diesen ersten «Wohnturm» zutage gefördert. Auf der vorderen Burg, die heute nur noch in den Fundamenten erkennbar ist, muss im zweiten Viertel des 11. Jahrhunderts nicht ein Turm, sondern ein erstes festes Haus errichtet worden sein: eine typische Rodungsburg mit dem dazugehörenden Burggut, dem Dorf Habsburg und der inselförmig im Wald liegenden Feldflur. Rund um das steinerne Haus werden Holzhäuser und Ställe gestanden haben. Eine Rodungsburg in dieser Zeit war nichts anderes als ein fest gebauter grosser Bauernhof, in dem ein Adliger über seine rundherum ansässigen Bauern gebot.

Allerdings: Schon der erste Bau beeindruckt durch seine Grösse und Mauerdicke. Er ist wesentlich grösser als der Wohnturm auf der Lenzburg, der mehr als ein halbes Jahrhundert später erbaut wurde und Sitz der Grafen im Aargau war. Vergleichbare Bauten müssen relativ weit weg gesucht werden, in Frankreich oder Deutschland. Mit diesem ersten Bau manifestiert Radbot, der etwa zur selben Zeit zusammen mit seiner Frau Ita von Lothringen das Kloster Muri stiftet, einen Anspruch auf Grösse, der nach dem Warum fragen lässt. In dieser Zeit gründet sein Bruder Rudolf das Kloster Ottmarsheim unweit von Mülhausen. Ottmarsheim liegt am Rhein, am Rand des Hardtwaldes, an der alten Römerstrasse von Basel nach Strassburg. Und: Die Kirche von Ottmarsheim, die bis heute in den Grundzügen unverändert geblieben ist, stellt in ihrem Aufbau eine vereinfachte Kopie der Pfalzkapelle in Aachen dar, der Grabstätte Karls des Grossen. Der kleine Graf Rudolf baut sich also eine Kirche nach dem Aachener Vorbild, die vielleicht als seine Grabeskirche gedacht ist. Die Frühhabsburger zeigen mit diesen Gründungen ein Selbstverständnis, das man fast als Programm für den kommenden Aufstieg lesen kann. Auf das Warum wird zurückzukommen sein.

Die Habsburg wächst in den folgenden Jahrzehnten rasch. Etwa um 1070 wird die Anlage mit einer ansehnlichen Befestigung des ganzen Hügels erweitert, an den Kernbau werden zwei feste Türme angebaut. Vielleicht stammen die ersten Steinbauten auf der hinteren Burg auch schon aus dieser Zeit. Noch im 11. Jahrhundert nimmt die Habsburg monumentale Formen an, die sie von vergleichbaren Burgen im grösseren Umfeld abhebt. Es ist diese Generation der Frühhabsburger, die sich als erste nach der Burg nennt. Otto II. und sein Sohn Werner halten sich im näheren Umfeld der deutschen Könige und Kaiser auf und erhalten wichtige Ämter. Die Habsburg wird zum repräsentativen Sitz eines aufstrebenden Adelsgeschlechts.

Ein weiterer Ausbauschritt lässt wahrscheinlich mehr als 100 Jahre auf sich warten. In der Zeit um 1200 entstehen die wichtigsten Teile der hinteren Burg – der Wohnturm und die Erweiterung der Ringmauern. Vielleicht hat schon Albrecht III., der Sohn Werners, aber sicher Rudolf II. von Habsburg das Landgrafenamt im Aargau inne, das die 1173 ausgestorbenen Grafen von Lenzburg ursprünglich ausübten. Die Burgen der Lenzburger – die Lenzburg selbst und der Stein in Baden – sind zu diesem Zeitpunkt aber in der Hand der Kyburger. Dies mag den Ausbau der Habsburg befördert haben. Die Burg ist zu dieser Zeit eine mächtige und stark befestigte Anlage.

Feucht und kalt: Alltagsleben auf der Burg

Sehr behaglich kann das Leben auf der Burg nicht gewesen sein. Der erste Kernbau verfügte wahrscheinlich über zwei oder drei hohe Säle. Zumindest die Obergeschosse wurden als Wohnraum genutzt. Man wohnte, ass und schlief gemeinsam in denselben Räumen. Die kleinen, schartenartigen Fenster waren unverglast und mussten im Winter mit Brettern und Stroh notdürftig zugestopft werden. Im Nordturm bestand ein offenes Herdfeuer als Heizung, seit dem 12. Jahrhundert könnte es Kachelöfen gegeben haben. Die Abortanlagen standen offen zu den Wohnräumen, man verrichtete sein Geschäft in Gesellschaft. Der spätere Ausbau der hinteren Burg im 13. und 14. Jahrhundert zeigt, wie sich mit der Zeit die Wohnlichkeit verbesserte. Mit Holz getäferte Wände, geschnitzte Balkendecken und verglaste Fenster liessen etwas Behaglichkeit und Komfort aufkommen. Knechte und Gesinde wohnten in den angegliederten Holzbauten oder ausserhalb der Burg. Das Leben auf der Burg unterschied sich nicht allzu stark vom Alltag eines reichen Bauern. Die Burg war vor allem Statussymbol und Zeichen der Macht. Zu den Funden aus den archäologischen Grabungen gehören Überreste von Waffen und Knochenteile von Wildbret, vor allem von Hirsch und Wildschwein: kleine Indizien für das Leben eines Adligen.8 Die Herren auf der Habsburg lebten kaum vom direkten Ertrag ihrer landwirtschaftlichen Güter, sondern von den Abgaben und Diensten ihrer Untertanen.

Die Habsburger wohnten nicht ständig und dauerhaft auf ihrer Burg, und wenn, dann nur Teile der Familie. Macht und Herrschaft bedeutete in dieser Zeit vor allem Präsenz. Die adligen Herren waren innerhalb ihrer Besitzungen ständig unterwegs, hielten sich nie lange am selben Ort auf. Sie besassen mehrere feste Orte, neben den Burgen auch Häuser in den entstehenden Städten. Sie konnten aber auch in den von ihnen gegründeten Klöstern oder bei verwandten und befreundeten Familien absteigen. Und vor allem standen sie im Dienst von höheren Herren, eines Herzogs oder Königs. Sie hielten sich oft am königlichen Hof auf, suchten die Nähe zum König und waren Teil seiner Gefolgschaft. Sie beteiligten sich an Kriegszügen des Königs, wie Otto II. am Ungarnzug Heinrichs V. Ottos Sohn, Werner II., zog 1167 im Gefolge des Stauferkönigs Friedrich I. Barbarossa nach Italien zu dessen Kaiserkrönung und scheint vor den Mauern Roms umgekommen zu sein, nicht im Kampf, sondern wahrscheinlich als Opfer einer Seuche. Werners Enkel Rudolf II., der Grossvater des ersten Habsburger Königs, gehörte zum engsten Gefolge des Stauferkönigs Friedrich II. Er ist zwischen 1207 und 1213 in Basel, Strassburg, Hagenau und Konstanz mehrfach zusammen mit dem König bezeugt. Zudem war er mit Friedrich 1222, 1226 und 1230 in Italien.9 Das unbehagliche Leben auf einer feuchten und kalten Burg, das wochen- und monatelange Unterwegssein im Sattel und die Teilnahme in der grossen Politik gehörten zu diesem Leben.

Rudolf II. wird sich nur selten auf seinem Stammsitz aufgehalten haben. Die vordere Burg als ursprünglicher Wohnsitz wurde in den Jahren um 1230 aufgegeben. Die Habsburger verliehen ihre Burg seit dem ersten Viertel des 13. Jahrhunderts ihren Dienstleuten, den Truchsessen von Habsburg und Wildegg die hintere, den Rittern von Wolen die vordere Burg.10

Zum bestehenden Schlösschen in Altenburg bauten die Habsburger einen Wohnsitz in Brugg, das eben in diesen Jahren als kleines Städtchen fassbar wird. Nicht in Altenburg, sondern aareabwärts, an der engsten Stelle des Flusses, haben kurz nach 1200 bereits eine turmbewehrte Brücke und eine kleine Siedlung bestanden. Neben der um 1220 erbauten einschiffigen Kirche stand ein markantes burgartiges Wohnkastell, der spätere Effingerhof, der 1864 abgerissen wurde. Der Chronist des Überfalls auf Brugg im Jahr 1444 spricht von «des Herzog von Österreichs Haus am Kirchhof».11 Der Komfort eines steinernen Stadthauses mochte sich nicht wesentlich von dem einer Burg unterschieden haben, aber Lage und Umfeld eines solchen Ortes waren doch attraktiver. Und vor allem: Die Habsburger haben auf den Italienzügen des Königs die Kultur italienischer Städte wie Mailand oder Verona kennengelernt. Ansporn und Vorbild für das eigene Leben?


Das Schlösschen in Altenburg ist ein im 16. Jahrhundert neu aufgebautes Turmhaus, das in den Mauern des spätrömischen Kastells erbaut wurde und in dem heute die Jugendherberge von Brugg zu Hause ist. Altenburg war noch vor dem Bau der Habsburg einer der Sitze des Geschlechts.

Die Habsburger und ihr Eigen

Die Habsburg steht auf dem Wülpelsberg am nördlichen Rand des Eigenamts. Dieses Eigenamt ist alter Besitz der Frühhabsburger und wird später zu einem wichtigen Teil der Ausstattung des Klosters Königsfelden. Das Eigenamt wird westlich durch die Reuss, nordwestlich durch die Aare und südlich durch den Hügelzug des Kestenbergs begrenzt und hat eine Ausdehnung von etwa sechs auf sechs Kilometer. Mit der Habsburg und den beiden wahrscheinlich Ende des 12. Jahrhunderts entstandenen Burgen Brunegg und Wildegg an den jeweiligen Ausläufern des Kestenbergs war das Eigenamt ursprünglicher Besitz der Habsburger. Wirtschaftliches und politisches Zentrum wurde nach 1200 das neue Städtchen Brugg. Altenburg hat wohl schon nach dem Bau der Habsburg seine Bedeutung verloren und wurde später wie die Habsburg selbst an Dienstleute verliehen.

Das Eigenamt wird immer wieder als Heimat und Herkunftsort der Habsburger bezeichnet. Dies ist insofern falsch, als die Frühhabsburger nicht nur im späteren Aargau, sondern vor allem auch im südlichen Elsass alten Besitz hatten. Von Heimat oder Herkunft zu sprechen, ist aber auch deshalb falsch, weil die Adelsfamilien des Hochmittelalters mobil waren, sich nicht über lange Zeit am selben Ort aufhielten und sich oft nach dem Ort benannten, an dem sie sich vorübergehend niedergelassen hatten. Diese Namen konnten sich innerhalb derselben Familie unterscheiden. Habsburg als verbindlicher Eigenname beginnt sich erst Anfang des 12. Jahrhunderts zu verfestigen.

Der alte Besitz der Habsburger lässt sich nur über Quellen des 12. und 13. Jahrhunderts rekonstruieren. An erster Stelle stehen dafür die sogenannten Acta Murensia, ein chronikalischer Bericht über die Gründung des Klosters Muri, der in der Zeit um 1160 entstanden sein muss und nur in einer Handschrift des 14. Jahrhunderts überliefert ist. Der Quelle ist trotz allem eine gewisse Glaubwürdigkeit zuzubilligen, auch wenn sie die einseitige Sicht eines Schreibers aus dem Kloster Muri wiedergibt.12 Die Stiftungsgüter der Klöster Muri und Ottmarsheim bieten Hinweise auf den Besitz der Frühhabsburger an der Jahrtausendwende. Neben dem Besitz im Eigen, rund um den festen Turm in Altenburg, lag ein relativ geschlossener Güterkomplex um die spätere Stadt Bremgarten. Eine offenbar gewaltsam vor sich gegangene Erweiterung dieses Besitzes gegen Süden umfasste den Herrenhof und die Pfarrei Muri. Hier soll Radbot 1027 zusammen mit seiner Gattin Ita von Lothringen das Benediktinerkloster gestiftet haben, das mit Mönchen aus Einsiedeln besiedelt wurde. Verstreuter Besitz lag zwischen Zuger- und Vierwaldstättersee, in Gersau, Thalwil und am Greifensee, ein grösserer Komplex im oberen Fricktal und im Schenkenbergertal. Die Austattung von Ottmarsheim deutet auf Besitz in der Gegend des gegründeten Klosters hin (Hardtwald), weiter gehörten Güter nördlich und nordwestlich von Colmar und südlich von Strassburg dazu, aber auch im Breisgau rund um den Kaiserstuhl und südlich davon im Markgräflerland. Weiter entfernt lag ein Güterkomplex zwischen oberer Donau und Neckar in Burgfelden und Ehingen.


Der mächtig wirkende schwarze Turm in Brugg, Wahrzeichen der Stadt, wird 1238 ein erstes Mal erwähnt. Er beschützt die Brücke, die an der engsten Stelle des Flusses die Aare überquert. Im Turm sind ältere Bauteile aus römischer Zeit wiederverwendet worden. Der Bau wird heute in die habsburgische Zeit Ende des 12. Jahrhunderts datiert.

Die Habsburger, die im zweiten Viertel des 11. Jahrhunderts eine ansehnliche Burg bauen und zwei Klöster gründen, gehören also sowohl in den Raum des Oberrheins im südlichen Elsass und Breisgau als auch in den Raum der damaligen Grafschaft Aargau. Weiter zurück wird der Boden der Überlieferung löchrig, beginnen sich Geschichte, Legenden und Spekulationen zu vermischen. Trotzdem muss auf die sagenhafte Herkunft der Habsburger eingegangen werden. Für ihr späteres Selbstverständnis ist dies von Bedeutung.

Herkunft ist Legitimation

Als am 1. Oktober 1273 Graf Rudolf IV. von Habsburg zum deutschen König gewählt wurde, werden sich einige Zeitgenossen die Augen gerieben haben. Ein Graf aus dem Südwesten des Reichs, ohne besondere Abstammung, kein Reichsfürst, sondern lediglich ein aufstrebender Territorialherr, sollte König werden? Die direkte Abstammung aus königlichem Geschlecht, wie es bei den Dynastien der Ottonen, Salier und Staufer gegeben war, scheint in diesem Fall keine grosse Rolle gespielt zu haben. Andere Gründe, auf die zurückzukommen sein wird, waren ausschlaggebend. Trotzdem: Wie legitimierten die Habsburger ihre Herrschaft, lediglich durch faktische Macht oder auch durch Abstammung? Bei genauerem Hinsehen lassen sich Verbindungen zu den Fürsten- und Königshäusern des deutschen Reichs zumindest erahnen.

Die erste und wichtigste Herkunftsthese ist wiederum über die Acta Murensia überliefert. Jean-Jacques Siegrist hat letztmals diese schwer einzuordnende Quelle beschrieben.13 Als Autor der Handschrift vermutete er einen Mönch des Klosters Muri, vielleicht sogar den Abt Cuno. In seiner knappen Darstellung der Klostergeschichte berichtet der Schreiber von einer unrechtmässigen Erwerbung des Herrenhofes und der Pfarrei Muri durch Kanzelin und seinen Sohn Radbot von Altenburg. Als Sühne habe Radbot zusammen mit seiner Gattin Ita von Lothringen im Jahr 1027 das Kloster gestiftet. Muri soll 1082 von seinen adligen Stiftern befreit und in ein Priorat des Schwarzwaldklosters St. Blasien umgewandelt worden sein, vier Jahre später aber bereits wieder unter die Vogtei, das heisst den Schutz der Stifterfamilie zurückgekehrt sein. In diese Handschrift integriert ist die Abschrift einer Urkunde, die als Testament von Bischof Werner von Strassburg, dem Bruder der Ita, bezeichnet und auf das Gründungsjahr 1027 datiert wird. Heute geht man davon aus, dass diese Urkunde erst 1086 fabriziert wurde. Mit der Fälschung sollte der damalige Zustand – eine freie Abtwahl und die Habsburger Klostervogtei – gerechtfertigt werden. Das Testament berichtet von einer zusammenhängenden Gründung von Kloster und Burg. Bischof Werner wird darin zum Erbauer der Habsburg gemacht mit der Begründung, die Klostervogtei sei an die Inhaber der Habsburg gebunden. Der Bischof wird als Jugendfreund des letzten ottonischen Kaisers Heinrich II. bezeichnet und scheint als Ahnherr der Habsburger geeignet gewesen zu sein. Allerdings ist seine Herkunft sehr ungewiss. Wahrscheinlich gehörte er nicht zu den frühen Habsburgern, sondern stammte aus einer lothringischen Verwandtschaft wie seine angebliche Schwester Ita, die Gattin von Radbot. Die Fälschung von 1086 wurde für die Traditionsbildung des Klosters wichtig und war letztlich die Basis für den eingangs bereits erwähnten königlichen Freibrief, den Albrecht II. von Habsburg 1114 in Basel für das Kloster erwirken konnte. Dem Schreiber ging es in seiner Darstellung aber auch um ein erstmaliges Verzeichnis des Stiftungsgutes, das vom Stiftergeschlecht immer wieder beansprucht worden war.


Vom romanischen Bau der Klosterkirche Muri aus dem 11. Jahrhundert ist mit Ausnahme der Hallenkrypta unter dem Chor und den Unterbauten der Türme und des Querschiffs nichts mehr erhalten. Das Schiff wurde Ende des 17. Jahrhunderts in die heute bestehende achteckige Halle umgewandelt.

Eine Möglichkeit: die Merowinger-These

Mit den Acta Murensia führt die Suche nach der Herkunft der Habsburger ins Elsass. Als Stammvater der Gründer von Muri wird darin Guntram der Reiche genannt. Dieser Guntram kann mit relativ grosser Wahrscheinlichkeit mit dem Grafen Guntram identifiziert werden, der im Jahr 952 wegen Hochverrats von König Otto I. mit der Aberkennung seines Besitzes im Elsass und im Breisgau bestraft wurde. Dieser Guntram wiederum stammt aus dem Geschlecht der elsässischen Grafen im sogenannten Nordgau, die als Nachkommen der merowingischen Herzöge aus dem 7. Jahrhundert gelten. Als Stammvater dieser Herzöge gilt Eticho (oder Adalrich), Herzog im Elsass, gestorben Ende des 7. Jahrhunderts. Falls diese Verbindung stimmt, weisen die Habsburger eine Herkunft auf, die für das Elsass von grosser Bedeutung war.

Hoch über dem Städtchen Obernai liegt der Odilienberg, der Mont Ste-Odile. Die Anhöhe weist eine heute noch über zehn Kilometer lange, monumentale Befestigungsmauer auf, die in vorchristliche, wahrscheinlich keltische Zeit zurückreicht. Auf diesem Berg, ursprünglich Hohenburg genannt, gründete Odilia, die Tochter Etichos, ein Kloster. Die Legende erzählt, dass sie blind zur Welt gekommen sei und am Tag ihrer Taufe das Augenlicht erlangt habe. Aus Dank dafür habe sie zusammen mit ihrem Vater das Kloster gestiftet. Innerhalb der Befestigungsmauern – der «mur païen», der Heidenmauer – sind merowingische Grabkammern gefunden worden. Die Befestigungsmauer ist von den Merowingern im 7. Jahrhundert ausgebessert worden, wie neue Funde nahelegen. Die heilige Odile, «la mère de l’Alsace», gilt als Schutzheilige des Elsass. Das Kloster erlebte seine Blütezeit im 11. und 12. Jahrhundert, und der Odilienberg ist, nach mehrmaliger Zerstörung, bis heute der wichtigste Wallfahrtsort im Elsass geblieben.


Deutlich sichtbar ist bis heute der achteckige Zentralbau der Abteikirche von Ottmarsheim aus dem zweiten Viertel des 11. Jahrhunderts. Der Westturm (13. Jahrhundert) und die angebauten Kapellen (15. und 16. Jahrhundert) kamen später hinzu. Nach einem verheerenden Brand 1991 wurde die Kirche in den letzten Jahren restauriert.

Die Herkunft aus dem merowingischen Geschlecht der Etichonen lässt ein weiteres Ereignis in anderem Licht erscheinen. Das Kloster Ottmarsheim, um 1030 von Rudolf, dem Bruder Radbots von Altenburg, gestiftet, wurde im Jahr 1049 vom damaligen Papst Leo IX. geweiht. Man fragt sich, wie es der kleine Frühhabsburger schaffte, einen Papst zur Weihe seiner Grabeskirche aufzubieten. Leo IX. war aber niemand anderer als Bruno von Eguisheim (1002–1054) aus dem Geschlecht der Grafen von Eguisheim. Und diese Grafen stammen aus derselben Sippe wie die Grafen im Nordgau. Bruno von Eguisheim war der Urenkel von Eberhard IV., Graf im Nordgau, des Bruders von Guntram dem Reichen. Die Weihe seiner Kirche vertraute Rudolf also einem Verwandten an, der 1027 Bischof von Toul und 1049 Papst geworden war. Auch scheint Rudolf ein engeres Verhältnis zu Leo IX. gehabt zu haben. In der Tradition wird berichtet, dass er in päpstlichem Sold 1053 am Krieg gegen die Normannen in Sizilien teilgenommen habe und dort auch umgekommen sei.

Wenn die in den chronikalischen Quellen überlieferte Herkunft für bare Münze genommen werden kann, stammen die Habsburger aus einer elsässischen Adelsgruppe mit Verbindungen in die vorkarolingische Zeit: eine Herkunft, die sich wahrlich sehen lassen kann. Allerdings: Sowohl die merowingische Herkunft wie die lothringische Verwandtschaft stammen aus Quellen, die im 13. Jahrhundert, als sich der Aufstieg der Habsburger zur Macht vollzog, kaum bekannt waren oder von ihnen selbst nicht als Legitimation verwendet wurden. Sie brauchten andere Begründungen, um ihren Anspruch als Reichsfürsten und Könige zu legitimieren.

Weit wichtiger: die schwäbischen Verwandten

Die ersten Habsburger, die nicht aus der Tradition der Acta Murensia, sondern über urkundliche Quellen miteinander in Verbindung gebracht werden können, sind der bereits erwähnte, 1111 ermordete Otto II. und sein Sohn Werner II., der 1167 vor Rom gestorben ist. Die Habsburger des 12. Jahrhunderts bewegen sich in einem Adelsumfeld, das zum engeren Kreis der Herzöge von Zähringen gehört. Dazu zählen etwa die Lenzburger: Richenza, die Tochter von Radbot, wird als Gattin des Ulrich von Lenzburg-Baden geführt. Sodann die Ortenberg-Hirrlingen aus dem Haus Zollern: Judenta war die Frau des 1141 verstorbenen Adalbert oder Albrecht II. von Habsburg. Die Pfullendorf: Albrecht III. heiratete Ita, die Tochter des Rudolf von Pfullendorf, die nördlich des Bodensees ihren Besitz hatten. Weiter die Herren von Staufen im Breisgau: Rudolf II. heiratete Agnes von Staufen. Zudem bestanden Verwandtschaften im Raum Oberelsass gegen Burgund: die beiden Schwestern von Albrecht III., Gertrud, verheiratet mit Theoderich III. von Mömpelgard (Montbéliard), und Richenza, verheiratet mit Ludwig I. von Pfirt (Ferrette), banden die Nachbarn im Westen an das Haus. Und die wichtigste Verbindung, diejenige zu den Zähringern: Albrecht IV. heiratete Heilwig von Kyburg, Tochter des Ulrich von Kyburg und der Anna von Zähringen, ihrerseits Tochter von Berthold V., dem letzten der Zähringer, die sich seit 1098 mit den Hohenstaufen das Herzogtum Schwaben teilten. Die beiden Schwestern Albrechts IV. heirateten beide in das im Jura zwischen Basel und Olten beheimatete Geschlecht der Froburger.

DIE FRÜHEN HABSBURGER


Die Zähringer übten ihre Macht im südwestlichen Teil von Schwaben aus, im Thurgau, in Zürich, im Aargau, im Breisgau und im Elsass sowie im Schwarzwald bis an den Neckar. Dieser Raum deckt sich weitgehend mit dem verwandtschaftlichen Aktionsradius der Habsburger im 11. und 12. Jahrhundert. Rudolf IV., der 1273 zum deutschen König gewählt wurde, war also mütterlicherseits ein Enkel der Herzöge von Zähringen. Seine Gattin Gertrud von Hohenberg nahm nach der Krönung den Namen Anna an, die Tochter Gertrud den Namen Agnes, beides Namen aus zähringischer Tradition. Es waren die Colmarer Chronisten, die aus dem Umfeld der Dominikaner stammten und den Habsburgern wohlgesonnen waren, die diese zähringische Herkunft kolportierten. Die Berufung auf das Herzogtum Schwaben, das im sogenannten Interregnum zwischen 1250 und 1273 als reales politisches Gebilde zerfiel, war für die Habsburger auch in späterer Zeit immer wieder ein Thema.14 Schwaben gehörte zu den zentralen Ländern des deutschen Reichs und war Kernland der Stauferkönige gewesen, in deren Tradition die Habsburger sich sahen. Pläne für eine Wiedererrichtung des Herzogtums sind in mehreren Generationen festzustellen. Besonders auf die Anstrengungen des Habsburgers Rudolf des Stifters nach 1358 wird zurückzukommen sein.

Etwas kühner: doch eine königliche Abstammung?

Die Worte «wolauf hinz Speier, da mehr meiner vorfahren sind, die auch könige waren» legte der österreichische Reimchronist Ottokar Rudolf von Habsburg in den Mund, als dieser am 14. Juli 1291, einen Tag vor seinem Tod, auf dem Weg nach Speyer war. Im Dom von Speyer ruhten bereits fünf Könige, vier aus dem salischen Königshaus sowie der Staufer Philipp von Schwaben, ebenfalls mit salischer Abstammung. Wie konnte Rudolf oder sein zeitgenössischer Chronist behaupten, er gehe an den Ort seiner Vorfahren, wie konnte er sich auf die Tradition der Salier beziehen? Die neuere genealogische Forschung zu den deutschen Königshäusern hat dazu interessante Anhaltspunkte geliefert.15

Es gibt zwei Hinweise auf eine königliche Abstammung der Habsburger. Die «Genealogia nostrorum principium» aus der Murianer Überlieferung, im 14. Jahrhundert mit den Acta Murensia vereinigt, führt als Gattin von Albrecht III. eine Ita von Pfullendorf, «filiam sororis ducis Welph», eine Tochter der Schwester von Welf. Es scheint sich dabei um Elisabeth, Gattin des Rudolf von Pfullendorf und Schwester von Welf VII. zu handeln. Die Welfen, Herzöge von Bayern und Sachsen, Konkurrenten und Blutsverwandte der Staufer, besassen eine königliche Abkunft von den Ottonen, die letztlich auf Karl den Grossen zurückging. Die Habsburger konnten somit über einen sogenannten Tochterstamm eine königliche Abstammung vorweisen, gehörten also in der Kreis der Königsverwandten.

Hinzu kommt die ebenfalls über einen Tochterstamm führende Verwandtschaft mit den Zähringern, wie oben beschrieben. Die Zähringer selbst besassen eine weibliche Abkunft von Rudolf von Rheinfelden, 1077–1080 Gegenkönig von Heinrich IV. im Investiturstreit. Rudolfs Gattin Mathilde war eine Tochter des Saliers Heinrich III. Damit war die Verwandtschaft zu den Saliern gegeben, die Rudolf von Habsburg 1291 in den Mund gelegt wurde. Solche Verwandtschaftsbeziehungen waren in der Zeit selbst wahrscheinlich bekannt und für die königsnahen Geschlechter von grosser Bedeutung.

Im Reich der Legenden und Sagen: eine Abstammung von den Römern?

Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation berief sich in seiner Tradition auf Karl den Grossen und letztlich auf die Nachfolge der römischen Kaiser. Der Nachweis einer karolingischen oder gar römischen Abstammung war deshalb von grosser legitimatorischer Bedeutung. Es ist denn auch nicht erstaunlich, dass in der Zeit um 1300 auch in der Habsburgergenealogie die Römer auftauchen. Behauptet wurde eine Verwandtschaft mit dem römischen Senatorengeschlecht der Colonna. Die Colonna wiederum konnten einen Stammbaum mit Verbindungen bis zurück ins julische Kaiserhaus, das heisst bis zu Caesar vorweisen. Überlagert wurde diese Geschichte auch von einer Legende von Flüchtlingen aus Troja, die sich in den Alpenraum zurückgezogen haben sollen. Die erwähnte römische Familie war nicht Teil einer unbestimmten Vorzeit. Sie spielte im 13. und 14. Jahrhundert im realen Rom sehr wohl eine Rolle und mischte kräftig mit, vor allem wenn es um die Papstwahlen ging. Kontakte zwischen den Habsburgern und den Colonna sind tatsächlich auch nachgewiesen.

Der Geschichtsschreiber Matthias von Neuenburg, der kurz vor der Mitte des 14. Jahrhunderts seine Chronik verfasste, berichtete erstmals von einer Legende, in der zwei Brüder aus Rom nach Alemannien geflohen seien. Als ihr Vater einmal zu Besuch gekommen sei, habe er gesehen, dass der ältere der Brüder einen ansehnlichen Besitz zusammengetragen habe, wofür er gelobt wurde. Der jüngere habe darauf auf dem Berg, wo später die Habsburg erbaut worden ist, seine Dienstleute aufstellen lassen und gesagt, dies sei seine Burg. Daraufhin sei auch er vom Vater gelobt worden. Dieser jüngere Bruder soll der Stammvater der Habsburger gewesen sein. Da scheinen sich die Gründungslegenden der Habsburg zu vermischen. Verschiedene Motive und Sagen wurden zu einer neuen Legende verwoben.

Der Geschichtsschreiber Thomas Ebendorfer berichtete dann in der Mitte des 15. Jahrhunderts wieder von den zwei römischen Brüdern und nannte deren Vater, Apis Colonna. Die verschiedenen Legenden trieben zu Beginn des 16. Jahrhunderts die wildesten Blüten. Einmal stammten die Habsburger von Caesar, dann wieder von Hektor, dem Sohn des Priamos von Troja, oder von Aeneas, dem Italien-Flüchtling aus Troja und sagenhaften Urahn der Römer, ab. Kaiser Maximilian I. liess an seinem Grabmal in der Hofkirche in Innsbruck in seiner Ahnenreihe sogar den sagenhaften Artus und den Gotenkönig Theoderich den Grossen aufstellen und spielte damit auf seine ritterlichen Vorbilder an. Die Humanisten des 16. Jahrhunderts verwarfen dann aber diverse dieser Abstammungsgeschichten und verwiesen sie ins Reich der Legende.16

Schon zu Beginn des 14. Jahrhunderts, als die ersten Nachrichten von den angeblich römischen Vorfahren der Habsburger auftauchen, scheint die zähringische Verwandtschaft nicht mehr genügt zu haben. Sie suchten bedeutendere Vorfahren und liessen sich Abstammungen wie jene von den Römern konstruieren.

Königsgefolgschaften: von den Saliern zu den Staufern

Neben der Abstammung aus einem königsnahen Geschlecht war die sogenannte Gefolgschaft genauso wichtig. Herrschaft war noch im 12. und 13. Jahrhundert primär auf Gefolgschaft aufgebaut, nicht auf Territorium. Die territoriale Erfassung des Landes, die Bildung von eigentlichen Territorialstaaten, ist ein Prozess, der zwar im 13. Jahrhundert einsetzt, aber erst im späten Mittelalter auf breiter Basis zur Durchsetzung kommt. Die Habsburger, vor allem der spätere König Rudolf I. und sein Sohn Albrecht, waren Pioniere in dieser neuen Form von Herrschaft.

Um die eigenen Besitztümer zu vermehren, konnten sowohl die Nähe wie auch die Distanz zum König von Nutzen sein. Distanz konnte bedeuten, dass die königliche Gewalt genug weit weg war und der Ausbau des Besitzes, auch gegen die Interessen des Reichs, möglich erschien. Die Nähe zum König bot die Chance, Reichslehen wie Vogteien oder Grafschaften zu übernehmen. Diese Lehen konnten die Basis für einen Ausbau des eigenen Besitzes sein. Im Fall der Habsburger war die Ausgangslage klar: Distanz zum Königtum war fast unmöglich, weil der Südwesten des Reichs, das heisst das Herzogtum Schwaben und das Rheinland, zum Kernbestand des deutschen Königtums gehörte und das Reich in dieser Region relativ viel Eigenbesitz hatte. Dies etwa im Gegensatz zu den grossen Herzogtümern Sachsen, Brandenburg, Österreich oder dem Königreich Böhmen. Der Südwesten des Reichs war auch Grenzregion zu Italien, und mit der Öffnung neuer Alpenpässe wie dem Gotthard zu Beginn des 13. Jahrhunderts stieg die Bedeutung dieser Region an. Die Italienpolitik und die Beziehung zum Papst waren für die deutschen Könige nach wie vor von grosser Bedeutung, wollten sie doch die Tradition des Heiligen Römischen Reichs aufrechterhalten und die Kaiserkrone anstreben.

Es ist darum nicht erstaunlich, dass die Habsburger, sobald sie in ersten Urkunden fassbar sind, im Umfeld der königlichen Gefolgschaft auftauchen. Gefolgschaft bedeutete Dienst am Hof des Königs, ein Mittragen der königlichen Politik. Die Gefolgsleute waren mit ihrem eigenen Anhang mit dem König unterwegs auf Kriegszügen, begleiteten diesen nach Italien zu Verhandlungen mit dem Papst oder zur angestrebten Kaiserkrönung. Sollte der König oder Kaiser das Kreuz nehmen und zu einem Kreuzzug aufbrechen, hatten sie zu folgen. Als Entschädigung für diesen Dienst erhielten sie Reichsämter oder Verwaltungsaufgaben, die ihnen wiederum Einkünfte und Prestige brachten. Letztlich war diese Gefolgschaft eine frühe Form von Solddienst, der gegenseitige Abhängigkeiten schuf.

DIE DEUTSCHEN KÖNIGE IM MITTELALTER: VEREINFACHTE ÜBERSICHT


Der erste nachweisbare Habsburger in der Königsgefolgschaft war, wie eingangs gesehen, Otto II., der Heinrich V., den letzten König aus dem Haus der Salier, 1108 in Pressburg (Bratislava) auf einen Feldzug gegen die Ungarn begleitete. Heinrich war der Sohn jenes Kaisers, der mit dem Papst im Investiturstreit stand und 1077 den berühmten Gang nach Canossa machte, wo er sich der kirchlichen Autorität unterwarf. Ottos Bruder Albrecht II. und Ottos Sohn Werner II. konnten ihre Stellung im Umfeld des Königs halten, obwohl nach dem Aussterben des salischen Hauses das Königtum umstritten war und die Dynastie der Staufer sich erst 1138 gegen die Rivalen aus dem Haus der Welfen, der Herzöge von Bayern und Sachsen, durchsetzen konnte. Graf Werner II. von Habsburg ist 1141 in Strassburg, 1142 in Konstanz und 1150 in Speyer am Hof des staufischen Königs Konrad III. anwesend, 1153 dann bei dessen Neffen, dem neuen König Friedrich I., genannt Barbarossa. Die Staufer waren mütterlicherseits mit dem letzten Salier verwandt, seit 1079 Herzöge von Schwaben und hatten ihren Stammbesitz im nördlichen Elsass, im Breisgau und in Württemberg, in unmittelbarer Nähe zu den frühen Habsburgern.

Die Nähe zum staufischen Königshaus zieht sich im folgenden Jahrhundert wie ein roter Faden durch die weitere Geschichte der Habsburger. Schon Werner II. zog mit Friedrich Barbarossa 1155 nach Burgund und 1167 nach Italien, von wo er, wie bereits erwähnt, nicht mehr zurückkehrte. Der Enkel von Werner, Rudolf II., genannt der Alte, scheint sich im Thronstreit zwischen dem Staufer Philipp von Schwaben und dem Welfen Otto IV., der sich 1198 zum Gegenkönig wählen liess, vorerst in den Dienst des Welfen gestellt zu haben, wahrscheinlich im Gefolge des den Habsburgern nahestehenden Bischofs Konrad von Strassburg. Dieser Schwenk zu den Konkurrenten der Staufer könnte damit zu tun haben, dass mit Otto von Burgund, einem der Söhne Friedrich Barbarossas, ein unmittelbarer Konkurrent der Habsburger am Oberrhein präsent war. Otto von Burgund, der nach dem Aussterben der Lenzburger offenbar Teile des Lenzburger Erbes beanspruchte, betrieb eine aggressive Politik gegenüber den Grafen von Pfirt (Ferrette) und Mömpelgard (Montbéliard), Verwandten der Habsburger. Es bildete sich gegen den Staufer eine Front mit den Zähringern und dem Bischof von Strassburg an der Spitze, aber auch mit den Habsburgern und den Grafen von Dagsburg (Dabo) nordwestlich von Strassburg im Schlepptau. Die Dagsburger gehörten wie die Habsburger in die Verwandtschaft der elsässischen Herzöge und Grafen.

Rudolf der Alte schwenkte aber bald wieder um. Er ist 1207 in Basel und Strassburg im Gefolge des Staufers Philipp von Schwaben belegt, der sich nach und nach gegen den welfischen Konkurrenten durchsetzen konnte. Allerdings wurde Philipp im Sommer 1208 vom bayrischen Pfalzgrafen Otto von Wittelsbach, einem Reichsfüsten notabene, in Bamberg umgebracht: der erste Königsmord in der Geschichte des deutschen Reichs, genau 100 Jahre vor dem Mord an König Albrecht von Habsburg. Die stauferfreundlichen Fürsten wählten 1210 den Neffen Philipps, den damals 18-jährigen Friedrich II., zum König. Rudolf der Alte von Habsburg gehörte zum engsten Gefolge Friedrichs und war 1212 in Basel Zeuge bei der ersten Urkunde, die der junge König ausstellte. Im selben Jahr war er Bürge gegenüber dem Herzog von Lothringen, und zwar für die Summe von 1000 Mark Silber: eine hohe Summe für einen kleinen Grafen. Aber: eine solch hohe Bürgschaft nahm den König als Lehensherrn in die Pflicht. In den folgenden Jahren scheint Rudolf fast ständig in seinem Gefolge gewesen zu sein, unter anderem auch bei der Verteilung des Erbes der 1218 ausgestorbenen Zähringer. Und im selben Jahr, erzählt der Chronist Matthias von Neuenburg, habe König Friedrich II. die Patenschaft für den am 1. Mai 1218 geborenen Rudolf, den Sohn von Albrecht IV. und Enkel Rudolfs des Alten von Habsburg, übernommen. Eine Geschichte, die nach dem Tod des späteren Königs Rudolf von Habsburg entstanden ist und Teil der Legendenbildung um seine Person gewesen sein muss. Allerdings ist eine solche symbolische Handlung nicht ausgeschlossen. Vor allem ging es darum zu zeigen, dass sich der Habsburger König in der Nachfolge des staufischen Königtums sah.17

Die kleinen Grafen im Südwesten des Reichs

Auf welcher Machtgrundlage standen die Habsburger zu Beginn des 13. Jahrhunderts? Wie konnte Rudolf der Alte 1212 eine Bürgschaft von 1000 Mark Silber für den König übernehmen? Aus der Zeit der Gründung der Habsburg und der Stiftung der beiden Klöster Muri und Ottmarsheim lässt sich ungefähr abschätzen, welchen Eigenbesitz die Frühhabsburger zu Beginn des 11. Jahrhunderts hatten: In erster Linie waren das die Eigengüter rund um Muri, Habsburg und Ottmarsheim sowie Streubesitz vor allem im Elsass, im Breisgau und im Aargau. Es lassen sich in dieser Zeit keine übergeordneten Grafschaftsrechte ausmachen, also vom König verliehene landesherrliche Rechte. Die Benennung von Radbot, dem Gründer von Muri, als Grafen wird eine für die damalige Zeit selbstverständliche Rückprojektion des Schreibers der Acta Murensia aus der Zeit um 1160 sein. Zwar ist ein Radbot als Graf im Klettgau urkundlich verbürgt. Ob es sich dabei um den Habsburger Radbot von Altenburg und Muri gehandelt hat, ist allerdings ungewiss.18

Weit klarer ist die Situation nach 1100. Otto II., aber sicher dann sein Sohn, Werner II., hatten von König Heinrich V. die Grafschaftsrechte im oberen Elsass erhalten und übten die Vogtei im sogenannten Mandat von Rufach (Rouffach) südlich von Colmar aus, einem Lehen des Bistums Strassburg. Werner II. erscheint 1135 als Landgraf im oberen Elsass, Vogt zu Rufach und neu auch als Inhaber der Klostervogtei von Murbach. Das 727 von Eberhard, dem Enkel des elsässischen Herzogs Eticho und Neffen der Odilie von Hohenburg, gegründete Kloster in einem engen Tal westlich von Guebwiller war eine der bedeutendsten Abteien des Elsass. Zu Murbach gehörte, nebst grösserem Besitz im Elsass und in den Tälern der Vogesen, auch das Tochterkloster St. Leodegar im Hof zu Luzern mit Grundbesitz im Aargau und in der Innerschweiz rund um den Vierwaldstättersee.

Auch in den Jahrzehnten nach dem Tod von Werner II. brachte die Treue zu den Stauferkönigen den Habsburgern einige Vorteile. Albrecht III., genannt der Reiche, konnte aus dem Erbe der 1173 ausgestorbenen Grafen von Lenzburg und Baden Vogteirechte über das Kloster Säckingen und Grafschaftsrechte im westlichen Zürichgau, dem Raum zwischen Zürichsee und Reuss, übernehmen. In den nächsten Jahren oder Jahrzehnten, so genau kann das nicht mehr eruiert werden, sicherten sich die Habsburger auch die Grafschaftsrechte im Aargau. Sie könnten aber auch vorübergehend in den Händen der Zähringer oder des Staufers Otto von Burgund gewesen sein. Nach dem Tod des letzten Zähringers Berthold V. im Jahr 1218 erfolgte der nächste Machtzuwachs. Rudolf der Alte war, wie gesehen, enger Gefolgsmann des jungen Stauferkönigs Friedrich II. Die zähringische Reichsvogtei Zürich scheint von Friedrich unter verschiedene Anspruchsberechtigte aufgeteilt worden zu sein, darunter waren auch die Habsburger und die ihnen verschwägerten Kyburger, die grössten Profiteure des lenzburgischen und zähringischen Erbes.

Albrecht IV., der ältere Sohn von Rudolf dem Alten, war verheiratet mit Heilwig von Kyburg. Er ist in den Jahren bis 1230 vor allem im Umfeld der elsässischen Verwandtschaft anzutreffen und wird von seinem Vater die Verwaltung der Landgrafschaft im oberen Elsass übernommen haben. Er tritt am 8. Juni 1228 als Hauptmann – man könnte auch sagen Söldnerführer – der Strassburger Truppen in der Schlacht bei Blodelsheim auf. Bei dem kleinen elsässischen Dorf nördlich von Ottmarsheim, unmittelbar am Rhein gelegen, besiegten die Strassburger in Allianz mit dem Habsburger die Grafen von Pfirt (Ferrette). Grund der Auseinandersetzung war eine Erbschaft der ausgestorbenen Grafen von Dagsburg (Dabo) gewesen, die die westlich von Colmar gelegenen Burgen, heute «Les trois châteaux» in der Gemeinde Husseren-les-châteaux, besassen.


Von der 727 von Eberhard aus dem Haus der Etichonen gegründeten Abtei Murbach stehen heute nur noch das Querschiff mit den zwei Türmen und der gerade Chorabschluss. Die Kirche und die Klostergebäude wurden in der Französischen Revolution geplündert und teilweise zerstört. Murbach, seit 1135 unter Habsburger Vogtei, war Mutterabtei des Klosters im Hof in Luzern.

Albrecht IV., genannt der Weise, war im Frühling 1231 am grossen Hoftag von Heinrich VII., dem Sohn von Friedrich II., in Worms zugegen. Heinrich, der 1228 als Nachfolger seines Vaters zum deutschen König gewählt worden war, musste an diesem Hoftag den weltlichen Territorialfürsten die gleichen Rechte einräumen, wie sie die geistlichen Fürsten (Bischöfe) besassen. Er überwarf sich kurze Zeit später mit seinem Vater, wurde von diesem nach Süditalien in die Gefangenschaft geschickt und starb dort 1242.

Kurz nach dem Wormser Hoftag müssen sich die beiden Söhne von Rudolf dem Alten, Albrecht IV. und Rudolf III., genannt der Schweigsame, zur Teilung ihres Besitzes entschlossen haben. Der Vorgang ist allerdings nur indirekt aus einer Präzisierung in den Jahren 1238/39 bekannt.19 Der ältere Bruder erhielt dabei die Rechte im Aargau und im Frickgau mit den Vogteien über Muri und Säckingen sowie Eigengüter im Elsass. Rudolf III. übernahm die Vogtei über Ottmarsheim, die Orte Willisau und Sempach sowie Laufenburg als seinen neuen Stammsitz. Die Rechte im Zürichgau scheinen aufgeteilt worden zu sein. Albrecht übernahm den nördlichen Teil bis gegen Zug, Rudolf den südlichen Teil mit Rechten in Zug, Schwyz und Unterwalden. Die Landgrafschaft im oberen Elsass, die Vogtei über das Kloster Murbach, den Hardtwald und die Burg Limburg am Kaiserstuhl wollten sie gemeinsam verwalten. Die ältere Linie erhielt damit den grösseren und vor allem weniger bestrittenen Teil des Hausgutes. Denn die Ansprüche in der Innerschweiz standen vermutlich auf wackligen Füssen, wie noch zu zeigen sein wird. Die gemeinsam verwalteten Gebiete scheinen mit der nächsten Generation unter Rudolf IV. von der älteren Linie vereinnahmt worden zu sein. Die Teilung schmälerte deshalb ihre Machtbasis nur unwesentlich. Die jüngere, Habsburg-Laufenburg genannte Linie, entwickelte sich im Windschatten der Hauptlinie und wurde letztendlich von dieser nach und nach beerbt.

Albrecht IV., der Vater des zukünftigen Königs, nahm im Jahr 1239 das Kreuz und machte sich ins Heilige Land auf, ob auf eigene Faust oder im Gefolge des Hugo von Burgund, der in diesem Jahr mit französischen Adligen in Richtung Jerusalem aufbrach, lässt sich nicht mehr nachweisen. Auf jeden Fall scheint er auf diesem Kreuzzug umgekommen zu sein. Albrecht hatte drei Söhne: Rudolf IV., Albrecht V. und Hartmann. Albrecht schlug die geistliche Laufbahn ein und ist bereits 1237 als Domherr in Basel bezeugt. Hartmann war 1240 beim Tod seines Vaters noch minderjährig. Der 22-jährige Rudolf war alleiniger Vorstand des älteren Familienzweigs und nahm die Geschicke der Familie in die Hand.20


Der einstmals dominierende Stein von Laufenburg ist heute Ruine. Rund um den ehemaligen Sitz der Grafen von Habsburg-Laufenburg schmiegt sich die Altstadt in das Engnis des Laufen am Rhein, der der Stadt den Namen gegeben hat.

Ein Königshaus aus der Schweiz

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