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Dieser Artikel in der Zeitschrift »Merkur« hat die Aufmerksamkeit des Galeristen Curtis Briggs erregt, der Wolfgang Beltracchi vertritt, seit er aus dem Gefängnis entlassen ist und unter eigenem Namen malt. Curtis Briggs bittet mich, eine kleine Rede zur Beltracchi-Pressekonferenz in seiner Schwabinger Galerie zu halten – ein Auftrag, dem ich gern nachkomme. So habe ich Gelegenheit, die Beltracchis auch persönlich kennenzulernen. Mich beeindruckt die absolut solidarische Liebe des Paars, die sich in jeder Kleinigkeit ausdrückt. Die blondgrauen Mähnen der beiden, die auf Bildern zuweilen etwas wie aus der Zeit gefallen wirken, vereinen sich im Leben zu einer silbernen Doppelaura. Am Vorabend beim gemeinsamen Dinner trägt Beltracchi ein Outfit, das ihn höher dünkt als jeder Smoking: ein von ihm selbst gefertigtes T-Shirt, das ihn als Figur bei den »Simpsons« zeigt. In dieser Zeichentrickserie nämlich durfte seine Persona auftreten, natürlich mit der üblichen gelbgesichtigen Stilisierung. Das ist ein globaler Ritterschlag, wie ihn selbst der globale Kunstmarkt nicht zu spenden vermag. Allerdings hat er das aus dem Internet übernommene Originalbild ein wenig in seinem Sinn abgeändert: Er hat die Locken seines Alter Ego verlängert, so dass er sich in ihm leichter wiederzuerkennen vermochte. Eine kleine, eine harmlose Verfälschung, ein bisschen wie in Offenbachs Operette »Die Prinzessin von Trapezunt« die Artistengruppe, die in der Lotterie gewinnt und keine Kunststücke mehr für die Öffentlichkeit vollführen muss – aber nachts schleicht der Feuerfresser zum Ofen, um heimlich ein paar glühende Kohlen zu naschen …

Ich halte meine kleine Rede, zehn Minuten vielleicht. Beltracchi meint, die sei für ihn wie ein Geburtstagsgeschenk, was mich sehr freut. Die anwesenden Journalisten stellen insgesamt nicht sehr inspirierte Fragen. Sie neigen stark zum Moralisieren und finden Beltracchi, obwohl er jetzt offensichtlich ehrbar geworden ist, nicht so reumütig, wie sie sich das vorgestellt hätten. Er vermasselt ihnen das vorgefasste Skript. Ob das Leben denn nicht viel leichter und froher sei, jetzt, wo er einen Schlussstrich gezogen habe? Nein, bescheidet Beltracchi den Frager, früher habe er erstens Geld und zweitens seine Ruhe gehabt; jetzt habe er weder noch. Eine junge Journalistin, die wissen will, ob und wann er denn zu einem eigenen Werk durchdringen wolle, fertigt er unwirsch ab: Sie habe ja wohl eine Stunde hundsmiserabel zugehört. Sie wird rot und trotzig, schweigt aber.

Und was sind es für Bilder, die man hier sieht? Ein bösartiger Kommentar, der am nächsten Tag erscheint, verkündet: Der kopiert ja noch immer! Aber das stimmt nicht. Weder hat Beltracchi je kopiert, noch tut er das Gleiche wie zuvor. Er beweist seine hohe Kunst, die sich mit der Vielfalt der Tradition auseinandersetzt. Doch hat er von der Drohung abgelassen, die seine Tätigkeit für den Markt bedeutet hat; ein Pirat, der immer noch so schnell springen und schießen kann wie eh und je, aber nunmehr davon absieht, seine Waffe den Pfeffersäcken aufs Herz zu richten. Das führt natürlich zu gewaltigen Preiseinbrüchen: Ein echter Beltracchi erzielt nur ungefähr ein Prozent des Preises wie ein fälschender. Das wären so um die fünfzigtausend Euro. Dieser den Künstler demütigende Tiefstand bezeugt vor allem die lernunfähige Verstocktheit eines gierigen Markts, dem die nächsten Enttäuschungen in Form von enttarnten Nachschöpfungen wohl schon bald bevorstehen. Ich finde Beltracchis Bilder gut und in jenem konservativen Sinn gelungen, wie ein Kunstwerk es sein sollte, das sich wahrhaft ins Reich der Kunst einschreiben will. Dieses ist gewiss ein schwankendes Kontinuum und noch gewisser ein von Grund auf amoralisches, insofern Kunst zu jeder Zeit den Herrschenden nach dem Mund geredet hat. Interessant wird solche Kunst dann, wenn die auftraggebenden Machthaber zu Staub zerfallen sind, wie sie es zuletzt immer tun: Hält ihr Gewölbe aus eigener Kraft, wenn die Gerüste abgezogen sind? Mein Lieblingsbeispiel ist immer das Deckengewölbe des göttlichen Tiepolo im Treppenhaus der Würzburger Residenz. Kommissioniert wurde es als Triumph des Würzburger Fürstbischofs über die vier Weltteile, ein Thema, das heute niemanden mehr vom Hocker reißt. Aber dieses Deckengemälde, übrigens das größte der Welt, ist längst hinausgewachsen über das Ländchen des Bischofs, der es bezahlt hat. Riesenhaft prangt es über den Köpfen seiner nunmehr demokratischen Besucher.

Seine aktuelle, katalysatorische Rolle hat Beltracchi desungeachtet verloren. Indem seine Bilder, in eigenem Namen signiert, nur mehr als kostenneutrale Mahnmale zu wirken vermögen, hat er es aufgegeben (aufgeben müssen), den verkehrten, total verrückt gewordenen Markt dort zu beißen, wo es ihm weh tut: ins Geld. So scheint sein neues, »ehrliches« Werk zum Vergnügen seiner spießigen Feinde in die Bedeutungslosigkeit abzugleiten. Wo doch jedes dieser Bilder verkündet: Er kann malen! Und zwar so gut, dass ihr den Unterschied nie herausfindet.

Beltracchi, der um jeden Preis Geld herbeischaffen muss, hat sich derweil eine besondere Nische gesucht: Er malt, dokumentiert vom Fernsehen, Prominente im Fernsehen, von Günther Jauch bis Gloria von Thurn und Taxis, jede Woche eine(n) anderen, im Stil der gemeinsamen Wahl. Das zahlt seine Rechnungen und schafft ihm Aufmerksamkeit. Aber schade ist es doch auch, dass er auf diese Weise seine Kunst, die von Haus aus eine echte und ernste, eine traditionsbewusste ist, an die bloß schrille Zeitgenossenschaft vergeudet.

Fälschungen, Verwandlungen

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