Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 534 - Burt Frederick - Страница 7
2.
ОглавлениеDie Treiber setzten ihre Arbeit fort, denn von Bord der Schiffe waren gellende Befehle zu hören.
Mittlerweile hatten auch die fünf restlichen Jollen erneut lebende Fracht aufgenommen. In breiter Front liefen die Boote mit den großen Holzkäfigen im seichten Wasser auf Grund, und die quiekenden und grunzenden Borstentiere wurden von den Treibern übernommen. Ihre Aufgabe war es nun, die Tiere unverzüglich in das Gehege zu scheuchen.
Die beiden Beobachter vermuteten, daß die Holländer zunächst hier an der Bucht ein Depot einrichten würden. Erst danach würden diejenigen von ihnen, die für den Aufenthalt auf Mauritius vorgesehen waren, den Weg ins Inselinnere antreten. Darüber würden Tage vergehen.
Man hatte also genügend Zeit, einen Angriff auf die Eindringlinge vorzubereiten.
Unvermittelt entstand unten am Strand Geschrei.
Ein großer, kräftiger Eber hatte die Unachtsamkeit eines Treibers genutzt und stürmte schnaufend den Strand hinauf, auf das Dickicht zu.
„Du lieber Himmel!“ rief Amado Tiron halblaut. „Das Vieh flieht genau in unsere Richtung.“
„Rückzug“, sagte Luceiro Monte nur.
Sie konnten noch beobachten, wie einer der Treiber und zwei Bewaffnete die Verfolgung aufnahmen. Der Eber war erstaunlich schnell, obwohl er mit seinen kurzen Beinen und den scharfen Klauen immer wieder tief in den Sand sackte.
Die beiden Portugiesen bewegten sich vorsichtig, doch zügig. Zwar wußten sie, daß die Aufmerksamkeit der drei Holländer in erster Linie dem davonhastenden Schwein galt, aber es war möglich, daß sie bei einer zu auffälligen Bewegung im Dickicht entdeckt wurden.
Auf einer Lichtung, gut fünfzig Yards vom Rand des Unterholzes entfernt, verharrten sie und horchten.
Brechen und Bersten waren zu hören. Der Eber bahnte sich seinen Weg durch die verfilzten Pflanzen, die in Bodennähe besonders üppig wucherten. Es mußte ein kräftiges Tier sein und hatte alle Chancen, auf dieser Insel zu überleben.
Die Verfolger schienen zurückzufallen, denn Geräusche waren von ihnen noch nicht zu hören.
„Weißt du was?“ sagte Amado Tiron. „Wenn den Kerlen jetzt noch eine Sau entwischt, und wir verscheuchen die ganze Holländerbrut, bevor sie richtig an Land gehen kann, dann haben wir irgendwo auf Mauritius ein wild lebendes Schweinepaar.“
„Und dann wird Mauritius eine Schweineinsel“, entgegnete Luceiro Monte dumpf.
Beide Männer empfanden diesen Gedanken alles andere als erheiternd. Wilde oder verwilderte Schweine würden für die Tiere auf Mauritius eine ernste Gefahr bilden. Es war eine von tiefem Frieden bestimmte Tierwelt, wie sie die Portugiesen noch nie zuvor erlebt hatten. Wahrscheinlich hatten die Holländer auch Hunde an Bord. Und Ratten.
Die hilflosen Dodos würden die ersten sein, die den Eindringlingen zum Opfer fielen.
Das wütende Vordringen des Ebers näherte sich der Lichtung.
Amado und Luceiro wechselten einen Blick. Im selben Moment wußten sie, daß sie den gleichen Gedanken hatten. Ohne zu zögern, liefen sie zur anderen Seite der Lichtung und verbargen sich dort im Dickicht. Beide Männer zogen ihren Entersäbel.
Schon Sekunden später brach das schnaufende Tier aus dem jenseitigen Unterholz hervor. Als er verharrte, schien es verdutzt über den plötzlich fehlenden Widerstand. Es bewegte den kegelförmigen Kopf halbkreisförmig von einer Seite zur anderen, die rosige Plattschnauze schnupperte ständig.
Jetzt waren die Geräusche zu hören, die die Verfolger im Dschungel verursachten.
Amado und Luceiro zögerten keinen Augenblick. Fast ohne einen Laut schnellten sie aus dem Unterholz hervor.
Das Tier zuckte zusammen und wollte zur Seite ausbrechen. Doch die beiden Männer waren schneller. Sie töteten es mit ihren Säbeln so blitzartig, daß es nicht einmal mehr einen Laut von sich geben konnte.
Der Eber knickte in den kurzen Beinen ein, sank auf die Seite und streckte sich.
Amado und Luceiro zogen sich in aller Eile in das schützende Dickicht zurück. Doch sie ergriffen nicht etwa die Flucht. Sie verharrten vielmehr in jener kühlen Ruhe, wie sie sie jedesmal vor einem Kampf auf Leben und Tod erfüllte. Sie konnten davon ausgehen, daß es auch jetzt noch nur drei Holländer waren, die das Schwein verfolgten – eine einmalige Gelegenheit, drei Eindringlinge zu erledigen, bevor man zum richtigen Angriff ansetzte.
Lautlos beobachteten sie die Lichtung. Das Blut des Ebers versickerte im dunklen Grün des Waldbodens.
Nach dem Eindruck der Portugiesen drangen die Holländer wie plumpe Esel durch das Dickicht vor. Ihre sausenden Säbelhiebe, mit denen sie Schlingpflanzen und Blattpflanzen beseitigten, wurden von Flüchen begleitet. Sie gaben sich nicht die geringste Mühe, unbemerkt zu bleiben. Das lag zweifellos daran, daß sie sich schon jetzt als die alleinigen Herren dieser Insel fühlten.
Amado und Luceiro grinsten. Ihnen würden die Augen übergehen, diesen plattfüßigen Kerlen aus den niederen Landen, von denen man sagte, daß sie wegen ihrer ständigen Schlickrutscherei Schwimmhäute zwischen den Zehen hätten.
Auf einmal trat der erste auf die Lichtung hinaus. Es war der Treiber, ein blonder Mann mit struppigem Haar und untersetztem Körperbau.
Er prallte zurück, als er den toten Eber sah. Erschrocken riß er die Arme hoch, und es sah aus, als hätte er vor dem Kadaver Angst und nicht vor der Gefahr, die sein Anblick versinnbildlichte.
„Hierher!“ brüllte der Treiber. „Hierher! Schnell! Ich habe ihn! Das verdammte Vieh ist tot!“
Amado Tiron nahm den Säbel in die Linke. Mit der Rechten zog er das Messer aus der Scheide. Langsam und lautlos richtete er sich auf und hob den Wurf arm.
Die beiden bewaffneten Männer erreichten in diesem Moment die Lichtung. Beide hatten ihre Musketen zurückgelassen, da sie im Dickicht nur hinderlich waren. Unter den breiten Hüftgurten trugen sie Pistolen. Sie ließen die Säbel sinken.
„Warst du das?“ fragte der eine einfältig und deutete auf das tote Schwein.
Der Treiber ruckte herum. Seine Miene spiegelte Empörung, und er riß den Mund auf.
Es war dieser Gesichtsausdruck, mit dem er starb. Kein Laut drang mehr über seine Lippen. Nur der dumpfe Einschlag des Messers war zu hören.
Fassungslos stierten die beiden Männer auf den lederumwickelten Griff, der aus der Brust des Treibers ragte. Bis zum Heft war die Klinge in seinen Körper gedrungen. Während er in sich zusammensank, hatte es den Anschein, als versuchte er noch immer, etwas zu sagen. Die Männer spürten indessen, daß er ihnen keinen Aufschluß darüber geben konnte, was geschehen war.
Der tote Eber. Das Messer, das den Treiber getötet hatte. Beides zusammen gab den Holländern jähe Gewißheit.
Und sie gingen in Abwehrstellung.
Genau in diesem Moment schnellten Amado und Luceiro auf die Lichtung hinaus.
Mit der Gewandtheit von Raubkatzen gingen die beiden schwarzhaarigen Männer auf die eher grobschlächtigen Holländer los. Doch der äußere Eindruck trog. Die Männer aus dem nördlicheren Teil der Alten Welt waren durchaus beweglich. Zwar fehlte ihnen die Eleganz der Südländer, doch die glichen sie mit ihren Bärenkräften und wirkungsvollen Kampftechniken aus, mit denen sie jede Attacke der Portugiesen abzuwehren verstanden.
Die Säbelklingen blitzten und klirrten auf der Lichtung.
Amado und Luceiro kämpften voller unbändiger Wut. Und ihre Entschlossenheit, die Insel gegen die Eindringlinge zu verteidigen, gab schließlich den Ausschlag.
Luceiro unterlief einen voreiligen Ausfall seines Gegners und rammte ihm die Säbelklinge von unten her in den Leib. Der Holländer brach über ihm zusammen. Gerade noch rechtzeitig konnte Luceiro nach rechts weghuschen, um nicht unter der schweren Last begraben zu werden.
Er federte hoch und kreiselte herum. Dabei beobachtete er am Rand seines Blickfelds, wie Amado dem anderen Mann den Säbel aus der Hand hieb. Der Holländer wankte rückwärts.
Luceiro versetzte seinem zusammengesunkenen Gegner einen zusätzlichen Stoß, der diesen mit endgültiger Sicherheit tötete.
Amados Gegner verfing sich plötzlich mit dem Stiefel an einer Baumwurzel. Mit dem Rücken stürzte er zu Boden. Amado ließ sich täuschen. Er wähnte den Holländer benommen und gewährte sich selbst eine Sekunde zu lange Zeit, um ihm den tödlichen Stoß zu versetzen.
Der Holländer riß seine Pistole unter dem Gurt hervor.
„Paß auf!“ schrie Luceiro, und er spürte doch, daß er nichts mehr tun konnte.
In dem Augenblick, in dem die Säbelklinge auf ihn hinunterstieß, feuerte der Holländer.
Krachend zerriß der Schuß die Stille des Dschungels.
Luceiro Monte zuckte zusammen, als wäre er selbst getroffen worden.
Neben dem Säbel, der sich durch den Oberkörper des Holländers und in den Boden grub, sank Amado Tiron zusammen.
Luceiro sah die furchtbare Ausschußwunde im Rücken seines Freundes, und ihm schnürte sich die Kehle zusammen. Er wußte, daß es hier keine Hilfe mehr gab.
Der Holländer, mit dem Säbel im Brustkasten, bewegte noch den Kopf.
Luceiro versetzte ihm den tödlichen Hieb.
Er richtete sich auf und schob den Säbel in die Scheide. Vom Strand waren keine Stimmen mehr zu hören. Klar, daß sie den Schuß vernommen hatten. Zwar würden sie nicht wissen, was passiert war, doch sie würden auf jeden Fall nach dem Rechten sehen.
Es schmerzte Luceiro, doch er hatte keine andere Wahl. Er mußte den toten Freund zurücklassen, ohne daß er ihm die Würde eines ordentlichen Begräbnisses zuteil werden lassen konnte.
Er wandte sich ab und tauchte im Dickicht unter, ohne ein Geräusch zu verursachen. Die Holländer würden ihn nicht hören, und sie würden seine Spur nicht verfolgen können. Während er zügig in den Dschungel vordrang, überlegte er, ob er den Toten nicht doch hätte mitnehmen können.
Nein.
Es ging nicht allein um seine eigene Sicherheit und um sein Vorankommen. Wichtig war, daß die Freunde im Stützpunkt alarmiert wurden. Joao Bonfado und die anderen mußten erfahren, was sich in der großen Nordbucht abspielte. Es war wichtig, daß sie diese Information erhielten, bevor sie eine blutige Überraschung erlebten.
Amados Leiche, so sagte sich Luceiro, hätte ihn auf seinem Fluchtweg durch das Unterholz viel zu sehr behindert. Und die Holländer waren letzten Endes auch Christenmenschen. Sie würden ihre Wut nicht an einem Toten auslassen.
Er gewann so rasch Distanz, daß er nicht einmal mehr hörte, ob die Holländer am Strand ein Verfolgerkommando zusammenstellten. Sicher würden sie das tun, und vielleicht ließen sie sich nur deshalb Zeit dabei, weil sie nicht in einen Hinterhalt tappen wollten – wie die drei Schweinejäger.
Der Stützpunkt der Portugiesen befand sich fünfzehn Meilen südwestlich von jener Nordbucht. Bonfado und seine Männer hatten nur Teile des Waldes gerodet, um den Hütten und dem größeren Versammlungshaus Platz zu verschaffen.
Von See her waren die massiven Holzgebäude im Schutz des verbliebenen Buschwerks und des Baumbestandes nicht zu erkennen. Pfade führten vom Strand zu den Hütten.
Die Schaluppen, mit denen Bonfado und seine Männer in den Küstengewässern auf Beutezüge gingen, lagen im Schutz einer Flußmündung, die in Schlangenlinien und von dichtem Bewuchs gesäumt in die Bucht einschnitt.
Eine wesentlich größere Bucht war es als jene, die die Holländer offenbar zu ihrem Stützpunkt ausbauen wollten. Port Louis war diese Bucht von unbekannten und wieder verschwundenen Entdeckern genannt worden. Auf den Seekarten war es der einzig eingetragene Namenszug außer dem Inselnamen Mauritius.
Die Bucht von Port Louis, die Joao Bonfado und seine Männer nach dem Untergang dreier portugiesischer Karacken als Schiffbrüchige erreicht hatten, lag innerhalb der Küstenlinie und bildete einen fast geschlossenen Kreis, dessen äußeres Zehntel von aufeinander zuragenden Landzungen freigelassen wurde. Das war eine natürliche, kanalähnliche Zufahrt, die die Bucht zu einem denkbar günstigen Hafen gestaltete.
Mit Recht hatten die unbekannten Entdecker seinerzeit festgestellt, daß es sich um die bestgeeignete Bucht für Ansiedlungszwecke auf ganz Mauritius handelte. Bonfado und seine Gefährten hatten bei ihren Küstenfahrten keinen günstigeren Ort entdecken können.
Bonfado hatte den größten Teil seiner Männer in den Hütten am Rand der Bucht konzentriert. Es gab jedoch einige, die sich weiter landeinwärts Hütten gebaut hatten. Auf gerodeten Waldstücken versuchten sie Feldfrüchte anzubauen.
Sie taten dies in der Hoffnung, daß es ihnen eines Tages gelingen würde, Frauen auf die Insel zu holen. Dann würden sie die ersten sein, die auf Mauritius eine bodenständige Lebensgrundlage schufen.
Luceiro Monte traf den breitschultrigen Anführer in einer Besprechung mit den Unterführern vor dem Versammlungshaus. Bonfado trug einen Vollbart. Das schwarze Kopfhaar reichte ihm bis auf die Schultern. Schon in der Miene Luceiros lasen Bonfado und die anderen, wie schlimm das sein mußte, was geschehen war.
Einer brachte dem völlig erschöpften Mann einen Krug mit frischem Wasser. Er ließ sich auf eine rohgezimmerte Bank sinken und begann zu berichten.
Harte Furchen entstanden in Joao Bonfados Gesichtszügen.
„Ich habe es immer gewußt“, sagte er schließlich, nachdem Luceiro seinen Bericht beendet hatte. Er blickte in die Runde. „Wir haben es alle gewußt, nicht wahr? Eines Tages würden wir um diese Insel, um dieses Land kämpfen müssen, wenn wir es nicht verlieren wollen.“
Die Männer nickten. Der Tag, an dem sie kämpfen und vielleicht alle sterben würden, war nahe.