Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 591 - Burt Frederick - Страница 6

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Aber sie wußte, daß es eine lächerliche Hoffnung war, ein Flehen, das niemals erhört werden würde. Das Unwetter war ebenso wirklich wie alles, was hinter ihr lag. Die Männer, die sie entführt hatten, waren mit ihr tagelang über das Meer gefahren.

Ganz gewiß hatten sie das nicht getan, um an einer anderen Stelle der irischen Küste wieder an Land zu gehen. Denn sie waren keine Iren. Ihre Sprache klang vertraut und doch anders.

Mit jeder Bö schwoll der Sturm an. Das hörte und spürte Maureen deutlich. Sie war an der See aufgewachsen und kannte die Zeichen, mit denen die Natur Gutes oder Böses ankündigte.

Das Pullen der Männer erschien ihr so überflüssig wie der Gedanke eines kleinen Kindes, es könne sich verstecken, indem es einfach die Augen schloß. Bei drei von vier Zügen peitschten die Riemenblätter lediglich den schäumenden Gischt und bewirkten nichts.

Der Sturm heulte und orgelte. Über kurz oder lang würde er mit der Jolle spielen, sie hochschleudern und wieder auf die brodelnden Fluten schmettern – so lange, bis sich die Beplankung von den Spanten löste und zersplittert wurde.

Maureen schloß die Augen. Eine unnatürliche Ruhe erfaßte sie. Sie schrie nicht mehr, der innere Zwang war vorbei.

Sie hatte keine Angst mehr vor dem Tod. Sie wußte, daß er nahe war. Nur Bitterkeit verspürte sie – grenzenlose Bitterkeit. Sie hatte ein gottgefälliges, frommes Leben geführt. Nie hatte sie gegen die Gesetze der Kirche verstoßen. In diesen Minuten, die die Hölle des Unwetters schon andauerte, hatte sie sich wieder und wieder geprüft. Aber da gab es keinen dunklen Punkt in ihrem Leben. Nicht einen einzigen.

Warum mußte der Herr sie dann strafen? Für was?

Den Tod an sich konnte sie begreifen. Wenn der Allmächtige die Menschen durch Sturm und Gewitter seinen Zorn spüren ließ, dann war es verständlich, daß er dabei auf den einzelnen keine Rücksicht nehmen konnte. Unschuldige mußten also gelegentlich den Tod finden, auch wenn ihre Zeit noch nicht gekommen war. Das hatte Maureen von Father Geraghty gelernt und auch verstanden.

Was sie aber nicht verstand, das war die Grausamkeit, die ihr in dieser sturmgepeitschten Nacht widerfuhr. An die Ducht gefesselt, hatte sie keinerlei Möglichkeiten, gegen die Wogen anzukämpfen. Wenn das Boot erst einmal zerschellt war, würde sie ertrinken wie eine Katze, die man in einem zugebundenen Sack mit Steinen versenkte.

So etwas konnte nicht Gottes Wille sein. Sie beanspruchte keine Sonderrechte für sich. Aber es wollte ihr nicht in den Kopf, daß jemand, der seine Gebote immer befolgt hatte, dann doch bestraft wurde wie ein gemeiner Verbrecher. Sie bedauerte, daß sie Father Geraghty deshalb nicht mehr zur Rede stellen konnte.

Von den Gischtschwaden, die der Sturm aus den Wogen riß und darüber hinwegtrieb, war Maureen längst bis auf die Haut durchnäßt.

Plötzlich erhielt das Boot einen Stoß, der der Windrichtung entgegengesetzt war.

Maureen schrie von neuem. Sie hörte die Männer vor sich und hinter sich brüllen und glaubte, das Ende sei nun da. Erst im nächsten Moment begriff sie, daß dieses Brüllen aus Freude und Triumph geschah – Triumph über die Macht von Wind und Wogen. Der Stoß ging in ein gleitendes Knirschen über. Maureen hatte den Oberkörper zusammengekrümmt, um nicht zurückgeworfen zu werden. Sie wußte, wie schmerzhaft die Fesseln dann in ihren Körper schnitten.

Das Boot war auf den steinigen Ufergrund gerutscht.

Die nächste Woge begrub die vier Männer und das Mädchen unter sich und schien sie in die See zurückreißen zu wollen. Aber das Gewicht der Jolle reichte aus, um standzuhalten. Die Wassermassen sanken in sich zusammen und rauschten schäumend beiderseits des Bootsrumpfes ab. Die Männer sprangen hinaus und zogen die Jolle höher an Land.

Das Gewitter hatte nachgelassen, doch der Sturm wurde um so heftiger. Nur noch Wetterleuchten erhellte die Küstenlandschaft in größeren Abständen. Die Entführer brachten das Boot hinter einem gut mannshohen Felsbrocken in Sicherheit. Dann erst banden sie die junge Irin los.

Maureen fiel es schwer, sich auf den Beinen zu halten. Zwei der Kerle stützten sie auf dem Weg zu einem Geröllpfad, der in die Felsenhänge hinaufführte.

Ein ferner Blitz gab den Blick auf das sturmgepeitschte Meer frei. Es war eine grauschwarz kochende Hölle mit heller Gischt und bedrohlich finsteren Fluten.

Maureen sehnte sich danach, das Glück auszukosten, dem Tod noch einmal entronnen zu sein. Aber dieses Glücksgefühl wurde erstickt von der dumpfen Ahnung, daß ihr ein Schicksal bevorstand, das möglicherweise schlimmer war als der grausamste Tod.

Die Böen preßten ihr die nasse Kleidung auf die Haut und jagten Kälteschauer durch ihren Körper. Je höher sie in den Fels hinaufstiegen, desto schärfer wurde der Sturm, desto schneidender die Kälte. Diese Märznacht des Jahres 1598 deutete an, daß der Frühling noch eine Weile auf sich warten lassen würde. Aber was für ein Land war das hier, das so sehr an Irland erinnerte und doch nicht Irland sein konnte?

Im gelegentlichen Wetterleuchten glänzte das nasse Gestein schwarz und abweisend. Der Geröllpfad wurde schmaler. Zwei Männer gingen voraus, zwei folgten Maureen. An eine Flucht konnte sie nicht denken. Das wußten ihre Entführer nur zu gut.

Der Pfad war gefährlich. Ein Fehltritt konnte den Tod bedeuten, denn sie hatten mittlerweile beträchtliche Höhe gewonnen. Das Schäumen und Brodeln der See blieb in der Tiefe zurück und schien an Bedeutung zu verlieren.

Maureen vermochte sich fast schon nicht mehr vorzustellen, daß sie sich noch vor wenigen Minuten in der Gewalt jener entfesselten Elemente befunden und um ihr Leben geschrien hatte.

Was mochte aus dem Fischkutter geworden sein, der die Jolle draußen, im Eingang der Bucht, abgesetzt hatte? Zwei Männer waren an Bord geblieben, um den Kutter in eine andere Bucht zu verholen. Das hatte Maureen aus den Gesprächen der Männer herausgehört.

Mit jenem Einmaster war sie aus ihrer Heimat entführt worden. Sie hatte noch niemals anderen Menschen etwas Schlechtes gewünscht, aber sie ertappte sich jetzt dabei, daß sie sich voller Genugtuung ausmalte, wie der Kutter im Sturm kenterte und sank.

In diesen wenigen Tagen seit ihrer Entführung hatte Maureen O’Riordan begriffen, daß die Welt gemeiner und unberechenbarer war, als sie sich das in der Beschaulichkeit ihres kleinen irischen Dorfes vorgestellt hatte.

Oberhalb der Felsenküste erreichten sie einen Hohlweg. Zwei der Entführer ergriffen abermals Maureens Arme. Sie schienen noch immer zu befürchten, daß sie weglaufen könnte. Der Sturm war nun weniger zu spüren, denn die Erhebungen beiderseits des Weges waren ein guter Schutz.

Dürres Gras und Buschwerk, oben auf den dünenartigen Kämmen, wurde von den Böen immer von neuem zu Boden gedrückt, kaum daß es sich aufgerichtet hatte. Es erinnerte Maureen an die Warren Bay, zu Hause, nahe ihrem Geburtsort Rosscarbery im County Cork. Auch dort führte so ein Weg von den wasserumtosten Uferklippen hinauf zu dem Land aus Gestein, Sand und genügsamen Pflanzen.

Durch Pfade zwischen Steinwällen eilten die Männer mit ihr immer weiter landeinwärts. Düster geballte Wolkenfelder mit vereinzelten hellen Flecken trieben über das karge Land. Immer seltener wurde die Finsternis von jenem Wetterleuchten aufgerissen, das anzeigte, daß sich das Gewitter rasch nordwärts entfernte.

Die Entführer brachten sie in ein Haus, das einsam auf einer flachen Hügelkuppe stand und wahrscheinlich schon hundert Jahre lang allen Stürmen getrotzt hatte. Maureen hatte das Haus erst aus unmittelbarer Nähe entdeckt, so sehr war es mit der Landschaft verwachsen und schien ein natürlicher Bestandteil davon zu sein.

Dann, im Inneren, sah sie, daß die Mauern ohne Mörtel aus Felssteinen aufeinandergeschichtet waren – auf jene fachmännische Weise, die solche Mauern kaum jemals einstürzen ließ.

Wieder mußte sie staunen. Auch diese Bauweise war ihr aus Irland vertraut. Das Dach bestand aus Balken und Schieferplatten. Die Fensterhöhlen, ohne Glas und Holzrahmen, waren mit rohen Brettern zugenagelt. Das Haus hatte drei durch Mauern voneinander abgeteilte Räume. In jedem gab es eine offene Feuerstelle mit Rauchabzug.

Die Männer führten Maureen in den hinteren Raum und schichteten Holzscheite auf. Wenig später flackerten Flammen auf, die sich im Handumdrehen an den Scheiten hochfraßen. Wohlige Wärme entstand.

„Kannst jetzt deine Sachen trocknen“, sagte einer der Kerle. „Und keine Angst. Wir kümmern uns nicht um dich. Es ist uns verboten worden.“

Maureen starrte den Mann an und begriff nicht, warum sie ihn verstand. Was er sagte, klang dem Gälischen, ihrer Muttersprache, lediglich ähnlich. So ähnlich jedoch, daß sie den Sinn der Worte verstehen konnte.

Die Entführer zogen sich zurück und hängten einen Sack vor die Türöffnung. Maureen hatte sich bis eben noch mit der nassen Kleidung abgefunden. Ihr tatenloser Kampf gegen das Unwetter und ihr Überlebenswille hatten alle anderen Empfindungen unterdrückt.

Nun aber breitete sich die Wärme mehr und mehr aus, mit der blakenden Öllampe und dem festgestampften Lehmfußboden gewann der Raum sogar eine gewisse Gemütlichkeit. Der auf dem Leib klebende Stoff fühlte sich für Maureen wie ein schwerer nasser Panzer an.

Sie blickte zögernd auf die zugehängte Türöffnung und überwand sich. Was der Mann gesagt hatte, schien glaubwürdig zu sein. Sie hatten offenbar gehörigen Respekt vor jemandem, dessen Befehle sie ausführten.

In der hinteren Ecke des Raumes sah Maureen eine Art Pritsche aus Rinderfellen und wollenen Decken. Sie zerrte sich die nassen Sachen vom Körper und breitete sie zum Trocknen in der Nähe der Feuerstelle aus. Einen Moment blieb sie dicht vor den Flammen stehen.

Die Wärme auf der nackten Haut zu spüren, ergab ein Gefühl des Behagens und der Geborgenheit. Ein Prickeln durchströmte sie. Für diese Sekunden vergaß sie, daß sie sich in einem fremden Land und in der Gewalt von Männern befand, deren Absichten sie nicht kannte.

In jenen Sekunden gab es keinen anderen Gedanken für sie außer diesem einen: Ich lebe noch!

Rasch trocknete die Nässe, die die Kleidung auf ihrer weißen Haut zurückgelassen hatte, in der Wärme der prasselnden Flammen. Das schwarze Haar, sonst seidenweich, fiel in Strähnen über ihre Schultern.

Maureen war schlank, doch mit ausgeprägt weiblichen Formen. Sie dachte an Padraic, dem sie versprochen war. Nicht einmal er hatte sie so gesehen. Ihre Weiblichkeit war das Geheimnis, das sie für ihn hütete – wie Father Geraghty ihr erklärt hatte.

Nein. Er hatte es nicht erklärt. Er hatte es befohlen. Je mehr sie darüber nachdachte, desto mehr gewann sie die Überzeugung, daß es regelrechte Befehle waren, die der Dorfgeistliche von Rosscarbery aussprach. Das Druckmittel, diese Befehle durchzusetzen, war der Hinweis auf die Höllenqualen, die einem bei Nichtbefolgen der kirchlichen Richtlinien drohten.

Eine unbestimmte Ahnung ließ Maureen plötzlich bedauern, daß sie sich Padraic nicht einfach hingegeben, sondern seinem ungestümen Verlangen getrotzt hatte, obwohl dieses Verlangen auch ihren innersten Empfindungen widersprach.

Mit einem klatschenden Laut wurde der Sack beiseite geschlagen.

Maureen erschrak. Vergeblich versuchte sie, noch eine der Decken oder ein Kleidungsstück an sich zu reißen.

Der Mann stand schon im Raum. Grinsend betrachtete er sie.

Mit den Händen konnte Maureen ihre Blöße nur unzureichend bedecken.

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 591

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