Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 591 - Burt Frederick - Страница 7

2.

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Auf den Decks der „Fidelidad“ und auch auf der Schebecke waren Manntaue gespannt. Seit drei Tagen schon. Bereits vor Einbruch der Dunkelheit hatte es verteufelt danach ausgesehen, daß die Sicherungsmaßnahme noch lange nicht aufgegeben werden konnte.

Der nächste Sturm hatte sich deutlich genug angekündigt.

Don Juan de Alcazar, der das Kommando auf der „Fidelidad“ führte, hatte sich durch Anpreien mit dem Seewolf verständigt. Hasard hatte sofort zugestimmt. Eine Sturmfahrt durch die Biscaya lag hinter ihnen. Das Wetter hatte allen Männern das Äußerste abverlangt, was nicht hieß, daß sie nicht noch einen oder mehrere weitere Tage unter ähnlichen Umständen durchstehen würden. Es ging noch nicht an ihre Kraftreserven.

Es war jedoch der Zustand der Schiffe, der Sorgen bereitete.

Zwar hatten sie in La Coruña erstklassiges neues Segeltuch und ausreichende Proviantvorräte für die „Fidelidad“ erhalten, und ersteres hatte sich in der Biscaya auch bestens bewährt. Aber insbesondere die Galeone reagierte mit besorgniserregender Trägheit auf das Ruder. Beim Kampf gegen den Sturm war das erschreckend deutlich geworden. Die Schebecke zeigte ein ähnliches Handicap indessen nur im Ansatz. Bei den Symptomen war allen Männern die Ursache klar. Sie brauchten nicht lange herumzugrübeln.

Vor allem die „Fidelidad“ schleppte einen mächtigen Panzer aus Muscheln und Algen am Unterwasserschiff mit sich. Dieser Panzer war zu einem solchen Gewicht angewachsen, daß er die Stabilität der Galeone stark beeinträchtigte. Weder Don Juan noch der Seewolf wollten daher riskieren, die Route nach Cornwall weiterzusegeln und ein erneutes Unwetter in Kauf zu nehmen.

Dan O’Flynn, in seiner Funktion als Navigator, hatte anhand der Seekarten ermittelt, daß sie sich nur zwei Seemeilen westlich von der Ile de Sein befanden.

Die Insel war Pointe du Raz vorgelagert, einer von Quimper nach Westen hinausragenden Halbinsel, die zur Bretagne gehörte. Die Arwenacks hatten ihre besonderen Erinnerungen an diesen Teil Frankreichs.

Da der Wind mit tückischen Böen aus südwestlichen Richtungen wehte, hatten die Arwenacks keine Schwierigkeiten, auf Ostkurs zu gehen und Direktkurs auf die Ile de Sein zu nehmen. Doch der Sturm, der sich mit einer pechschwarzen Wolkenfront von Westen her ankündigte, holte sie ein. Innerhalb von Minuten brach die Finsternis herein.

Hasard und Don Juan ließen Tuch wegnehmen.

Beide Schiffe hatten Lampen gesetzt. Die Schebecke übernahm die Führung, und Dan O’Flynns scharfe Augen gaben den Ausschlag, Trotz der miserablen Sicht erspähte er die winzigen Lichtpunkte, die auf einen schützenden Hafen hinwiesen.

Dan täuschte sich nicht. Während Sturm und Gewitter mit voller Wucht losbrachen, zeichneten sich im taghellen Licht der Blitze die Konturen der Bucht ab. Es war vermutlich der bestmögliche natürliche Hafen, den man hier, auf der Ile de Sein, hatte nutzen können.

Hohe Felswände umschlossen die Bucht im Norden und im Süden, die Einfahrt war ohne größere Gefahr passierbar. Die Lichter waren nun deutlicher erkennbar, auch für alle übrigen Arwenacks, die nicht über die ungewöhnliche Sehschärfe Dan O’Flynns verfügten.

Mit hoher Fahrt liefen die von Größe und Konstruktion her so unterschiedlichen Dreimaster in die Bucht ein. Augenblicklich schien zumindest der Sturm ausgesperrt zu sein. Dank der Helligkeit der Blitze, die in rascher Folge aus der finsteren Wolkenmasse zuckten, waren der Seewolf und Don Juan auf die Hafenlaternen fast nicht angewiesen.

Überwiegend waren es Fischkutter, die an Dalben und Stegen dümpelten. Lediglich einen etwas größeren Zweimaster, der offenbar als Frachtsegler für die Versorgung der Insel diente, konnten die Männer entdecken.

Noch im Eingang der Bucht nahmen sie das letzte Tuch weg. Etwa zwei Kabellängen von einer in Nord-Süd-Richtung verlaufenden Kaimauer entfernt, legten sie die Galeone und die Schebecke an Duckdalben.

Der Seewolf ließ das Beiboot fieren, und gemeinsam mit Ben Brighton und Dan O’Flynn begab er sich an Land. Das Gewitter zog mittlerweile langsam ab, doch der Sturm tobte heftiger und jagte seine brüllenden Böen über die Felswände hinweg, die sowohl die Bucht als auch die kleine Ansiedlung wirksam schützten.

Am Kai waren Männer erschienen. Sie beobachteten die Bucht, als erwarteten sie weitere schutzsuchende Schiffe. Einige der Männer hielten Laternen in der Hand. Ihre Kleidung war geeignet, dem Sturm und der Nässe zu trotzen.

In den übergroßen Jacken aus Ölzeug sahen sie wie Statuen aus, unter den wie große Schlapphüte geformten Kopfbedeckungen wirkten ihre Gesichter wie helle, unbewegte Flecken.

Hasard stellte sich als Kapitän der Schebecke vor und fügte hinzu, daß sie gemeinsam mit der Galeone nach England unterwegs seien. Einer der Bretonen übersetzte in die gutturale keltische Sprache seiner Landsleute. Sie grinsten. Warum, das sollten Hasard und seine Begleiter gleich darauf erfahren.

„Eine spanische Galeone?“ fragte der Mann, der das Englische beherrschte. „Gekapert?“

Hasard, Ben und Dan konnten nicht umhin, ebenfalls zu grinsen.

„Vor Spaniens Nordküste“, antwortete er, um zu unterstreichen, wie sehr man den Dons eins ausgewischt hatte. Der letzte Krieg, den die Franzosen gemeinsam mit Engländern und Holländern gegen die Spanier und ihre gegenreformatorische Einmischung geführt hatten, war erst vor zwei Jahren zu Ende gegangen.

Sie wurden zum Bürgermeister geführt, der in Hafennähe wohnte. Der grauhaarige alte Mann hieß sie auf der Ile de Sein willkommen und erklärte ihnen, daß sie die Gastfreundschaft der Dorfbewohner so lange genießen könnten, wie sie wollten.

Der englischsprechende Bretone wies den Seewolf und seine Begleiter darauf hin, daß der Tidenhub hier, an der Küste der Bretagne, über sieben Faden betrage. Obwohl er es wußte, bedankte sich Hasard für den Hinweis und versprach, seine Gefährten entsprechend zu unterrichten.

Sie kehrten auf die Schebecke zurück. Etwa eine Stunde später sahen sie einen Fischkutter einlaufen, der offenbar die schlimmste Sturmhölle mit knapper Mühe überwunden hatte.

Den Arwenacks fiel auf, daß sich nur zwei Mann an Bord des Kutters befanden, der zudem über kein Beiboot verfügte. Die beiden Fischer vertäuten den Kutter am Kai, wechselten nur wenige Worte mit den dort ausharrenden Dorfbewohnern und verschwanden dann in einer der unbeleuchteten Gassen.

Der Sturm wütete weiter über der See.

Maureen erinnerte sich an den Mann.

Zwar hatte sie ihn an Bord des Kutters nur in schwerem Ölzeug gesehen, aber das war zunächst noch bei Tageslicht gewesen, und sein Gesicht war so markant, daß man es unter Tausenden erkennen würde, selbst wenn man ihm nur ein- oder zweimal gegenübergestanden hatte.

Eine vorspringende, scharfkantig gebogene Nase beherrschte sein Gesicht. Der sichelförmige Bart, den die Nasenspitze in der Mitte fast verdeckte, ließ das Grinsen doppelt spöttisch erscheinen. In seinen Augen, so schwarz wie das Haar, funkelte ein tückisches Feuer. Der Mann war mittelgroß und drahtig. Er trug jetzt lediglich einfache Leinenkleidung.

„Bist ein hübsches Kind“, sagte er mit anerkennendem Nicken, nachdem sein Blick an ihrem Körper auf und nieder gewandert war. Er trat zwei Schritte auf sie zu.

Maureen wich zurück, vom Feuer weg, die Augen vor Angst geweitet. „Ich – ich – ich wollte nur …“, stammelte sie.

„Klar“, sagte der Schwarzhaarige und blieb noch einmal stehen. Er legte die Hände in die Hüften. „Du wolltest deinen hinreißenden Körper mit ein wenig Wärme verwöhnen. Gut. Jetzt bin ich da, und das Verwöhnen wird zehnmal schöner.“

„Nein!“ stieß Maureen entsetzt hervor. „Sie können doch nicht …“ Sie wich weiter zurück, bis sie gegen die harte Steinwand stieß. Sie keuchte in Panik und brachte kein Wort mehr hervor.

Er lachte. „Hör auf, mich so förmlich anzureden. Ich heiße Jacques. Jacques Hélias. Mich kennt sowieso jeder in dieser Gegend, die künftig dein Zuhause sein wird. Nun“, er grinste und strich sich über den Sichelbart, „da ich dich – beschafft habe, ist es gewissermaßen meine Pflicht, dich ein bißchen zu prüfen, bevor ich dich ausliefere.“

Maureen verstand überhaupt nichts mehr. Ihre Angst steigerte sich von Atemzug zu Atemzug, ihr Denkvermögen war wie ausgelöscht. Sie begann zu zittern und schob sich an der rauhen, scharfkantigen Wand entlang auf das Lager aus Fellen und Decken zu, ohne zu erfassen, daß sie damit den Wünschen des Bretonen nur entgegenkam.

Er folgte ihr mit lauernden Bewegungen.

„Nimm endlich die Hände runter“, sagte er barsch. „Glaubst du, ich hätte noch nie ein nacktes Weib gesehen? Du bist vielleicht ein besonders gutgebautes Exemplar, aber im wesentlichen unterscheidest du dich nicht von allen anderen. Stimmt’s?“ Abermals lachte er.

Maureen wollte schreien, aber ihre Stimmbänder versagten. Mit den Kniekehlen stieß sie gegen die Kante der Lagerstatt. Sie knickte ein, verlor das Gleichgewicht und riß reflexartig die Arme hoch, um sich abstützen zu können.

Sie fühlte sich schutzlos und elend in ihrer Blöße. Sie konnte sich nicht aufrichten, denn dann würde sie sich ihm praktisch in die Arme werfen. Vornübergebeugt stand er da und stierte sie an. Ihr war, als stießen seine Blicke in sie ein. Sie war ihm ausgeliefert. Noch immer konnte sie nicht schreien. Er war still geworden in seiner Gier.

Seine Worte dröhnten in ihrem Kopf und begannen zu kreisen.

… dich beschafft habe …

… bevor ich dich ausliefere …

Beschafft hatte er sie? Wie eine Ware oder ein Stück Vieh? Sie erinnerte sich an die Mittagsstunde, in der sie die warme Vorfrühlingssonne am Strand der Warren Bay und auf den Felsenpfaden genossen hatte. Das Klima in der Grafschaft Cork war viel milder als hier, in diesem unbekannten Land.

Ihr Spaziergang in der Einsamkeit, die sie so liebte, war jäh unterbrochen worden – auf brutalste Weise. Die Kerle hatten hinter einem Felsvorsprung gelauert und sie zu einem Boot geschleppt. Dann war sie an Bord des Kutters gebracht worden. Und nun sollte sie Irland niemals wiedersehen.

Aber warum?

Warum?

Maureens Gedanken jagten sich in diesen Sekunden, die ihr noch blieben, bis ihr der gierig starrende Mann Gewalt antun würde. Als Kinder hatten sie von bösen Menschenräubern gehört. Die Nonnen in der Klosterschule hatten von geheimnisvollen Fremden erzählt, die über das Meer fuhren, um kleine Mädchen und Jungen von Irlands Stränden zu stehlen.

Aber Maureen und ihre Freundinnen hatten niemals erlebt, daß eine aus ihrer Mitte plötzlich verschwunden war. Sie hatten es als Legende abgetan, durch die Einbildungskraft der frommen Schwestern dramatisiert.

In der letzten Zeit aber hatten die alten Frauen an den Herdfeuern schlimme Gerüchte verbreitet. Da war sie wieder aufgetaucht, jene vermeintliche Legende, die von den fremden Menschenräubern zu berichten wußte.

Kinder waren indessen nicht ihre Opfer. Mädchen im heiratsfähigen Alter, so hieß es, würden von den Unheimlichen vorzugsweise verschleppt. In Rosscarbery und an der Warren Bay hatte sich Derartiges noch nie ereignet, deshalb nahm niemand in Maureens Heimatdorf die Warnungen der Alten so recht ernst.

Nun aber, nach Maureens Verschwinden, würde das wohl anders sein. Wie würde Padraic reagieren? Würde er sie einfach vergessen und sich eine andere suchen? Vielleicht war es eine willkommene Gelegenheit für ihn, eine zu finden, die bereitwilliger war, wenn er sie in ihrem Verlangen bedrängte.

Maureen zuckte zusammen, als Hélias plötzlich ihre Arme packte und hochriß. Im nächsten Sekundenbruchteil erfaßte er ihre Schultern und stieß sie zurück auf das weiche Lager.

Der Schrei löste sich aus ihrer Kehle. Sie verkrampfte sich und versuchte voller Verzweiflung, sich zu wehren. Ihre Stimme gellte. Hélias versetzte ihr eine schallende Ohrfeige. Sie verstummte. Der Schmerz brannte auf ihrer Wange und raste durch ihren Kopf.

„Einfältiges dummes Ding!“ knurrte er. „Zier dich nicht so! Du weißt ja gar nicht, was für ein Vergnügen dich erwartet!“ Während er sie mit der einen Hand auf die Decken drückte, nestelte er mit der anderen an seiner Gürtelschnalle.

Maureen schluchzte. Tränen traten in ihre Augen. Sie versuchte noch einmal, sich zu wehren, indem sie all ihre Kraft zusammenraffte. Aber ihr Peiniger erkannte schon im Ansatz, was sie vorhatte. Lachend stieß er ihre Knie zur Seite, mit denen sie ihn an der empfindlichsten Stelle hatte treffen wollen.

Maureen spürte in diesem Moment, daß sie keine Chance mehr hatte. Ihr Schicksal war besiegelt. Sie würde nie wieder die sein, die sie einmal war.

Selbst wenn es Padraic gelingen sollte, sie zu finden, würde sie nicht mehr seine Braut sein können. Ja, sie würde es wahrscheinlich nicht einmal mehr fertigbringen, ihm in die Augen zu sehen.

Jacques Hélias keuchte, und seine Augen glitzerten vor Gier.

Maureen senkte die Lider, um den Mann nicht ansehen zu müssen.

Deshalb nahm sie die plötzliche Bewegung nur wie ein Huschen wahr und erkannte nicht, daß diese Bewegung von einem Menschen stammte.

Ein heiserer Wutschrei war zu vernehmen. Im selben Moment verschwand das Keuchen aus Maureens Nähe. Ungläubig öffnete sie die Augen.

„Verfluchter Narr!“ brüllte die Frau, die eben auch jenen Schrei ausgestoßen hatte. „Bist du nicht bei Trost, du verdammter Schwachkopf? Begreifst du nicht, was du da anrichtest? Ihren Preis erbringt die Schlampe nur, wenn sie unberührt ist!“

„Aber der alte Trottel merkt doch bestimmt nicht …“, versuchte Hélias einen schwachen Protest.

Ein klatschender Hieb brachte ihn zum Schweigen.

Maureen O’Riordan setzte sich unwillkürlich auf. Das unglaubliche Geschehen ließ sie für den Moment sowohl ihre Angst als auch ihre Blöße vergessen. Die Szene, die sich da vor ihren Augen abspielte, war so ungewöhnlich, daß eine aberwitzige Art von Heiterkeit in ihr aufkeimte.

Der immerhin kräftig gebaute Mann wurde von der Wucht des Hiebes quer durch den Raum getrieben. Er ruderte dabei heftig mit den Armen, um sein Gleichgewicht nicht zu verlieren. Denn seine Hose hing in den Kniekehlen, und so war er zu kurzen, immer schneller werdenden Schritten gezwungen. Dann stürzte er doch und hatte Glück, die gegenüberliegende Steinwand um Haaresbreite zu verfehlen und sich nicht den Schädel einzuschlagen.

Er zappelte wie ein auf dem Rücken liegender Käfer. Mit den Beinen strampelnd, mühte er sich ab, die Hose loszuwerden. Es gelang ihm nicht.

Die Frau trat auf ihn zu, die Fäuste in die Hüften gestemmt. Eine große, schwergewichtige Frau von ausladenden Körpermaßen. Erstaunlicherweise trug sie Stiefel und dazu eine Hose, die das Format zweier aneinandergenähter Kartoffelsäcke hatte.

Maureen sah die Frau nur schräg von hinten. Ihr massiger Oberkörper gewann durch eine dunkelgraue Jacke zusätzlichen Umfang. Das dunkle Haar hing in fettigen Strähnen von ihrem breiten Kopf. Man konnte fast annehmen, daß diese Strähnen aus unechtem Haar gefertigt und angeklebt waren.

„Du elender Mistbock“, sagte die Frau fauchend. „Es gibt da noch einen Punkt, den du übersehen haben dürftest.“ Sie versetzte ihm einen Tritt gegen die Unterschenkel, und sein Strampeln hörte auf.

„Viviane!“ schrie er. „Sei nicht ungerecht! Du kannst doch nicht aus einer Mücke einen Elefanten machen!“

„Umgekehrt wird ein Stiefel draus“, knurrte sie. „Genaugenommen bin ich nämlich noch verdammt friedlich. Jede andere an meiner Stelle hätte dir eine Kugel verpaßt oder dir ein Messer zwischen die Därme gejagt. Das ist nämlich der Punkt, den du übersehen hast: Du gehörst mir! Und du hast dich gefälligst nicht an nackten jungen Dingern zu vergreifen, die sich außerdem nicht mal wehren können.“

Maureen glaubte, von nebenan ein unterdrücktes Kichern zu hören, war sich aber nicht sicher. Sie faßte ein wenig Mut, da sie im Augenblick ohnehin nicht beachtet wurde. Langsam und vorsichtig zupfte sie eine der Decken zurecht und verkroch sich darunter.

„Viviane“, entgegnete Jacques Hélias im bettelnden Ton eines Kindes, das einer drohenden Strafe zu entgehen versucht. „Sei doch nicht so kleinlich. Das bedeutete doch überhaupt nichts. Ein kleines kostenloses Vergnügen am Rande! Stell dir vor, ich würde nach Quimper reiten und mir den Spaß in den Hurenhäusern verschaffen. Was würdest du dazu sagen, he?“

„Du würdest eine Tracht Prügel empfangen. So, wie jetzt!“

„Nein!“ schrie Hélias. „Nein, verdammt noch mal!“ Noch auf dem Boden liegend, hob er abwehrend die Arme vors Gesicht. Aber es nutzte ihm nichts.

Maureen O’Riordan glaubte ihren Augen nicht zu trauen.

Die Riesenfrau namens Viviane trat breitbeinig über den Mann, der versuchte, an ihren Stiefeln Halt zu finden, um sich abzustoßen und doch noch in Sicherheit zu bringen. Er schaffte es nicht und war mit den um die Kniekehlen gewickelten Hosen einfach nicht schnell genug.

Mit geradezu spielerisch aussehender Leichtigkeit zog Viviane den Mann, den sie offenbar als ihr Eigentum betrachtete, hoch. Und sofort setzte es Maulschellen. Mit der flachen Hand verpaßte sie ihm eine Serie von schallenden Ohrfeigen, trieb ihn mit dem Rücken gegen die Wand und schlug so lange zu, bis sein Gesicht feuerrot war wie eine Tomate im Spätsommer.

Jacques Hélias keuchte, und Tränen des Schmerzes und der Wut standen in seinen Augen. Aber er riskierte nicht, sich zur Wehr zu setzen. Offenbar hatte er einen Mordsrespekt vor dieser Frau. In welcher Beziehung sie zueinander standen, war schleierhaft.

Insbesondere konnte Maureen nicht begreifen, warum die Frau ihn ausgerechnet in Gegenwart anderer demütigte. Hélias war eindeutig der Anführer der Kerle, die sie im Fischkutter herübergebracht hatten. Mußten sie nicht an seiner Autorität zweifeln oder diese sogar völlig in Abrede stellen, wenn er so sehr erniedrigt wurde – noch dazu von einer Frau?

Maureen O’Riordan war jedenfalls überzeugt, daß sich kein Mann in Irland etwas Derartiges bieten lassen würde.

„So!“ sagte Viviane mit grimmigem Knurren. „Ich hoffe, damit hätten wir die Fronten mal wieder geklärt. Und merke dir eins, mein lieber Jacques: Wir beide sind die besten Freunde, solange das Geschäftliche und das Persönliche zwischen uns stimmt. Wenn sich jeder an die Vereinbarungen hält, wird es auch dabei bleiben. Ich war diejenige, die sich in der Beziehung bislang nichts hat zuschulden kommen lassen. Habe ich recht oder nicht?“

„Ja“, antwortete Jacques Hélias kleinlaut.

„Also gut“, sagte Viviane versöhnlich. „Dann zieh deine Hosen hoch, geh nach nebenan und trinke einen Schnaps mit den anderen.“

Er gehorchte ohne ein Widerwort.

Viviane wandte sich indessen der jungen Irin zu. Das Gesicht der massigen Frau war breitflächig. Sie hatte eine Knollennase, das strähnige Haar wirkte auf ihrem Kopf wie ein umgestülpter Teller. Ihre Augen waren klein, hinter Fettpolstern fast verborgen, die Farbe undefinierbar irgendwo zwischen grau und dunkelblau.

„Wie heißt du?“ fragte sie, indem sie mit einem gespielt gütigen Lächeln auf die Gefangene hinunterblickte.

„Maureen O’Riordan.“

„Du kannst uns gut verstehen, nicht wahr?“

„Ja.“

„Du hast dich vielleicht darüber gewundert.“

„Ja.“

„Nun, weißt du wenigstens, in welchem Land du bist?“

„Nein.“

Das Gesicht der Riesenfrau verfinsterte sich. „Haben diese Drecksäcke dir nichts darüber gesagt?“

„Nein. Ich nehme an, sie hatten alle Hände voll mit dem Sturm zu tun.“ Maureen fragte sich, warum sie gegenüber diesem Monstrum von einer Frau plötzlich Partei für ihre Entführer ergriff. Es war eine ihr unerklärliche Regung.

„Unsinn! Redet man mit den Händen?“

„Nein.“

„Na, also. Ihr Iren seid ein einfältiges Volk, nicht wahr?“

Maureen wagte nicht zu widersprechen. Andererseits regte sich ihr Nationalstolz.

„Ich weiß nicht …“, antwortete sie daher zögernd.

Viviane grinste. „Von dem, was außerhalb eurer lausigen Insel passiert, kriegt ihr nicht viel mit. Weil ihr’s nicht mitkriegen wollt. Ihr interessiert euch nur für euch selber. Aber lassen wir das.“ Viviane setzte sich auf die Kante des Lagers aus Fellen und Decken. „Was wir und ihr gemeinsam haben, ist die Abstammung. Unsere Vorfahren waren Kelten, eure und unsere. Du befindest dich hier in der Bretagne, Mädchen. Schon mal davon gehört?“

„Ja. Die Nonnen haben davon erzählt.“

„Die Nonnen!“ Viviane lachte schallend. „Wie können so ein paar dämliche Weiber etwas über die Welt wissen, wenn sie sich von der Welt abgewandt haben und nichts darüber mitkriegen!“

„Ich weiß es nicht.“

„Natürlich nicht. Kannst du ja auch nicht. Haben die Betschwestern was über unsere Sprache gesagt?“

„Ich glaube. Ich kann mich aber nicht erinnern.“

„Na gut. Du hast es jetzt gemerkt. Dank unserer gemeinsamen Vorfahren können wir uns verstehen. Unsere Sprachen sind keltisch und sehr ähnlich. Begriffen?“

„Ja.“

„Du wirst es also leicht haben mit deinem zukünftigen Mann. Ihr werdet euch gut verstehen. Von Anfang an. Und daß du mir keine Schande machst! Jacques und ich haben einen guten Ruf auf der Insel und auch drüben auf dem Festland. Die Bräute, die wir liefern, werden allesamt gute Ehefrauen – treu, sparsam, fleißig und dem Mann immer ergeben, wenn es um gewisse persönliche Wünsche geht.“

Maureen erschauerte. Die Riesenfrau nickte ihr noch einmal zu, zwinkerte verschwörerisch und ging hinaus. Gleich darauf war von nebenan leises Gemurmel zu hören, begleitet vom Prasseln der Flammen. Zwischendurch ertönte immer wieder Gelächter. Sie schienen sich bestens zu verstehen, der Streit zwischen Viviane und Jacques war bereits vergessen.

Das ist es also, dachte Maureen. Sie entführten Mädchen und schaffen sie übers Meer, um sie hier im wahrsten Sinne des Wortes an den Mann zu bringen. Auf diese verbrecherische Weise verdienten sie ihr Geld.

Was für Männer es waren, die sich von den Halunken unter Vivianes und Jacques’ Kommando eine Frau besorgen ließen, konnte Maureen sich beinahe bildlich vorstellen. Sie kroch tiefer unter die Decken und fror trotzdem noch. Es war eine Kälte von innen.

Was Jacques Hélias betraf, war sie dem Schlimmsten noch einmal entgangen. Aber sie hatte das schwer zu verdrängende Gefühl, daß sie vom Regen in die Traufe geraten würde. Padraic Kavanagh, der Mann, dem sie versprochen war, rückte in ihrem Bewußtsein in unerreichbare. Ferne.

Es erschien ihr ausgeschlossen, daß er sie jemals finden würde.

Und sie war eben nicht sicher, ob er überhaupt daran dachte, sie zu suchen. Jene Zurückhaltung, die ihr von Father Geraghty und auch von ihren Eltern eingetrichtert worden war, trug sicherlich nicht dazu bei, das Feuer des Interesses in einem Mann am Brennen zu erhalten.

Maureen O’Riordan glaubte nicht mehr an ihre Rettung. Sie befand sich in einer fremden Welt, viel zu weit von Irland entfernt, um jemals gefunden zu werden. So glaubte sie.

Draußen heulte noch immer der Sturm. Gelegentlich drückte eine Bö in den Rauchabzug und verteilte beißendes Grau im Raum. Erst jetzt nahm Maureen es wieder wahr.

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 591

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