Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 485 - Burt Frederick - Страница 6

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Es war ein merkwürdiger Tag, dieser 6. Juni im Jahre des Herrn 1595. Das Sonnenlicht war anders als sonst, irgendwie gedämpft, als befände sich hoch oben am Himmel eine Glasscheibe, durch die der Feuerball sein Licht schicken mußte. Selbst der Nordost, der mit mäßiger Kraft über die vor Treibanker liegenden Schiffe strich, hatte eine ungewohnte Art zu wehen. Sein Atem war stickig und verursachte nicht jenes vertraute Singen in Wanten und Pardunen.

Ja, es war in der Tat eine sonderbare Stille, die über dem Seegebiet im Bereich der Caicos-Inseln lag.

Die Stille des Todes? Ein lähmender Trübsinn im Angesicht menschlicher Sterblichkeit?

„Hol’s der Teufel!“ knurrte Ed Carberry leise, als er über die Verschanzung der „Isabella“ starrte und sich die Bartstoppeln an seinem Rammkinn rieb.

Die übrigen Männer unter dem Kommando des Seewolfs schwiegen. Einige jedoch nickten zustimmend. Der Profos drückte genau das aus, was sie alle empfanden. Der Teufel sollte sie samt und sonders holen, wenn sie begreifen konnten, was mit ihnen vorging. Es war nicht etwa die Sonne, die ihnen in den Schädel gebrannt und ihr Hirn durcheinander gebracht hatte. Es war auch nicht die Stille, die ihre Laune auf einen Tiefpunkt sinken ließ. Und es war auch nicht der laue Wind, der ihre Gedanken zu einer seltsamen Dumpfheit ausgedörrt hatte.

Sicher, es hing mit der Position zusammen, auf der sie sich befanden.

In der Tiefe unter dem Kiel ihres Schiffes ruhten die Toten, die einst ihre Freunde gewesen waren. Arkana, die Schlangenpriesterin, hatte das Ende vor ihrem wissenden Auge gesehen. Die Nachricht vom Tod ihrer und des Seewolfs Tochter Araua war für sie ein Vorzeichen gewesen.

Die Schlangen-Insel war untergegangen, im Meer versunken, als hätte es sie nie gegeben. Ein feuriger unterseeischer Schlund hatte sich aufgetan und jegliches Leben ausgelöscht. Auch Coral Island, die Timucua-Indianer und ihre spanischen Freunde hatten ein grausiges Ende gefunden.

All dies war den Männern an Bord der „Isabella“, der „Caribian Queen“ und der „Le Griffon“ bewußt. Zumindest für die Arwenacks und die Männer unter Siri-Tongs Kommando war der Schmerz, den sie seinerzeit im Angesicht der Katastrophe empfunden hatten, noch in bester Erinnerung.

Sie waren damals zurückgekehrt und hatten Überreste der einstmals stolzen kleinen Ansiedlung in der Bucht der Schlangen-Insel auf der Wasseroberfläche treiben sehen.

Sie, die sie die versunkenen Seelen als Menschen aus Fleisch und Blut gekannt hatten, waren über den schlimmsten Schmerz hinweg. Das Leben hatte ihnen neue Aufgaben und neue Ziele gesetzt. Der entstehende Stützpunkt in der Cherokee-Bucht war das äußere Zeichen dieses Neubeginns. Die Erinnerung verblaßte nicht. Niemals würde auch nur einer aus dem Bund der Korsaren vergessen, wie sie alle gemeinsam dafür gekämpft hatten, ihr Leben in Freiheit auf der Schlangen-Insel zu verwirklichen.

Sie hatten ganz einfach gelernt, mit der Erinnerung umzugehen.

Es war etwas anderes, das tief in ihnen stumme Wut und grenzenlose Niedergeschlagenheit hervorrief.

Es war das unglaubliche Geschehen, dessen Zeugen sie durch einen Zufall geworden waren.

Galgenstricke, denen nichts heilig war, hatten die Grabesruhe gestört. Die toten Freunde von der Schlangen-Insel und von Coral Island hatten ein Recht darauf, daß ihre Ruhe unangetastet blieb – wie jedem Menschen nach seinem Dahinscheiden dieses Recht gewährt wurde.

Sicher, Grabschänder wie One-Eye-Doolin würde es auf der Welt immer wieder geben. Und man konnte nicht einmal erwarten, daß der Küstenpirat aus Cornwall das frevelhafte seines Tuns begreifen würde, wenn man es ihm auseinandersetzte.

Nein, dieser Doolin gehörte zu den Unverbesserlichen. Und er würde alles daran setzen, um die auf dem Grund verstreuten Schätze der Schlangen-Insel in seine habgierigen Finger zu kriegen.

Eben dies wirkte so niederschmetternd auf die Arwenacks und ihre Freunde. Das war auch der Punkt, den Edmond Bayeux und seine normannischen Schrats auf der „Le Griffon“ um keinen Deut anders empfanden. Sie waren nicht Zeugen des Untergangs der Schlangen-Insel gewesen, und sie gehörten auch erst seit kurzem zum Bund der Korsaren, seit sie von den Seewölfen aus der Gefangenschaft bei den Spaniern befreit worden waren.

Doch der Zorn über das Verhalten des räuberischen Gesindels war bei Bayeux und seinen Mannen ebenso stark wie bei den Crews auf der „Isabella“ und der „Caribian Queen“.

Deshalb gab es an Bord der drei Schiffe vom Bund der Korsaren niemanden, der etwas daran auszusetzen gehabt hätte, hier auf die Schnapphähne zu warten. Denn zurückkehren würden sie garantiert. Sie hatten Blut geleckt und ahnten, welcher Reichtum auf dem vulkanisch zerklüfteten Meeresboden zu finden war.

Zu welcher unbeschreiblichen Gier Menschen angesichts von Gold, Silber und Edelsteinen fähig waren, hatten die Arwenacks und ihre Freunde erst vor wenigen Tagen in der Schatzbucht bei Batabanó erlebt. Jetzt, da die drei Schiffe mit den von Don Antonio de Quintanilla angehäuften Schätzen beladen waren, wurden Philip Hasard Killigrew und seine Gefährten abermals mit den Auswüchsen menschlicher Raffsucht konfrontiert.

Dem Seewolf war keineswegs entgangen, wie sehr sich die Stimmung an Bord der „Isabella“ und auch drüben auf der „Caribian Queen“ und der „Le Griffon“ in den letzten Stunden verändert hatte. Bei der Begegnung mit One-Eye-Doolin, dem Halunken aus Cornwall, waren sie alle noch zu sehr mit dem beschäftigt gewesen, was sich gerade abgespielt hatte. Nun aber, in der Stille danach, gab es für jeden mehr als genug Zeit zum Nachdenken.

Vergeblich hatte Hasard versucht, die Dinge völlig nüchtern zu betrachten.

Ausgeschlossen.

Er konnte seine Gefühle nicht mit einer Handbewegung beiseite schieben.

Diese Gefühle besagten ganz einfach, daß niemand in diesem Seegebiet bei den Caicos-Inseln etwas zu suchen hatte. So empfanden es auch Siri-Tong und die Männer. Aber wie wollte man das kontrollieren? Nicht im Ernst konnte man ständig darüber wachen, daß die letzte Ruhe der toten Freunde ungestört blieb. Es war das erste Mal seit dem Untergang der Inseln, daß sie hierher zurückkehrten. Wenn Diego, der Schildkrötenwirt auf Tortuga, ihnen nicht von One-Eye-Doolin und seinen Galgenstricken erzählt hätte, wären sie zweifellos direkt zur Cherokee-Bucht zurückgekehrt, ohne auch nur auf die Idee zu verfallen, daß im Gebiet der Schlangen-Insel Leichenfledderer am Werk sein könnten.

Im Augenblick hatte jeden einzelnen an Bord der drei Schiffe dieses Gefühl gepackt, nicht mehr von der Stelle weichen zu dürfen. Vielleicht würden realistischere Gedanken Platz greifen, wenn man den Halunken aus Cornwall erst richtig Dampf unter dem Hintern gemacht hatte.

Natürlich ahnte Doolin nichts von den wahren Gründen, die zu seinen „Funden“ auf dem Meeresboden geführt hatten. Mittels Jollen und Draggen hatten sie heraufgefischt, was sie für Schatzteile einer gesunkenen spanischen Galeone hielten. Wenn sie jemals die Wahrheit erfuhren und ungeschoren mit dieser Erkenntnis das Weite suchten, würde es für den Bund der Korsaren mit dem Frieden wieder einmal vorbei sein.

One-Eye-Doolin war der Typ Mensch, der sein Wissen prahlerisch hinausposaunen würde. Angelockt wie Maden vom Speck würden sie in die Karibik einfallen, die Schnapphähne aus der Alten Welt. Und dann würde es auch nicht mehr lange dauern, bis sie alles über den Seewolf herausgefunden hatten und auch den neuen Stützpunkt an der Cherokee-Bucht ernsthaft gefährdeten.

Das Risiko, das One-Eye-Doolin verkörperte, mußte von vornherein beseitigt werden.

In den Gerüchteküchen der englischen Hafenstädte schien es ohnehin mächtig zu brodeln.

Durch den kurzen Besuch bei Diego hatten Hasard und seine Gefährten zum ersten Mal seit langem wieder etwas aus Plymouth gehört. Beim dicken Nathaniel Plymson, dem Schankwirt der „Bloody Mary“ wurden offenbar die wildesten Geschichten erzählt.

Mittelpunkt dieser zweifellos haarsträubenden Geschichten war niemand anders als Philip Hasard Killigrew. Und es gab eine Menge Leute im alten England, von den Hochwohlgeborenen bei Hofe bis hinunter zu den Küsten-Schnapphähnen aus Cornwall, die nur allzu gern gewußt hätten, wo sie den Seewolf, seine legendären Reichtümer oder möglichst beides erwischen konnten.

Wenn ein Bursche wie One-Eye-Doolin nach England zurückkehrte, würde in der Karibik sehr bald eine regelrechte Invasion von Glücksrittern aller Schattierungen einsetzen. Das konnten adlige Strolche sein, wie sie seinerzeit in der Begleitung von Sir John Killigrew in die Neue Welt eingefallen waren. Oder es würden ganze Heerscharen von Burschen im Kaliber des One-Eye-Doolin aufkreuzen.

Was man dagegen tun konnte, mußte getan werden.

Es stand für Hasard unumwunden fest, daß der Einäugige zurückkehren würde. Daß die Gefährten vom Bund der Korsaren ihn als Grabschänder verachteten, konnte Doolin natürlich nicht wissen. Doch wenn er noch einmal zum Zug kam, würde er über kurz oder lang herausfinden, daß die Reichtümer hier auf dem Meeresboden keineswegs von einer gesunkenen spanischen Schatzgaleone stammten.

Der Seewolf riß sich selbst aus seiner Nachdenklichkeit heraus und stieß sich von der Heckbalustrade ab, wo er nun schon eine ganze Weile ausgeharrt hatte.

Ben Brighton, der an der Steuerbord-Verschanzung des Achterdecks stand, wandte sich zu ihm um. Die beiden Männer kannten sich seit vielen Jahren, waren gemeinsam durch die schlimmsten Höllenfeuer gegangen und hatten die wildesten Stürme und Gefechte auf allen Weltmeeren erlebt und überlebt. Nach einer solchen Zeit der Gemeinsamkeit gab es buchstäblich nichts mehr, was man dem anderen nicht an der Nasenspitze ablesen konnte.

Der Seewolf war zu einem Entschluß gelangt. Das sah der Erste Offizier der „Isabella“, ohne zweimal hinschauen zu müssen.

„Es muß sein“, sagte Ben leise. „Wir würden die Erinnerung sonst nur als eine ständige schwere Last mit uns herumschleppen.“

Der Seewolf zog die Brauen hoch und sah ihn erstaunt an.

„Du bist ausnahmsweise der gleichen Meinung wie ich?“

„Das dürfte hin und wieder schon vorgekommen sein. Du hast es wahrscheinlich nur vergessen.“

„So wird es sein.“ Hasard nickte und erwiderte das Lächeln des Ersten. Gleich darauf wurde er wieder ernst. „Ben, ich glaube tatsächlich, wir können nur das eine tun. Wir müssen die Dinge zurückgeben.“

„Natürlich. Ein Grab wurde geplündert – oder besser, man hat begonnen, es zu plündern. Wir stellen den ursprünglichen Zustand wieder her. Arkana und die anderen würden genauso handeln, wenn sie an unserer Stelle wären.“

„Davon bin ich überzeugt“, entgegnete Hasard. Er konnte nichts gegen den seltsamen Druck tun, den er auf einmal in der Kehle verspürte. Seit er die verdammten Galgenstricke bei ihrem Treiben beobachtet hatte, war dieses beklemmende Gefühl immer wieder in ihm aufgestiegen. Er gab sich einen Ruck. „In Ordnung, Ben. Laß die kleine Jolle für mich abfieren. Du übernimmst das Kommando an Bord, bis wir es hinter uns gebracht haben.“

„Aye, aye, Sir“, sagte der Erste Offizier mit rauher Stimme. Er trat an die vordere Schmuckbalustrade des Achterdecks, und gleich darauf hallten seine Befehle über die Decks.

Smoky und eine Gruppe von Männern begannen, die kleine Jolle aus den Verzurrungen zu lösen.

„Mister Carberry!“ rief Ben Brighton.

„Sir?“ Der narbengesichtige Riese ruckte herum und schob das Rammkinn vor. In seinen Augen blitzte die Freude über das Ende der Tatenlosigkeit.

„Teile acht Männer als Jollenbesatzung ein, Ed. Hasard wird die gestohlenen Gegenstände den rechtmäßigen Eigentümern zurückgeben.“

„Aye, aye, Sir“, erwiderte der Profos knapp.

Die Worte des Ersten hatten ein wenig vibrierend geklungen, und es war deutlich geworden, daß Ben Brighton über die Grabschändung genauso dachte wie alle anderen.

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 485

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