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2.

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Die untergehende Sonne drang mit ihrem Licht nicht mehr bis in die Gassen vor. Nur noch die Schindeldächer der Häuser waren in jene rötlichbronzene Helligkeit getaucht, mit der der Tag sich zu verabschieden begann. Doch die gekalkten Wände strahlten die Hitze aus, die sie in den zurückliegenden Stunden gespeichert hatten.

Edwin Carberry und Ferris Tucker führten die Gruppe der Männer an, die mit ihrem etwas stapfend wirkenden Gang durch die Hafengassen zogen. Viele neugierige Blicke folgten ihnen aus Hauseingängen und Fenstern und von Sitzbänken vor den Häusern, wo die Alten hockten und ihren abendlichen Plausch unterbrachen. Denn der Anblick der Fremden war ungewöhnlich.

Wahre Riesenkerle, wie man sie noch nie zuvor in Piräus gesehen hatte. Breitschultrige Schränke, die imstande sein mußten, buchstäblich alles niederzuwalzen, was sich ihnen in den Weg stellte.

Lediglich diese sonderbare Art des Gehens kannte man auch von griechischen Fahrensleuten. Seefahrer waren es, die sich in der ersten Stunde des Landgangs noch daran gewöhnen mußten, daß sie unter den Stiefeln keine Schiffsplanken mehr hatten, deren schwankende Bewegung sie ausgleichen mußten.

Unter den Einheimischen war solcher Riesenwuchs selten. Und die venezianischen Handelsfahrer, die in Piräus bisweilen anlegten, waren von vergleichsweise zierlichem Wuchs. Ganz zu schweigen von den Türken, die sich ausschließlich aus Handelsgründen blicken ließen, seit sie bei Lepanto die Jacke vollgekriegt hatten.

Und noch etwas fiel an den Fremden auf: Sie bewegten sich mit außerordentlicher Zielstrebigkeit – so, als wären sie schon hundertmal hiergewesen.

Was die alten Männer auf den Bänken und die Frauen und Kinder in den Eingängen und Fenstern nicht wissen konnten, war eine Tatsache, die nicht einmal die Arwenacks selbst hätten erklären können.

Edwin Carberry und Ferris Tucker hatten diesen besonderen Riecher. Diesen Instinkt.

„Das ist so was Ähnliches wie bei Plymmie“, hatte der narbengesichtige Profos volltönend verkündet, als Pete Ballie noch dabeigewesen war, die Dubas sauber an ihren Liegeplatz an eine der Piers zu manövrieren.

Und der rothaarige Schiffszimmermann hatte hinzugefügt, daß sich seiner und Edwin Carberrys Instinkt von dem der Bordhündin noch dadurch unterschied, daß weder Ed noch er irgendeine Witterung aufzunehmen brauchten.

„Wir finden die beste Schenke im ganzen Hafen, ohne irgendeinen Einheimischen fragen zu müssen“, hatte Ferris behauptet, und der Profos hatte beipflichtend genickt.

Die Wette galt.

Der Rest der Landgänger hatte zugestimmt, den Narbenmann und den Hünen mit den roten Haaren den ganzen Abend freizuhalten, falls sie ihre Behauptung unter Beweis stellten. Natürlich würde das einigen Aufwand an Überprüfungsmaßnahmen erfordern.

Die Qualität der von Ed und Ferris aufgespürten Schenke konnte nur dadurch nachgeprüft werden, daß man alle übrigen Schenken ebenfalls einer Qualitätsprüfung unterzog, um dann zum Abschluß der preisgekrönten Kneipe eine Art Siegerehrung zuteil werden zu lassen – durch einen nochmaligen Besuch.

Der Duft aus den Hauseingängen war mächtig anregend. Da wurde Fleisch und Gemüse für die Abendmahlzeiten gegart, daß den Gefährten des Seewolfs das Wasser im Munde zusammenlief.

Die Griechen schienen ihre besondere Art der Zusammenstellung von Gewürzen zu haben. Auf jeden Fall eine Zusammenstellung, die das Backen und Banken an Bord schnell in Vergessenheit geraten ließ.

Besagte Qualitätsprüfung in der von Ed und Ferris noch aufzuspürenden Schenke würde also auch beinhalten, welche Gaumengenüsse der betreffende Laden noch zu bieten hatte.

Sie näherten sich einer Gabelung.

„Da entlang!“ sagte Ferris Tucker laut und vernehmlich, ohne seine Schritte zu verlangsamen.

„Völlig klar“, sagte Ed Carberry mit ebenfalls gut zu vernehmendem Reibeisenbaß. „Das ist die Richtung.“

In trauter Eintracht bogen beide nach rechts ab, und die anderen folgten ihnen willig. Batuti wechselte grinsend einen Blick mit Smoky und Big Old Shane. Eine nicht minder heitere Miene hatten Bob Grey, Stenmark und Luke Morgan aufgesetzt. Den Abschluß der Marschformation bildeten Pete Ballie, Al Conroy und Old Donegal Daniel O’Flynn. Trotz seines Holzbeins hielt der alte Knurrhahn prächtig mit.

Bedauern malte sich wenig später in die vom Seewind gegerbten Gesichter, als Ed und Ferris eine Schenke links liegenließen, deren Türen und Fenster weit offenstanden. Zartklingender Gesang von Frauenstimmen war zu hören, Saiteninstrumente wurden dazu gezupft, und im Vorbeigehen war eine andächtig lauschende Schar von Zuhörern zu sehen.

„Schade“, brummte Pete Ballie kopfschüttelnd. Er deutete mit einer vorwurfsvollen Handbewegung zur Führungsspitze der Kolonne. „Jetzt wollen sie sich aufspielen, die beiden Hechte.“

„Stimmt“, antwortete Al Conroy und nickte. „Ich wette, wir landen nachher hier.“ Er wies mit dem Daumen über die Schulter, da die Schenke mit den verlockenden Klängen nun schon hinter ihnen lag.

„Um Himmels willen!“ rief Old Donegal mit unterdrückter Stimme, als müsse er auf unerwünschte Zuhörer achtgeben. „Wißt ihr denn nicht, was das war?“

Al und Pete sandten einen flehenden Blick zum Himmel. Nicht im entferntesten hatten sie geahnt, den Old Man mit ihren eher beiläufigen Bemerkungen wachzukitzeln. Ein Blick zur Seite bestätigte es ihnen. Er hatte schon wieder dieses seltsame Leuchten in den Augen. Es stellte sich immer dann ein, wenn er von jenen Dingen zwischen Himmel und Erde berichtete, für die menschliche Vorstellungskraft nicht ausreichte.

„He, wißt ihr nicht, was das war?“ drängte er, als sie nicht antworteten.

„Doch, doch“, entgegnete Pete seufzend. „Das waren die Nachtigallen von Piräus.“

„Die was?“ entfuhr es Old Donegal.

„So nennen sie sich“, erklärte der Rudergänger. „Berühmte Sängerinnen.“

„Noch nie davon gehört?“ fügte Al Conroy hinzu. „Die Nachtigallen sind sogar schon vor der königlichen Lissy aufgetreten.“

Wenn sie geglaubt hatten, Old Donegals Gedanken damit auf Abwege zu bringen, hatten sie sich getäuscht.

„Versündigt euch nicht!“ raunte er mit schaurig-hohler Stimme. „Ein Fluch könnte euch treffen!“

Al und Pete taten erschrocken, indem sie den Kopf zwischen die Schultern zogen. Klar, der Alte kramte wieder mal sein „zweites Gesicht“ hervor. Sie glaubten, es ins Lächerliche ziehen und ihm damit den Wind aus den Segeln nehmen zu können.

„Wenn du es sagst“, entgegnete Al scheinbar bestürzt. „Was können wir denn jetzt tun? Bei Vollmond eine Knoblauchzehe mit Teufelsdreck verzehren?“

„Du würdest dran ersticken.“ Der Alte kicherte. „Das wäre dann aber auch alles an Wirkung.“

„Also sind wir verloren?“ stieß Pete hervor.

„Wir haben noch mal Glück gehabt, ihr Dummköpfe.“ Old Donegal schüttelte verständnislos den Kopf und stieß die Atemluft durch die Nase aus. „Und das verdanken wir Ed Carberry und Ferris Tucker, weil sie so genau wissen, was ihr Ziel ist. Sonst wären wir von den Sirenen verhext worden.“

„Sirenen?“ fragten Al und Pete wie aus einem Mund.

„Was denn sonst!“ fauchte Old Donegal. „Hättet ihr mich gleich ausreden lassen, wüßtet ihr jetzt Bescheid. Natürlich habt ihr ahnungslosen Heringe noch nie von Sirenen gehört. Aber fragt mal die Gebildeteren in unserer Crew – den Kutscher zum Beispiel –, die werden euch bestätigen, was ich jetzt sage.“

„Daß Sirenen Sängerinnen sind, die sich wie Nachtigallen anhören?“ folgerte Al Conroy und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.

Im nächsten Moment staunten Pete und er, denn Old Donegal erwiderte mit ernsthaftem Nicken: „So ganz unrecht hast du nicht, mein Junge. Also, folgendermaßen: Sirenen können in Griechenland überall lauern, praktisch an jeder Ecke. Natürlich haben sie es vor allem auf Seefahrer abgesehen.“

„Wieso natürlich?“ fragte Pete Ballie stirnrunzelnd.

„Weil sie es damals bei Odysseus zum erstenmal versucht und nicht geschafft haben. Der gute alte Odysseus war mit seinen Jungs auf dem Meer unterwegs, und dann sollen sie diesen entsetzlich schönen Gesang gehört haben. Alle waren hin und her gerissen und sagten sich natürlich: Nichts wie hin! Nur Odysseus hat den Braten gerochen und was dagegen getan. Er hat nämlich angeordnet, daß sich alle die Ohren verstopfen, damit sie durch die Singerei nicht ins Verderben gerieten. Und siehe da, es stellte sich heraus, daß ihr Schiff auf Klippen zerschellt wäre, wenn sie sich hätten verführen lassen.“

„Und seitdem“, staunte Al, „sind diese Sirenenweiber auf Seeleute scharf?“

„Sie sind’s eigentlich immer gewesen“, sagte Old Donegal. „Aber seit Odysseus sind sie richtig wild darauf, sich ihre Wirkung immer wieder bestätigen zu lassen. Deshalb nehmen sie neuerdings verführerische Menschengestalt an und versuchen es in den griechischen Häfen.“

„Aha“, sagte Pete und nickte. „So weit klar. Aber was passiert denn, wenn ich jetzt hingehe und mich mit so einer Sirenenlady einlasse?“

„Sie wird dich mit Haut und Haaren verschlingen“, erwiderte der alte O’Flynn mit Grabesstimme. Obwohl er sich anstrengen mußte, um Schritt zu halten, war er durch das viele Reden kein bißchen außer Atem geraten.

„Ist vielleicht gar nicht so unangenehm“, sagte Al Conroy. Der schwarzhaarige Stückmeister zog die Schultern hoch und lachte. „Ich könnte mir vorstellen, daß so eine Lady einen auf die richtig nette Art verschlingt.“

„Zumal es hier im Hafen überhaupt keine Klippen gibt“, fügte Pete Ballie glucksend hinzu.

„Oh, ihr Blindfische!“ rief Old Donegal und verdrehte kopfschüttelnd die Augen. „Ihr wollt natürlich mal wieder nicht kapieren. Das Ganze ist doch symbolisch gemeint. Von den Sirenen verführt zu werden, heißt, daß man im Leben Schiffbruch erleidet. Könnt ihr das wenigstens begreifen?“

„So schwer von Begriff sind wir nun auch wieder nicht“, entgegnete Al grinsend. „Durch eine Frau hat schon so mancher Mann Schiffbruch erlitten. Dazu braucht man keine griechische Sirene.“

Old Donegal legte die Stirn in Falten. „Soll das eine Anspielung sein?“ knurrte er mißtrauisch.

„Eine Anspielung?“ fragte der Stückmeister mit Unschuldsmiene. „Auf wen oder was denn?“

„Könnte ich mir gar nicht vorstellen“, sagte der Rudergänger treuherzig. „Was sollte Al denn wohl gemeint haben?“

Der alte O’Flynn verzichtete darauf, sein Mißtrauen in Worte zu fassen. Missis Mary O’Flynn, geborene Snugglemouse, hatte sich einerseits als ein rechter Drachen erwiesen, was jeder im Bund der Korsaren mitgekriegt hatte. Andererseits war sie aber auch eine Seele, die einem Mann so ein richtig anheimelndes Zuhause-Gefühl geben konnte.

Wenn er direkt gefragt worden wäre, so hätte Old Donegal nicht auf Anhieb sagen können, ob er nun mit seiner Mary Snugglemouse Schiffbruch erlitten oder den richtigen Ankerplatz gefunden hatte.

Einer Äußerung gegenüber Al und Pete wurde er denn auch enthoben, da die kleine Marschformation unvermittelt anhielt.

Die Männer bildeten einen Halbkreis und betrachteten das Ziel, für das sich Ed und Ferris entschieden hatten.

Ein großes weißes Gebäude, das allein von seinen Ausmaßen her viel Platz für gefüllte Fässer haben mußte. Stimmengewirr aus den offenen Fenstern und Türen ließ denn auch vermuten, daß es sich um eine gern besuchte Schenke handelte. Über der Tür waren geschnitzte griechische Buchstaben befestigt, aus denen die Arwenacks nach kurzem Nachdenken das Wort „Poseidon“ lasen.

In einer Kneipe, die nach dem altgriechischen Meeresgott benannt war, so überlegten Pete Ballie und Al Conroy, war das Risiko, Sirenen über den Weg zu laufen, sicher geringer als anderswo. Es sah verdammt danach aus, daß Ed und Ferris eine gute Wahl getroffen hatten.

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 569

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