Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 223 - Burt Frederick - Страница 4

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Mit hellem Eisenklang hallten Hammerschläge zwischen hohen Palisadenzäunen und übertönten die nie endenden Geräusche aus dem nahen Tropenwald. Nur wenn der Schmied und sein Gehilfe eine Pause einlegten, um sich den Schweiß von der Stirn zu wischen, waren sie da, jene Stimmen des Dschungels: schrilles Kreischen und dumpfes Röhren, bösartiges Fauchen und meckerndes Lachen.

Es klang wie der blanke Hohn für die Männer, die in Reihe angetreten waren, um sich der demütigenden Behandlung zu unterziehen.

Auf dem Appellplatz der Festung Macuro lastete erbarmungslos die Glut der Sonne. Sehnsüchtig blickten die Gefangenen zu den Holzbaracken, die sich an die Innenseiten der Palisaden duckten. Dort befanden sich die Quartiere der spanischen Soldaten, und dort gab es ein wenig Schatten, vielleicht sogar die modrig-kühle Feuchtigkeit eines Erdkellers.

Jeder von ihnen hätte ein Königreich dafür gegeben, wenn man ihm erlaubt hätte, sich jetzt und auf der Stelle in ein solches Erdloch fallen lassen zu dürfen. Aber derartige Hoffnung war weiter entfernt als das heimische Land im kalten Europa. Vielleicht sahen sie es nie wieder. Die Ketten, die ihnen angelegt wurden, zerstörten jeglichen Gedanken an die Zukunft.

Der Festungskommandant hatte es sich bequem eingerichtet. Ein großes Sonnendach aus Segeltuch schützte ihn und seine Offiziere und den Schmied und dessen Gehilfen. Für den Moment, in dem sie an den Amboß traten, genossen auch die Gefangenen den Vorzug des Schattens. Dann stolperten sie wieder hinaus in die Gluthitze, klirrende Ketten hinter sich herschleifend, getrieben von derben Fußtritten und Musketenkolben.

Die Soldaten, die zur Überwachung des Vorgangs aufmarschiert waren, bildeten eine undurchdringliche Mauer aus schimmernden Helmen, Brustpanzern, Säbeln und Musketen und blankgeputzten Lederstiefeln.

Die Ausweglosigkeit der Gefangenen unterstrich dagegen auch ihr Äußeres. Nur die Beinkleider hatte man ihnen gelassen, abgeschnitten jedoch bis zu den Knien; denn ihre Fußgelenke wurden gebraucht für roh geschmiedetes Eisen, ebenso wie die Handgelenke. Schutzlos waren ihre nackten Oberkörper den sengenden Sonnenstrahlen ausgesetzt.

Gerhard von Echten war der letzte in der Reihe der zwanzig Männer, die vor den Amboß hinzutreten hatten. Das Haupt hoch erhoben, streckte er dem Schmied seine Handgelenke entgegen. Der Gehilfe, der eine dunkle Lederschürze trug wie sein Meister, stieß dem Deutschen zwei noch offene Eisenreifen über die Hände bis zu den Gelenken. Von Echten verzog keine Miene, als der schartige Stahl blutige Furchen in seine Haut riß. An jede Handschelle war eine schwere Kette geschmiedet.

„Venga, venga!“ knurrte der Schmied, ein graugesichtiger alter Mann mit gebeugtem Rücken. „Komm, komm!“ Mit einer ungeduldigen Geste bedeutete er dem Gefangenen, die eiserne Manschette auf die Kante des Ambosses zu legen.

Der Gehilfe steckte die Nietbolzen durch die Löcher in den Enden der Eisenreifen, und der Schmied ließ den schweren Hammer niedersausen. Auf den Punkt genau traf er die Bolzen, deren Enden unter der Wucht der Schläge platt gedrückt wurden und die Handschellen wie für alle Ewigkeit verschlossen. Als die gleiche Prozedur mit den Fußgelenken wiederholt wurde, erhielt von Echten die gnädige Erlaubnis, sich auf einen in den Boden gerammten Pfahl zu stützen.

Der hochgewachsene Deutsche wollte dem nun fälligen Fußtritt des Schmiedegehilfen ausweichen und sich freiwillig zu seinen Leidensgenossen begeben. Eine barsche Stimme stoppte ihn.

„Einen Moment noch, Señor! Wenn Sie die Güte haben wollen, mir Ihr Gehör zu schenken …“ Hohn klang aus den Worten.

Langsam drehte sich Gerhard von Echten um. Er war ein großer blonder Mann mit breiten Schultern. Ein heller Vollbart umrahmte sein gebräuntes Gesicht, die Muskeln seines Oberkörpers zeichneten sich auch in entspanntem Zustand wie stahlharte Stränge ab.

„Treten Sie ein wenig näher, Señor“, sagte der Kommandant der provisorischen Festungsanlage von Macuro mit falschem Lächeln.

Von Echtens Ketten schleiften klirrend über die Erde, während er der Aufforderung Folge leistete. Indiosklaven hatten mörderische Fronarbeit verrichtet, als der trockene Sandboden für die Festung herangeschafft worden war. Gerhard von Echten war nicht zum ersten Male in Venezuela. Er kannte die Bedingungen, unter denen die Spanier hier ihren Willen durchsetzten. Hatten sie es sich in den Kopf gesetzt, an der unwegsamen und sumpfigen Mangrovenküste ein Fort zu errichten, dann geschah es – und wenn sich die Eingeborenen dabei zu Tode schufteten.

Capitán Ramón Marcelo Gutiérrez musterte den Gefangenen mit scheinbar freundlichem Interesse, wobei er die Augenbrauen hochzog.

„Ich hoffe, ihr werdet eurem Ruf alle Ehre machen“, sagte er nach einer Weile.

„Ich verstehe nicht“, erwiderte von Echten.

„Nun, euch Deutschen sagt man nach, daß ihr besonders schlau und geschickt seid. Alles, was ihr anpackt, wird perfekt, heißt es.“ Gutiérrez grinste und zupfte an den Enden seines schwarzen Spitzbarts. Der Festungskommandant war untersetzt, der breite Ledergurt unter seinem silberbeschlagenen Wams umspannte einen unübersehbaren Bauchansatz. Er hatte sich auf einem Schemel niedergelassen. Die drei Offiziere, die hinter ihm standen, waren von schlanker Statur. Gutiérrez schien der einzige in Macuro zu sein, der sich ungehemmter Freßlust hingeben durfte.

Gerhard von Echten erwiderte nichts auf die Bemerkung des Spaniers. Er wußte, daß hinterhältige Gedanken im Spiel waren.

„Es wird sich zeigen“, fuhr der Capitán gedehnt fort, „ob ihr euch auch in meinen Diensten bewähren werdet. Gute Ruderer sind hierzulande leider Gottes eine Seltenheit. Das verdammte Indiopack braucht Ewigkeiten, bis es etwas kapiert. Da helfen nur kräftige Schläge, um die Hirntätigkeit etwas zu beschleunigen.“ Gutiérrez lachte glucksend, wobei sein Bauch in hüpfende Bewegung geriet. Die drei Offiziere lachten pflichtschuldig mit. Es folgte eine herrische Handbewegung ihres Vorgesetzten, und Ruhe kehrte ein. Der Capitán beugte sich vor, streckte den Arm aus und zeigte mit dem Finger auf den Deutschen. „Sie sind der Anführer Ihrer Truppe von Eindringlingen, Señor. Folglich werden Sie dafür verantwortlich sein, wenn es einen Fall von Ungehorsam oder gar Rebellion geben sollte. Erledigen Sie Ihren Dienst zur Zufriedenheit, und wir werden gut miteinander auskommen. Ich bin großherzig und werde sogar vergessen, daß einer von euch entwischt ist. Das will ich euch nicht anlasten. Also seid gefälligst dankbar und reizt mich nicht!“

„Mi Capitán“, sagte von Echten beherrscht, „ich weise darauf hin, daß meine Männer und ich aufgrund eines geltenden Vertrages an der Küste von Venezuela gelandet sind. Dieser Vertrag berechtigt meine Auftraggeber, in diesem Land nach Edelmetall forschen zu lassen. Wir sind also keineswegs Eindringlinge, wie Sie es darstellen.“ Von Echtens Spanischkenntnisse stammten aus der Zeit, in der er für hansische Kaufleute zur See gefahren war, bevor er in die Dienste des Augsburger Bankhauses getreten war.

Gutiérrez hatte geduldig zugehört, mehrmals verständnisvoll genickt und sah den Deutschen nun mit bedauernder Miene an.

„Ich weiß, Señor, daß Sie in gutem Glauben gehandelt haben, und es tut mir aufrichtig leid, daß Sie Ihre Reise in die Neue Welt unter völlig falschen Voraussetzungen angetreten haben. Dieser Vertrag, von dem Sie reden – wissen Sie, wann der abgeschlossen wurde?“

Von Echten preßte die Lippen aufeinander. Natürlich wußte er es. Im Jahr 1528 hatte Kaiser Karl V. dem Augsburger Bankhaus Welser das Land Venezuela zur Ausbeutung von Edelmetallvorkommen überlassen. Karl V. hatte damit einen Teil eines Darlehens beglichen, das er von den Bankiers erhalten hatte. Mehr als sechs Jahrzehnte waren seitdem vergangen.

Die Spanier, die ihren Einfluß in Venezuela durch immer neue Ansiedlungen ausdehnten, zogen es jetzt vor, jenen Vertrag für Geschichte zu halten. Für sie war es nicht länger ein gültiges Fundament, an das sie sich bei ihren Begegnungen mit deutschen Expeditionen zu halten hatten. Noch bei seiner letzten Venezuela-Reise vor fünf Jahren hatte Gerhard von Echten keine Zusammenstöße mit spanischen Truppen erlebt.

Wie entschlossen die Dons jetzt aber versuchten, das Land unter ihre Kontrolle zu bringen, war von Echten und seinen Gefährten klargeworden, als sie nach zwei Tagesmärschen auf venezolanischem Boden den Schergen des Capitán Gutiérrez in die Hände gefallen waren.

Gutiérrez preßte die Fingerspitzen gegeneinander und blickte den hochgewachsenen Deutschen mitleidig an.

„Die Zeiten haben sich geändert, Señor von Echten. Und ein Vertrag ist nur so lange gut, wie die Voraussetzungen dafür gelten. Aber in diesem Land vollzieht sich mittlerweile ein gewaltiger Umbruch. Wir, die wir im Dienst der spanischen Krone stehen, sorgen hier für einen Aufschwung, wie es ihn nie zuvor gegeben hat. Sollen wir bei dieser aufopfernden Tätigkeit etwa Verständnis dafür aufbringen, daß andere auftauchen, die nichts weiter im Sinn haben, als die Bodenschätze Venezuelas zu plündern und für die Menschen, die hier leben, eine Wüste zurückzulassen? Nein, mein Lieber, da spielen wir nicht länger mit. Denn wir tragen letzten Endes die Verantwortung.“ Gutiérrez räusperte sich. „Falls Sie noch irgendwelche Fragen haben, bin ich gern bereit, sie jetzt zu beantworten. Später wird es keine Gespräche mehr zwischen uns geben.“

Von Echten schüttelte stumm den Kopf. Jeder Wortwechsel mit diesem aufgeschwemmten Schinder war sinnlos. Die Art und Weise, wie er das Sinnen und Trachten der spanischen Krone darzustellen versuchte, war sowieso eine Unverschämtheit.

Capitán Ramón Marcelo Gutiérrez nickte, schnaufte und gab seinen Soldaten einen Wink. Zwei Männer sprangen vor. Einer packte den Deutschen, und der andere versetzte ihm einen Stoß mit dem Musketenkolben. Von Echten stolperte. Wegen der hinderlichen Ketten hatte er Mühe, das Gleichgewicht zu bewahren. Aber er tat den Spaniern nicht den Gefallen, vor ihnen den Dreck zu küssen.

Auch die übrigen Gefangenen wurden jetzt vorangetrieben. Barsche Befehle klangen wie Peitschenhiebe in der heißen Luft, und zu jedem Schritt klirrten die Ketten im Takt. Gerhard von Echten biß die Zähne zusammen. Welche Torturen ihm und seinen Männern bevorstanden, konnte er sich leicht ausmalen.

Den Hafen der Festung hatten sie bereits gesehen, als sie hierher verschleppt worden waren. Es gab dort eine kleine, aber prunkvolle Flotte von Galeeren, die unter dem Kommando des Capitán Ramón Marcelo Gutiérrez standen.

Die Luftfeuchtigkeit lag wie mit Zentnerlasten auf seiner Brust und ließ jeden Atemzug zur Mühsal werden. Aus dem Dickicht stieg der Geruch faulender Pflanzenreste auf. Die schrillen Stimmen zeternder Urwaldvögel begleiteten den einsamen Mann.

Das Haumesser war sein kostbarster Besitz, denn es allein ermöglichte ihm die Flucht durch den Dschungel. Die rasiermesserscharf geschliffene Klinge, fast so lang wie ein Männerarm, stammte aus der Werkstatt eines Augsburger Waffenschmieds. Schlingpflanzen, die wie undurchdringliche Vorhänge waren, zertrennte diese Klinge, als handele es sich um Bindfäden.

Das Dickicht lichtete sich. Keuchend hielt der Mann inne, unvermittelt schien das Haumesser dreifaches Gewicht anzunehmen. Erst die unverhoffte Pause ließ ihn spüren, welche Knochenarbeit er bis jetzt geleistet hatte. Jähe Müdigkeit ergriff Besitz von ihm.

Zwei umgestürzte Baumriesen hatten die Lichtung entstehen lassen. Die mittlerweile moosbewachsenen Stämme lagen kreuzweise übereinander. Der obere ragte schräg empor und schien zum Himmel deuten zu wollen, der durch das tiefgrüne Blätterdach des tropischen Regenwaldes doch nicht zu erkennen war. Unterhalb der abgestorbenen Baumstämme kroch die üppige Vegetation bereits wieder herauf. Vielleicht schon in einem Jahr würde auch diese Lichtung verschwunden sein.

Johannes Lederer wankte vorwärts und ließ sich bäuchlings auf den unteren Baumstamm sinken. Seine Knochen waren wie mit Blei ausgegossen. Er schalt sich einen Narren, daß er seinen Weg nicht augenblicklich fortgesetzt hatte. Wenn er in Bewegung blieb, spürte er die Erschöpfung weniger. Jetzt aber konnte es leicht geschehen, daß ihn die Müdigkeit übermannte.

Er legte den Kopf auf die Seite, damit der Modergeruch des Mooses weniger intensiv in seine Nase drang. Er war überzeugt davon, daß er genug Willenskraft hatte, um nicht einzuschlafen. Nur ein wenig Ruhe brauchte er, mehr nicht. Das Geschrei der Tropenvögel stach zunehmend schriller in sein Gehör und klang wie in einem Schacht, der sich enger um ihn schloß. Seine Gedanken begannen zu versiegen. Der Schlaf überschattete sein Bewußtsein. Die Strapazen, die hinter ihm lagen, forderten ihren Tribut.

Johannes Lederer war ein mittelgroßer und schlanker Mann, nicht älter als fünfundzwanzig Jahre. Das dunkelblonde Haar bedeckte seinen Kopf in zerzausten Strähnen. Auf dem Leib trug er nur noch die Hose mit dem breiten Ledergurt, das zerrissene Hemd und die Stulpenstiefel. Über seine rechte Schulter zog sich eine blutverkrustete Furche – eine Erinnerung an die Begegnung mit den Spaniern, die sich ihm und seinen Gefährten plötzlich in den Weg gestellt hatten. Lederer hatte als einziger fliehen können. Der Streifschuß, den er sich dabei eingehandelt hatte, war für ihn nicht der Rede wert.

Seine Sinne schlugen jäh Alarm.

Er schrak hoch, riß die Augen auf und unterdrückte einen Fluch, weil er sich selbst nicht unter Kontrolle gehalten hatte. Aber er hatte noch immer dieses besondere Gespür für drohende Gefahr, das ihn auch im Schlaf nicht verließ. Ein Instinkt, der in den zurückliegenden Jahren ein Teil seiner Natur geworden war.

Atemzüge lang lauschte er aufmerksam.

Längst waren ihm die Geräusche des Dschungels vertraut geworden. Auf Anhieb erkannte er jene, die fremd waren und nicht zur gewohnten Kulisse gehörten.

Die Verfolger hatten aufgeholt!

Lederer wirbelte herum. Behende schwang er sich über den unteren Baumstamm und fand auf der anderen Seite Deckung. Regungslos verharrte er. Deutlich hörte er jetzt das leise Rascheln und Scharren heraus, wie es Männer verursachten, die sich möglichst unbemerkt vorwärts zu bewegen versuchten.

Über die Richtung, aus der sie vordrangen, bestand kein Zweifel. Sie hatten es einfach gehabt, ihm auf den Fersen zu bleiben, denn den Pfad hatte er vorgezeichnet. Sie brauchten sich nicht einmal mit ihren Haumessern abzumühen. Wenn sie ihn bislang noch nicht erwischt hatten, so vielleicht nur deshalb, weil sie mit ihren schweren Brustpanzern, den Stiefeln und der Ausrüstung weniger beweglich waren als er selbst.

Die Geräusche näherten sich rasch.

Deutlich vernahm Johannes Lederer bereits die Schritte. Er runzelte die Stirn. Täuschte er sich, oder handelte es sich tatsächlich nur um zwei Verfolger? Ursprünglich waren es ein Dutzend Soldaten gewesen, die sich an seine Fersen geheftet hatten. Jetzt aber vermochte er aus den Geräuschen zumindest herauszuhören, daß ihre Zahl beträchtlich geschrumpft war. Möglich aber auch, daß sie eine Vorhut geschickt hatten.

Einen Moment dachte er an die doppelläufige Radschloßpistole, die er noch am Gürtel trug. Zwei Kugeln befanden sich in den Läufen, vielleicht genug. Aber er verwarf den Gedanken wieder. Das Risiko war zu groß. Zum einen war das Pulver höchstwahrscheinlich feucht geworden, zum anderen würde er durch Schüsse eine etwaige zweite Verfolgergruppe alarmieren.

Während er über den Moosbewuchs des Baumstamms spähte, packte er das Haumesser fester. Es war in seiner Wirkung einem Schiffshauer absolut vergleichbar.

Die Müdigkeit des einsamen Mannes war wie weggeblasen. Der Wille zu überleben hatte seine Kraft von einem Herzschlag zum anderen wieder geweckt.

Sie tauchten so plötzlich auf, daß er erschrak.

Ihre Helme und Brustpanzer waren grelle Fremdkörper in der grünen Hölle. Sie bewegten sich langsam in der Schneise, die er geschlagen hatte, nach allen Seiten sichernd.

Zwei Soldaten waren es. Junge Männer noch. Ihre Gesichter wirkten bleich und schmal unter den großen Helmen. Der Tropensonne setzten sich diese Nachfahren der Conquistadores nur selten aus. Lederer kannte das Leben in den spanischen Garnisonen der Neuen Welt. Wo immer es der Dienst erlaubte, zog man sich in die Schatten der Unterkünfte zurück und träumte von der Heimat, vom goldenen Spanien, das noch immer der Nabel der Welt war.

Er dachte daran, ob sie wirklich bereit waren, für ihre Heimat zu sterben. So jung und ahnungslos, wie sie aussahen, war der Tod in ihrem Bewußtsein sicherlich nicht allgegenwärtig. Vielleicht stellten sie ihn sich als heldenhaftes Geschick auf dem Schlachtfeld oder im Gefecht zur See vor. Der Dampfkessel des venezolanischen Dschungels bot solche Ehre nicht. Hier war der Tod lautlos.

Johannes Lederer ließ sie bis auf zwei Schritte heran.

Sie zögerten angesichts der umgestürzten Baumriesen und schienen von einer Ahnung befallen zu sein. Die Musketen, die sie der Dienstvorschrift entsprechend in den Händen hielten, waren wenig nütze für einen Kampf im Dickicht.

Jäh schnellte Lederer hoch. Das Haumesser wirbelte aus seiner Rechten mit flirrendem Reflex.

Noch vor dem dumpfen Aufprall flankte der Deutsche mit einem federnden Satz über den Baumstamm.

Der vorderste der beiden Soldaten sank in sich zusammen.

Vergeblich versuchte der andere, die Muskete in Anschlag zu bringen. Angesichts der geringen Entfernung war es ein lächerlich wirkender Versuch. Lederer war bei ihm, bevor er die Waffe auch nur hochreißen konnte. Er schlug ihn mit dem Knauf der Radschloßpistole nieder.

Einen Moment verharrte er regungslos. Dann war er sicher, daß weitere Verfolger noch nicht in unmittelbarer Nähe waren. Eilends nahm er das Haumesser wieder auf. Für den Soldaten, den es getroffen hatte, gab es keine Rettung mehr. Den anderen, der nur bewußtlos war, konnte er nicht umbringen. Er war kein Mann, der um des Tötens willen tötete. Stets hatte er sorgfältig abgewogen, welches Gegengewicht er für sein eigenes Leben in die Waagschale werfen durfte, ohne sein Gewissen belasten zu müssen.

Johannes Lederer ließ die Lichtung hinter sich zurück und setzte seinen beschwerlichen Weg durch das Gewirr der Schlingpflanzen fort. Er wußte, daß ihm die Verfolger sehr bald dichter auf den Fersen sein würden. Der kurze Schlaf hatte ihn wertvolle Zeit gekostet. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis sie die beiden Männer fanden, die er überwältigt hatte.

Keuchend arbeitete er sich voran. Jetzt war es wieder das vielstimmige Geschrei der Tropenvögel, das ihn begleitete. Hoch oben unter dem Laubdach der Baumriesen bewegten sie sich majestätisch gelassen mit buntgefiederten Schwingen. Der Mensch, der dazu verdammt war, sich beschwerlich wie ein Kriechtier auf dem Erdboden zu bewegen, mußte in ihren Augen klein und erbarmenswürdig erscheinen.

Lederer war nicht mehr sicher, ob es ihm noch gelang, seine ursprüngliche südwestliche Fluchtrichtung beizubehalten. Er wußte, wie leicht man die Orientierung verlor und sich im Kreis bewegte. Aber er verfügte auch über eine gewisse Erfahrung, was den tropischen Regenwald betraf, denn es war seine dritte Reise nach Venezuela. Er kannte dieses Land, dessen ungebändigte Natur für den Menschen lebensfeindlich sein konnte. Wenn seine Rechnung aufging, mußte er irgendwann auf die Küste im Norden des Golfes von Paria stoßen.

Schaffte er das, so bedeutete es keineswegs schon große Hoffnung. Sein weiteres Schicksal war immer noch in höchstem Maße ungewiß. Sicher konnte er sich eine Weile bei jenen Indios aufhalten, die den Weißen gegenüber keine Feindseligkeiten hegten. Aber ebensogut konnte er auch einem der blutrünstigen Kannibalenstämme in die Hände fallen, die in der Gegend der Orinoco-Mündung beheimatet sein sollten.

Hilfe, vor allem für seine Gefährten, konnte er nur dann erwarten, wenn er eine der deutschen Niederlassungen im Landesinneren erreichte.

Gewissensbisse wegen seiner Flucht hatte Johannes Lederer nicht. Auch kannte er Gerhard von Echten und die anderen gut genug, um zu wissen, wie sie die Dinge betrachteten. Nur dadurch, daß er den Spaniern entronnen war, konnten die anderen auf Befreiung hoffen. Sie wußten, wie sie ihn einzuschätzen hatten. Er war nicht der Mann, der nur um seiner selbst willen das Weite suchte.

In welcher Form er seinen Gefährten Hilfe bringen konnte, war allerdings noch sehr zweifelhaft. Zwar gab es Niederlassungen seiner Landsleute in Venezuela, doch waren diese Stützpunkte mehr für Handels- und Forschungszwecke eingerichtet. Über eine nennenswerte bewaffnete Truppe verfügte man hier nicht – nichts jedenfalls, was man einer spanischen Festung entgegensetzen konnte. Die Befreiung der Gefangenen konnte folglich nur durch einen raffiniert geplanten Handstreich gelingen.

Ein Sinnesimpuls ließ Johannes Lederer in seinem schweißtreibenden Vordringen innehalten.

Er blinzelte, schloß die Augen und öffnete sie wieder. Aber es gab keinen Zweifel. Helligkeit drang durch das sich lichtende Grün.

Wieder hob er das Haumesser und zertrennte die Stränge der Schlingpflanzen mit heftigeren, wild entschlossenen Schlägen. Die Helligkeit nahm zu, und plötzlich stach Sonnenlicht in seine Augen. Im Schutz einer Mangrovenwurzel verharrte er, ungläubig staunend.

So weit sein Blick reichte, dehnte sich die Wasserfläche. Im schwachen Wellengang funkelten Millionen von Lichtreflexen der Sonne. Geblendet schloß Johannes Lederer abermals die Augen. Er hätte einen Triumphschrei ausstoßen mögen. Es mußte der Golf von Paria sein, den er erreicht hatte, nichts anderes, keine Sinnestäuschung. Deutlich spürte er jetzt auch den klareren Luftzug, der die stickige Feuchtigkeit des Dschungels überlagerte.

Als er wieder hinsah, hatten sich seine Pupillen genügend an die gleißende Helligkeit gewöhnt, um Einzelheiten zu erkennen. Bis zum seichten Uferwasser erstreckte sich blaßgelber Strand auf etwa hundert Yards. Und …

Unwillkürlich zog er den Kopf tiefer zwischen die Schultern.

Da waren die Umrisse eines Schiffes. Jetzt sah er es deutlich, woran ihn die Blendwirkung der Sonne zuvor noch gehindert hatte.

Fassungslosigkeit packte ihn. Noch wußte er nicht, ob er in Freudengeheul ausbrechen oder sich in Niedergeschlagenheit ergeben sollte.

Aber der Silhouette nach war dieses kein spanisches Schiff. Es war schlanker und flacher gebaut als die plumpen Galeonen der Dons, die so sehr an behäbige Seekühe erinnerten, wenn sie sich den Bauch mit Gold und Silber vollgeschlagen hatten.

Nein, dieser Dreimaster war mit Gewißheit kein Spanier. Er zeigte keine Flagge, und es war unter den gegebenen Umständen wohl auch besser, daß er seine Nationalität nicht prahlerisch demonstrierte. Immerhin hatten die Dons absolute Vorherrschaft im gesamten Gebiet des Golfes von Paria. Der Kapitän dieses Schiffes mußte entweder ein eiskalter Draufgänger oder ein ahnungsloser Engel sein, wenn er sich bis hierher vorgewagt hatte.

Der Bauweise nach war das Schiff eine Galeone. Lederer schätzte ihre Kapazität auf dreihundert Tonnen. Die Masten hatten Überhöhe, wodurch eine wesentlich größere Segelfläche als bei den traditionellen spanischen Galeonen erreicht wurde. Durch die flache Bauweise hatte auch das Achterdeck nur eine geringe Neigung. An den jetzt geschlossenen Stückpforten ließ sich abzählen, daß der Dreimaster über je acht Kanonen auf Backbord und Steuerbord verfügte.

Das schlanke Schiff lag vor Anker und schwojte sacht um die Trosse. Bei angestrengtem Hinsehen erkannte Johannes Lederer die Umrisse der Männer an Deck wie scharf gezeichnete Schatten.

Sie fierten ein Beiboot ab.

Was veranlaßte sie, an diesem menschenleeren Küstenstreifen an Land zu gehen? Sofern es darum ging, Vorräte zu ergänzen, hatten sie einen beschwerlichen Weg vor sich, bis sie landeinwärts auf eine Wasserstelle stoßen würden. Freunde der Spanier hatten solche Mühe nicht nötig. Sie konnten vor jeder beliebigen Ansiedlung ankern und ihre Laderäume auffüllen.

Der einsame Mann spürte, wie sich sein Herzschlag beschleunigte, als die Rudergasten im Beiboot zu pullen begannen. Als ahnten sie von seiner Anwesenheit, steuerten sie ziemlich genau in seine Richtung. Konnte er aber so vermessen sein, von ihnen Hilfe zu erwarten?

Er erschrak, als er plötzlich wieder Geräusche aus dem Dickicht hörte. Seine Rechte tastete zum Knauf der Pistole. Vielleicht war es sinnvoll, die Waffe jetzt zu benutzen. Die Fremden wurden dann schneller auf ihn aufmerksam.

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 223

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