Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 587 - Burt Frederick - Страница 7
2.
ОглавлениеEdwin Carberry legte die Hände auf den Rücken und hob den Kopf. Er blähte die Nasenflügel und gab vernehmliche Schnüffelgeräusche von sich.
„Riechst du was, Sir John?“ fragte er schließlich, ohne den Blick zu wenden. Er setzte die Schnüffelei fort und schloß genießerisch die Augen.
Der rote Papagei, der auf seiner linken Schulter thronte, beugte sich vor, so weit er konnte, ohne hinunterzufallen. Er drehte den runden Kopf in Schrägstellung und beäugte die Nasentätigkeit des Profosen.
„Na, riechst du was, Sir John?“ wiederholte Carberry, ließ die Augen geschlossen und schnupperte weiter.
Die auf dem Hauptdeck beschäftigten Arwenacks grinsten und wechselten vielsagende Blicke. Ferris Tucker, der eine Lafette aufgebockt hatte und eine beschädigte Rolle auswechselte, tippte sich an die Stirn.
„Das riecht nach England, Sir John“, sagte Carberry wie im väterlichen Gespräch mit einem Kind, dem er die Lösung eines kleinen Rätsels offenbarte. „Nach England riecht das, mein Alter!“
„Papageien können überhaupt nicht riechen“, sagte der Schiffszimmermann überzeugt.
Die Männer an Deck mußten an sich halten.
Carberry riß die Augen schlagartig auf und starrte den rothaarigen Hünen an, als hätte dieser behauptet, zwei und zwei seien fünf. „Woher willst du das wissen, he?“
Ferris wandte sich von der Lafette ab und richtete sich zu voller Größe auf. „Dafür brauche ich nur meine Augen, du Blindfisch. Papageien haben einen Schnabel und keinen Rüssel.“
Der Profos polterte augenblicklich los: „Willst du behaupten, daß ich einen Rüssel habe?“
„Affenarsch!“ schrie Sir John. „Verlauste Kakerlake!“
„Nenn es, wie du willst“, entgegnete Ferris aufgebracht. „Jedenfalls kannst du einem den Nerv töten.“ Er äffte Carberrys Stimme nach: „Das riecht nach England, Sir John!“
Die Arwenacks lachten schallend.
„Tut es auch!“ erwiderte Carberry dröhnend. „Für so was habt ihr Blödiane eben kein Gespür!“
„Kein Gespür!“ schrie Sir John und wiegte sich aufgeregt von einer Seite auf die andere. Ein rollendes Krächzen folgte: „Hol durch die Lose, Sir!“
Old Donegal Daniel O’Flynn, der neben Ferris Tuckers Lafette an der Verschanzung lehnte, verschaffte sich Gehör, indem er mit seinem Holzbein aufstampfte.
„Wenn die Gentlemen mal eine Sekunde zuhören wollen!“ rief er mit einer Stimme, die wie eine rostige Eisenraspel klang. „Ich denke, wir können den Sachverhalt schnell klären – egal, wie gut ein Papagei riechen kann. Wenn wir nämlich auf dem Boden der Tatsachen bleiben, ist die Geschichte verdammt einfach. Jeder der Gentlemen wird mir bestätigen, daß wir Südwestwind haben und mit unserem Schiffchen ziemlich genau auf Nordkurs segeln. Und da oben im Norden liegt England! Wie, bitte sehr, soll es nach England riechen, wenn der Wind nahezu aus der entgegengesetzten Richtung weht?“
Carberry sah den Alten an und blinzelte verdutzt.
„England riechst du eben auf tausend Meilen gegen den Wind“, sagte er nach kurzem Überlegen und grinste. „Stell dir bloß mal sämtliche gepuderten Ladys und Gents auf einem Haufen vor. Stell dir ihre Schlösser und Landsitze vor, aus denen sie ausziehen, weil’s vor Gestank nicht mehr auszuhalten ist. Stell dir die Straßen von London vor, in denen es stinkt, daß den Leuten schwindlig wird, wenn sie sich nicht die Nasen zuhalten. England ist eine einzige große Stinkdrüse.“
„Was willst du dann überhaupt da?“ fauchte der alte O’Flynn.
„Nur mal nachsehen, ob Plymmie seinen Saftladen renoviert hat“, erwiderte der Profos feixend. „Als wir letztes Mal das letzte Faß Bier bei ihm leerten, sah’s ziemlich übel aus in der ‚Bloody Mary‘.“
Die Männer grinsten. Sie bemerkten, wie Plymmie, die Wolfshündin, den Kopf hob und die Ohren spitzte.
„Du bist nicht gemeint, Lady“, sagte Hasard junior und kraulte ihr die Ohren.
„Da gibt’s einen männlichen Plymmie in Plymouth“, erklärte sein Bruder Philip. „Ein zweibeiniges Exemplar. Nathaniel Plymson mit vollem Namen. Der arme Kerl ist der Inhaber der Schenke ‚Bloody Mary‘, und wenn er wüßte, daß die Crew des Seewolfs auf Heimatkurs liegt, würde er seine Bude wahrscheinlich mit Brettern verrammeln und für ein paar Tage zu Verwandten aufs Land fahren. Da er es aber nicht weiß, wird er in Kauf nehmen müssen, daß sich die Arwenacks zu einem gemütlichen Beisammensein in seinem geschätzten Haus einfinden.“
„Und es bis auf den letzten Nagel auseinandernehmen“, fügte Hasard junior lachend hinzu.
Die Männer stimmten mit ein. Der Gedanke an den fetten Plymson war wirklich erbaulich. Sein Bierkeller mußte um diese Jahreszeit, im März, schön kühl sein. Einen guten Gerstensaft zapfte er wahrhaftig, und die Gemütlichkeit kannte bei ihm meistens keine Grenzen.
„Sieht so aus“, sagte Ferris Tucker, nachdem sich alles wieder beruhigt hatte, „als sei hier die Viehzeugbelehrungsstunde angebrochen. Vielleicht übernimmt jemand die dankenswerte Aufgabe, Arwenack zu erklären, daß es in England keine Bananen gibt?“
Arwenack, der Schimpanse, keckerte durchdringend und schlug sich mit den flachen Händen auf den Brustkasten, daß es dröhnte.
„Das weiß er längst“, sagte Carberry. „Schließlich ist er nicht zum erstenmal in England.“
Wieder hatte der Profos die Lacher auf seiner Seite.
Einer endlosen Fortsetzung des Wortgeplänkels hätte nichts im Weg gestanden, wenn es nicht in diesem Augenblick von Bill mit durchdringender Stimme unterbrochen worden wäre.
„Mastspitzen Steuerbord voraus!“
Alle Blicke wandten sich in die angegebene Richtung. Auf dem Achterdeck hoben der Seewolf, Ben Brighton, Dan O’Flynn und Don Juan de Alcazar die Spektive.
„Ein Zweimaster“, sagte Dan, der Mann mit den schärfsten Augen in der Crew.
Es dauerte eine halbe Stunde, bis der Seewolf und seine Gefährten weitere Einzelheiten erkennen konnten.
Der Zweimaster, der mit halbem Wind segelte, hatte zunächst auf Kurs Ostsüdost gelegen. Es war eine Karavelle, die die rot-weiß-gelb gestreifte spanische Flagge im Masttopp führte. Beim Sichten der Schebecke hatte der Spanier angeluvt und lag jetzt auf Südost. Er suchte die Begegnung und fühlte sich offenbar stark in der Nähe der heimischen Gewässer.
„Keine weiteren Schiffe zu sehen“, sagte Dan, nachdem er die Kimm gründlich abgesucht hatte.
Jeder der Männer wußte, daß es an dieser Feststellung keinen Zweifel gab.
Die Fluten des Atlantik rollten eisengrau. Das Licht der Vormittagssonne verstärkte den Eindruck der Endlosigkeit. In dieser Weite, in der die Naturgewalt die alleinige Herrschaft ausübte, hatten die Menschen auf zwei vergleichweise winzigen Seglern nichts Besseres zu tun, als wie Kampfhähne aufeinander loszugehen und im blutigen Detail jenen Streit auszutragen, den ihre Königshäuser noch immer nicht beigelegt hatten.
Doch die Arwenacks würden nicht die Angreifer sein.
Philip Hasard Killigrew ließ Flagge zeigen und befahl Gefechtsbereitschaft. Im Topp des Großmastes wehte das schwarze Tuch mit den gekreuzten goldenen Säbeln aus. Unter der Flagge des Bundes der Korsaren entfalteten die Männer auf den Decks rege Betriebsamkeit. Während unter Aufsicht von Al Conroy die Culverinen und Drehbassen geladen wurden, beeilte sich Ferris Tucker, die aufgebockte Lafette in Ordnung zu bringen.
Die gewohnte Prozedur wurde im Handumdrehen bewältigt – Ausstreuen von Sand auf den Decksplanken, Bereitstellen von Pützen mit Löschwasser und Vorbereiten der Eisenbecken mit glühender Kohle zum Zünden der Lunten.
Die Söhne des Seewolfs übernahmen es abschließend, das Viehzeug – so Carberrys liebevolle Bezeichnung für Wolfshündin, Schimpansen und Papagei – unter Deck zu bringen.
Mittlerweile zeichneten sich Einzelheiten deutlicher ab.
„Merkwürdig“, sagte der Seewolf, ohne das Spektiv abzusetzen. „Die Karavelle ist einwandfrei spanischer Bauart. Aber die Burschen an Deck sehen mir nicht wie Spanier aus.“
„Zumindest nicht wie spanische Soldaten“, entgegnete Ben Brighton.
„Und die Karavelle hat noch nicht mal einen spanischen Namen“, sagte Dan O’Flynn.
„Laß schon hören“, forderte Hasard, der aus den Augenwinkeln heraus bemerkte, daß es Dan nicht gefiel, sich mit seiner Sehschärfe aufzuspielen.
„Galway“, antwortete Dan.
Die vier Männer auf dem Achterdeck setzten die Spektive ab und sahen sich an. Sie brauchten sich nichts gegenseitig zu erklären. Galway war die größte Hafenstadt im Westen Irlands. Spanien und Portugal pflegten enge Handelsbeziehungen zu den Iren, und Galway war für die Dons traditioneller Bestimmungshafen und wichtigster Handelsstützpunkt.
Ein Dorn im Auge der königlichen Lissy. Aber die Wirksamkeit ihrer Kontrollmaßnahmen reichte eben nicht bis in jeden Winkel des wilden Irland. Niemand wußte genau, wie viele Spanier sich dort verkrochen hatten und unerkannt bei den Iren lebten. Das war damals geschehen, vor rund zehn Jahren, als die Armada besiegt worden war und ein Teil ihrer Schiffe auf dem Weg um Schottland und Irland geflohen war.
In den Stürmen des Atlantik waren viele der ohnehin stark angeschlagenen spanischen Galeonen gesunken oder gestrandet – so auch vor der irischen Westküste. Ungezählte Überlebende hatten die Gelegenheit genutzt, auf der grünen Insel unterzutauchen und ein neues Leben anzufangen. Denn kaum einer der einfachen Seeleute hatte nach dem Grauen der Niederlage ein Verlangen danach gehabt, jemals wieder in die Dienste der spanischen Seestreitmacht zu treten.
Und dieser Zweimaster, dessen Kapitän offenkundig auf eine Konfrontation scharf war, segelte unter spanischer Flagge – mit einem irischen Namen. Eine Seltenheit zumindest. Denkbar aber, daß die Dons das Schiff aus Höflichkeit gegenüber ihren offiziellen Handelspartnern nach der irischen Hafenstadt benannt hatten.
Die Karavelle leitete eine Wende ein.
Die Männer auf dem Achterdeck der Schebecke hatten Gelegenheit, den Zweimaster während seines Manövers von der Backbordseite zu studieren. Es war ein ungewöhnlich stark armiertes Schiff, gemessen an seiner Größe. Die Stückpforten waren geöffnet – acht quadratische Öffnungen in der Verschanzung, aus denen dunkle Bronzemäuler gähnten. Acht Rohre auf jeder Seite also.
„Sieht verdammt nach Vierundzwanzigpfündern aus“, sagte Ben Brighton.
Hasard nickte. „Dazu je sechs Drehbassen vorn und achtern. Ein gewaltiger Brocken.“
Die Männer schwiegen. Hasards Bemerkung bezog sich weniger auf das Registergewicht des Zweimasters als vielmehr auf Kampfkraft und Wendigkeit. Die Schebecke hatte praktisch keinerlei Vorteile, wenn eine Auseinandersetzung stattfinden sollte.
In acht Kabellängen Entfernung krängte die Karavelle unter Vollzeug, legte sich auf den Steuerbordbug und setzte zu einem Kreuzschlag nach Westnordwest an. Hasard und seine Gefährten wußten, daß der Kapitän der „Galway“ nicht etwa eine Änderung des Generalkurses beabsichtigte. In einigen Minuten würde er sich auf eine Position Backbord voraus begeben. Danach würde er versuchen, im laufenden Gefecht der Schebecke gründlich einzuheizen – immer vorausgesetzt, der Dreimaster blieb auf seinem Kurs.
In der Nähe spanisch-portugiesischer Gewässer würde ein Fremder aber kaum anfangen, große Töne zu spucken. Davon konnte jener Kapitän dort auf dem Achterdeck ausgehen.
Lichtreflexe blitzten zwischen Ruder und Heckbalustrade der Karavelle. Die Sonne ließ das Glas der Spektive funkeln.
Die Schiffsführungen beäugten sich gegenseitig.
Der Kommandant der Karavelle war ein stämmiger, nur mittelgroßer Mann, besonders auffällig an ihm war das flachsblonde Haar. Sein Rang ließ sich daran ablesen, daß die drei anderen auf dem Achterdeck respektvollen Abstand von ihm hielten. Er trug einen mächtigen Schnauzbart, der hell in der Sonne schimmerte. Seine Kleidung war derb, geradezu ungepflegt.
Die anderen Kerle sahen nicht besser aus.
„Das sind keine Spanier“, sagte Don Juan überzeugt.
Der Zweimaster nahm auf seinem neuen Kurs zügig Fahrt auf. Das schlanke Schiff, das wegen seiner Neigung nach Steuerbord einen Teil der Unterwasserbeplankung an Backbord zeigte, war hervorragend in Schuß. Keine Muscheln, keine Algen. Und die Segeleigenschaften waren erstrangig.
„An wen denkst du?“ wandte sich Dan O’Flynn an de Alcazar. „Schnapphähne, die sich eine spanische Karavelle unter den Nagel gerissen haben?“
Don Juan schüttelte den Kopf. „Ich glaube, wir haben es mit Iren zu tun.“
Hasard, Ben und auch Dan ließen die Spektive sinken und sahen den Spanier an.
Unterdessen entfernte sich die Karavelle zunehmend rascher nach Westnordwest.
„Wenn du recht hast“, sagte der Seewolf, „dürfen wir uns zu dieser Begegnung beglückwünschen.“
Er brauchte nichts hinzuzufügen. Mit den Iren war es eine besondere Sache. Die Arwenacks hatten da ihre einschlägigen Erfahrungen. Die Bewohner der grünen Insel waren eine Sorte für sich. In ihren Adern floß das Blut der keltischen Vorfahren und das der Wikinger, die vor ungefähr acht oder neun Jahrhunderten als Eroberer aufgekreuzt waren und sich auf Eire ausgebreitet hatten.
Hitzköpfig waren sie, diese Iren – starrsinnig, streitsüchtig und ohne jede Logik in ihrem Handeln, wenn ihr Blut erst einmal in Wallung geraten war. Andererseits sagte man ihnen einen übertriebenen Hang zur Melancholie nach – ebenso, wie sie alles andere als Kinder von Traurigkeit waren. Die Lieder, die sie sangen, waren wie sie selbst – ausgelassen und voller Fröhlichkeit, doch gleich darauf zu Tode betrübt.
Königin Elizabeth I. hatte die Iren als ein unregierbares Volk bezeichnet, wobei zu berücksichtigen war, daß die Iren allerdings nicht den geringsten Wert darauf legten, von Engländern regiert zu werden.
Noch wußten die Burschen dort drüben auf der Karavelle nicht, daß der Mittelmeerdreimaster von einer englischen Crew gefahren wurde. Wenn sie es herauskriegten, würden sie wahrscheinlich einen Brüllchor des Jähzorns anstimmen.
„Viele Iren stehen als Seefahrer in spanischen Diensten“, erklärte Don Juan. „Ich könnte mir vorstellen, daß unsere Freunde“, er deutete mit einer Kopfbewegung zu dem Zweimaster, „für Patrouillenfahrten zwischen Spanien und Irland zuständig sind.“
„In dem Aufzug?“ entgegnete Hasard stirnrunzelnd. „So, wie die Burschen aussehen, gereichen sie Spanien nicht gerade zur Ehre.“
Don Juan zog die Schultern hoch. „Was ihre wirkliche Aufgabe ist, verraten sie uns vielleicht noch. Zutrauen würde ich es ihnen.“
In dem Punkt konnte der Seewolf dem spanischen Freund nicht widersprechen.
Sie setzten die Beobachtung mit den Spektiven fort.
Wenig später ging die Karavelle auf den ursprünglichen Kurs zurück. Als die Karavelle etwa drei Kabellängen von Backbord voraus heranrauschte, blitzte es in der vorderen Stückpforte an ihrer Steuerbordseite auf.
Das Geschoß orgelte heran und ließ eine Wassersäule vor dem Bug der Schebecke aufsteigen.
Die Arwenacks fluchten.
Hasard nickte Ben Brighton zu. Der Erste Offizier wandte sich nach vorn und gab Befehl, die Segel wegzunehmen. Die Männer reagierten mit enttäuschten und verständnislosen Gesichtern. Doch sie wußten nur zu gut, daß das Verhalten des Seewolfs, keine unnötigen Gefechte anzuzetteln, berechtigt war.
Sie mußten jederzeit mit dem Auftauchen anderer spanischer oder portugiesischer Schiffe rechnen. Dann konnte sich das Blatt sehr schnell zu ihren Ungunsten wenden.
Nicht von ungefähr beobachtete Dan O’Flynn auch jetzt weiter die Kimm in allen Richtungen – besonders nach Osten hin, wo sich außer Sichtweite die Küste Portugals befand.
Die Schebecke verlor an Fahrt. Ben Brighton ließ zusätzlich einen Treibanker ausbringen.
Unterdessen wurden auch auf der Karavelle die Lateinersegel geborgen. Wie der Seewolf erwartet hatte, nahmen die Iren eine Position in einer Kabellänge Distanz ein. Sie fierten ihr Beiboot ab und besetzten es mit sechs Rudergasten.
Der flachsblonde Kapitän enterte über die Jakobsleiter nach unten und ließ sich auf der Achterducht nieder. Hinter dem Schanzkleid des Zweimasters zogen Musketenschützen auf. Zwei Dutzend Kerle insgesamt. Weitere harrten sprungbereit auf der Kuhl hinter ihnen aus.
Die Karavelle war überbemannt. Nichtsdestoweniger erhöhte dieser Umstand ihre Kampfkraft.
Der Kapitän der „Galway“ ließ sich von zwei Rudergasten mit schußbereiten Pistolen begleiten, als er zum Hauptdeck der Schebecke auf enterte. Schnurstracks marschierte er zum Achterdeck, wo er breitbeinig stehenblieb.
„Wer ist hier der Kapitän?“ schnaubte er in schaurigem Spanisch.
„Der bin ich“, erwiderte Hasard mit einem kalten Lächeln, ebenfalls auf Spanisch.
„Name?“ Der Ire musterte ihn von Kopf bis Fuß.
„Philip Hasard Killigrew.“
Der Ire blinzelte. „Was für ein verdammter Name ist das?“ fragte er barsch.
„Einer, den ich mir nicht ausgesucht habe.“
„Ist das eine Antwort?“
„Der Frage angemessen“, sagte Hasard, und das Lächeln gefror in seinen Mundwinkeln. „Ich nehme nicht an, daß Sie sich zu einer Plauderstunde herüberbegeben haben. Sie haben uns einen Schuß vor den Bug gesetzt und werden uns sicherlich erklären, was Sie dazu berechtigt und wer Sie sind.“
Die Augen des irischen Kapitäns wurden schmal. Er holte Luft. Sein Brustkasten schien dabei anzuschwellen. „Ich bin Cormac O’Sirideáin, Kommandant der ‚Galway‘. Schiff und Besatzung stehen in spanischen Diensten. Desgleichen die Männer, die ich nach Cádiz zu bringen habe, wo sie auf anderen spanischen Kriegsschiffen anmustern werden. Damit ist wohl klar, welches Recht ich habe, unbekannte Segler aufzubringen.“
„Begriffen“, erwiderte Hasard knapp.
Der Ire sprach seinen Namen nach der ursprünglichen gälischen Schreibweise aus. Die Engländer hatten daraus „Sheridan“ gemacht, wie sie alle irischen Eigennamen in ihre Sprache und ihre Schrift übertragen hatten und die Iren zwangen, eben diese Schreib- und Sprechweise zu übernehmen.
„Sie sprechen Spanisch“, sagte O’Sirideáin leise und lauernd. „Aber der Lappen da oben ist ja wohl keine spanische Flagge, oder?“
„Richtig bemerkt“, sagte der Seewolf. „Wir sind freie Korsaren und haben unsere eigene Flagge. Und Spanisch spreche ich nur, weil Sie mich darin angesprochen haben.“
Die Augen des Iren waren nur noch ein Strich unter den buschigen Brauen. „Korsaren? Was ist Ihre Muttersprache, Mann?“
Hasard sah, daß O’Sirideáin längst einen Verdacht hegte, was nicht verwunderlich war, als er den Namen Killigrew gehört hatte.
„Englisch“, antwortete der Seewolf knapp.
Die Augen O’Sirideáins öffneten sich weit, seine Gesichtshaut verfärbte sich zu einem hellen Rot.
„Engländer!“ brüllte er. Die Adern an seinem Hals schwollen an. „Ihr seid verfluchte Engländer!“ Er riß die Pistole unter seinem Gürtel hervor und legte sie auf den Seewolf an. Das Zittern, das seinen ganzen Körper erfaßt hatte, ging auf die schwere Waffe über. „Verfluchte Engländer!“ brüllte er abermals. Er war zu einem gälisch-rollend klingenden Englisch übergewechselt.
Die Arwenacks standen sprungbereit. Ihre Muskeln waren angespannt. Ben Brighton, Dan O’Flynn und Don Juan hatten die Kolben ihrer Einschüssigen gepackt.
Cormac O’Sirideáin spürte es bei all seiner schäumenden Wut: Wenn er den Zeigefinger krümmte, würde er im nächsten Atemzug ein toter Mann sein – trotz seiner beiden Begleiter und trotz der Musketenschützen auf der Karavelle.
O’Sirideáin ließ die Waffe sinken.
Doch sein Zorn war ungebrochen. „Ihr Schiff ist beschlagnahmt, Killigrew“, sagte er mit bebender Stimme. „Sie und die gesamte Besatzung sind Gefangene der spanischen Krone. Ergeben Sie sich freiwillig, dann ersparen Sie es mir, Gewalt anzuwenden.“
Bevor Hasard antworten konnte, meldete sich Don Juan mit einer raschen Handbewegung zu Wort.
„Ich bin Spanier“, sagte er, an den Iren gewandt. „Meine Anwesenheit an Bord läßt Ihnen vielleicht klarwerden, daß Sie es hier mit einer völlig neutralen Crew zu tun haben. Mister Killigrew und meine übrigen Freunde sind weder Feinde der Spanier noch Feinde der Iren. Als freie Korsaren …“
„Engländer sind Engländer!“ überbrüllte O’Sirideáin den Schlichtungsversuch des Spaniers. „Und Sie, Señor, sollten sich schämen, mit verdammten Britenbastarden auf einem Schiff zu fahren!“
De Alcazar schwieg. Er sah ein, daß es keinen Sinn hatte. Ein Mann von der Sorte dieses irischen Hitzkopfs war nicht zu überzeugen.
„Verschwinden Sie von Bord, O’Sirideáin“, sagte der Seewolf eisig. Der sechsschüssige Drehling lag so plötzlich in seiner Hand, als sei er hineingezaubert worden.
Auch Ben, Don Juan und Dan zogen ihre Pistolen.
O’Sirideáin erbleichte. Die beiden Männer hinter ihm zögerten. Die Waffen, die sie im Anschlag hielten, nutzten ihnen angesichts der Übermacht nicht viel.
„Engländerschwein!“ zischte O’Sirideáin. „Das wird dir noch leid tun.“
„Ich könnte Sie auf der Stelle gefangennehmen“, entgegnete Hasard, äußerlich völlig ruhig. „Halten Sie meinetwegen von Engländern, was Sie wollen. Scheren Sie meinetwegen alle über einen Kamm – es ändert nichts daran, daß Sie sich in diesem Fall im Ton vergriffen haben. Meine Männer und ich hatten Ihnen gegenüber keine feindseligen Absichten, und wir haben es auch jetzt noch nicht. Kehren Sie zurück an Bord Ihrer Karavelle, O’Sirideáin. Sollten Sie das Feuer eröffnen, werden wir nicht versuchen, davonzulaufen.“
Das Gesicht des Iren war verzerrt in dem mühsamen Bestreben, seine Wut zu unterdrücken.
„Ich schieße euch zu Klump, verfluchtes Engländerpack!“ sagte er, und seine Stimme zitterte noch mehr als zuvor. Er wandte sich ab und stapfte davon.
Die beiden Kerle folgten ihm eilig und streckten verstohlen ihre Einschüssigen weg, als wollten sie niemanden unnötig herausfordern. Im Gegensatz zu ihrem Kapitän schienen sie begriffen zu haben, daß sie ihr Leben nur der Fairneß des hochgewachsenen Mannes verdankten, den O’Sirideáin so ungerechtfertigt beleidigt hatte.
Mit hastigen Riemenschlägen pullten die Iren zurück zur Karavelle.
Die Musketenschützen standen noch immer mit schußbereiten Waffen hinter der Verschanzung.
Niemand an Bord der Schebecke sprach ein Wort. Die Fassungslosigkeit des Seewolfs und der Arwenacks war zu groß.