Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 508 - Burt Frederick - Страница 6
1.
ОглавлениеEin gellender Schrei zerriß die morgendliche Stille.
Es war eine Frau, die da in einer der Hütten ihre Wut hinausschrie. Das Gellen ihrer Stimme wehte auf die versteckt gelegene kleine Bucht hinaus und versickerte diesseits im nahen Dickicht.
Nur vereinzelt drangen blinzelnde frühe Sonnenstrahlen durch das Blätterdach der Baumkronen. Vögel erwachten mit Kreischen und Zetern, das wie Protest klang. Irgendwo in der Tiefe des Dickichts ahmte ein Papagei den Wutschrei der Frau nach.
Ohrenbetäubender Lärm entfesselte sich innerhalb von Atemzügen – ein schrilles Wechselspiel von menschlichen und tierischen Stimmen.
Und ein rauhes männliches Organ mischte sich ein.
„Verfluchte Schlampe! Miststück! Dir drehe ich den Hals um!“
Abermals kreischte die Frau vor Entsetzen. Etwas polterte. Ein umkippender Tisch. Oder Stühle.
Dennoch rührte sich in den anderen Hütten nichts. Fast alle hörten, daß es Dubuque war, der Kreole, der da mit Verdruß zu kämpfen hatte. Doch samt und sonders drehten sie sich auf die andere Seite und schnarchten weiter. Denn in den Hütten herrschte noch trübes Halbdunkel. Es fehlte das Zeichen zum Aufstehen – die sengende Mittagssonne, die durch die Dächer aus Palmenblättern drang und die Luft im Inneren der Hütten zum Schneiden dick werden ließ.
Ein schreiendes Weibsbild war ganz gewiß kein Grund, vorzeitig das Abhorchen des Nachtlagers einzustellen. Sollte Dubuque seine Drohung in die Tat umsetzen, damit endlich Ruhe herrschte!
In der Hütte des Kreolen war die Lage indessen keineswegs schon geklärt.
Malvina, die Braunhäutige, entpuppte sich als wahres Teufelsweib. So sanftmütig wie sie in der Nacht gewesen war, so widerborstig zeigte sie sich jetzt. Mit nichts auf dem Leib kauerte sie hinter dem umgekippten Tisch – nichts, außer einem faustgroßen Lederbeutel, der zwischen ihren straffen Brüsten ruhte und von einer Schnur um den Hals gehalten wurde.
Dubuque kniete auf seinem Lager aus Stroh und Decken. Er krümmte sich und stöhnte vor Schmerzen. Seinen ungestümen Vorstoß und seinen Versuch, die nackte Nachtgefährtin hinter dem Tisch hervorzuzerren, hatte er mit einem schlimmen Gegenschlag bezahlen müssen. Malvinas hochzuckendes Knie hatte ihn sehr empfindlich getroffen.
„Gibst du jetzt endlich Ruhe?“ keifte sie. „Siehst du endlich ein, daß du im Unrecht bist?“
„Niemals“, ächzte er, noch immer unfähig, sich zu bewegen. „Du bist eine verdammte Diebin, sage ich. Du bist es, die etwas zuzugeben hat. Und du wirst es zugeben, verlaß dich drauf. Della Rocca wird dir die Gräten langziehen lassen, bis du gestehst. Darauf kannst du Gift nehmen, elende Schlampe.“
„Hölle!“ schrie sie. „Das ist eure lumpige Männerart, die Wahrheit in eurem Sinne zu verdrehen! Ich habe dich nicht bestohlen, du Narr! Glaubst du, ich würde die ganze Nacht mit dem Beutel um den Hals neben dir liegen, wenn ich ihn geklaut hätte?“
„Du warst eben viel zu abgekämpft, um dich noch zu rühren.“ Dubuque hatte sich halbwegs erholt und drehte sich mit breitem Grinsen um. „Wenn du gekonnt hättest, wärst du natürlich abgehauen.“
„O mein Gott!“ Malvina raufte sich die Haare und trommelte mit ihren kleinen Fäusten gegen die Tischplatte. „Du bist der hirnrissigste Kerl, der mir je im Leben begegnet ist! Schenkst mir die Perlen im Suff und behauptest hinterher, von nichts eine Ahnung zu haben!“
Er ließ ein belustigtes Grunzen hören.
„Wie komme ich wohl dazu, ausgerechnet dir meine Perlen zu schenken!“
„Ein Königreich würdest du für mich geben, hast du gesagt. Aber wenn die Perlen reichten, um mich von Quebracho freizukaufen, dann wärest du schon zufrieden.“
„Denk dir nur weiter solch einen Unsinn aus, du Luder. Du wirst gleich merken, was für ein Gefühl es ist, wenn einem die Zunge rückwärts in den Hals gestopft wird!“
Malvinas Wut war in Entschlossenheit umgeschlagen. Der innere Wandel spiegelte sich in ihrer Miene. Sie straffte ihre Haltung und richtete sich ein Stück hinter dem Tisch auf. Mit heimlicher Genugtuung beobachtete sie, wie Dubuque seinen Blick irritiert auf ihre Brüste lenkte. Malvina wußte, welche Wirkung ihre körperlichen Vorzüge hatten, und sie verstand es, diese Wirkung gezielt einzusetzen.
„Du wirst mich nicht anrühren“, sagte sie eisig. Mit der Rechten tastete sie über den Boden, ohne daß der Kreole es sehen konnte. „Ich warne dich, Dubuque. Wenn man jemandem etwas als Geschenk gibt, dann ist das so, als ob man ein Geschäft per Handschlag besiegelt. Das solltest du wissen. Della Rocca wird es jedenfalls wissen. Davon bin ich überzeugt.“
Er erhob sich, immer noch grinsend.
„Klar weiß er das, Fragt sich bloß, wem er mehr glaubt – einer kleinen Schlampe, die schon lügt, wenn sie bloß die Klappe aufreißt oder …“
„Dafür wirst du büßen!“ unterbrach sie ihn schrill. Ihre Finger ertasteten den gehärteten Ton eines Bierkrugs. „Nimm das sofort zurück! Oder …“
„Oder was?“ Er trat einen Schritt auf sie zu, ein Bulle von Statur, nur mit seinen knielangen Hosen bekleidet. Das krause Haar umgab die obere Hälfte seines Kopfes als fettig schimmernde jettschwarze Halbkugel. „Womit willst du mir drohen, Schlampe? He, womit?“
Sie packte den Griff des Bierkrugs und richtete sich langsam auf. Wieder bemerkte sie seine Irritation, als ihre wohlgerundeten Hüften über der Tischplatte erkennbar wurden.
„Quebracho wird dir den Kopf abreißen“, sagte sie kalt.
Dubuque lachte schallend, vor Vergnügen hieb er sich mit den flachen Händen auf die Schenkel.
„Dazu“, rief er, „mußt du dem sehr verehrten Quebracho erst mal dein Leid klagen können! Und ich kann mir verdammt nicht vorstellen, daß du das schaffst!“
„Ich aber“, sagte Malvina und schleuderte den Bierkrug, den er noch nicht bemerkt hatte. Denn sein Blick konzentrierte sich immer noch auf ihre glatte, samtene Haut.
Der Krug knallte ihm an den Schädel. Er brach zusammen, als hätte ihn ein unsichtbarer Blitz ohne jeglichen Donner getroffen.
Malvina wußte dennoch, daß ihr bestenfalls Minuten blieben. Sie wirbelte herum, riß die Türmatte aus Bastgeflecht beiseite und rannte hinaus.
Der Morgen war grau, die Luft feucht wie ein vollgesogenes Tuch, das ihr entgegenklatschte. Im Wald zeterten noch immer die Vögel, und der Papagei kreischte so naturgetreu, daß Malvina das Gefühl hatte, sich selber zu hören.
Quebrachos Hütte stand am anderen Ende der kleinen Lichtung, die sich vom Strand her ins Dickicht schob.
Die nackte junge Frau keuchte, als sie ihr Ziel erreichte. Ihr Herzschlag ging hämmernd. Wenn Dubuque sie jetzt erwischte, das wußte sie, dann mußte sie mit dem Schlimmsten rechnen. Wenn der Kreole in Wut geriet, bedeutete ihm ein Menschenleben weniger als ein Fingerschnippen.
Sie stürmte in die Hütte. Trotz des Halbdunkels fand sie sich sofort zurecht. Die beiden auf dem Nachtlager waren nicht zu übersehen, unbekleidet in der Hitze, die in diesen Breiten nie endete.
Malvina packte die blonde Frau am Oberarm und zerrte sie hoch. Mireille, die Französin. Quebracho hatte Abwechslung gewünscht, und die ständigen Gefährtinnen hatten sich solchen Wünschen zu beugen. Alles, was die Kerle sagten, war hier, im Stützpunkt della Roccas, so gut wie Gesetz.
Quebracho war noch nicht einmal aufgewacht.
Mireille taumelte, blinzelte schlaftrunken und hing schwer in Malvinas Griff. Die Braunhäutige schüttelte sie.
„Wach auf, Mireille! Verdammt noch mal, wach auf und verschwinde! Hier gibt es gleich ein Riesentheater. Verkriech dich, wenn du nicht hineingezogen werden willst!“
Bei den letzten Worten war die Französin hellwach geworden. Einen Moment sah sie Malvina aus großen Augen an.
Eine Männerstimme dröhnte über den Platz zwischen den Hütten – rauh und voller blinder Wut.
„Verfluchte Hexe! Verdammte, dreckige Hure! Ich kriege dich, und wenn ich dich bis ans Ende der Welt verfolge!“
Mireille stürzte ins Freie und rannte davon, als säße ihr der Teufel im Nacken. Um was es ging, konnte sie kaum ahnen. Auf jeden Fall war es aber besser, sich aus einer Sache herauszuhalten, die sich so lautstark anbahnte.
Schwer und stampfend waren Dubuques Schritte zu vernehmen.
Malvina hockte unterdessen neben dem Schlafenden und rüttelte verzweifelt an seiner mächtigen Schulter. Quebracho schnaufte und grunzte, wollte aber beim besten Willen nicht aufwachen.
Ein Schrank von einem Kerl war er, blond und bartlos wie ein zu groß geratener Junge. Wenn man ihn in Ruhe ließ, war er der gutmütigste Bursche in della Roccas wilder Meute. Wurde er aber gereizt, mußte sich jeder Gegner hüten, nicht unangespitzt zwischen die Schiffsplanken gerammt zu werden.
Quebracho war auf Kuba geboren, irgendwo in unzugänglicher Wildnis. Der Vater war ein desertierter spanischer Seesoldat, die Mutter ein portugiesisches Freudenmädchen aus Havanna. Malvina wußte nur, daß die Eltern dieses einfältigen Riesenkerls bei einer Säuberungsaktion von Soldaten erschossen worden waren.
Quebracho war dann in der Beschaulichkeit eines Fischerdorfs aufgewachsen und hatte sich schon als Vierzehnjähriger vorbeiziehenden Piraten angeschlossen.
Seine Gemütsruhe war bisweilen nervtötend. In diesen Sekunden brachte sie Malvina fast zur Verzweiflung. Sie hatte das Gefühl, daß sie ebensogut versuchen konnte, einen Mehlsack zum Aufwachen zu bewegen.
Und jeden Moment konnte Dubuque zur Stelle sein. Malvina hatte den Eindruck, daß die Schritte des Kreolen den Erdboden erzittern ließen.
„Quebracho, um Himmels willen!“ schrie sie und trommelte mit beiden Fäusten auf seinem Oberarm, der so hart war wie die Bronzerohre der Schiffsgeschütze. „Mein Gott, wach auf! Er bringt mich sonst um!“
„Worauf du dich verlassen kannst!“ brüllte der Kreole, der schon verteufelt nahe sein mußte.
Endlich schlug Quebracho die Augen auf, und ein glückseliges Grinsen überflog seine Züge, als er Malvinas Brüste in Blickhöhe und zum Greifen nahe schweben sah.
Dann erst drang der Lederbeutel in sein Bewußtsein, und er runzelte die Stirn. Dieser Fremdkörper mußte etwas mit dem unmäßigen Gebrüll da draußen zu tun haben.
„Er bringt mich um!“ wiederholte Malvina kläglich. „Ich flehe dich an, tu etwas!“
„Wer?“ knurrte Quebracho. „Warum?“
Die Bastmatte des Hütteneingangs flog beiseite. Dubuque baute sich breitbeinig und drohend auf.
„Misch dich nicht ein, Quebracho“, sagte er grollend. „Das kleine Luder hat mir meine Perlen geklaut. Ich rate dir, stürzte dich wegen ihr nicht ins Unglück.“
„Ich habe nichts gestohlen!“ schrie Malvina. „Er hat mir die Perlen geschenkt, glaube mir, Quebracho!“
Der Kubaner gelangte mit einer federnden Bewegung auf die Beine.
„Sagst du die Wahrheit?“ fragte er, ohne sie anzusehen. Sein Blick hakte sich an dem Kreolen fest. „Oder lügst du?“
„Es ist die Wahrheit!“ schluchzte Malvina. „Er war voll mit Wein und Rum, gewiß. Aber er hat mir die Perlen gegeben, damit ich mich von dir freikaufen kann – für ihn.“
Quebracho streckte den rechten Arm aus, wandte den Kopf noch immer nicht und drehte die Handfläche nach oben. Gehorsam legte Malvina den Perlenbeutel darauf. Quebracho warf ihn dem Kreolen vor die Füße.
„Niemand kauft mein Mädchen! Verschwinde, Dubuque!“
„Sie lügt!“ schrie der Kreole aufgebracht. „Glaubst du so einem kleinen Miststück etwa mehr als mir?“
„Ja.“
„Was heißt das – ja?“
„Daß sie die Wahrheit sagt. Sie wagt nicht, mich anzulügen. Also nimm deine Mistperlen und hau ab, Dubuque!“
Der Kreole sperrte den Mund auf. Er stierte den Kubaner an, als hätte er es mit einem fremdartigen Wesen zu tun.
Quebracho verlor die Geduld. Mit einem Satz schnellte er vor. Sein Rammstoß traf Dubuque auf den Brustkasten und schleuderte ihn auf den Platz hinaus. Der Kreole schlug der Länge nach hin, prallte auf den Rücken und rutschte noch ein Stück weiter, bis er mit dem Hinterkopf bei den weichen Aschenresten des niedergebrannten Lagerfeuers landete.
Bevor er auch nur anfangen konnte, sich aufzurappeln, war Quebracho bei ihm, bückte sich und stieß ihm mit der Linken die Kinnlade auf den Brustkasten. Mit der Rechten stopfte er ihm den Perlenbeutel in den Mund. Es knirschte, als der Kreole reflexartig zubiß. Im nächsten Moment konnte er nur noch ein Gurgeln von sich geben, da er keine Luft mehr kriegte.
Quebracho richtete sich auf, trat zwei Schritte zurück und wartete geduldig, bis der Kreole den Beutel mühsam herausgewürgt hatte und schließlich auf die Beine gelangte. Er holte Luft und ballte die mächtigen Pranken zu Fäusten. Die Wut und die Demütigung hatten seine Augen gerötet.
„Das wirst du mir büßen“, sagte er keuchend.
„Dann mal los“, entgegnete Quebracho grinsend.
Aus den Augenwinkeln sah er, wie sie in den Hütten nach und nach wach wurden. Wenn sich ein Kampf anbahnte, witterten sie es im tiefsten Schlaf. Dafür hatten die Kerle eine Nase. Mit dieser Nase vermochten sie Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden.
Malvina stand zitternd da und gab sich nicht einmal Mühe, ihre Blöße zu verdecken.
Dubuque stieß einen dumpfen Laut aus und stürmte auf seinen Gegner los. Quebracho schenkte es sich, ihm auszuweichen. Er ließ ihn einfach gegen seine eisenharten Fäuste rennen und steckte die dadurch gedämpften Hiebe des Kreolen ein, ohne mit der Wimper zu zucken.
Für Dubuque war es, als sei er gegen den Großmast der „Bonifacio“ gerannt, die dort draußen, im noch trüben Morgenlicht der Bucht vor Anker lag. Sein Mund öffnete sich vor Schreck und Staunen und wurde im nächsten Moment zugeknallt, denn der jäh unterbrochene Ansturm ließ seinen Kopf nach vorn fliegen.
Und dann waren es Quebrachos Hammerfäuste und sein geballtes Körpergewicht aus Muskeln und Knochen, die dem Kreolen das Gefühl gaben, eben jener Großmast erwache zu Leben und schicke sich an, ihn niederzuwalzen.
Bereits bei den ersten Fausthieben glaubte Dubuque, ihm werde jeder Knochen einzeln im Leib zertrümmert. Er versuchte noch, die Arme schützend hochzubringen, doch das half ihm nichts. Quebracho fegte sie zur Seite wie dürre Zweige von einem abgestorbenen Baum.
Dubuque wankte rückwärts – mit kleinen Schritten, die immer schneller wurden. Er sah das grinsende Gesicht des Kubaners wie durch einen Nebel. Aus dem Nebel heraus zuckten die Schläge wie schmerzhafte Blitze.
Die Ränder des Nebels färbten sich rot, und blutige Schwaden begannen zu wallen. Dubuque wollte schreien, wollte seinen Gegner anflehen, aufzuhören. Doch es war ein Rest von Stolz in ihm, der es ihm verbot.
Quebracho genoß unterdessen das beifällige Grinsen der Zuschauer. Erste anfeuernde Rufe wurden laut. Klar, daß er alle Sympathien auf seiner Seite hatte.
Er stolzierte vor dem Zurückwankenden her wie ein Adliger beim Lustwandeln in seinem Palastgarten. So, als täte er es ganz nebenbei, verdrosch er den Kreolen nach allen Regeln der Kunst.
Bei jedem Schlag schüttelte sich Dubuque wie ein Baum, der von Axthieben getroffen wird. Dann, scheinbar widerstrebend, ging er zu Boden, streckte Arme und Beine von sich und rührte sich nicht mehr.
Quebracho drehte sich um und verschränkte die Arme vor der Brust. Beifallsgebrüll brandete auf. Gleich darauf verstummte es, als eine schneidende Stimme aus der größten Hütte tönte.
„Ruhe jetzt, verdammt noch mal! Erst mal brauchen wir was Gutes zwischen die Kiemen, und dann veranstalten wir eine Gerichtsverhandlung!“