Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 508 - Burt Frederick - Страница 7
2.
ОглавлениеVon diesem Augenblick an wurde es still auf der Lichtung am Rand der Bucht.
Della Rocca hatte nicht gesagt, wer bei der Gerichtsverhandlung Angeklagter sein würde. Malvina zog sich mit einem leisen Aufschrei in Quebrachos Hütte zurück, obwohl es ihre Pflicht gewesen wäre, sich an den Vorbereitungen für das Frühstück zu beteiligen.
Der Kubaner schaffte es nicht, seine braunhäutige Gefährtin zu beruhigen. Sein Hinweis, daß sie bestenfalls die Hälfte der Schuld träfe, fruchtete nichts.
„Das interessiert della Rocca einen Dreck!“ schluchzte sie und sprach damit aus, was alle in der kleinen Ansiedlung dachten.
Der Korse traf seine Entscheidungen nach Lust und Laune. Man durfte gespannt sein, wer diesmal in seiner Gunst stand und wer nicht. Bei allen, die nicht betroffen waren, entstand das Prickeln des Nervenkitzels und der gleichzeitigen Erleichterung, nicht in der Haut von Dubuque, Malvina und Quebracho zu stecken.
Aufgabe der Frauen war es, für della Rocca und seine Kerle eine Morgenmahlzeit zuzubereiten, die ihnen den Ärger darüber vertrieb, überhaupt aufstehen zu müssen.
Auf dem Platz zwischen den Hütten entstand eifrige Geschäftigkeit. Acht Frauen schleppten die beiden großen Bretter zum Strand, legten sie ins seichte Wasser und schrubbten die Essensreste vom vergangenen Abend ab. Eilends trugen sie die Bretter zurück und legten sie auf die von anderen Frauen inzwischen bereitgestellten leeren Pulverfässer.
Kleinere Fässer, die die Frauen ebenfalls aufzubauen hatten, dienten als Sitzgelegenheiten. Della Rocca liebte es, seine Speisen stilvoll einzunehmen. Nichts verabscheute er mehr, als barbarisch auf dem Erdboden hockend essen zu müssen.
Die Bretter, die als Tafeln dienten, waren aus mächtigen Pinienstämmen gesägt und stammten von einem Beutezug an der Küste bei Campeche.
Am Strand hatten andere Frauen inzwischen die Kochfeuer entfacht. Speck und Schinken brutzelten in großen Pfannen. In einem Kessel dampfte Tee, dessen Zubereitung und vor allem Bestandteile an getrockneten Kräutern und sonstigem Blattzeug della Rocca von Eingeborenen auf Hispaniola hatte.
Er und seine Männer glaubten jedenfalls fest daran, daß das Gebräu jeden Tag von neuem die Kräfte wecke, die tief in einem schlummerten.
Während die Frühstücksvorbereitungen noch in vollem Gange waren, erschien aus dem Bereich der westlich gelegenen Hütten eine Gruppe von vier Kerlen. Sie packten den immer noch bewußtlosen Dubuque und banden ihn an einen Baum am Rand der Lichtung, wo er von allen Plätzen der Frühstückstafel aus gut zu sehen war.
Noch ruhte sein Kopf mit dem Kinn auf der Brust, doch ein schmerzerfülltes Stöhnen zeigte an, daß er zu erwachen begann. Da sie ihm die Stricke lediglich um den Oberkörper geschnürt und die Arme freigelassen hatten, wurden die Auswirkungen von Quebrachos mörderischen Hieben deutlich erkennbar.
Dubuques rechter Arm hing merkwürdig verkrümmt nach unten. Er war offenbar gebrochen.
Die Frauen trugen das Essen auf. Nach und nach verließen die Männer ihre Hütten. Malvina war die einzige, die sich noch immer nicht blicken ließ. Quebracho war indessen ins Freie getreten, hochaufgerichtet und stolz.
Er ließ sich auf seinem angestammten Platz an der Tafel nieder und neigte sich seinem Nebenmann zu, einem krummbeinigen Glatzkopf, der wie della Rocca von der Insel Korsika stammte.
„Wenn er meine kleine Süße verhören will, werde ich sie an den Haaren herbeischleifen müssen.“
Der Glatzkopf wollte etwas erwidern, wurde jedoch durch wildes Gebrüll daran gehindert. Alle Köpfe ruckten herum.
Dubuque war erwacht und spürte die Schmerzen nun erst richtig. Mit hervorquellenden Augen stierte er auf seinen rechten Arm. Sein Schmerzensgeschrei wollte kein Ende nehmen.
Della Rocca, der in würdevoller Haltung und vollständig angekleidet aus seiner Hütte trat, verzog unwillig das Gesicht.
„Stopft ihm das Maul!“ befahl er schroff.
Zwei der Männer, die den Kreolen gefesselt hatten, sprangen auf. Einer drückte ihm den Kopf nach hinten, der andere stieß ihm einen ausgewrungenen Putzlappen in den Mund. Die Frauen hatten damit die Tafelbretter im Uferwasser geschrubbt. Dubuques Schmerzensbekundungen bestanden danach nur noch in einem dumpfen Gurgeln.
Jetzt erst setzte della Rocca seinen Weg fort und ließ sich am Kopfende der Tafel nieder, die seiner Hütte am nächsten stand. Respektvolle Stille war entstanden. Niemand wagte, etwas anzurühren, bevor der Korse mit dem Essen begonnen hatte.
Die Frauen standen mit drei Schritten Abstand hinter den Tafeln und waren auf dem Sprung. Ihre Aufgabe war es, sofort nachzuschenken oder nachzufüllen, wenn bei den Männern eine Muck oder ein Teller geleert waren. Selber frühstücken durften die Gefährtinnen der Horde erst dann, wenn sämtliche Kerle satt und zufrieden waren und sich zur Vormittagsruhe in ihre Hütten zurückgezogen hatten.
Zu normalen Zeiten verband sich diese Ruhepause übergangslos mit der Siesta. Denn es geschah höchst selten, daß della Rocca und seine Kerle schon frühmorgens aus dem Schlaf gerissen wurden.
Der Korse griff nach einem der frischen Brotlaibe, die die Frauen erst am Vortag gebacken hatten. Es war das Zeichen für die anderen, ebenfalls zuzulangen. Sehr bald übertönten Geschirrklappern und ungenierte Eßgeräusche das Gurgeln des Mannes am Baum, der sich vergeblich in seinen Fesseln wand.
Niemand beachtete ihn, da er auch von della Rocca keines Blickes gewürdigt wurde. Es war nicht ratsam, ein anderes Verhalten an den Tag zu legen, als es der Korse tat.
Della Rocca konnte Andersdenkende und Andershandelnde auf den Tod nicht leiden. Und er reagierte empfindlich wie eine Mimose, wenn er sich gar verspottet fühlte.
Della Rocca aß schweigend. Er stopfte Brot mit Schinken und knusprigem Speck in sich hinein und spülte mit dem speziellen Stärkungstee nach. Seine Gesichtsmuskeln bewegten sich rhythmisch, ohne seinen Zügen das Brutale und Grausame zu nehmen.
Seine Augen waren schmal über dem sichelförmigen Bart, das schwarze Haar glänzte wie ein eingeölter Rahmen. Er trug jene Kleidung, mit der er sich als Anführer der Gruppe hervorhob. Niemand anders durfte sich ähnlich kleiden.
Über der schwarzen Jacke mit den goldenen Knöpfen lag ein roter Umhang. Zu den schwarzen Kniehosen und blauen Strümpfen trug er blankgeputzte schwarze Schuhe mit goldenen Spangen. Bewaffnet war er innerhalb des Lagers nur mit einem Dolch, dessen kunstvoll ziselierter Griff aus einer silbernen Scheide mit Goldeinlagen ragte.
Im offenen Hemdkragen war zu erkennen, daß della Rocca um den Hals eine Kette aus nahezu taubeneigroßen Perlen trug. Eine Kette aus kleineren Perlen zierte auch sein rechtes Handgelenk.
Während die Männer eine gute Stunde lang aßen und aßen, fiel der Gefesselte mehrere Male in erneute Bewußtlosigkeit. Sein schmerzerfülltes Gurgeln setzte nach jedem Erwachen von neuem ein, doch bald war es nur noch ein heiseres Krächzen, das er hervorbrachte.
Schließlich trank della Rocca den letzten Schluck, knallte die Muck auf den Tisch und schnalzte mit den Fingern. Während auch die Kerle das Essen einstellten, reichte della Roccas Gefährtin dem Korsen eine bereits mit Tabak gestopfte Tonpfeife und einen glimmenden Kienspan.
Umständlich und sorgfältig setzte della Rocca den Pfeifeninhalt in Brand. Kleine weiße Wolken von Tabakrauch stiegen in die Luft. Es war heller geworden. Die Sonnenstrahlen durchdrangen den Dunst, und es würde nicht mehr lange dauern, bis der Feuerball seine Gluthitze aus dem Zenit auch auf die Lichtung an der Bucht schicken würde.
„Quebracho“, sagte der Korse wie beiläufig, ohne den Blick zu heben. „Erzähle, was los war.“
Der Kubaner stand auf, wie es den von della Rocca festgelegten Regularien entsprach.
„Dubuque wollte, daß Malvina sich für ihn bei mir freikauft. Dazu hat er ihr gestern abend einen Beutel Perlen um den Hals gehängt. Geschenkt. Heute morgen behauptet er, sie hätte die Perlen geklaut.“
Die Kerle grinsten und glucksten verstehend. Klar, daß die morgendliche Ernüchterung so manche Einsicht mit sich brachte. Doch sich auf diese Art und Weise ausgerechnet mit Quebracho anzulegen, brachte nur so ein zügelloser Idiot wie Dubuque fertig.
„Ist das die Wahrheit?“ fragte della Rocca und sah den Kubaner an.
„Die reine Wahrheit“, erwiderte Quebracho und nickte. Mehr war nicht zu sagen.
Jeder in della Roccas Haufen wußte, daß sich die Frauen das Lügen längst abgewöhnt hatten. Es war bereits ein Jahr her, daß della Rocca in einem solchen Fall die Todesstrafe verhängt und vollstreckt hatte. Das wirkte noch immer.
Außerdem hatte jeder Mann das Recht, seine persönliche Gefährtin schon bei den kleinsten Vergehen hart zu bestrafen. Keiner von ihnen gefiel es beispielsweise, vor versammelter Mannschaft zwanzig Rutenhiebe auf den nackten Hintern zu empfangen.
„Dann lügt Dubuque“, sagte della Rocca und warf einen flüchtigen Blick zu dem Gefesselten. „Nehmt ihm den Knebel raus, damit er sich äußern kann.“
Die Männer gehorchten.
Augenblicklich begann der Kreole vor Schmerzen zu schreien.
„Ich habe gesagt, er kann sich äußern!“ brüllte della Rocca. „Von Schreien war nicht die Rede!“
Der Kerl, der den Kreolen vom Knebel befreit hatte, versetzte ihm zwei schallende Ohrfeigen und verklarte ihm flüsternd den Befehl della Roccas.
Dubuque verstummte. Seine Gesichtsfarbe hatte eine grünliche Blässe angenommen. Er stierte den Korsen an, und ihm war anzusehen, welche Anstrengung es ihn kostete, seine Schmerzen zu unterdrücken.
„Das Mistweib“, sagte Dubuque ächzend, „hat mich beklaut.“ Seine Stimme ging in einen jammernden Ton über. „Und Quebracho, dieser Schweinehund, hat mir den Arm gebrochen!“
Della Rocca winkte ab.
„Das genügt“, sagte er brummend. „Steckt ihm den Lappen wieder ins Maul. Es genügt, wenn er die Urteilsverkündung hört.“
Im nächsten Augenblick war Dubuque stumm wie zuvor und konnte sich nur noch mit seinem gequälten Gurgeln äußern. Abermals schnippte della Rocca mit den Fingern. Seine Gefährtin, eine mollige Brünette, eilte in seine Hütte und kehrte mit einer Lockenperücke zurück.
Der Korse stülpte sich die Perücke über das fettige Haar und erhob sich. Sofort standen alle anderen ebenfalls auf.
„Kraft meiner Befehlsgewalt“, sagte della Rocca mit gesalbter Stimme, „ergeht folgendes Urteil: Der Angeklagte Dubuque wird wegen ruhestörenden Lärms mit dem Tode bestraft. Das Urteil ist sofort zu vollstrecken, und zwar durch Erschießen. Der bedauernswerte Delinquent hat schon genug Schmerzen erlitten. Er soll jetzt Gelegenheit zu einem letzten Wort haben.“ Der Korse gab den Männern neben dem Kreolen einen Wink.
Dubuque hatte aufgehört zu gurgeln. Entsetzen und Fassungslosigkeit schienen ihm die Augen von innen her aus den Höhlen zu drücken.
„Nein!“ schrie er schrill, mit sich überschlagender Stimme, kaum daß sie ihm den Lappen aus dem Mund genommen hatten.
„Danke, das reicht“, sagte della Rocca, und auf seinen abermaligen Wink hin hatte der Kreole den Knebel wieder im Mund. Der Korse blickte Quebracho an. „Als Geschädigter hast du das Recht, das Urteil zu vollstrecken. Bist du einverstanden?“
Quebracho wußte, daß er sich nicht widersetzen durfte. Es hätte als Mißachtung von della Roccas Ansichten gegolten, und er hätte selbst aus eben diesem Grund verurteilt werden können.
„Selbstverständlich“, sagte er daher. „Schreiben Euer Ehren eine bestimmte Waffe vor?“
„Freie Wahl“, erwiderte della Rocca.
Quebracho verneigte sich kurz, drehte sich um und lief in seine Hütte. Mit einer schweren Pistole, Pulverflasche und Kugelbeutel tauchte er eine Minute später wieder auf.
Die Männer neben dem Gefesselten wichen nach beiden Seiten weg. Quebracho ging auf zehn Schritte Abstand, spannte den Hahn und hob die Pistole mit ausgestrecktem rechtem Arm.
Dubuque war starr vor Angst. Seine Augen verdrehten sich unkontrolliert. Niemand wagte den Vorschlag, ihm eine Augenbinde zu gönnen. Weil della Rocca das nicht von selbst angeordnet hatte, wäre es vorlaut gewesen, ihn darauf hinzuweisen.
Quebracho zog durch. Der Flint schlug auf den Reibstahl, Funken sprühten, und das Zündkraut verpuffte weiß wölkend in der Pulverpfanne. Im nächsten Sekundenbruchteil löste sich der Schuß. Die Mündungsflamme zuckte aus dem Lauf.
Dubuque sackte in seinen Fesseln zusammen. Der Kubaner brauchte keine zweite Kugel abzufeuern. Die Männer, die neben ihm gestanden hatten, erhielten von della Rocca Order, den Leichnam im Dickicht zu vergraben.
Der Korse verschwand in seiner Hütte. Es war das Zeichen zur Ruhepause. Die Frauen ließen sich an der Tafel nieder und machten sich über die Reste her. Es war still auf der Lichtung. Jeder wußte, warum della Rocca den Wehrlosen hatte töten lassen.
Einerseits hatte er ein Exempel statuieren müssen. Andererseits hätte Dubuque mit seinem gebrochenen Arm weder als Kämpfer noch als Arbeitskraft getaugt. Über einen Mann mit Feldscher-Kenntnissen verfügte die Horde nicht. Es wäre folglich höchst fraglich gewesen, ob der Kreole überhaupt jemals wieder richtig genesen wäre und seinen Arm hätte gebrauchen können.