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Hasard packte die Kante des Felsvorsprunges, der sich fast schulterhoch vor ihm erhob. Mit einem kraftvollen Klimmzug erreichte er die kleine Plattform, bückte sich und hielt Siri-Tong die Hand entgegen.

Lächelnd warf die Rote Korsarin den Kopf in den Nacken.

„Ein Rest von diesem Denken hast du dir also noch aufbewahrt“, sagte sie. In ihren Augen blitzte es wie von Reflektionen winziger Kristalle.

„Von was sprichst du?“ entgegnete der Seewolf verdutzt.

Siri-Tong lachte leise.

„Vom Männlichkeitswahn. Obwohl du es eigentlich besser wissen solltest, hältst du mich offenbar doch für eine schwache Frau.“

Sein Blick fiel auf die Hand, die er ihr immer noch: hinhielt. Er blinzelte ungläubig – wie jemand, der bei einem Tun ertappt wurde, dessen Frevelhaftigkeit man ihm erst vor Augen führen mußte.

„Meine Gedanken kannst du nicht kennen“, sagte er reaktionsschnell und lächelte dabei. „Woher willst du also wissen, wie ich dich einschätze?“

„Aus deinem Verhalten.“

„Ah, du meinst, ich sollte unhöflich sein und dich allein heraufklettern lassen?“

„Haargenau. Wenn nun ein Mann an meiner Stelle wäre – Ed Carberry zum Beispiel …“

„Himmel, hör auf mit dem Spiel!“ unterbrach er sie lachend. Die Vorstellung des riesenhaften und narbengesichtigen Ed Carberry an Stelle von Siri-Tongs berückender Weiblichkeit reizte denn doch zur Heiterkeit. „Nimm zur Kenntnis, daß du für mich nach wie vor eine Frau bist, wie du es auch drehst und wendest. Für schwach und hilfebedürftig habe ich dich allerdings nie gehalten. Nur meine ich, daß Höflichkeit eine der Sachen ist, die wir Menschen pflegen sollten.“

„Unter anderem“, sagte die Rote Korsarin. Dann ergriff sie die dargebotene Hand des großen breitschultrigen Mannes und ließ sich auf den Felsvorsprung ziehen.

Einen Moment musterte der Seewolf seine Begleiterin nachdenklich. Sie trug eine scharlachrote Bluse, das Messer am breiten Gurt und eine enganliegende schwarze Hose, die in butterweiche hellbraune Stulpenstiefel mündete. Mancher Mann, der in ihr nur eine Augenweide gesehen hatte, war aus dem Staunen nicht mehr herausgekommen, wenn er ihre kämpferischen Fähigkeiten miterlebt hatte. Und für manchen Gegner war eben jenes Staunen die letzte Empfindung seines Lebens gewesen. Denn als eisenharte Kämpferin stand die Rote Korsarin einem Mann in nichts nach.

„Langsam solltest du die Katze aus dem Sack lassen“, sagte Hasard. „Ich denke, du hast mich nicht zu diesem Bergspaziergang eingeladen, damit wir die schöne Aussicht genießen. Oder um mir eine Lektion in revolutionärem weiblichen Denken zu erteilen.“

Siri-Tong schüttelte den Kopf. Mit einer leichten Handbewegung strich sie eine Strähne ihres schwarzen Haars aus der Stirn.

„Hast du die Lektion etwa ernst genommen?“

„Nein. Aber so etwas kann durchaus zur Nachdenklichkeit anregen.“

„Dann vergiß es wieder.“ Sie legte ihm ihre schmale und doch recht kräftige Hand auf den Unterarm. „Laß dir gesagt sein, daß ich die Höflichkeit eines Mannes nach wie vor zu schätzen weiß.“

Hasard spielte den Aufatmenden.

„Dann bin ich beruhigt. Was hast du also wirklich auf dem Herzen?“

Die Rote Korsarin wurde ernst.

„Ich war gestern schon einmal hier oben und habe mich umgesehen. Von hier aus hat man den besten Überblick, wenn man an Strategie und ähnliche Dinge denkt.“

Der Seewolf begann zu ahnen, was Siri-Tong im Sinn hatte. Die kleine Plattform, auf der sie sich befanden, gehörte zu den höchsten Punkten des westlichen Felsmassivs der Schlangen-Insel. Etwa fünfhundert Yards entfernt befand sich – nach Norden ausgerichtet – der Felsendom als einzige Zufahrt zur großen Innenbucht der Insel. In der Nähe des südlichen Strandes lagen die Schiffe des Bundes der Korsaren.

Eine stolze Flotte war es, der neben der „Isabella“ der Schwarze Segler, die „Le Vengeur III.“, die „Pommern“, die „Wappen von Kolberg“, die „Caribian Queen“ und die „Empress of Sea“ angehörten. Lediglich die „Tortuga“ befand sich nicht in der Bucht, da die Mannschaft unter Kapitän Jerry Reeves den Patrouillendienst rings um die Schlangen-Insel und Coral Island versah.

Überall auf den Decks waren die Männer mit Löscharbeiten beschäftigt. Nach dem großen und erfolgreichen Raid gegen den spanischen Geleitzug waren noch längst nicht alle erbeuteten Schätze entladen worden.

Das Werftgelände lag ruhig und wie verlassen da. Hesekiel Ramsgate hatte seine Männer in Gruppen aufgeteilt. Auf jenen Schiffen, die am Raid beteiligt gewesen waren, arbeiteten sie nun, um die letzten kleinen Schäden zu beheben. Nur noch ein oder zwei Tage, und die Schiffe des Bundes der Korsaren würden wieder so makellos sein, als wären sie eben erst vom Stapel gelaufen.

In einem sonnigen, windgeschützten Winkel des östlichen Strandes hatten sich die Frauen versammelt. Gotlinde und Gunnhild hatten ihre Kleinen ins Freie gebracht, damit sie in ihren von Palmwedeln beschatteten Krippen die frische Luft genießen konnten. Anlaß genug für Mary O’Flynn, Arkana, Araua und etliche Schlangenkriegerinnen, sich in munterer Runde um den stolzen Nachwuchs zu versammeln und angeregt zu plaudern. Ihre hellen Stimmen wehten über die Bucht.

Auf dem Achterdeck des Schwarzen Seglers thronte der Wikinger wie ein Monument. Zweifellos erfüllte ihn Stolz, während er zu der kleinen Versammlung der Weiblichkeit hinüberspähte – wußte er doch, daß sein strammes Zwillingspärchen Thyra und Thurgil neben Smokys und Gunnhilds Sohn David im Mittelpunkt des Interesses stand.

„Ein Bild des Friedens“, sagte der Seewolf nachdenklich. „Ist es das, auf was du mich hinweisen wolltest?“

Siri-Tong nickte.

„So ungefähr. Ich denke schon seit langem darüber nach. Dem einen oder anderen von uns brennt es vielleicht weniger unter den Nägeln. Aber ich meine, daß unser Frieden sicherer werden muß. Das Bild, das wir vor uns sehen, könnte ein Trugschluß sein. Die Schlangen-Insel ist mehr denn je in Gefahr.“ Siri-Tong blickte den großen Mann beinahe beschwörend an. „Ich weiß, daß du mich nicht für ein lamentierendes Weib hältst. Wenn ich nicht wüßte, daß ich bei dir Gehör finde, hätte ich dich nicht um dieses Gespräch gebeten.“

Hasard erwiderte schweigend ihren Blick.

„Ich kann dir in keinem Punkt widersprechen“, sagte er dann. „Es gibt keine Lorbeeren, auf denen wir uns ausruhen können. Der Monat Juni geht bereits zu Ende. Es ist wirklich an der Zeit, daß wir etwas tun.“

„Ich bin froh, daß du das sagst“, entgegnete Siri-Tong aufatmend. „Die vielen ungelösten Probleme haben mir keine Ruhe gelassen. Wobei ich allerdings nicht verstehe, daß du das Problem Nummer eins nicht längst aus der Welt geschafft hast. Die Gelegenheit dazu hattest du.“

„Don Juan de Alcazar?“ Hasard schüttelte den Kopf. „Der Mann ist nicht der eiskalte Menschenjäger, der er nach dem Willen seiner Auftraggeber sein sollte. Ich glaube, daß ihm schon ein wenig die Augen geöffnet wurden.“

„Das verstehe ich sehr gut. Trotzdem ist er unberechenbar und immer noch kreuzgefährlich für uns. Und vergiß nicht, daß Arne dadurch in Havanna wie auf einem Pulverfaß sitzt.“

Der Seewolf nickte.

„Ich denke ständig daran. Hast du mich jemals für leichtsinnig oder oberflächlich halten müssen?“

„Um Himmels willen, nein!“

„Dann zur Sache. Du hast deine Überlegungen über die Schlangen-Insel angestellt. Laß hören.“

Die Rote Korsarin deutete mit einer knappen Kopfbewegung zu den südlichen und nördlichen Ausläufern des Felsmassivs.

„Bislang haben wir nur an diesen beiden Stellen Kanonen. Für die bisherigen Angriffe auf die Schlangen-Insel war das ausreichend, und wir waren ja im übrigen durch die Verteidigungskraft unserer Schiffe geschützt. Aber für die Zukunft sollten wir besser gerüstet sein. Ich meine, es müßten ringsum auf sämtlichen Landzungen Batterien errichtet werden.“

„Siehst du nicht ein wenig zu schwarz?“

„Ganz und gar nicht. Nimm den ungünstigsten Fall: Es findet ein Überraschungsangriff durch einen größeren Flottenverband statt. Unsere Schiffe hätten keine Möglichkeit mehr, durch den Felsendom auszulaufen. Was dann?“

Hasard blies die Luft durch die Nase.

„Ich muß dir die Antwort schuldig bleiben. Außerdem sehe ich für eine solche Situation noch ein weiteres Risiko.“ Er wies nach Norden, wo sich zwischen dem Felsmassiv und dem Felsendom die schmale, flache Landverbindung befand. „Wenn es Angreifern gelingt, dort zu landen, hätten sie eine verdammt gute Chance, sich hier im Felsen festzusetzen.“

Siri-Tong runzelte die Stirn.

„Warum wirfst du mir Schwarzmalerei vor, wenn du es selbst noch viel düsterer siehst?“

Er lachte leise.

„Weil ich weiß, daß deine Phantasie um so mehr angestachelt wird, wenn man dich herausfordert.“

Sie versetzte ihm einen freundschaftlichen Hieb gegen den mächtigen Brustkasten.

„Wirst du also den Rat einberufen?“

„Sicher. Aber sei auf lautstarke Gegenstimmen gefaßt.“

„Ich werde es verkraften können.“

Sie begannen den Abstieg. Hasard hatte in den vergangenen Tagen ähnliche Gedanken gehegt wie die Rote Korsarin. Im Grunde war er froh, daß sie den Anstoß gegeben hatte, über die Dinge offen zu sprechen. Denn Siri-Tong war es stets gewesen, der die Verteidigung der Schlangen-Insel besonders am Herzen lag. Es war der richtige Zeitpunkt, sich jetzt mit aller Intensität darum zu kümmern.

Nach den Wirren der zurückliegenden Geschehnisse war das Leben für den Bund der Korsaren einigermaßen geordnet – auch wenn eine stabile Sicherheit keineswegs gegeben war. Daran änderte auch die Tatsache des geglückten Beutezuges mit dem so unermeßlichen Ergebnis nichts.

Es stand nicht einmal fest, was aus Don Juan de Alcazar geworden war. Da Hasard ihm und seinen Männern auf Great Abaco die algerische Schebecke überlassen hatte, war jedoch anzunehmen, daß der Sonderagent der spanischen Krone zunächst einmal nach Havanna zurückkehren würde.

Nach der glücklich überstandenen Auseinandersetzung mit den algerischen Piraten hatten die Arwenacks die Mixteken an der Nordküste von Hispaniola abgesetzt. Hasard und seine Männer waren mit den Indianern in die Cordillera de Cibao aufgestiegen. In jenem Hochland hatten sie ein unzugängliches Tal gefunden – fruchtbar, geschützt und überdies noch mit einem Quellfuß versehen.

Die Indianer, von den Spaniern aus ihrer Heimat verschleppt, waren überglücklich gewesen. Besseres Land hatten sie sich zum Siedeln nicht wünschen können. Von den Arwenacks hatten sie Werkzeuge und Waffen erhalten und auch Saatgut, das von den Timucuas auf Coral Island stammte.

Hasard und seine Männer waren froh gewesen, sich der Pflicht entledigt zu haben, die sie mit der Rettung der Mixteken auf sich genommen hatten. In dem abgelegenen Hochtal hatten sie die besten Voraussetzungen, eine neue Heimat zu gründen.

Nach der Rückkehr zur Schlangen-Insel hatte Hasard seinen Vetter Arne von Manteuffel mittels Brieftaube über den Erfolg des Raids unterrichtet – ebenso aber auch über die Ereignisse im Zusammenhang mit Don Juan de Alcazar auf Great Abaco.

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 394

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