Читать книгу BAT Boy - C. A. Raaven - Страница 9
ОглавлениеLucas schrak aus dem Schlaf hoch. Ihm war eiskalt. Wie konnte das sein? War er etwa auf dem Felsvorsprung eingeschlafen? Als sich seine Augen nach einem Moment der Desorientierung an die Dunkelheit gewöhnt hatten, stellte er fest, dass er sich nicht mehr auf dem Felsen über dem Meer, sondern in seinem Bett befand. Er konnte sich überhaupt nicht daran erinnern, nach Hause gegangen zu sein – geschweige denn ins Bett. Außerdem war das Bett klatschnass – er war es ebenfalls. Das erklärte zwar die Kälte, warf jedoch gleichzeitig die Frage auf, warum er sich in ein nasses Bett gelegt hatte. Und warum zur Hölle war dieses Bett überhaupt nass? Er sah sich vorsichtig im Zimmer um. Auf der anderen Seite schliefen seine Eltern halb sitzend im Bett. Sein Vater hatte sogar noch eine Brille auf. Ein aufgeschlagenes Buch lag auf der Bettdecke. Sie mussten auf ihn gewartet haben und dabei eingeschlafen sein. Vorsichtig, um sie nicht zu wecken, glitt Lucas aus dem Bett und zog zuerst das tropfnasse T-Shirt aus. Beim Ausziehen lief ihm etwas Wasser übers Gesicht. Er bemerkte, dass es salzig schmeckte. Also blieben zwei Möglichkeiten übrig: Entweder hatte er dermaßen geschwitzt, dass er alles durchweicht hatte oder er war baden gewesen und hatte sich nicht abgetrocknet. Nach einer kurzen Prüfung des Bettlakens, bei der er Reste von Tang und ein paar Muscheln fand, kam er zu dem Schluss, dass die letztere Variante stimmen musste. Er konnte sich immer noch nicht daran erinnern, irgendwas davon getan zu haben. Lucas beschloss, sich darüber jetzt keine Gedanken mehr zu machen, sondern lieber für ein trockenes Bett zu sorgen. Er hatte das Gefühl, dass ihm jeder Knochen im Leib wehtat. Also besorgte er sich leise ein paar trockene Handtücher und eine andere Decke. Taumelnd vor Müdigkeit versetzte er sich und das Bett in einen halbwegs schlaftauglichen Zustand. Dann legte Lucas sich wieder hin. Er war schon wieder eingeschlafen, als sein Kopf das Kissen berührte.
Lucas erwachte noch vor seinen Eltern, weil die Vögel vor seinem Fenster einen, wie es schien, ohrenbetäubenden Lärm machten. Ein Strahl der Morgensonne fiel in das Zimmer und tauchte ausgerechnet den Platz, wo sein Bett stand, in ein leuchtendes Orange. Er kniff die Augen zu und überlegte einen Moment lang. Was war geschehen? Was sollte er nun tun? Lucas kam zu dem Schluss, dass alles Verstecken oder das Vermeiden irgendwelchen Ärgers ihm letztendlich nur noch mehr Probleme eingebracht hatte, als er vorher zu haben geglaubt hatte. Es nützte alles nichts; er musste allen die Wahrheit sagen. Einfach nur die Wahrheit. Wie er da so in seinem Bett lag, kam ihm die Sache wirklich fast lächerlich einfach vor. In der Realität gestaltete es sich dann aber doch komplizierter, als er es sich erhofft hatte.
Als seine Eltern wach wurden, nutzte er ihre Schlaftrunkenheit aus, um sich für seinen Ausbruch am Abend zu entschuldigen und ihnen die Vorkommnisse während seiner Geburtstagsfeier zu erzählen. Als er geendet hatte, machte sein Vater ein Gesicht, als hätte er auf eine Zitrone gebissen – und zwar auf eine besonders saure.
»Ach du Schande, jetzt kapier ich überhaupt erst, was da gestern abgelaufen ist. Ines muss ja geglaubt haben, dass du ...«
»Hhmm«, antwortete Lucas matt.
»Und ich Riesenrindvieh erzähl es dann auch noch genau so, dass es erst recht so aussehen muss. Mann, sorry, das hab ich nicht gewollt.«
»Ist ja eigentlich auch meine Schuld«, winkte Lucas ab. »Ich hätte euch ja nur gleich berichten müssen, was passiert war.«
»Sag mal und das stimmt tatsächlich? Kevin ist bis zur Tür geflogen? Mensch, da steckt ja ganz schön Bumms dahinter«, grinste Paul und tätschelte Lucas den Arm. Betty war – wie es schien – in nicht ganz so guter Stimmung. Während Lucas‘ Schilderung war sie immer stiller und ganz blass geworden.
Als sie nun merkte, dass sie von Lucas und Paul angesehen wurde, sagte sie leise: »Stellt euch doch bloß mal vor, was alles hätte passieren können. Ich hatte gedacht, dass es sich um eine harmlose Kabbelei zwischen euch Kindern gehandelt hat, aber das klingt ja ... gewaltig ...«
»Mam, du glaubst mir doch aber, dass ich das nicht mit Absicht gemacht habe«, rief Lucas und sah sie flehentlich an.
Da klarte sich ihr Blick wieder auf.
»Oh, nein, natürlich glaube ich dir. Ich hab mich nur so erschrocken. Wenn Kevin sich etwas getan hätte ...«
Dann schüttelte sie den Kopf, wie, um die Bilder darin zu verscheuchen, und grinste ein erstaunlich hämisches Grinsen.
»Aber es ist ja glücklicherweise wohl nichts Ernsthaftes passiert. Vielleicht war es auch ein wenig heilsam für Kevins aufgeblasenes Ego. Damit ist er ja kaum noch durch die Tür gekommen.«
Alle drei sahen sich an und fingen schallend an zu lachen. Dieses Lachen war wie Balsam für Lucas‘ Seele. Er konnte kaum genug davon bekommen. Solchermaßen gestärkt wagte Lucas sich dann auch an den nächsten Punkt auf seiner Tagesordnung: Er musste es Ines erzählen und sie um Verzeihung bitten, dass er es ihr nicht schon viel früher gesagt hatte.
Allerdings konnte er sie weder in der Hotel-Lobby noch am Strand oder im Restaurant finden, sodass sich sein anfänglicher Elan allmählich aufzulösen begann. Zweifel und leichte Panik machten sich langsam breit. Schließlich fand er sie auf dem Parkplatz, wo sie mit ihren Eltern dabei war, noch einige letzte Dinge im Auto zu verstauen. Als sie ihn sah, verfinsterte sich ihr Gesicht und ihr Körper nahm eine abweisende Haltung ein. Aus dem Hintergrund wollte ihre Mutter zu ihr treten, aber ihr Vater hielt sie sanft am Arm zurück und schüttelte schweigend den Kopf. Lucas blieb in ein paar Metern Entfernung von Ines stehen und machte eine beschwichtigende Geste.
»Was ...«, begann sie, aber Lucas schnitt ihr das Wort ab.
»Ines, sei bitte so gut und lass mich das sagen, was ich dir sagen will – was ich dir eigentlich schon die ganze Zeit sagen wollte. Wenn ich jetzt wieder aufhöre, dann bringe ich wahrscheinlich nie wieder im Leben einen zusammenhängenden Satz raus.«
Ines holte Luft, ließ sie dann aber doch wieder langsam entweichen. Ihre Arme vor dem Körper verschränkt blieb sie stehen, wo sie war, und starrte Lucas angriffslustig an.
»Gut. Also das, was ich dir seit Tagen, eigentlich Wochen, hätte erzählen sollen, ist Folgendes: Ja, wir wohnen fast in direkter Nachbarschaft und ja, zu meinem Geburtstag habe ich ein Teleskop bekommen, aber nicht, um dich damit zu beobachten. Ich interessiere mich für Astronomie.«
»Ach ja?«, schoss es aus Ines‘ Mund. »Wie viele Monde hat der Jupiter?!«
»Sechzehn«, kam es von Lucas fast automatisch zurück. »Io, Europa, Ganymed, Callisto, Amalthea, Himalia, Elara, Pasiphae, Sinope, Lysithea, Carme, Ananke, Leda, Adrastea, Thebe und Metis.«
»Oh, also ähm ... ich wusste gar nicht, dass er überhaupt welche hat«, sagte Ines kleinlaut. Dabei starrte sie ihn an, als ob sie ihn vorher noch nie gesehen hätte. Dann schien sie ihr Starren zu bemerken und ergänzte schnell: »Wolltest du noch was sagen?«
Sie hatte sich ihm immer noch nicht richtig zugewandt, aber ihre Züge wirkten um einiges weniger abweisend.
»Na ja, wir, das heißt ich, hatte an meinem Geburtstag Gäste. Das war übrigens der Tag, an dem wir uns im Stadion getroffen haben.«
Ines runzelte kurz die Stirn, während sie überlegte, was Lucas wohl meinen könnte, aber dann glätteten sich die Falten. »Ach ja und du hattest so eine riesige Beule auf der Stirn. Wir haben kurz gesprochen und dann warst du plötzlich weg.«
»Ja, mein Kopf hat so gedröhnt, dass ich da raus musste.«
»Hhmm.«
»Also was ich eigentlich sagen wollte, ist: Ich hatte Besuch von Kevin, einem alten Kumpel. Dieser gute alte Kevin war der Meinung, er müsste unbedingt rausfinden, ob man mit dem Teleskop auch was ‘Richtiges’ beobachten kann. Er fand dich. Als ich das mitgekriegt habe, da bin ich ausgerastet und hab ihn rausgeschmissen.«
»Aha«, murmelte Ines und blickte Lucas forschend an. »Warum hast du mir das denn nicht schon viel früher gesagt?«
Lucas begutachtete seine Zehenspitzen. Ja, warum hatte er es eigentlich nicht getan? So betrachtet erschien es als das einzig Sinnvolle.
»Mann weißt du, ich hab mich einfach so für ihn geschämt. Da hab ich versucht, nicht mehr dran zu denken. Es kam erst wieder hoch, als ich dich hier in der Lobby getroffen habe.«
Ines musste gegen ihren Willen lächeln. »Ach deshalb hast du mich so angesehen, als ob ich King Kong wäre.«
Lucas machte eine Grimasse. »Mmmhja, stimmt.«
Eine Pause trat ein, in der beide nicht so recht wussten, was sie als Nächstes sagen sollten. Die Geräusche um sie herum, die sich während des eben geführten Gespräches geradezu ausgeblendet hatten, füllten diese Pause aus: Vögel zwitscherten, der Wind rauschte in den Bäumen und ein paar Zikaden fingen schon mal an, für das allmittägliche Zirpkonzert zu üben. Schließlich räusperte sich Tom.
»Also Leute, ich störe ja nur ungern, aber wir müssen echt langsam los, wenn wir heute Abend in unserer Nachtunterkunft angekommen sein wollen.«
Ines bedachte ihren Vater mit einem seltsamen Blick. Lucas fragte sich später immer, ob er darin Erleichterung oder Zorn gesehen hatte – oder vielleicht beides. Dann sah sie zurück zu Lucas.
»Also weißt du, das ist im Moment alles ein bisschen viel auf einmal. Ich glaube, es ist besser, wenn wir es erst mal dabei belassen. Wir sehen uns dann ja irgendwie zuhause.«
»Also dann macht’s gut und kommt heil nach Hause«, antwortete Lucas ein wenig lahm. Er konnte in diesem Moment einfach nicht sagen, ob er diesen Schluss nun gut finden sollte oder nicht. Und war es denn überhaupt ein Schluss? Für den Moment? Für wie lange?
Sein Vater riss ihn aus den Gedanken. Er war zusammen mit seiner Mutter hinter ihm aufgetaucht und schwenkte ein Paket.
»He, Ihr wollt doch wohl nicht einfach ohne Eure Wegzehrung aufbrechen?«
Tom stutzte. Dann breitete sich ein Grinsen auf seinem Gesicht aus. »Ihr habt doch nicht etwa ...?«
»Oh, doch«, kam es von Betty zurück. »Hausgemachte Pasta, von Alfredo persönlich, mit ... äh wie hieß die Soße noch mal?«
»Ist doch egal – Hauptsache sie schmeckt«, ließ sich Diana vernehmen. »Danke ihr Lieben. Zuhause werden wir uns mal revanchieren.«
»Wenn wir überhaupt jemals zu Hause ankommen«, sagte Tom mit gespielter Verzweiflung, während er in den Wagen stieg. Die anderen beiden lachten und stiegen ebenfalls ein. Dann setzte der Wagen aus der Parklücke zurück. Er fuhr gemächlich den Schotterweg bis zur Schranke und außer Sichtweite.