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Boden, Kirschbaum, Bretter, Schreibtisch

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Etwaige Ähnlichkeiten mit lebenden Personen in diesen Erzählungen sind rein zufällig. Alle namentlich genannten Personen sind frei erfunden.

Text und Umschlagsbild:

© 2017 alle Rechte liegen bei C.-A. Rebaf


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Verlag: wespen-kontor@email.de

ISBN: 978-3-9818629-3-5



Meiner lieben Mutter gewidmet



Der Krieg 'römisch Zwo'1 war vorbei und das Vertrauen in die Zukunft wieder da. Mein Großvater, der aus dem Bennweg, pflanzte einen jungen Kirschbaum auf seinem Acker im Gewann 'Mult'. Braune große Kirschen sollte er tragen. So hatte man es ihm versprochen. Noch war der Baum nur eine dünne Rute mit ein paar Blättern, aber im milden Klima der Bergstraße wuchs er schnell heran.

Dann boomte das Wirtschaftswunder. Weinheim hatte seinen ganz großen Arbeitgeber, 'die Fawarik'2, wie die Leute den heutigen Konzern damals fast zärtlich nannten. Jeder wusste, wer damit gemeint war. Die Gewinne waren gut in diesen Jahren und auch der Kirschbaum trug reichlich. Mein Großvater erntete die Früchte und verkaufte sie am Obstgroßmarkt.

Die Manager der 'Fawarik', es waren damals noch 'Firmenpatriarchen', trugen Sorge, dass sie genug Platz hatten, um ihren steigenden Bedarf an Fabrikhallen befriedigen zu können. Grundstückskäufe wurden deshalb von der Liegenschaftsabteilung mit Hochdruck getätigt. Nicht nur Grundstücke, die an die Firma direkt angrenzten, nein auch ganz abgelegene wurden erworben, falls ein Besitzer verkaufswillig war. Die Bodenpreise stiegen. Eines Tages multiplizierte mein Bennwegs-Großvater seinen jährlich wiederkehrenden Verdienst aus dem Verkauf der Kirschen mit der geschätzten Anzahl seiner verbleibenden Lebensjahre und verglich das Ergebnis mit dem Erlös aus dem Verkauf dieses Grundstücks. Daraufhin reihte er sich in die Gruppe der Verkaufs-Willigen ein und veräußerte seinen Kirschbaum mitsamt dem herumliegenden Grund.

Der Baum trotzte allen Transaktionen und blieb stehen. Die Firma verpachtete nämlich den Acker und wartete ab.

Mein anderer Großvater wohnte in der Alten Postgasse und arbeitete in der 'Fawarik'. Er war im Gegensatz zu meinem Bennwegs-Großvater nur ein kleiner Feierabendbauer. Aber auch er besaß eigenen Grund und Boden, den er von seinen und den Eltern seiner Frau geerbt hatte. Eines seiner Grundstücke lag direkt neben der Fabrik, was für ihn sehr praktisch war, da er abends nur am Werkstor ‚stechen‘ musste, um seine Ausgangszeit zu erfassen und danach ohne große Fahrwege seinem Nebenerwerb nachgehen konnte.

Das Wort 'Globalisierung' war noch unbekannt und die damaligen Firmenchefs kannten nur den Ausbau ihrer Kapazitäten unmittelbar vor Ort in der Kurpfalz. Mein Postgassen-Großvater las in den 'Weinheimer Nachrichten' einen Artikel über die neuesten Planungen zur Firmenerweiterung und wunderte sich deshalb nicht über den Besuch vom Chef der Liegenschaftsabteilung, der ihm umständlich und wichtigtuerisch die neuen Vorhaben erläuterte. Sein weitschweifiges Gerede gipfelte in der Frage an den Großvater, ob der nicht seinen angrenzenden Garten verkaufen könne. Er wolle sich doch sicher nicht dem Bau des neuen Simmering-Werkes in den Weg stellen!

Der Postgassen-Großvater überlegte lange, verhandelte zögerlich und zeigte sich einem Verkauf zunächst abgeneigt. Hatte er doch in seinem Leben zwei Geldentwertungen erlebt und gelernt, der Papierwährung grundsätzlich zu misstrauen. Für ihn zählte nur Grund und Boden als echten dauerhaften Besitz. Hatten ihm und seiner Familie denn nicht allein die Erträge seines Ackers das Überleben der Kriegszeit ermöglicht? Was sollte er also jetzt mit Geld als Gegenwert für den Garten? Aber der bauernschlaue Liegenschaftsverwalter kannte eben diesen Einwand genau und bot ihm das Kirschbaum-Grundstück in der Mult zum Tausch an. So kam es zu einer Einigung und von nun an war mein Postgassen-Großvater der Besitzer des Kirschbaums, der inzwischen prächtig herangewachsen war.

Die Fawarik benötigte Arbeitskräfte, mehr und immer mehr. Zuerst wurden die Kriegs-Flüchtlinge eingestellt, die - fein säuberlich 'vun de alde Woinemer'1 isoliert - in der abgelegenen Weststadt angesiedelt wurden. Aber das reichte nicht aus und die Firma zog dann weitere Menschen aus aller Herren Länder an wie ein Magnet. Es schwappte die erste Gastarbeiterwelle aus Italien an die Bergstraße, dann eine aus Spanien, dann aus dem damaligen Jugoslawien und eine vorerst letzte aus der Türkei. Immer mehr Menschen für die Fabrik wurden in die Gegend gespült.

Mit dem Wirtschaftswunder kam dann das Bauwunder. Den Menschen ging es gut und viele wollten im eigenen Häuschen wohnen. Wohnraum war knapp und die Weinheimer Stadtväter kamen gar nicht nach mit der Ausweisung von genügend Neubaugebieten.

Zurück zum Kirschbaum. Der erlebte, wie die 'Mult' über Nacht zum Baugebiet erklärt wurde. Mein Postgassen-Großvater, der damalige Besitzer, wohnte bereits in einem eigenen Häuschen und gab den Acker schnell an seine Kinder und Enkel weiter. Die hatten schließlich genügend Schulbücher fürs 'Schiff'2 vom 'Paulmann'3 erworben und wie er dachte auch alle verstanden, so dass sie die jetzt anstehenden schwierigen Verhandlungen des Umlageverfahrens würden besser meistern können. Wie ein Wunder überlebte der Kirschbaum auch diese Episode und beobachtete zunehmend beängstigt, wie die Reihenhausbebauung um ihn herum in immer engeren Kreisen an ihn heran kam.

Die Strategie zur Zukunftssicherung habe ich wohl von meinem Postgassen-Großvater übernommen. So reifte sehr früh in mir die Idee, die Erträge der ersten Berufsjahre nicht auf einem Bankkonto, sondern in Form einer Immobilie für die Zukunft und die geplanten Kinder zu erhalten. Ich beschloss deswegen, auf dem Baugrundstück mit dem Kirschbaum einen Neubau zu errichten, zumal mich auch ein §7b der damaligen Steuergesetzgebung dazu ermunterte, der das Wohneigentum förderte. Alle fanden den Plan gut, besonders natürlich mein Postgassen-Großvater, der diese Aktion noch kurz vor seinem Lebensende wohlwollend wahrnahm, während er auf seiner Holzbank in der alten Sonne saß und die Wasser der Weschnitz zum Rhein fließen sah.

Der Bau des Hauses war dann allerdings der Tod des Kirschbaums, von dem ich mir jedoch unbedingt eine Erinnerung bewahren wollte. Das Sägewerk in der Grundelbachstraße - unweit des alten Krankenhauses, in dem ich noch als Zangengeburt auf die Welt gekommen war - zersägte mir damals seinen Stamm in Bretter.

Mein Engagement in einer internationalen pharmazeutischen Firma 'uff ´m Waldhof'1 hat mich, als das Haus gerade bezugsfertig war, weg von der Kurpfalz hinunter nach Oberbayern geführt. Erging es einem Kurfürsten nicht schon einmal ähnlich? Gerade als seine treuen Kurpfälzer ihm das schöne riesige neue Schloss in 'Monnem'2 fertiggestellt hatten, lockte ihn ein saftiges Erbe nach München.

Mir blieb die Immobilie zunächst ein Anker in der Heimat. Dann wird sie aber zunehmend ein Klotz am Bein bei der heutigen Vermieter feindlichen Handhabung der Gesetze. Ich veräußerte sie, damit sie einer jungen Familie ein neuer Anker in der Kurpfalz werden könnte.

Gott sei Dank sind mir die Bretter vom Kirschbaum als Andenken geblieben. Aus denen hat ein guter Freund, ein alter Klassenkamerad und, Ironie des Schicksals, ausgerechnet einer der heutigen Teilhaber der 'Fawarik' mir einen wunderbaren Schreibtisch in seiner Werkstatt in Berlin-Kreuzberg gebaut. Ihm ist ein richtiges Kunstwerk gelungen, an dem ich jetzt hier gerne sitze und Geschichten schreibe, die mir die freigelegten rötlichen Jahresringe des Holzes auf der Tischplatte aus meinem Weinheim und dem Rest der Welt erzählen.

Ist er mir jetzt ein Anker in meinem Leben geworden? Er hat nach seinem Bau schon wieder drei Ortswechsel erlebt und begleitete mich vom Pfaffenwinkel nach Thüringen und von da jetzt an die junge Donau im badischen Südosten.

Wird er da bis zu meinem Lebensende stehen bleiben dürfen?

Boden, Kirschbaum, Bretter, Schreibtisch

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