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Reinhards Kriegstagebuch Teil 1

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Vom Hof hinter Reinhards neuem Haus sieht man durch das Grün der Gärten die alte Scheune herüber scheinen. Sie gehört zum Anwesen seiner Eltern. Inzwischen ist ihr Giebel krumm, sie kommt jetzt in die Jahre. Er hat die Scheune so wie sie jetzt da steht, von August 1947 bis Frühjahr 1948 erweitert. Im Sommer vor mehr als 50 Jahren kam er zurück vom Ural aus russischer Gefangenschaft. Wie viele seiner Leidensgenossen hatte er sich mit Makhorka, dem schlechten russischen Tabak, dystroph gemacht und seine Malaria, die er von einer Mücke aus dem rumänischen Donaudelta über-tragen bekam, tat auch einiges zu seiner frühzeitigen Entlassung schon nach drei Jahren. War er doch erst 25 Jahre in der Blüte seines Lebens.

Er wollte sich sogleich nützlich machen daheim und er beschloss deshalb mit seinem Vater die alte kleine Scheune zu erweitern. Es war ein konkretes Nahziel, denn seine weiteren Lebenspläne waren durch die Kriegswirren zunächst unklar. Er musste sich doch erst einmal darüber bewusst werden, dass er es überhaupt überlebt hatte, wenn ihm auch die schönsten sieben Jahre seines Lebens geraubt wurden. Außerdem war das Leben 1947 im Sommer auch verändert im Vergleich zu 1940, als er in den Krieg ziehen musste. Er brauchte Zeit, sich zu Recht zu finden. Ein Fünfundzwanzigjähriger mit der Lebenserfahrung eines Fünfzig-jährigen. Das hatte er in allen den Wirren eingesogen wie ein Schwamm: Lebenserfahrung, Überlebensstrategien, Lebensweisheit, viel mehr als vergleichbare junge Menschen in friedlichen Zeiten. Er, Reinhard der Kriegstourist, im Krieg römisch zwei, wie Erwin1 sich ausdrückte. Von Mainz über Prag und zu den südrussischen Weiten. Dann Stalingrad und - nach einer Verwundung - rechtzeitig heraus, vor dem Untergang dort. Nach seiner Genesung als 'Stalingrad-Kämpfer' Aufstieg zum Unteroffizier und ab an das Schwarze Meer: Von Constanza bis Sewastopol und Charkow. Dann geschahen wilde Geschichten bis er in die russische Gefangenschaft 1944 kam.

Zuhause überlebten seine Eltern mit seinem Halbbruder, einer der drei Sorten Kinder und dessen Frau auf einem kleinen Bauernhof. Das Heu und das Stroh für die Kuh und die Ziegen des Kleinbauernhofes lagerten in der alten kleinen Scheune. Die Lagerkapazität reichte allerdings nicht aus und aus diesem Platzmangel heraus wurde ein zweites Hauptlager im Anwesen der Großmutter in der Bischofsgasse, etwa 500 m entfernt genutzt. Reinhard war es Leid immer mit dem Kuhfuhrwerk den Wochenvorrat aus dem großmütterlichen Großlager zu holen. Die Großmutter bestand in ihrem hohen Alter auch immer darauf, dass er den Hof säuberlich von den Halmen befreite, die natürlich immer aus dem Strohballen auf die Erde fielen. Das war ihm in seinen jungen Jahren lästig. Er, der er sieben Jahre Krieg und Gefangenschaft überlebt hatte, musste sich dem lächerlichen Willen der Großmutter beugen. Sein Vater und er beschlossen deshalb, sich vom 'Schütz', dem Waldhüter, einige Tannen auf dem Hirschkopf anweisen zulassen, die sowieso wegen Borkenkäferbefall hätten gefällt werden müssen. Aus den Stämmen schlug Reinhard mit dem Stiefelbeil Balken, die ein Sägewerk nicht besser hätten schneiden können. Die Giebelmauern der Scheune wurden vom ‚Vadder‘, dem gelernten Maurer, hoch gemauert und verlängert. Im März 1948 war die erweiterte Scheune fertig und das großmütterliche Großlager wurde geschlossen. Er brauchte diese Beschäftigung, da er immer ein fleißiger Mensch war, der nur durch Arbeit zu sich selbst fand.

So wie damals in Nishnij Tagil in einem Gefangenenlager, wo er seit Sommer 1944 mit seinen 22 Jahren noch sehr jung, interniert war. Er arbeitete in einer Panzerfabrik. T34-Panzer – also 34 Tonner - wurden dort produziert. 36 Stück jeden Tag. Die gesamte Produktion war auf diese magische Zahl, der „Norm“, abgestimmt. Neben diesem leichten Panzer gab es noch den T54, der wurde woanders gebaut und wog folglich 54 Tonnen.

Reinhard hatte keinen vollständigen Überblick über den gesamten Produktionsablauf - auch nicht nach drei Jahren. Die Russen wollten auch keine Informationen an den Gegner liefern. Er arbeitete als gelernter Dreher an einer Drehbank und stellte Panzerräder aus den stahl gegossenen Rohlingen her. Innen musste das Kugellager für die Achse heraus gearbeitet werden. Außen die Laufauflagen geglättet werden, damit die Antriebsketten reibungslos über die Räder glitten. Später war er im Werkzeugbau, das war ein Aufstieg, nicht mehr die stupide Arbeit mit den Tausenden von Rädern drehen Tag aus Tag ein. Genau 12 Räder wurden für einen T34 benötigt, also 12 x 36 pro Tag war die Norm! Ausschuss nicht mit gerechnet. Ausschuss und anderer Abfall wurde gesammelt, mit einer Lore in die Ebene gefahren und in die Landschaft gekippt. Das Wort 'Recycling' gab es im Russischen nicht. Es war von allem – vor allem Rohstoffen - immer ausreichend vorhanden. Das wurde auch mit nicht funktionsfähigen Panzern so gemacht. Einfach in die Landschaft. Anschließend füllten die Kriegsgefangenen das Terrain mit Erde auf und die Schienen wurden auf das neue höhere Niveau gelegt. Dann verklappte man weiter: Dreh-späne, Ausschuss. Die Norm musste erfüllt werden!

Das gesamte Werk wurde während des deutschen Vormarsches von den Russen aus Charkow an den Ural verlegt. Eine unvorstellbare Leistung. Am Ural wurden in den Wäldern Bäume gefällt und die Drehbänke, Stanzen und alle anderen Maschinen unter freien Himmel aufgestellt und hauptsächlich von russischen Frauen in Betrieb genommen. Später wurden Dächer und Hallen um die Maschinen gebaut.

Die Maschinentypen waren Reinhard alle bekannt und ausschließlich aus Deutschland: Müller Pressen aus Weingarten, Drehbänke aus Karlsruhe. Die Russen hatten diese vor dem Kriege im Rahmen des Berliner Abkommens 1926 aus Deutschland bezogen. Ursprünglich wurden damit Lokomotiven hergestellt. Reinhard hatte genau auf solchen Maschinen das Drehhandwerk in der 'Badenia'1 gelernt. Was für ein Wiedersehen! Jetzt stellten deutsche Gefangene an deutschen Maschinen Panzer gegen Nazi-Deutsche in den Wäldern am Ural in Fabrikhallen her, wo keine Betonböden waren und die Baumstümpfe noch im Werkshallenboden staken und man aufpassen musste, dass man nicht darüber stolperte.

Die T34 wurden dann gegen deutsche Soldaten eingesetzt aber nicht nur. Bei Haruki Murakami2 habe ich gelernt, dass auch Japanischen Soldaten Hände von den Panzerketten des T34 abgetrennt wurden.

Reinhard fürchtete diese Panzer, als er sie noch als Soldat beim Vormarsch im Südabschnitt auf dem Gefechtsfeld kennenlernte. Wenn der Fieseler Storch, die deutschen Aufklärer, die violetten Rauchzeichen abwarfen und die russischen T34 oder T54 anzeigten, dann bekam er es schon mit der Angst zu tun. Der T34 hatte eine drehbar Kanonenrohrkuppel, die aus einem Stück gegossen und gehärtet wurde. Da hatten die deutschen Panzerabwehrkanonen keine Chance. Später wusste er auch warum, als er sah, wie diese Kuppeln nach dem Gießen in einem einzigen Stück, wie eine Kriegsglocke, in einem Gasofen heiß glühend gemacht wurden und mit einem speziellen Kran, der in mit einem Greifer in das Kuppelloch fasste hoch gehoben und mit einem ohrenbetäubenden Knall in ein riesiges Wasserbecken zum Aushärten geworfen wurden. Ein russischer Vorgesetzter hatte ihm diese Technik im Lager am Ural gezeigt. Reinhard war neugierig! Der Nachteil dieser Technik war allerdings, dass dieser Panzerturm wie ein riesige Glocke wirkte: Auftreffenden Geschosse verursachten bei den Panzerinsassen im Inneren schrille und laute Geräusche, die sogar die Trommelfelle platzen ließen. Eine verwundbare Stelle hatte das eiserne Ungetüm dennoch: Der Übergang der drehbaren Kuppel zum Fahrgestell war die Achillesferse. Traf eine Granate zielgenau in diesen Spalt, so war das Ungetüm erledigt.

Das fahrbare Untergestell wurde aus 35 mm Blechen von Frauen zusammengeschweißt. Zunächst wurden die Bleche auch den Boden gelegt, eine Schablone drüber und dann wurde von den Frauen mit dem Schweißbrenner die notwendigen Formen ausgeschnitten. Anschließend wurden diese zu einer Bodenwanne zusammengeschweißt. Dabei blieb alles roh, kein Verputzen der Schweißnähte wie bei den deutschen Gegenstücken, die allerdings in technischer Hinsicht und vor allem in ihren Fahreigenschaften den T34 unterlegen waren. Die Russen produzierten mit gnadenloser Rationalisierung. Keine Schönheiten, alles in Masse zum Abschießen an der Front. Die Menge machte es. Nicht die Qualität. Die Norm musste erfüllt werden!

Reinhard wusste nicht einmal, ob die Motoren dieser Ungetüme auch in seiner Fabrik hergestellt wurden. Vielleicht waren diese aus Cincinnati oder Detroit und wurden von den Amerikanern über Wladiwostok mit der transsibirischen Eisenbahn an den Ural gebracht?

Er berichtete auch ein Erlebnis in einem Dorf auf dem Vormarsch nach Stalingrad, als er noch Soldat war, wo zwei drei mutige Kameraden einen T54 knackten. Der Panzer war mitten im Dorf auf der zentralen Straßenkreuzung positioniert und es gab deswegen kein Durchkommen. Die Mutigen nutzen den ihnen bekannten toten Winkel der Sehschlitze des Panzers und schlichen sich an das Ungetüm heran, schoben eine Sprengladung in das Kanonenrohr, gingen in Deckung und mit einem riesigen Knall flog der Deckel des Turms durch die Druckwelle auf. Sofort warfen sie Handgranaten in den Turm und das Ungetüm war erledigt. Das grausame Handwerk des Krieges in den weiten russischen Feldern.

Reinhard überlebte in der Gefangenschaft durch seine Emsigkeit. Aus Metallabfällen fertigte er sich Schnitzwerkzeuge und begann die Holzbearbeitung, die er später, sehr viel später mit Präzisionswerkzeugen aus dem Lech Tal als Hobby nach seiner Pensionierung betrieb. Er schnitzte damals Schachspiele und verkaufte sie an die Russen im Lager. Das brachte ihm Überlebenspunkte. Seine Spezialität war ein Schachspiel mit unterschiedlichen Figurentypen für Weiß und Schwarz. Weiß war der Bauernstaat: die Bauern waren Schafhirten, die Läufer Schnitter, die Sense wetzend, die Türme Windmühlen, Mehl malend. Die Springer waren Pferde und Dame mit König das Gutsherrenpaar: Sie mit einer Garbe Ähren im Arm und er mit einem mittelalterlichen Dreispitz auf dem Kopf.

Schwarz war der Ritterstaat, mit Pagen als Bauern, bewehrten Türmen, Pferden mit Lanzenträgern als Springer, Läufer als gerüstete Ritter mit Helm und heruntergeklappten Visier und der geharnischte König mit seiner spitzhütigen Dame.

Beim Thema 'Schachspielen in Russland' soll noch kurz auf eine weitere Anekdote verwiesen werden, die im Sagen-Pool der Familie kursiert: Auch im Gefangenenlager gab es eine Art Lazarett. Reinhard wurde eines Tages dorthin gebracht. Hatte er wieder einen Malaria-Anfall? Zuständig im medizinischen Sinne war ein ebenfalls gefangener deutscher Stabsarzt. Nachdem es dem Patienten etwas besser ging und ein Arzt jetzt im Lager mehr Zeit hatte, als in den vorhergehenden Schlachten, spielten er und Reinhard Schach mit den gerade fertig geschnitzten Figuren. Beide waren gleichwertige Gegner und das machte das Spiel spannend. Für den Arzt herrschte aber noch eine weitere Attraktion auf ganz anderer, sexueller Ebene: Er machte nach einer Weile aus seinen homophilen Neigungen kein Geheimnis mehr und ließ ihnen freien Lauf. Reinhard fand die amourösen Avancen neudeutsch 'uncool' und lehnte sie barsch ab. Ab nächsten Tag war er von seiner Malaria genesen.


Ein solches Schachspiel hat Reinhard dann in späten Jahren noch einmal reproduziert, zum 40en Geburtstag seines Sohnes. Es steht jetzt neben meinem 'gebretterten' Schreibtisch.

Die Russen fanden damals großen Gefallen an Reinhards Schachspielschnitzkünsten und sein Absatz mit den kunstvollen Figuren war gut. Leider hatte er nicht unendlich viel Zeit für die Herstellung, denn die Norm hatte Vorrang.

Brot war die Gegenwährung, Brot in Form von Leibern oder aber auch in Form von Brotsamen, die in der Küche beim Schneiden der Tausenden von Broten für die Gefangenen abfielen und in Tüten gesammelt wurden. Hat ihm seine Schnitzkunst das Leben gerettet?

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