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Kapitel 2
ОглавлениеZweifelnd stand ich vor meinem Kleiderschrank. Entgegen vieler Vorurteile, die Männer und ihre Garderobe betrafen, überlegte ich mir auch immer sorgfältig, was ich zu einer Party tragen sollte. Viel Auswahl hatte ich im Grunde nicht, insbesondere farblich. Schwarz an Schwarz. Ein dunkelgrünes Sweatshirt und ein weißes Hemd. Vielleicht sollte ich endlich mal Gwendolyns Angebot annehmen und mit ihr einkaufen gehen. Ich entschied mich schließlich für das dunkelgrüne Sweatshirt, dazu eine schwarze Jeans und schwarze Boots. Die Haare band ich wieder mit einem schwarzen Band zusammen. Ja, irgendwie sah ich tatsächlich aus wie der typische Philosophie- und Kunststudent.
Ich nickte meinem Spiegelbild kurz zu und verließ dann mein Zimmer, um mich auf den Weg zur Party zu machen, die im Wohnheim nahe der Uni stattfinden würde.
Die Musik hörte man bereits von Weitem und ich zweifelte stark daran, dass die Polizei heute Abend nicht auftauchen würde. Diese Wohnheimpartys nach Weihnachten waren ziemlich bekannt für ihre Lautstärke und ihre ausschweifende Art. Als ich ankam, warteten Jessy und Simon bereits am Eingang auf mich. Das war überraschend. Normalerweise war Jessy immer zu spät. Simon lehnte mit dem Rücken an der Backsteinwand, die Hände lässig in die Manteltaschen geschoben, Jessy hüpfte vor ihm auf und ab, offensichtlich war ihr kalt. Sie strahlte, als ich zu ihnen trat.
„Na, Samuel, hast du Weihnachten überlebt?“, fragte Simon und klopfte mir zur Begrüßung auf die Schulter.
„Gerade so!“, erwiderte ich seine Begrüßung und ließ mich von Jessy umarmen. „Und bei euch beiden?“
„War schon okay. Es hätte wesentlich schlimmer sein können“, antwortete Jessy.
„Ja, Tante Meldrid hätte noch betrunkener sein und sich noch mehr entkleiden können. Aber immerhin gab es Muffins mit Spekulatius“, murmelte Simon.
Die beiden waren zweieiige Zwillinge und hätten tatsächlich nicht unterschiedlicher sein können. Trotzdem hielten sie zusammen wie Pech und Schwefel und nach allem, was ich mitbekommen hatte, hatten sie eine recht lustige Familie, die an solchen Festtagen gern etwas über die Stränge schlug. Halloween sollte bei Ihnen wohl der große Renner sein.
„Dann lasst uns heute mal ausschweifend feiern, dass wir endlich wieder in unserem echten Leben sind!“, strahlte Jessy, hakte sich bei uns beiden ein und wir marschierten schnurstracks in das Wohnheimgebäude.
Die Musik schallte uns entgegen, die ersten sehr angetrunkenen Menschen torkelten auf uns zu. Dabei war es erst elf Uhr. Ich war mir ziemlich sicher, dass es noch frische Erstsemester waren, die ihre erste After-Christmas-Party erlebten, und grinste. Wir gingen zuerst zur selbst gebauten Bar, wo uns Simon je einen Flasche Bier organisierte. Dann überblickte ich die Lage und betrachtete die einzelnen Gäste. Ziemlich viele sehr junge Mädchen in äußerst knappen Outfits. Und wenn ich knapp sagte, dann meine ich wirklich knapp. Ich war zwar nicht prüde, aber in manchen dieser Fummel würde ich Gwen nicht vor die Tür lassen. Simon schien das jedoch gar nichts auszumachen, er sabberte gerade zu. Und auch seine Schwester war sehr angetan von den vielen weiblichen Körpern, die sich halb nackt zum Takt der Musik bewegten. Zumindest das hatten die beiden gemeinsam: ihre Vorliebe für das weibliche Geschlecht. Jessys Eltern hatten es ziemlich locker aufgenommen, als sie ihre erste Freundin mit nach Hause gebracht hatte. Doch mit dieser war nun schon seit etwa vier Monaten Schluss und Jessy war nach jeder Menge Spaß zumute. Zum Glück waren sie und Simon sich dabei bisher noch nie ins Gehege gekommen. Das hätte Potenzial, einen bösen Streit zu provozieren. Aber bisher halfen sich die Zwillinge meist bei ihren Eroberungen.
„Schau dir nur diese ganzen Unerfahrenen und Unentschlossenen an, Schwesterherz. Sie wissen noch gar nicht, was sie wollen. Das könnte man perfekt ausnutzen.“
„Du triffst genau ins Schwarze, liebes Brüderchen“, rief Jessy gegen den Lärm an und wandte sich dann zu mir um.
„Und für dich, Sam? Irgendetwas dabei?“
Ich wollte den Kopf schütteln, denn weder eines der vielen Mädels noch einer der Typen ließ mein Herz auch nur im Entferntesten höherschlagen oder löste etwas bei mir aus. Da erblickte ich einen schwarzen Haarschopf am anderen Ende des Zimmers. Meine Augen hefteten sich fest auf den äußerst heißen Kerl in Lederjacke, der lässig an der Wand lehnte. Er war umzingelt von vielen der halb nackten Mädels, die er alle mit einem sexy Grinsen abtat.
Jessy fing meinen Blick auf. „Oh, Sam, das ist doch nicht dein Ernst! Luke? Der Weiberheld der Uni?“, murmelte sie so leise, dass Simon es nicht hören konnte.
Sie wusste bereits, dass ich mich eher zum eigenen Geschlecht hingezogen fühlte, Simon jedoch noch nicht. Es hatte einfach noch nicht den richtigen Moment für so ein Gespräch gegeben. Und Jessy war das Ganze anscheinend schon von dem Moment an klar gewesen, als wir uns im Philosophie Einführungskurs gegenüber gestanden waren. Sie hatte sich neben mich gesetzt, mich von der Seite gemustert und mir zugeflüstert, dass ich doch eindeutig vom anderen Ufer wäre.
Erstaunt hatte ich sie angeblickt und dafür ein mehrdeutiges Grinsen geerntet. An ihre darauffolgenden Worte erinnerte ich mich noch haargenau.
„Keine Angst, wenn man Gleichgesinnte trifft und sich schon damit abgefunden hat, dann hat man da ein Gespür dafür. Du bist jetzt nicht auffällig. Ich bin übrigens Jessy!“
Nun nickte ich bedauernd als Antwort auf ihre Frage, ob das mit Luke mein Ernst wäre. Vor ihr konnte ich ja schließlich nichts geheim halten. Sie tätschelte mir daraufhin mitleidig den Arm.
„Alles okay bei euch?“, unterbrach Simon unser mehr nonverbales Gespräch und ich setzte wieder ein Lächeln auf.
„Klar, ich hab nur wieder mal gesehen, dass scheinbar nichts meinem erlesenen Geschmack entspricht.“
Simon schüttelte ungläubig den Kopf. „Ich frag mich manchmal echt, was mit dir nicht stimmt. In deinem Kuhkaff zuhause müssen ja ziemlich heiße Schnitten rumlaufen, wenn du hier nie etwas findest.“
Ich zuckte grinsend mit den Schultern. „Konzentrieren wir uns lieber mal darauf, dass wir euch heute Abend etwas fürs Bett heraussuchen.“
Wir besorgten uns jeder eine Flasche Bier, ehe Simon begeistert mit mir anstieß und sich dann unter die Leute mischte. Jessy und ich folgten ihm, wobei mein Blick wieder rüber zur Wand glitt, an der Luke immer noch lehnte. Einen kurzen Moment lang kreuzten sich unsere Blicke und ich sah in umwerfende, braune Augen, die mich interessiert musterten. Der Moment war aber bedauerlicherweise genauso schnell vorbei, wie er gekommen war, als sich ihm eine üppige Blondine an den Hals warf und seine Augen eine Etage tiefer rutschten.
Seufzend folgte ich meinen beiden Freunden durch die Wohnheimgänge in den Gemeinschaftsraum im ersten Stock. Hier war die Musik schon eher nach meinem Geschmack. Weniger Rap und Pop, mehr Rock und Metal. Was hier so rumlief, war eindeutig Jessys Beuteschema. Scheinbar war sie heute als Erste dran. Amüsiert besorgte ich uns noch etwas zu trinken, während die Zwillinge sich an eine Wand lehnten und die Leute musterten. Als ich zurückkehrte, war Jessy bereits verschwunden. Sie tanzte mit einer süßen Rothaarigen, die immerhin nicht ganz danach aussah, als käme sie gerade von der Schule.
„Das ging ja schnell heute“, kommentierte ich und sah auf meine Uhr am Handgelenk. Es war gerade mal Mitternacht.
„Ja, sie kennt die Kleine wohl aus einem Seminar und hat die letzten Tage von nichts anderem erzählt als ihrer hübschen Haut. Dabei finde ich, dass die Haut nicht mal das Hübscheste an ihr ist.“
Simon zwinkerte und ich lachte.
„Jetzt müssen wir dir also noch etwas besorgen oder? Hast du schon jemanden ins Auge gefasst, Simon?“
Simon ließ den Blick schweifen, seufzte dann aber. „Ich fürchte, ich mache es heute mal wie du und setzte eine Runde aus. Wenn ich heute ein Mädchen mit nach Hause nehme, werde ich sie morgen nicht vor dem Mittag los, weil ich ja trotzdem nett sein will, und ich muss eigentlich dringend anfangen zu lernen. Und zu viel trinken sollte ich auch nicht, da ich morgen noch laufen will. Das Sportstipendium darf ich nicht verlieren, meine Noten sacken gerade ein wenig runter.“
„Oh, das ist mies. Ich würde dir gerne helfen, aber der Sportlichste bin ich nicht gerade und von Wirtschaftswissenschaften hab ich auch keine Ahnung.“
„Ach, kein Ding. Wir können ja auch einfach so Spaß haben, beobachten ein wenig mein Schwesterchen, wie es da mit Porzellanhaut rumflirtet, und wer weiß, vielleicht finden wir ja endlich jemanden für dich.“
Ich wusste nicht, ob das bereits der Alkohol war, der da aus mir sprach, obwohl es erst zwei Flaschen Bier gewesen waren, aber mir schien endlich der richtige Moment gekommen zu sein.
„Du, Simon, die Richtige für mich zu finden, wird hier nie etwas.“
Simons Augen weiteten sich kurz, ehe er anfing zu lachen. Er lachte so sehr, dass er mir seine Flasche in die Hand drückte um sich mit beiden Händen auf seinen Knien abstützen zu können. Die Leute sahen sich schon nach uns um und ich stand peinlich berührt neben meinem lachenden Kumpel, der sich scheinbar gar nicht mehr einkriegen konnte.
„Ach, Sam, dass du damit in einem solchen Moment kommst, damit hätte ich nicht gerechnet“, sagte er schließlich, immer noch prustend und völlig außer Atem. Sein Gesicht war vom Lachen ganz rot.
Verwirrt sah ich ihn an und er nahm mir wieder seine Flasche ab. Dann wartete er, bis wir nicht mehr im Mittelpunkt des Geschehens standen. Währenddessen zerbrach ich mir das Gehirn darüber, was er meinte.
„Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir eh nur den Richtigen für dich finden können. Frauen scheinen dich ziemlich kalt zulassen“, löste er schließlich das Rätsel.
Mir klappte buchstäblich die Kinnlade runter und ich sah meinen Kumpel ungläubig an. Woher wusste er das denn nun? Ich funkelte in Jessys Richtung, doch Simon unterbrach meinen Gedankengang.
„Hör mal, Jessy hat mir nichts erzählt. Ich hab es einfach mit der Zeit rausbekommen und dich beobachtet. Du steigst nie in unsere Lobeshymne auf den Frauenkörper ein, schon daran merkt man das.“
Ich blinzelte überrascht und Simon lächelte aufmunternd.
„Mach dir keine Sorgen. Ich nehme dir nicht krumm, dass du mir so lange nichts erzählt hast. Hätte ich wahrscheinlich auch nicht. Aber es schmeichelt mir, dass du es jetzt tust. Und wir finden irgendwann den Richtigen für dich, alles klar?“
Mir fiel ein Stein vom Herzen, der laut berstend zerbrach, doch statt Simon vor lauter Dankbarkeit in die Arme zu schließen, riss ich mich am Riemen und lächelte einfach nur breit.
„Richtig. Und danke, Simon!“
Simon zwinkerte, nippte an seinem Bier und sah mich dann plötzlich von der Seite an.
„Alles okay?“, fragte ich.
„Und du warst nicht zufällig mal in mich …?“, fragte er und dieses Mal brach ich in schallendes Gelächter aus. „Was denn? Die Mädels können meinem Körper auch nicht widerstehen!“, schmollte Simon und schob die Unterlippe vor.
„Sorry, Simon, du bist ja echt nicht hässlich, aber mein Typ leider auch nicht.“ Ich schlug ihm aufheiternd auf die Schulter.
„Und wer dann?“
Anscheinend war der Abend verhext, denn in diesem Moment trat mein Typ in den Raum. Ich seufzte tief und wandte den Blick ab. Simon fiel fast die Flasche aus der Hand.
„Och nee, nicht echt, Sam?“
Ich nickte ergeben und Simon seufzte tief.
„Dann mach dich zumindest schon mal darauf gefasst, dass er rüber kommt!“, murmelte er mir zu und ich wandte mich hektisch um.
Luke blieb vor mir stehen, hinter ihm das blonde Mädel von vorhin, das quasi am Zipfel seiner Lederjacke hing. Ich gab es ungern zu, aber da würde ich auch gern hängen, wäre ich nicht verdammt noch mal zu stolz dafür.
„Wo hast du denn das Bier her? Unten gibt es nur noch Mischzeug“, fragte er mich ohne Begrüßung leise.
Trotz des Lärms verstand ich jedes Wort aus seinem Mund. Es war, als wäre ich in einem Vakuum gefangen und würde nur noch seine Worte hören. Scheiße, ich war so was von am Arsch.
Um mich nicht mit dämlichem Geplapper zu blamieren, deutete ich auf die Bar an der Wand gegenüber und er nickte mir zu. Ein kleines Lächeln umspielte dabei seine Lippen, ehe er sich umwandte und zur Bar ging. Er beugte sich vor und ich starrte schnell zur Decke, um nicht auf seinen möglicherweise perfekten Po zu gucken. Dann stand er plötzlich wieder vor mir, reichte Simon und mir eine neue Flasche Bier, nickte noch mal und verließ dann mit der Blonden im Schlepptau den Raum. Ich hörte sie auch durch die Musik zetern: „Warum hast du mir denn kein Bier mitgebracht, Luke?“
Perplex stand ich da. Mit einer neuen Flasche Bier aus den Händen des Bad Boys schlechthin, in den ich mich ja leider verguckt hatte, und starrte zur Tür, durch die er längst verschwunden war.
„Mh, das war doch für den Anfang gar nicht so mies, es hätte viel schlechter laufen können!“, meinte Simon neben mir, aber ich konnte nicht antworten. Dennoch, er hatte recht. Das hätte wirklich viel schlechter laufen können. Nur dass der Typ eben auf Frauen stand und nicht auf Männer. Fuck!
Am nächsten Morgen stand ich zum Glück ohne Kater auf und schickte Simon eine SMS, damit er ebenfalls aus dem Bett kam und seinen Arsch zum Lernen bewegte. Wenn ich schon nichts mit seinen Fächern anfangen konnte, dann konnte ich ihm wenigstens freundschaftlich in den Allerwertesten treten. Fünf Minuten später bekam ich eine zufriedenstellende Antwort samt Beweisbild und machte mir einen Kaffee, ehe ich mit dem Lernen anfing. Die Klausuren rückten näher und ich hatte noch gar nichts getan. Wenn ich schon nicht das studierte, was meine Eltern wollten, dann musste ich zumindest gute Noten abliefern, sonst kürzten sie mir ganz schnell das Geld. Und auf mein kleines Apartment wollte ich nicht verzichten, denn dann müsste ich ins Wohnheim und das hieße wiederum, Privatsphäre ade.
Zunächst machte ich mir einen Lernplan, um mir einen Überblick darüber zu verschaffen, woran ich überall verzweifeln würde. Ich war tatsächlich nicht schlecht, musste nicht ständig lernen, aber die Fächer dieses Semester waren alle der absolute Hammer in Sachen Lernpensum. Einen Kurs in Philosophie hatte ich auch mit Luke zusammen, doch hatte ich ihn bisher nur zweimal gesehen. Also schmiss er entweder den Kurs oder er war so drauf, dass es ihm einfach egal war, ob er bestehen würde oder nicht. Schade eigentlich. Wäre er regelmäßiger hingegangen, hätte ich ihn öfter gesehen. Jetzt rechnete ich gar nicht mehr mit ihm. Und auf Jessy konnte ich in diesem Fach auch nicht zählen, sie hatte Philosophie bereits im ersten Semester gewechselt.
Mein Handy piepste und ich griff danach. Besagte Jessy hatte mir ein Bild von sich in einem fremden Bett geschickt, lächelnd wie eine zufriedene Katze, die gerade Sahne geschleckt hatte. Grinsend schickte ich einen Emoji mit Daumen-Hoch-Zeichen zurück, ehe ich mich wieder meinen Unterlagen zuwandte. Doch so recht konzentrieren konnte ich mich nicht. Meine Gedanken schweiften ständig ab und landeten immer bei Luke. Seufzend schob ich meinen Collegeblock von mir, warf den Stift auf den Schreibtisch und lehnte mich in meinem Stuhl zurück. So brachte das alles nichts. Weder das Lernen noch meine Gedanken an den Bad Boy der Uni. Jungen wie ich kamen eh nicht an ihn heran. Wie auch bei einem Hetero-Mann? Und mal abgesehen davon, meine Eltern wären alles andere als begeistert, wenn ich einen Mann statt einer Frau mit nach Hause nehmen würde. Ich wäre enterbt, würde in Scham und Schande fallen. Das konnte ich ihnen nicht antun. Erneut seufzend machte ich Musik an meinem Laptop an und warf mich auf mein Bett. Wenn schon Klischee, dann aber bitte vollkommen.
Der Tag verging langsam und erst als ich mich abends in Simons Wohnung mit ihm und Jessy traf, konnte ich wieder richtig lächeln und klare Gedanken fassen. Jessy plapperte pausenlos von der Silvesterfeier und ihrer hübschen Rothaarigen, die sie bei der gestrigen Party abgeschleppt hatte. Simon schien deutlich abwesend und tippte auf seinem Handy herum. Er wirkte nachdenklicher und in sich gekehrter als sonst.
„Alles okay?“, fragte ich ihn.
„Ja, ja, alles gut. Training war heute nur irgendwie mies. Und gelernt hab ich heute auch nicht so richtig“, antwortete er und setzte ein breites Lächeln auf. Ein etwas zu breites.
„Und mit wem schreibst du da die ganze Zeit?“, fragte Jessy und trat hinter ihren Bruder, um einen Blick auf sein Handy zu erhaschen.
„Das geht dich nichts an, Schwesterchen“, sagte Simon und ließ sein Handy in die Hosentasche gleiten. Es vibrierte jedoch wenige Sekunden später und seine Hand bewegte sich reflexartig zu ihm zurück.
Jessy lachte. „Hat da etwa jemand eine neue Liebe? Ich dachte, du wolltest Pause machen von dem ganzen Liebeskram?“
„Es ist kein Liebeskram. Und es geht euch nichts an. Seid froh, falls ich euch den Jemand an Silvester vorstelle“, grummelte Simon und nahm einen Schluck Bier.
„Uhh, sie kommt zur Silvesterparty?“
Jessy ließ sich neben mich aufs Sofa fallen und sah ihren Bruder gespannt an.
Simon nickte ergeben und seine Schwester klatschte freudig in die Hände, ihre Augen strahlten.
„Mein Bruder hat eine neue Liebe und wir lernen sie schon ganz bald kennen! Woher kennst du sie denn? Oder ihn? Wie sieht der Mensch aus, den du uns vorstellen wirst?“
Simon warf mir einen flehenden Blick zu, doch ich grinste. So leicht würde er Jessy nicht davonkommen und ich hatte kein Interesse daran etwas zu ändern. Schließlich war ich auch neugierig.
„Ja, Simon, erzähl mal alles, was du über diesen Menschen weißt!“, forderte ich ihn auf, lehnte mich entspannt zurück und beobachtete die Inquisition, die Jessy startete. Es war so verdammt schön, wieder zuhause zu sein.
Die Silvesterparty in der Bar würde der Hammer werden, dessen war ich mir ziemlich sicher. Nicht nur, weil wir Simons neue Liebe kennenlernen würden. Ich zog ein schwarzes Hemd aus dem Schrank, dazu wieder eine schwarze Jeans, und ließ zur Abwechslung mal meine Haare auf. Sie würden sich hoffentlich nicht in irgendwem verfangen, schließlich trugen Frauen ständig ihre Haare offen und hingen nicht plötzlich irgendwo fest. Gwendolyn hatte sich nie beschwert und Jessy hatte sich auch nie darüber ausgelassen. Höchstens dass sie beim Knutschen stören würden, aber dazu würde es bei mir eh nicht kommen. Die Party fand im Pillow statt. Einer Bar, die Jessy, Simon und ich oft besuchten, und so machte ich mich gegen zehn Uhr auf den Weg, um die beiden abends vor dem Lokal zu treffen.
„Na, alles bereit für den Start ins neue Jahr?“, begrüßte mich Jessy und fiel mir um den Hals. Ich drückte sie an mich und sah mich nach Simon um. Sie bemerkte meinen suchenden Blick.
„Der ist mit seiner neuen Liebe schon drin und wartet dort auf uns. Ich bin schon ganz gespannt, wie lange das dieses Mal hält.“
„Du solltest mehr Vertrauen in deinen Bruder haben, Jessy!“, sagte ich und grinste zu ihr runter.
„Dann lass uns reingehen und sehen, wie viel Vertrauen ich haben muss, Goldlöckchen.“ Sie grinste zurück, zupfte an meinen Haaren und warf ihre eigene Mähne mit einer schwungvollen Bewegung nach hinten. Dann stolzierte sie vor mir in die Bar und ich folgte ihr kopfschüttelnd.
Durch die Tür kam gerade eine Gruppe von jungen Männern, die Jessy artig den Vortritt ließen, mich aber anrempelten. Ich wollte erst empört stehen bleiben, als ich Luke unter ihnen entdeckte. Er trug wieder seine Lederjacke, die dunklen Haare fielen ihm zerzaust ins Gesicht. Als er mich sah, blitzte ein Funken des Wiedererkennens in seinen Augen auf und er nickte mir grüßend zu. Ich nickte zurück, froh darüber, kein Wort mit ihm wechseln zu müssen. Darauf wäre ich jetzt nicht vorbereitet gewesen. Stattdessen folgte ich Jessy in die Bar und widerstand dem Drang, mich zu Luke umzudrehen, um einen Blick auf seinen Hintern in dieser Jeans werfen zu können.
„Dein Traumprinz und du, ihr versteht euch selbst ohne Worte“, wisperte Jessy mir zu und ich gab ihr einen leichten Schlag auf den Hinterkopf. Sie schob schmollend die Lippen vor und rieb sich die Stelle, an der ich sie erwischt hatte. Doch sie vergaß ihren Schmerz schnell wieder, als wir Simon in einer Ecke an einem Stehtisch entdeckten. Und mit seiner Begleitung hätte ich wirklich nicht gerechnet.