Читать книгу FOX - wenn du verlierst, bist du Freiwild … - Cagliostro - Страница 11

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IRRE: NOTGEILE NUTTEN LIFE IM TV ZU VÖGELN!

»Oooh Gott, Hilfe, nein, nicht so heftig, du machst mich ganz fertig, ich kann schon nicht mehr … Erbarmen – bitte!!«

Dirk Bankert konnte es kaum glauben, was er da vor sich sah. Er schob seine Brille die Nase hinauf und beugte sich fassungslos vor. Aber die Bilder blieben dieselben.

Es war Jasmin, seine Jasmin, die da splitternackt und schweißüberströmt mit den Beinen in der Luft zappelte und jammerte. Das Bild auf seinem Monitor war definitiv kein Fake.

»O Gott, nein, bitte nicht, aufhören, bitte nicht aufhören, Himmel … « Aus ihrem Gestammel konnte man unmöglich entnehmen, ob sie es in Wirklichkeit genoss, was mit ihr geschah, oder ob sie sich tatsächlich am Ende ihrer Kräfte befand.

Ein roter Balken am unteren Rand des Bildschirms zeigte die Intensität der Stromstöße an, die offenkundig gerade durch die empfindlichste Stelle ihres Körpers fluteten.

»Ihr verdammten Schweine!« knirschte Dirk mit zusammengebissenen Zähnen. »Ihr Wichser!«

Wie kam sie nur dazu, sich dafür herzugeben? Wie lange tat sie das überhaupt schon? Was würden die Jungs von der Streife zu ihm sagen, falls sie diese Show gesehen hatten? Wenn er nicht eben diesen Anruf dieses angeblich guten Freundes erhalten hätte, dann hätte er heute noch nicht davon erfahren, wie sich seine Lebenspartnerin per Teldildonics von zig wildfremden Leuten gleichzeitig quälen und ***** ließ. Dirk war nahe daran, die Maus in seiner Faust zu zerquetschen.

»Ihr Arschlöcher!« knurrte er. »Na wartet! Euch wird der Spaß schon noch vergehen. Dafür werdet ihr zahlen!«

Teledildonics

Im ersten Jahrzehnt des jungen Jahrtausends perfektionierte Form von Cybersex, der insbesondere zu Prostitutionszwecken verwendet wird. Der Kunde sitzt dabei vor einem Monitor, über den er per Webcam eine Dame seiner Wahl bei von ihm bestellten autosexuellen Handlungen beobachten kann. Funktionierte der Vorläufer der Teledildonics noch so, dass der Freier, während er masturbierte, seiner Auserwählten Befehle gab, was sie zu tun hatte, um ihn in Stimmung zu bringen, konnte er die entsprechende Frau über die neuen Teledildonics selbst stimulieren, z. B. elektrische Reizströme in ihre Klitoris leiten. Von dieser Technologie gibt es eine sanfte und eine sadistische Variante. 2013 soll eine Ausweitung dieser Technik auf den Markt kommen, mittels derer Dominas Reizströme in die Genitalien ihrer Kundschaft leiten können. Teledildonics wurden auf dem Markt gut angenommen, da sie das Risiko einer Infizierung über Viren minimierten und ein sofortiges Abschalten des Partners direkt nach dem Orgasmus erlaubten. Hin und wieder wurden allerdings Vorwürfe laut, die beteiligten Frauen würden in Wahrheit überhaupt keine Reizströme empfangen, sondern lediglich simulieren.

Am anderen Ende der Stadt trat Francine Descartes in einem Büro des Internet-Fernsehsenders ITV 4 nervös von einem Fuß auf den anderen. Der dicke, schwitzende Typ, der für das Casting verantwortlich war, hatte sie für einen Moment allein gelassen. Dies ließ ihr Zeit, sich noch einmal gut zu überlegen, ob sie diese Sache wirklich durchziehen wollte. Es war grotesk genug, dass sie sich schon zu diesem Interview bereiterklärt hatte und immer noch von Zweifeln geplagt wurde. Wenn sie das Geld nicht so außerordentlich dringend bräuchte, hätte sie das Gebäude längst eilenden Schrittes verlassen.

Ihre Augen schwirrten im Raum herum und hefteten sich von einem Gegenstand auf den anderen. Ein halbrund gebogener riesiger Plastikschreibtisch. Ein Monitor, über den eine Sendung flimmerte, in der gelochte Gurken-Dildos als neuer Sex-Artikel zum Selberbasteln angepriesen wurden. Eine Webcam. Ein Poster mit einer riesigen Revolvermündung, die auf den Betrachter zeigte, und darunter dem Slogan »Whoever finds a plot will be shot!« Ein hepatitisgelber Zettel an der Wand mit dem Text: »RATSCHLAG FÜR SEXUELLE BELÄSTIGUNG IM SENDER. Ratschlag für Redakteure: Wenn Sie die Beschwerdeformulare zur sexuellen Belästigung in der untersten Schublade aufbewahren, erhalten Sie, wenn sich die Frau eines hervorholt, einen wunderbaren Blick auf ihren Arsch.« Ein Mobile mit kleinen Vögelchen.

Endlich flog die Tür auf, und der Dicke stürzte in den Raum. Er hatte eine Glatze und trug eine Brille mit blau spiegelnden Gläsern, wie es dieses Jahr in Mode war. Dynamisch schüttelte er Francine die Hand. »So, jetzt. Mein Name ist Hiob, Jürgen Hiob, leitender Redakteur für unsere neue interaktive Real-Life-Game-Show FOX. Und Sie möchten sich dafür bewerben?«

Francine stockte einen Moment mit der Antwort, brachte sie aber schließlich über ihre Lippen. »Ja, das möchte ich gerne.« Sie hoffte, dass sie sich unterwürfig genug anhörte.

»Sie wissen, worum es geht?« Er machte sich an der Webcam zu schaffen.

»Ja. Das Grundprinzip der Sendung ist mir bekannt.«

»Okay.« Er ließ sich in seinen Sessel hinter dem Schreibtisch fallen und musterte seine Bewerberin. Feuerrotes Haar, gerade passend für eine Fuchsjagd. Dazu ein Gesicht wie ein Sahnebaiser und einen Körper, der bei jedem Betrachter mit Eiern in der Hose unweigerlich das Bedürfnis wecken würde, spontan drüberzuspringen. Man hätte keine bessere Kandidatin für die Sendung finden können, wenn sie sich wirklich gegen Tausende von Mitbewerberinnen hätte durchsetzen müssen. So war es ein geradezu unglaublicher Glücksfall.

Francine wies mit dem Kopf zur Webcam. »Läuft die?«

»Yup. Für mein … äh … Einführungsinterview mit Ihnen.« Er lachte. »Wenn wir uns für Sie entscheiden, stellen wir es ins Netz.«

Francine richtete sich zu ihrer vollen Größe auf, drückte ein wenig die Brust heraus und zwang den Drang nieder, sich mit der Hand noch einmal durch die Haare zu fahren. »Was möchten Sie denn wissen?« Für einen Moment sackte ihr die Stimme weg, und sie räusperte sich.

»Sie haben eben gesagt, dass Sie wissen, worum es in unserer Sendung geht. Ich fasse es trotzdem noch einmal für unsere Zuschauer zusammen. Der Titel unserer Gameshow lautet FOX. Wenn wir uns für Sie als Kandidatin entscheiden, dann werden Sie bei unserer kleinen Jagd der Fuchs sein. Ihre Aufgabe wird dann schlichtweg darin bestehen, in der City zu überleben, ohne von unseren Häschern gefangengenommen zu werden. Soweit ist alles klar, nicht?«

»Klar.«

»Nur wird das von uns geplante Format einen dreifachen Kitzel beinhalten, der diese Jagd für Sie etwas schwieriger und für unsere Zuschauer attraktiver machen soll. Die erste Auflage für Sie wird darin bestehen, dass Sie bei dieser Jagd mit nichts anderem bekleidet sein werden als mit einem etwas längeren T-Shirt unseres Senders. Sonst nichts. Damit müssen Sie für die Dauer unseres Spiels in der Innenstadt überleben. Trauen Sie sich das zu?«

Francine schluckte. »Ja, ich glaube, das kann ich bringen.«

»Und Sie glauben nicht, dass Sie sich dabei wie die letzte Schlampe vorkommen würden?«

»W-wie bitte?«

Hiob lächelte. »Sorry, aber in unser Casting soll ja auch ein wenig der Charakter der Bewerberinnen eingehen. Außerdem interessieren sich ja auch unsere Zuschauer dafür, was für ein Typ Frau Sie sind.«

»Also ich …« Francine stellte fest, dass sie nahe daran war, ins Stammeln zu geraten. »Ich gaube, ich könnte … ich würde mir das schon zu trauen.«

Hiobs Grinsen wurde breiter. »Okay. Aber Sie kennen auch Ihre zweite Auflage, wenn wir uns denn für Sie entscheiden sollten. Falls Sie von einem Zuschauer unserer Sendung erkannt und angesprochen werden sollten, haben Sie ihm für sexuelle Gefälligkeiten zur Verfügung zu stehen.«

Francines Kehle schnürte sich immer enger zusammen. »Darüber bin ich informiert.«

Hiob machte eine beschwichtigende Geste. »Wobei das für Sie mit großer Wahrscheinlichkeit nur ein theoretisches Problem darstellen wird. Sie wissen ja, dass sich in den letzten vier bis fünf Jahren die Internet-Sender auf dem Markt drängeln und gegenseitig die Zuschauer wegnehmen. Unsere eigene Quote ist auch alles andere als hoch. Eben das wollen wir ja durch innovative Formate wie dieses hier verändern. Aber letztlich ist die Chance in einer Millionenstadt wie dieser hier, dass Sie ausgerechnet auf jemanden treffen, der unsere Sendung kennt, doch extrem gering.«

Francine nickte stumm.

»Bleibt also lediglich unsere dritte Auflage, und auch das ist keine große Sache. Sie müssten sich damit einverstanden erklären, dass wir Ihnen spezielle Kontaktlinsen einsetzen, die über einen Chip alles, was Sie vor Augen haben, ins Netz übertragen werden. Das soll es zum einen unseren Jägern überhaupt erst ermöglichen, Sie zu finden, und zum anderen die Show für die Zuschauer attraktiver machen, die auf diese Weise Ihre Wahrnehmung teilen würden. Natürlich kämen für eine andere Perspektive die Aufnahmen der Ü-Kameras dazu. In Ihre Ohren wiederum werden winzige, aber höchst leistungsstarke Mikrofone installiert. Wären Sie auch damit einverstanden?«

»Ja. Das … wäre kein Problem.«

»Gut, dann nur noch ein paar Fragen zu Ihrer Person. Sie sind Studentin, sagten Sie?«

»Ja.«

»Was studieren Sie?«

»Kommunikations- und Kulturwissenschaft.«

»Warum möchten Sie bei diesem Spiel mitmachen? Ist es reiner Exhibitionismus, weil Sie schon immer gerne mal halbnackt durch die Fußgängerzone laufen wollten und dafür gerne ein Alibi hätten?«

Francine stieß ein Geräusch aus, das zwischen einem Auflachen und einem empörten Schnauben lag. »Was? Nein! Nein, das wohl kaum. Es ist … also zum einen ist es eine Herausforderung …«

»… und zum anderen reizen Sie vielleicht auch die eine Million Euro Preisgeld ein wenig, die Sie erhalten würden, wenn Sie die Jagd überstehen und sich zum vereinbarten Zeitpunkt auf dem Gelände unseres Senders wiederfinden würden?«

»Na ja …« Sie rang sich ein kokettes Lächeln ab. »Zu verachten ist das natürlich nicht.«

»Sie wissen aber auch, dass Sie für dieses Spiel einen finanziellen Einsatz leisten müssen, der selbst nicht ganz unbeträchtlich ist? Wir können es uns schließlich nicht leisten, dass unsere Kandidatin mitten im Rennen aussteigt, weil sie plötzlich erkennt, dass sie ihr Durchhaltevermögen doch überschätzt hat.«

»Ich bin gerne bereit, diesen Einsatz zu leisten.«

»Was ja, wie schon gesagt, keine geringe Summe ist. Woher hat man heutzutage überhaupt soviel Geld als Studentin? Schaffen Sie in den Semesterferien regelmäßig bei ›Slaves R Us‹ als … wie nennen die das? ›Besondere Begleiterin‹ ?«

Sie ging nicht darauf ein. »Mein Vater hat schon eine Lebensversicherung für mich angelegt, als ich noch ein Kind war. Die ist letztes Jahr zur Auszahlung gekommen.«

»Wir würden Ihnen auch eine Alternative anbieten. Falls Sie das Spiel vorzeitig abbrechen und dadurch unsere Sendung zerstören, wäre der Verlust an Werbekunden für uns natürlich wesentlich höher, als selbst Ihr finanzieller Einsatz auffangen würde. Sie müssten sich für diesen Fall also vertraglich verpflichten, uns für einen SM-Erotikfilm als … hm … passive Hauptdarstellerin zur Verfügung zu stehen. Könnten Sie sich so etwas vorstellen? Vor der Kamera gefesselt und ausgepeitscht zu werden, meine ich?«

Francine wurde sichtlich immer unwohler. »Ich habe nicht vor, Ihre Sendung zwischendrin platzen zu lassen.«

Eine erneute beschwichtigende Handbewegung. »Es ist halt nur so, dass Sie sich über all das von vorneherein im klaren sein müssen. Haben Sie denn einen starken Sexualtrieb?«

»Verzeihung?«

»Immerhin würden Sie sich als unsere Kandidatin für längere Zeit in einer Situation befinden, die einerseits erotisch aufgeladen ist, wo andererseits aber zunächst mal kein Partner für Sie zu finden ist. Sie werden in Ihrer Aufmachung schließlich kaum wildfremde Männer dazu auffordern, Sie mal ordentlich durchzuballern.«

Francine hatte immer mehr den Eindruck, dass die Demütigungen, die sie in diesem Vorstellungsgespräch über sich ergehen lassen musste, das eigentliche Testverfahren waren. Wenn Sie dem allem standhielt, würde sie sich auch als würdige Kandidatin für diese Show erweisen. Wenn ihr die Nerven durchgingen und sie schnippische Antworten gab oder das Gespräch abbrach, wäre die Sache für sie gelaufen.

»Ich glaube, ich werde es schon schaffen, ohne mich rollig auf dem Boden zu wälzen.«

»Kommen wir zurück auf die erotischen Dienste, für die Sie unseren Zuschauern eventuell zur Verfügung stehen müssen. Haben Sie zum Beispiel überhaupt schon einmal einem Mann einen geblasen?«

»Ich … ja, das habe ich schon einmal gemacht.«

»Auch öfter? Hat es Ihnen Spaß gemacht? Würde es Ihnen Spaß machen, wildfremden Kerlen einen zu blasen?«

Ihr Gesicht hatte immer noch nicht denselben Rotton wie ihr Haar erreicht. »Ich denke, das kann man erst in der konkreten Situation entscheiden.«

Hiob schmunzelte. »Was sind denn überhaupt so Ihre Masturbationsgewohnheiten?«

»Bitte?«

»Sie wissen ja: Alles, was Sie sehen, sieht auch der Zuschauer. Da müssen wir schon einigermaßen wissen, womit wir rechnen müssen. Außerdem ist das wichtig, um uns ein genaues Bild von Ihnen zu machen.«

Francine rang nach Worten.

»Schatz, ich kann einfach nicht verstehen, dass du es auf dich genommen hast, auf diese unverschämten Fragen überhaupt noch zu antworten«, erklärte ihr ihre beste Freundin Veronica einige Stunden später. »Niemals hätte ich das über mich ergehen lassen! Weißt du, was ich meine? Ich hätte ihm gesagt, wohin er sich seine doofe Webcam schieben kann, und wäre aus dem Raum gestürmt. Stehenden Schrittes.« Sie stach einen Strohhalm durch den Plastikdeckel ihres Milchshakes.

Francine seufzte. »Glaubst du, es hat mir Spaß gemacht, mich da vor seinen Augen herumzuwinden? Ohne zu wissen, wer diese Aufnahmen alle zu sehen bekommen wird? Himmel, so hab ich mich noch nie geschämt, noch nie in meinem Leben. Aber mein Gott: eine runde coole Million! Steuerfrei! Du weißt selbst am besten, wie dringend ich das Geld brauche.«

»Ja, ist mir schon klar. Darum hab ich damals doch überhaupt diese Bewerbung an deiner Stelle geschrieben. Aber ich hab doch nie im Leben damit gerechnet, was für eine Sendung sie daraus machen.«

»Na ja, du wusstest immerhin, dass es ›Humiliation TV‹ war, oder?« Auch Francine hatte einen Shake mit Strohhalm vor sich stehen und nahm einen kräftigen Zug. *schlüüürf* »Dass ich in einer Obscenity-Show keine Quizfragen würde beantworten müssen, war ja wohl klar.«

Humiliation-TV / Obscenity-Shows

Vorwiegend von sadomasochistischen Holländern konzipierte, über die neuen Fernsehsender des Internet-TVs ausgestrahlte Shows, die nach den Maßstäben des vorigen Jahrtausends schon jenseits der Grenze des guten Geschmacks liegen. Als Hauptgrund für ihre Herausbildung sehen Medienwissenschaftler zum einen die immer weiter auseinanderklaffende Einkommensschere zwischen Arm und Reich, die immer mehr Menschen dazu zwingt, sich auf die eine oder andere Weise zu prostituieren, zum anderen den lustvollen Aggressionsabbau durch eine »Demütigung des Nachbarn« und zum dritten die Ideologie einer Spaßgesellschaft, die der Bevölkerung medial mehr und mehr weismacht, ohne den geringsten Einsatz an Ausbildung oder Arbeit innerhalb weniger Wochen mehr Kohle machen zu können als Shakespeare in seinem ganzen Leben. Dieser Trend begann mit der Fernsehserie »Big Brother«, in der Menschen, die nichts anderes konnten als wohnen (und selbst das nicht besonders gut), zu Kultfiguren hochgejubelt werden. Immer häufiger lautete der heimliche Slogan junger Medienkonsumenten: »Ich kann nichts, ich weiß nichts, macht mich zum Star!«

Für einige von ihnen funktionierte dieser Mechanismus auch: Unter der einzigen Voraussetzung, dass bei ihnen intellektuell keine Gefahr bestand, sie könnten etwas von politischer oder sozialkritischer Bedeutung sagen, wurden spätpubertäre Nichtsnutze zunächst in einen kameraüberwachten Container gecastet und später mit dem Einsatz einer gigantischen Marketing-Maschine auf Bravo-Poster gehievt. Je unreifer sie waren, desto begehrter waren sie, da man bei ihnen zu Recht ein größeres Konflikt-, aber auch für die Zuschauer ein größeres Identifikationspotential sah. Wo das Fernsehen seinem Publikum früher Rollenvorbilder präsentierte, weckte es in ihm jetzt das Gefühl der Erhaben- und Überlegenheit. Recht schnell verbreitete sich ein weiterer Slogan: »Wenn Nullen Anerkennung brauchen, gehen sie in den Container.« Dass die Hausbewohner der dritten Big-Brother-Staffel mit dem Gebrauch einer einfachen Kinderwippe intellektuell überfordert waren, überraschte keinen einzigen Zuschauer.

Recht bald waren die Zuschauer jedoch von dieser Deppenbrigade mehr und mehr angenervt. »Nur noch megadoof ist auch nicht mehr geil«, brachte es ein Medienkritiker auf den Punkt. Das Publikum forderte neue Formate und vor allem für die immer astronomischeren Gewinnsummen immer höhere Einsätze. Das Umrechnen von persönlicher Würde und Integrität in bare Münze war ja auch nicht gerade einfach. So mussten die Kandidaten der Big-Brother-Nachfolgesendungen beispielsweise ihr eigenes Vermögen als Sicherheit setzen (es ging verloren, wenn sie während der Show absprangen) und sich vor allem immer extremer demütigen lassen. Bereits während der ersten Big-Brother-Staffel fand sich unter den Antworten zu einer Radio-Umfrage »Was würden sie für 250.000 DM alles tun?« die Bereitschaft, sich die Zähne oder eine Hand abtrennen zu lassen. Big-Brother-Erfinder John de Mol zeigte sich indes überzeugt davon, dass er es ohne größere Probleme auch schaffen würde, für eine Russisches-Roulette-Show acht Kandidaten zu finden, die mit einem Flugzeug abstürzen sollten, in dem es nur sieben Fallschirme gab. Das war ungefähr das Niveau, auf dem die ersten Obscenity-Shows stattfanden, nur dass anstatt mit Todesgefahr mit Erniedrigungen der Kandidaten gespielt wurde.

Aus diesem Grund etablierte sich als Synonym zu dem Begriff der Obscenity-Shows bald auch der Ausdruck »Humiliation TV«. Dieses Subgenre orientierte sich weniger an »Big Brother« als an Sendungen wie »Rache ist süß«, »Donnerlippchen« und »Mann-o-Mann«. Auch die von RTL II gesendete »Cash-Show«, in der Menschen dazu gebracht wurden, für 100 DM eine Rolltreppe abzulecken oder für 300 DM die Autos fremder Leute nackt oder nur in Unterwäsche bekleidet vollzutanken, gilt hier als ein Wegbereiter. Weitere Impulse gab diesem Format auch die RTL-Reihe »House of Love«, in der sich ein junger Mann mit fünf Frauen einen Loft teilte und am Ende eines Tages beim allgemeinen Beisammensein im Bett oder im Whirlpool einer der fünf Kandidatinnen ausführlich erklärte, warum er überhaupt nicht auf sie stehe (gerne, nachdem er sie gerade gevögelt hatte) – weshalb sie sich verziehen und ihre Sachen packen solle. Was sie auch tat, zusätzlich dadurch gedemütigt, dass die Übriggebliebenen amüsiert weiter miteinander lachten und scherzten.

Der Grundgedanke einer »Humiliation-Show« besteht darin, dass die darin auftretenden Kandidaten psychisch eine Reihe von öffentlichen Erniedrigungen zu überstehen haben, um schlussendlich einen Gewinn einzuheimsen. Dabei kam es zwischen 2000 und 2010 hauptsächlich zu zwei Veränderungen dieser Sendeform: Zum einen wurden die Shows immer geschmack- und gnadenloser, um die so entstehende demonstrative Empörung von Politikern als effektives, aber kostenloses Werbemittel einzusetzen. Zum anderen hatte sich das Publikum bald daran sattgesehen, wie etwa bei Kai Pflaume und Peer Augustinski fast ausschließlich Männer in demütigenden Extremsituationen zu erleben, so dass dieses Konzept zunehmend auf Frauen ausgedehnt wurde. Dies führte spätestens dann zu entschiedenen Protesten der feministischen Bewegung, als auf entblößten Titten oder Hintern einzelner Kandidatinnen die eintätowierten Namen von Werbepartnern des jeweiligen Senders prangten. Zwar versuchte der Gesetzgeber eilfertig, den Verbotsforderungen der Feministinnen Genüge zu tun, stieß dabei aber rasch auf große Hindernisse, als er feststellte, dass sich die zu sanktionierenden Internet-TV-Sender auf Standorte außerhalb des deutschen Hoheitsgebietes zurückgezogen hatten.

Inzwischen war längst eine sich immer wieder selbst am Leben erhaltende Spirale entstanden: Während die Shows immer greller, hemmungsloser, peinlicher und unverantwortlicher wurden, gewöhnte sich das Publikum zusehends selbst an die schlimmsten Exzesse. Dadurch, dass menschliche Kontakte bis hin zur Sexualität inzwischen hauptsächlich auf der virtuellen Ebene stattfanden, wurde das Gegenüber an sich oft schon nicht mehr als echter Mensch, sondern als Datenmenge wahrgenommen – dies galt erst recht im medialen Bereich. Allzu oft konnte dem Publikum offenbar nicht mehr der geistige Aufwand abverlangt werden, zwischen einer lebenden Kandidatin und einer allein aus Pixeln bestehenden Person wie Lara Croft zu unterscheiden. Selbst als manche Sender dazu übergingen, damit zu werben, dass in ihren Shows »Echte Frauen! Keine Sims!« erniedrigt und geschunden würden, zog auch dies bei den Zuschauern nicht mehr, weil niemand von ihnen bereit war zu glauben, dass jemand ungestraft und öffentlich auf die dargestellte Weise mit echten Menschen umspringen konnte. Selbst die authentischste Dokumentation wurde unterbewusst und automatisch in die Schublade »inszenierter Fake« eingeordnet. Vor diesem Hintergrund sagen Medienphilosophen dem Obscenity- und Humiliation-TV voraus, dass seiner momentanen Hochphase ein außerordentlich schnelles Ende folgen wird: Wer wolle sich schon die Demütigung einer Kandidatin ansehen, welche in Wahrheit über gar keine eigene Psyche verfügte, die es zu brechen galt? An ihre Stelle könne eine neue Welle aggressiver Comedy-Sendungen wie der »Balla-Balla-Show« treten.

»Entschuldige, aber um in einem Quiz fett die Kohle einzusacken, bist du nicht der richtige Typ. Ich meine, versteh mich nicht falsch, Schatz, du bist schon ziemlich clever. Aber du hast halt auch nicht tonnenweise Bücher zu allen möglichen Wissensgebieten intus, weißt du, was ich meine? Dafür hast du wirklich eine tolle Figur und siehst auch sonst klasse aus, und das ist ja eigentlich genau das, was in solchen Sendungen gesucht wird.«

»Ja, klar. Darum mache ich da ja auch mit.«

»Okay, Francine, ich hab mir halt gedacht, du schaust dir das an, und wenn es dir nicht zusagt, kannst du immer noch abspringen.« Veronica stocherte mit dem Strohhalm in ihrem Shake herum. »Weißt du, was ich meine? Ich hätte nie gedacht, dass du halbnackt durch die ganze Stadt marschierst! Und einen Einsatz musst du auch hinterlegen, das ist doch voll fies.«

»Ach, den krieg ich schon irgendwie zusammen. Den bekomme ich ja auf jeden Fall wieder, auch wenn ich von den Jägern geschnappt werde.«

»Nicht wenn du das Spiel selber abbrichst.«

»Und das ist genau das, was ich auf keinen Fall tun werde. Überleg doch mal: Eine Million nur dafür, dass ich durchhalte! Die Jäger kann ich schon irgendwie austricksen. Am Anfang werden die sich gar nicht so reinhängen, weil sonst ja das Spiel schnell zu Ende wäre. In der Spätphase leg ich die schon irgendwie aufs Kreuz.«

»Und was ist, wenn DICH jemand aufs Kreuz legt, Schatz? Weißt du, was ich meine?«

»Ach, das ist doch nur ein gefaketes Risiko, um die Show für die Zuschauer ein bisschen spannender zu machen. Bist du im Bilde, was für niedrige Einschaltquoten ITV hat? Und selbst wenn ich dem einen oder anderen von denen über den Weg laufe … oder lass es zehn sein! Die meisten Frauen machen doch schon für ein nettes Abendessen oder eine Perlenkette die Beine breit. Ich bekäme hunderttausend Eier für jedes Mal! Also wenn sich das nicht rechnet, weiß ich auch nicht. Zumal ich das Geld wirklich dringend gebrauchen kann.«

»Ja, klar, ist mir bekannt. Nee, wenn du das alles so erklärst, hört sich das eigentlich alles ganz logisch an, Schatz. Dann kann ich dir ja wohl nur noch viel Glück wünschen.«

FOX - wenn du verlierst, bist du Freiwild …

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