Читать книгу Evelinas Katzenzauber - Camilla Gripe - Страница 8

5.

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Evelina läuft raschen Schrittes in den noch hellen Frühlingsabend. Sie kann nicht schnell genug ins Lager kommen, wo sie ihre Freunde wiedersehen wird. Sie weiß, daß sie auf sie warten, und sie wird heute abend eine ganze Menge lernen und sich auch amüsieren, so ist es meistens.

Sie ist sich nicht ganz sicher, wen sie am liebsten wiedersehen will. Doch, es wird wohl Jaja sein, trotz allem. Der lebensfrohe Jaja mit seiner Gitarre und seiner schönen Stimme. Aber sie freut sich auch auf die alte weise Wahrsagerin Kassandra. Die Baumstämme lichten sich endlich, und ein Hang führt zu einem kleinen See hinunter. Sie sieht den Rauch der Feuer und hört Stimmen in der Ferne. Bald kommen zwei braune, zottelige Hunde stürmisch auf sie zugelaufen, springen an ihr hoch und lecken unter fröhlichem Gebell ihre Hände. Ihnen folgen viele Kinder verschiedenen Alters und scharen sich um sie.

Sie kennt sie alle seit ihrer Geburt, und viele haben sie auch besucht. Nun wollen sie wissen, wie es bei Evelina zu Hause auf Puckel steht und wie es Cora geht. Sie freuen sich sehr, als sie erfahren, daß Cora Junge bekommen hat. Ein Hauch von Unruhe überfällt Evelina, wenn sie von Cora spricht. Aber niemand könnte wohl den kleinen Kätzchen im Haus etwas antun, wenigstens nicht der Fuchs. Aber ... Dennoch bleibt das unsichere Gefühl.

Jaja kommt in seinem bunten Hemd auf sie zugelaufen. Die schwarzen Locken flattern, aber als er näher kommt, entdeckt Evelina graue Strähnen in seinem dunklen Haar und kleine feine Falten um seine pfefferbraunen Augen. Ein Gefühl leichten Wehmuts, aber auch großer Zärtlichkeit, überkommt sie. Wieviel Spaß sie doch zusammen gehabt haben, die zwei. Jaja und Evelina.

„Alles in Ordnung, Jaja?“

„Ja, wenn du hier bist ist Alles in Ordnung“, lacht er und umarmt sie. „Du mußt sofort zu Kassandra – sie hat die Kugel säuberlichst geputzt und hat wie immer viel zu erzählen.“

„Ich freue mich, sie zu sehen“, lächelt Evelina.

„Ich hoffe nur, sie wird nicht allzuviel von deiner Zeit in Anspruch nehmen,“ sagt Jaja. „Ich sehe, du hast die Kanne mit. Überlaß sie mir, und ich werde mit Sergej sprechen.“

Seite an Seite, und während Hunde und Kinder um sie herumspringen, gehen Jaja und Evelina den Hang hinunter zu einem Wohnwagen, der ein Stückchen von den übrigen entfernt am See steht. Dort verbeugt sich Jaja leicht und geht winkend rückwärts davon. Die Kinder sind auch stehengeblieben, dann machen sie kehrt und laufen wieder den Hang hinauf. Alle haben große Achtung vor der Wahrsagerin und wissen, daß Evelina sie zuerst besuchen wird.

Kaum hat sie an die Tür geklopft, ertönt von drinnen eine rauhe Stimme:

„Tritt ein, Evelina!“

Evelina steigt in den Wagen. Er ist einfach eingerichtet; eine Pritsche, einige Holzfässer dienen als Stühle um einen runden Tisch, auf dem ein großer Samowar aus Silber, Porzellantassen mit allen Sternzeichen als Dekor und in der Mitte die berühmte Kristallkugel stehen. Die Kugel fängt alles im Zimmer auf und spiegelt es wie Sonnenlichtreflexe in allen Regenbogenfarben an den Wänden wieder.

Kassandra selbst steht am Tisch, klein und zart wie ein Vogel. Ihr Gesicht ist von all den Falten fast kariert, die kreuz und quer über Stirn und Wangen laufen. Die Augen sind schwarz, wach und glitzern vor Neugier.

Sie ist dabei, die Karten zu mischen. Sie fliegen blitzschnell zwischen ihren mageren, runzeligen Fingern und landen immer wieder in Sekundenschnelle auf ihren Platz.

„Komm nur herein, mein Kind, und setz dich hin! Wir wollen Tee trinken.“

Sie legt das Kartenspiel weg und zapft roten Tee aus dem Samowar. Er ist siedend heiß. Evelina hebt die Tasse und schlürft vorsichtig.

Kassandra stellt ihre Tasse hin und zündet sich eine weiße Kreidepfeife an. Blaue Rauchringe steigen aus ihrer Nase. Sie wirft einen Blick auf das Kartenspiel und dann auf Evelina.

„Ich habe schon für dich die Karten gelegt“, sagt sie. „Wir haben diesmal viel zu bereden. Ich sehe jetzt, daß deine Aura noch mehr ins Blaue leuchtet.“

„Und was bedeutet das?“ flüstert Evelina atemlos und bläst in den Tee.

Ihre Ohren sind aufs äußerste gespitzt. Alles, was Kassandra sagt, fällt ins Gewicht. Aber Kassandra läßt sich nicht unterbrechen. „Ich habe auch Scharfgarbenstiele gebrüht und im Satz gelesen“, fährt sie fort. „Du weißt sicher schon, daß du die doppelte Fähigkeit zu sowohl schwarzer als auch zu weißer Magie besitzt. Deine äußerst blaue Aura deutet darauf hin, daß du dich gerade in einer wichtigen Entwicklung befindest.“

Sie macht eine Pause, zieht die Kugel näher zu sich und stellt die Kerzen in einem Kreis um sie herum auf. Dann erhebt sie sich und schaut den Kreis von allen Seiten durchdringend an.

„Hier ist es ähnlich“, sagt sie schließlich.

Sie setzt sich wieder hin, bläst noch ein paar blaue Rauchringe, legt die Pfeife auf einen Zinnteller und nimmt die Teetasse. Sie bläst in den Tee, bevor sie einen Schluck trinkt.

„Das alte Frauenzimmer wird alt, weißt du“, kichert sie plötzlich. „Ich kann nichts Heißes mehr vertragen.“

„Der Tee schmeckt sehr gut“, sagt Evelina höflich.

„Malven, Lindenblüten und Kamille, will ich meinen! Doch, mein Kind. Deine Entwicklung hat noch nicht ihren Höhepunkt erreicht. Ich hole jedesmal die Pik-Dame und den Kreuz-Buben heraus. Aber bestimmt gibt es auch einen Herz-König, aber das brauchen die Karten ja nicht zu erzählen. Das wissen wir auch so. Aber erst mußt du die zwei Schwarzen loswerden.“

„Wer sind sie denn? Der Bube und die Dame?“

„Das wirst du bald erfahren“, sagt die Kassandra barsch. „Du mußt sie auf jeden Fall hinbiegen, alle beide, aber ohne sie zu zerbrechen.“

Evelina saugt jedes Wort auf. Die Hand mit der Teetasse ist auf halbem Weg zum Mund stehengeblieben, ihre Augen sind weit aufgerissen.

„In der Kugel ist auch ein Wasser zu sehen, ein kleines Wässerchen, eine Quelle oder auch ein Teich, das von einer gewissen Bedeutung sein wird. Aber es gibt viel schwarze Magie auf Umwegen. Du mußt einen Weg finden, sie zu zügeln.“

„Aber wie denn? Was soll ich eigentlich tun?“ Evelina beugt sich eifrig zu ihr vor.

„Du wirst erfahren, was du erfahren mußt, Evelina. Der Weg dahin ist lang und voller Gestrüpp. Aber du hast einen Begleiter mit vier Beinen und neun Leben.“

„Meinst du meine Katze Cora? Was weißt du von ihr?“

„Ihr Schicksal ist eng mit deinem verbunden.“

„Aber liebe Kassandra! Wann wird das alles eintreffen? Und wie werde ich es wissen?“

Kassandra schaut sie lange an mit ihren schwarzen Augen, ohne etwas zu sagen. Dann legt sie ihre kleine laubdünne, runzelige Hand auf dem Tisch über Evelinas und spricht mit noch leiserer, rauherer Stimme als vorher.

„Du wirst bemerkenswerte Dinge erleben. Böse und gute Kräfte arbeiten zusammen. Du kannst das Werkzeug dafür sein, daß das Gute siegt – wenn du mit deinen Fähigkeiten vernünftig umgehst und deinem Instinkt folgst –, auch wenn es alles im Augenblick unbegreiflich und sogar falsch erscheint. Aber denk dran: ‘Biegen ohne zu brechen!’ Das ist wichtig.“

Evelina knallt ihre Rosentasse auf den Tisch. Eine kleine hektische Röte verbreitet sich über ihre Wangen.

„Aber Kassandra! Ich will solche Bedeutung gar nicht haben. Ich bin mit meinen Cremes und Salben gegen alle möglichen Leiden völlig zufrieden. Ich will auch dieses Jahr meinen kleinen Stand auf dem Markt haben. Ich will nichts von deinen Pik-Damen und Kreuz-Buben wissen! Ich ... ich ...“

Sie schüttelt den Kopf und weiß nicht, was sie noch sagen soll. Kassandra winkt etwas ungeduldig mit ihren kleinen Händen.

„Tja, tja, tja! Du machst es dir aber einfach. Aber die Welt besteht nun mal nicht nur aus Hühneraugen und Blähungen. Du weißt sehr wohl, daß es Ängste und Kummer ganz anderer Art gibt, nicht wahr? Schlechtes Gewissen, Schuld, Sehnsucht, unglückliche Liebe, unerfüllte Wünsche ... Seelenweh – viel schlimmer als Bauchweh. Und du hast die Fähigkeit, gegen das alles etwas zu tun. Außerdem stehst du mitten in einem Kraftfeld, im Zentrum des Geschehens. Du mußt ganz einfach eingreifen. Möchtest du übrigens noch etwas Tee?“

Evelina schüttelt den Kopf und seufzt.

„Es wirkt alles sehr schwierig“, sagt sie verzweifelt. „Gewiß! Sehr schwierig! Aber denk jetzt nicht mehr dran!“

Evelina schaut düster auf den Tisch.

„Es ist ungerecht“, sagt sie „Du bist doch viel klüger als ich. Du solltest dich um diese Dinge kümmern.“

Kassandra nimmt die Pfeife und klopft sie ungeduldig gegen den Teller aus.

„Schau, Kind! Red jetzt kein dummes Zeug! Ich bin nichts gegen dich. Freilich kann ich wahrsagen und die Zusammenhänge sehen – aber ich kann nichts bewirken oder verändern. Das ist Mein Schicksal! Du stellst dich dumm, weil du Angst hast und faul bist – das ist verständlich. Du wirst dennoch aktiv werden, wenn die Zeit gekommen ist. Geh dich jetzt amüsieren! Aber vergiß nicht deine Kleinen daheim. Die Vierbeinigen ... und die, die alle Sprachen kann, Harlekin!“

„Was soll das heißen? Wer ist Harlekin?“

„Nur eine Katze kann drei Farben haben. Das begreift jeder.“

„Aber wer ist Harlekin?“

„Man wird sie später Harlekin nennen. Aber du hast ihr jetzt schon den richtigen Namen gegeben und verstanden, daß sie alle Sprachen beherrscht.“

„Meinst du unser Kätzchen Semanta?“

In diesem Augenblick hören sie ein schwaches Klopfen an der Tür. Jemand pfeift da draußen leise eine Melodie. Kassandra lächelt unergründlich.

„Evelina! Ich habe dir schon alles gesagt. Der Herz-König wartet. Er kann dir etwas schenken, was jetzt für dich wichtiger ist. Nimm es an – aber vergiß nicht das andere. Ich bin jetzt müde. Geh jetzt!“

Die kleine runzelige Hand fällt sanft auf den Tisch. Die Kristallkugel leuchtet schwächer, und die Kerzen flakkern. Kassandra scheint ganz plötzlich eingeschlafen zu sein. Evelina steht langsam auf, geht zu der alten Dame und gibt ihr einen Kuß auf die Wange.

„Danke“, flüsterte sie. „Ich werde versuchen, das, was du mir gesagt hast, anzunehmen.“

Kassandras Augen sind geschlossen, und ihr Mund lächelt versonnen.

Vielleicht schläft sie, vielleicht will sie nur zeigen, daß die Zeit um ist.

Evelina schleicht sich leise davon. Zuerst bläst sie die Kerzen aus, dann öffnet sie die Tür. Ein kühler Luftzug kommt ihr entgegen und zwei geliebte Arme.

„Endlich!“ flüsterte Jaja in ihr Haar. „Kassandra hatte heute viel auf dem Herzen. Nun werden wir die Zeit anbinden, damit sie uns nicht davonläuft.“

„Ja, heute abend will ich nicht mehr denken“, sagte Evelina und holt tief Luft.

Evelinas Katzenzauber

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