Читать книгу Margeaux - Bestechende Sünde - Caprice Chambéry - Страница 5

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Kapitel 2

»Es tut mir leid, Monsieur Ferentino, aber die Stadt Paris wird Ihnen zu diesem Zeitpunkt keine Lizenz ausstellen«, erklärte sie sachlich und erlaubte es dem grandiosen Büro, in dem sie saß, nicht, sie einzuschüchtern. Sie schritt zu ihrem Platz, nachdem sie in der vierunddreißigsten Etage des beeindruckenden Hochhauses ›Carpe Diem‹, durch die riesige Fensterfront, einen kurzen Blick auf den markanten ›Grande Arche‹ im Viertel ›La Défense‹ geworfen hatte. Sie erwartete ein Plädoyer, eine Bestechung oder vielleicht eine Drohung.

Salvatore Ferentino hatte nicht nur in Paris einen furchterregenden Ruf. Als Italiener neapolitanischer Herkunft und Eigentümer zahlreicher fragwürdiger, um nicht zu sagen, zwielichtiger Clubs, in denen vorrangig der Prostitution nachgegangen wurde, Casinos in den Staaten und sonstiger profitabler Unternehmungen, war er ein Mann, für den Frank Sinatras Song-Titel ›I did it my way‹ zur wahren Lebensphilosophie geworden war. Seine lange Geschichte, die Grenzen der Legalität zu umgehen, um das zu bekommen, was er wollte, war bis in Regierungskreise bekannt, aber er war nie leichtsinnig genug gewesen, um die Grenze auf eine Weise zu überschreiten, die ihn mit der französischen Justiz unmittelbar in Konflikt gebracht hätte. Hinzu kam, dass man dem Mann, der gebürtig aus Salerno kam, direkte Verbindung zur ›Camorra‹ nachsagte – auch wenn man ihm die bislang nicht hatte nachweisen können.

Ferentino starrte sie an, die Hände zusammengehalten, so dass sich die Fingerspitzen berührten, das Kinn stützten und leicht gegen die Lippen drückten. Er war ein großer Mann, schwer und übergewichtig. Sein Teint war dunkel und mediterran, und sein mit Pomade versetztes Haar war streng nach hinten gekämmt. Der Anzug, den er trug, war teuer und maßgeschneidert. Seine goldenen Manschettenknöpfe funkelten mit den eingelassenen Diamanten in einer farbenfrohen Darstellung von Reichtum und Macht.

Er schien weder wütend oder enttäuscht über die Ablehnung zu sein – eher konnte man den Ausdruck eines gewissen Amüsements in seinem, in den Mundwinkeln liegenden, Lächelns erkennen, das seine Augen nicht erreichte. Ferentino betrachtete sie nachdenklich, dann umspielte ein Grinsen seine Lippen. Er wandte sich der neben ihm sitzenden Frau zu und flüsterte ihr etwas hinter vorgehaltener Hand zu.

Sie lächelte und nickte.

Die Frau war ihr nur als seine Assistentin ›Serafina‹ vorgestellt worden. Sie war ausgesprochen hübsch und saß steif, mit geradem Rücken und verschränkten Händen im Schoß, neben ihrem Boss. Bislang hatte sie während der Besprechung noch kein Wort von sich gegeben.

Ferentino drehte sich wieder zu ihr und grinste breit. »Signora Valloire ... oder darf ich sie Margeaux nennen?«, fragte er.

»Signora oder Madame Valloire wird es vorerst tun«, erwiderte Margeaux, die seinen Manipulationen nicht erliegen wollte.

Er lächelte wieder, ohne jedes Zeichen einer Irritation. »Signora Valloire, ich schätze Ihre Offenheit in dieser Angelegenheit ... Darf ich erfahren, warum mein Antrag abgelehnt wurde?«

Margeaux fischte in ihrer Tasche nach einer Akte, die sie hervorholte, auf ihrem Schoß aufschlug und ihr ein entsprechendes Dokument entnahm. »Der Antrag auf eine Ausschanklizenz, beziehungsweise Wirtepatent, für den ›Secret Girls Club‹ ...«, las sie den angefragten Grund vor, wobei sie eine Pause einlegte und ihre Abscheu kurz über ihr Gesicht huschen ließ, »wird kurzerhand abgelehnt. Der ›Service Cabaretage‹ der ›Administration des douanes et accises‹ stellt fest, dass der Antrag nicht den staatlichen Gesetzen entspricht, was den moralischen Anstand in Bezug auf zu vermutende Prostitution anbelangt. Diesbezüglich wird auf die Entscheidungen der Nationalversammlung in den Jahren 2003, 2011 bis 2016 verwiesen und die Paragrafen ...«

Ferentinos Lächeln wurde nicht weniger. Er nickte nur leise, während Margeaux den Rest des Urteils vortrug. Erst als sie die Schlussbemerkungen erreichte, kehrte er zu seinem kontemplativen Blick zurück. »Und Sie, Signora Valloire, ... waren auch Sie an dieser Entscheidung beteiligt?«

»Monsieur Ferentino, wie Sie sehr genau wissen, war ich diejenige, die Ihren Antrag zur Bearbeitung auf den Tisch bekommen hat«, antwortete Margeaux.

»Spiegelt das Urteil, insbesondere auf die moralisch bedenkliche und unterstellte Prostitution bezogen, auch ihre Ansichten wider?« Er hob eine seiner buschigen Augenbrauen, als würde ihn der Gedanke überraschen, dass eine Frau Einfluss auf eine für ihn so gewichtige Angelegenheit hatte.

»Oui, oui, das tut es durchaus«, gab Margeaux kalt zurück und konnte ein wachsendes Gefühl der Empörung in sich spüren.

»Bene. Capito, Signora Valloire«, bemerkte er und hielt erneut inne. »Ist es mir gestattet, Sie höflichst zu fragen, was am ›Secret Girls Club‹ Sie so anstößig finden, dass es die Moral des französischen Volkes ins Wanken bringt?«

Margeaux fühlte, wie sie eine gewisse Verärgerung überkam und ein defensiver Drang, diesen ganz offensichtlich frauenfeindlichen Mann verbal zu attackieren und ihm genau zu sagen, was sie über sein schmutziges Unterfangen dachte. Aber sie zwang sich zur Ruhe und holte tief Luft. »Ich denke, der Wortlaut des Beschlusses sagt alles aus, was erforderlich ist, Monsieur Ferentino. Ihre Bewerbung um die Vergabe einer Ausschanklizenz ihm Rahmen des geplanten Gewerbes ist in Frankreich gesetzlich nicht vertretbar. Entsprechend bestand zu keinem Zeitpunkt eine andere Wahl, als Ihren Antrag ablehnend zu bescheiden.«

Ferentino lachte herzhaft, warf seinen Kopf etwas zurück und fasste sich an seinen Bauch. Es war ein polterndes Lachen, das durch den Raum hallte und die zierlichen Kaffeetassen auf dem Konferenztisch auf ihren Untertassen klappern ließ.

Auch Serafina lächelte, aber freudlos – auch wich sie nicht für den Bruchteil einer Sekunde von ihrer perfekten Pose ab.

Ferentino wischte sich mit den Fingern über die Augen, als er endlich zu lachen aufhörte. »Warum, Signora Valloire, sprechen Sie über Frankreich, als ob es ein Musterbeispiel moralischer Tugend wäre!« Er wuchtete seinen adipösen Körper vom Stuhl, schritt zur langen Fensterfront und blickte kurz hinaus, ehe er sich ihr wieder zuwandte. »Schauen Sie nach draußen, Signora, das ist Paris! Hier gibt es keine Moral. Es ist das stolze Zuhause für tausend Laster und Perversionen ... Ich kenne hier allein über ein Dutzend BDSM-Clubs und gleich mehrere Dutzend abgeschiedener Bordelle ... Haben Sie den ›Bois de Boulogne‹ vergessen, den klassischen Ort an Ausschweifungen und Prostitution schlechthin? Es gibt wohl kaum einen Ort auf der ganzen Welt, der Stadtteil für Stadtteil, so stark sexuell konnotiert ist. Und das schon von altersher. Dort unten finden sie weder Scham noch Moral. Sie müssen nur genau hinschauen und nicht die Sittenwächterin spielen, der das alles ein Dorn im Auge ist. Gehören Sie zu denen, die der bis ins Mittelalter zurückreichenden Tradition folgen, Paris als wieder auferstandene ›Hure Babylon‹ zu dämonisieren? Schauen Sie sich um, diese Hure finden sie hier an jeder Ecke! Ist es nicht gerade dieses erotische Fluidum, das Ihre Heimatstadt so flirrend und verführerisch macht, mit dem dazugehörenden ›savor vivre‹ und ›savoir faire‹, wie es das auf der ganzen Welt nur die Franzosen haben?«

Margeaux kniff die Augen zusammen und die Flut ihrer dunklen Stimmung drohte ihr besseres Urteilsvermögen zu überwältigen. »Abgesehen davon, dass ich keine Pariserin bin und extra Ihretwegen angereist, ist alles wahr, was Sie sagen, Monsieur Ferentino. Paris ist in der Tat eine Stadt, in der alles möglich ist, und der Staat bietet in dieser Hinsicht einen gewissen Spielraum. Doch auch in dieser liberalen Utopie wurde ihr Antrag abgelehnt. Was, frage ich Sie, sagt das über Sie aus, Monsieur Ferentino?«

Er drehte sich zu ihr herum. Seine Gelassenheit ließ nur für eine Sekunde nach, ehe er seine Wut wieder im Griff hatte und in freundlichem Ton erwiderte: »Das ist die reale Welt, Signora Valloire. Und in dieser realen Welt wünschen sich bestimmte Menschen, sowohl Männer als auch Frauen, Mädchen zu besitzen, die sie zu jedem Zweck nutzen können, um sich mit ihnen ihre schmutzigen Träume zu erfüllen. Das ist eine unumstößliche Tatsache, die selbst Sie nicht von der Hand weisen können. Und gedenken Sie meiner Worte: Ohne Legitimation, werden diese Leute einen Weg finden, ihre Gelüste zu befriedigen. Was der ›Secret Girls Club‹ zur Verfügung stellt, ist quasi eine legitime Steckdose, aus der Mann oder Frau sich bedienen können. Ein einvernehmlicher und sicherer Platz für anregende Erfahrungen.«

Jetzt war der Punkt erreicht, an dem Margeaux ihrem Ärger Raum gab. »Das ist falsch, Monsieur Ferentino«, spuckte sie. »Sie fordern den ›Service Cabaretage‹ auf, das Versklaven von Frauen zu legitimieren. Die Vagina ist kein Spielzeug für Männer! Ist Ihnen nicht bewusst, dass Frauen so entmenschlicht werden, auf einen Körper ohne Seele? Wie können Sie es richtig finden, dass Sexkäufern jegliche Form der Skrupellosigkeit erlaubt sein sollte? Wir Frauen sind keine Ware! Das ist doch wie Organhandel! Erwarten Sie tatsächlich von Frauen, dass sie ihre Brüste, ihre Vagina oder Anus auf eine Waage legen, damit Männer entscheiden, hier oder davon hundert Gramm oder ein halbes Kilo zu kaufen, damit sie sich austoben können?! ... Die Mädchen, die Sie anzubieten gedenken, wären bei Ihnen ja nicht einmal freie Sexarbeiterinnen. Sie wären Besitztümer, lebende ›Sex-Toys‹, die nach Belieben benutzt, missbraucht und weggeworfen werden können!«

Ferentino atmete hörbar durch die Nase aus und sammelte sich. Sein Ausdruck wurde weicher und das angenehme Lächeln breitete sich wieder auf seinem feisten Gesicht aus. Er kehrte an seinen Platz auf der anderen Seite des Konferenztisches zurück und setzte sich. »Es tut mir aufrichtig leid, dass Sie sich so fühlen. Ich wünschte, ich hätte Sie davon überzeugen können, die Dinge aus meiner Perspektive zu betrachten ... Aber wenn dies Ihre endgültige Entscheidung ist, dann hat es wenig Sinn, dieses Gespräch fortzusetzen. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag, Signora Valloire!« Damit wandte er sich dem Papierkram vor sich zu und sagte nichts mehr.

Margeaux sammelte ihre Unterlagen ein, stand auf, um zu gehen, nickte Serafina noch freundlich zu und wünschte Ferentino noch knapp »Guten Tag, Monsieur Ferentino!«, als sie aus dem Konferenzsaal marschierte.

***

Margeaux - Bestechende Sünde

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