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Kapitel 5 – Kriegswirren

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10. Juni 1857

Die Kleine ist beigesetzt. Tante Sophie hat mir keine Vorhaltungen gemacht, sie war wie ich am Boden zerstört, sie hat die Kleine sehr liebgehabt. Dennoch spüre die Vorwürfe in jedem ihrer Blicke. Die Beerdigung war furchtbar, das eigene Kind zu verlieren und ich bin doch selber erst 19 Jahre alt. Fast noch selber ein Kind.

Ich bitte Gott um Vergebung für meinen Starrsinn, immer und immer wieder!




15. Juni 1857

Ich bin in Laxenburg. Draußen regnet es. Der Kaiser wird noch einmal nach Ungarn fahren. Ich kann es noch nicht. Ich liebe Ungarn, ich werde es immer lieben, aber es geht einfach noch nicht. Ungarn ist Melancholie und tiefe Trauer. Sophie ist tot und der liebe, arme Herr Majlath hat sich schon vor zwei Jahren im Starnberger See gemeinsam mit seiner Tochter Henriette ertränkt, weil er kein Geld mehr besaß. Ich bin so in Kummer, dass ich fast nichts mehr essen kann. Mir wird schlecht, wenn ich nur ans Essen denke und ich ekele mich sogar ein wenig. Am liebsten würde ich der Sophie in den Tod folgen, so hoffnungslos fühle ich mich.


Warum lebt Tante Sophie und die Kleine ist tot? Überhaupt dieser Name, dieser schreckliche Name! Der Tod war sicher vorbestimmt, weil ich Tante Sophie hasse und auch diesen Namen immer gehasst habe.

Ich weine den ganzen Tag und ich kann auch die kleine Gisela nicht ansehen, ohne an Sophie denken und weinen zu müssen.

Und ich grüble über Dr. Seeburger nach, am liebsten würde ich den Hofrat entfernen lassen. Der Kaiser lehnt das strikt ab, da die Erzherzogin ihm Vertrauen schenkt. Aber wer nicht einmal Zahnen von Typhus zu unterscheiden im Stande ist? Dieser Mann ist unerträglich auf diesem Posten. Er muss weg.




25. Juni 1857

Heute habe ich in den Spiegel geschaut und bin richtig erschrocken. Ich sehe aus wie ein Gespenst, dunkle Augenringe, eingefallene Wangen, scharfe Gesichtszüge. Ich müsste essen. Mir wird schlecht, wenn ich nur ans Essen denke. Ich verkrieche mich einsam im Laxenburger Park unter den Bäumen, nur meine Tiere leisten mir Gesellschaft.

Franz meint, ich müsste endlich zur Vernunft kommen. In der Hofburg werde ich umziehen, da mich in den alten Räumen alles an die Sophie erinnert. Vielleicht wird es dann besser mit meinem Kummer.





13. Juli 1857

„Du wirst wirklich heiraten“, sage ich lächelnd, obwohl mir gar nicht nach Lachen zumute ist, nicht mal ansatzweise, nicht einmal nach lächeln, nicht einmal einsatzweise. Mein Maxi, mein Seelenverwandter, mein Verbündeter hier an diesem Hof, wird heiraten.


„Ja, das werde ich.“ Maximilian strahlt mich an.

„Am 27. Juli werde ich meine Charlotte endlich in Brüssel zur Frau nehmen können. Du wirst sie bald kennenlernen, hier sieh sie dir auf diesem Portrait an, ich trage es immer in meinem Amulett. Ist sie nicht reizend? Du wirst sie lieben, Sisi.“

„Sie ist reizend“, sage ich tonlos. Sophie wird sie vergöttern, ihre Linie aus dem Hause Sachsen – Coburg ist so viel edler als die meine. Und sie ist steinreich, viel reicher als meine unbedeutende Nebenlinie. Irgendwie hat Mama als einzige der Schwestern unter Stand geheiratet. Ihr Papa, mein Großvater, war König Maximilian I. von Bayern. Ihre Schwester Sophie heiratete an den österreichischen Kaiserhof, meine Tante Elise, meine Lieblingstante, den König von Preußen und meine Tante Maria Anna den König von Sachsen. Nur Mama musste mit einem unbedeutenden Vetter aus der Nebenlinie vorliebnehmen, meinem Vater.


Auch wenn ich meinen Papa von ganzem Herzen liebe, hätte ich meiner Mama einen anderen Gatten gewünscht, denn die beiden lieben sich nicht, was wir Kinder ganz deutlich spüren, Papa lässt die Mama auch ziemlich oft alleine und führt sein eigenes Leben, zudem wohl auch fremde Frauen und fremde Kinder gehören. Alle Angelegenheiten, welche die Vermählung der Kinder betreffen, überlässt er der Mama alleine.


Mama verliebte sich nämlich 1824 in Wien anlässlich der Hochzeit ihrer Schwester Sophie in Dom Miguel, einen portugiesischen Prinzen aus dem Hause Braganca. Dom Miguel war so angetan von ihr, dass er noch in Wien um ihre Hand anhielt. Großpapa allerdings lehnte seinen Antrag ab, weil Dom Miguel in Portugal einen Umsturz gegen seinen eigenen Vater angezettelt hatte und sich daher in Wien im Exil befand. Großmama, Königin Karoline von Bayern, bedauerte diese Entwicklung, da es selten sei, bei jungen Leuten eine so ausgesprochen natürliche Neigung zu finden wie in diesem Fall.


Als Miguel im Jahre 1828 doch noch König von Portugal wurde, hielt er umgehend nochmals um Mamas Hand an. Der Bote mit dem Brief, der an Ludovikas mittlerweile verwitwete Mutter gerichtet war, traf im September 1828 in Tegernsee ein.


Fünf Tage zuvor war Mama dort jedoch bereits mit Herzog Maximilian in Bayern verheiratet worden.


Ich kann Charlotte auf jeden Fall nicht leiden.




10. August 1857

Es ist furchtbar.

Ich hasse Charlotte!

Alleine der Galaempfang nach ihrer Hochzeit in Brüssel mit Maxi hier in Wien. Ich, die um mein Kind trauerte, musste teilnehmen, weil es sich so gehört, obwohl ich keine Feste feiern wollte.


Sie ist schön diese Charlotte, elegant, wohlerzogen, künstlerisch begabt, intelligent, plaudert in mehreren Sprachen und hat mir den Maximilian so entfremdet, dass er kaum noch Augen für mich hat. Nur kurz murmelte er ein paar tröstende Worte zu Sophies Tod. Das war nicht mehr mein Gefährte aus Italien, mit dem ich über Bücher und Kunst, über Poesie und Theater reden und so viel lachen konnte.


Der Hof liebt sie bei weitem mehr als mich. Alle Welt hat etwas an mir auszusetzen und ich kann mich nicht einmal zur Wehr setzen. Der Kummer hat mich richtig hässlich gemacht.


Sophie ist natürlich hin und weg von Charlotte, der sie nach der Hochzeit in Brüssel entgegengereist war. Sie lobt ihre Schönheit, Klugheit und wie zärtlich sie zu ihrem Maxi und auch zu ihr ist. Sie sei so zärtlich, dass sie glaube, Charlotte hätte sie schon immer geliebt und sie dankt Gott von Herzen für die charmante Frau, die er dem Maxi geschenkt hat.


Sophie ist so freundlich zu Charlotte, kein Wort der Kritik, alles an ihr ist so viel besser als bei mir.


Charlotte ist liebenswürdig, klug und benimmt sich tadellos!

Schön, wenn du das täglich hörst, dich wie der letzte Trampel vorkommst und am Trauern bist!

Und speziell von Sophie hätte ich etwas mehr Feingefühl erwartet. Denkt sie gar nicht mehr an ihre Fehlgeburten und an die kleine Maria Anna Karolina, ihr heiß geliebtes Ännchen, Franzls kleine Schwester, die sie 1835 gebar und die ihr vierjährig unter schlimmen Krämpfen genommen wurde. Sophie war damals untröstlich, die ganze Familie trauerte um das kleine Mädchen. Hat sie das alles vergessen? Sie hat doch auch ihr kleines Mädchen verloren und angeblich war auch damals der Leibarzt, ein gewisser Dr. Johann Malfatti, unfähig. Er erkannte weder die Krankheit, noch die Gefahr und behandelte die schweren Fieberschübe mit den üblichen Hausmitteln. Hat sie all das vergessen?



Ich habe mich jedoch für Sophies demütigende Worte gerächt und an diesem dämlichen Galaempfang das schönste Kleid, das ich besaß, ein weißes Organydkleid, angezogen, welches meine anmutige Figur und meine schmale Taille betonte. Ich trug eine Diamantenkette und meine Haare waren in Locken aufgesteckt und durch Diamantnadeln fixiert.


Charlotte von Belgien versank geblendet in einem tiefen Hofknicks und dachte sich wohl, wie kann das sein? Eben noch so trist, blass und hohläugig und jetzt eine so strahlende Schönheit?

Ihre Robe aus schwerer, feinster Seide wirkte neben mir langweilig und sie bewegte sich wesentlich ungeschickter als ich, die ich mich graziös zu ihr hinabbeugte und mein Maxi hielt baff vor Staunen sehr lange meine Hand in der seinen. Charlotte wird verdammt froh sein, dass die Feierlichkeiten wegen Sophies Tod auf ein Minimum beschränkt sind und sie bald mit Maxi nach Italien reist.





17. August 1857

Sie sind so gemein. Tante Sophie hat einen Schönheitswettbewerb am Hof durchgeführt. Eine Wahl zur schönsten Dame von Schloss Schönbrunn – mit zwei Beteiligten – Charlotte und mir.


Charlotte hat gewonnen – oh Wunder. Das war ganz sicher abgesprochen. Hoffentlich zieht Maximilian wirklich bald mit ihr nach Triest.


Dann wird mir zumindest ihr Anblick erspart.





25. August 1857

Mama ist da, mit Marie, Mathilde und Sophie, drei meiner jüngeren Schwestern. Jetzt wird alles gut.

Sie rät mir, mich nicht in der Trauer zu vergraben, sondern mich um meine zweite Tochter, die Gisela, zu kümmern. Sie hat ja recht, aber ich kann Gisela nicht ansehen, ohne an Sophie denken und weinen zu müssen, da sie Sophie angesteckt hat. Ich bin froh, dass Gisela in Wien ist und ich in Laxenburg, wohin ich nach den Tagen des Galaempfangs postwendend wieder hin geflohen bin.




24. Dezember 1857

Ich bin schwanger. Mit dem Reiten und den engen Miedern, die ich so gerne trage, ist es vorerst wieder vorbei. Ich werde fett und hässlich und das hasse ich. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Frauen gerne schwanger sind. Franz Joseph hat mir erzählt, dass Maria Theresia 16 Kinder zur Welt brachte. Unvorstellbar und sie war leider auch unvorstellbar fett gewesen. Der Kaiser hatte den ganzen Herbst kaum Zeit für mich. Sitzungen wegen Ungarn, die zurückgekehrten Emigranten verlangen natürlich nach einer ungarischen Verfassung und auch in Mailand, der Lombardei und Venetien wächst die Unruhe. Über diese Themen rede ich freilich nicht mit dem Kaiser, sondern mit Grünne, mit dem ich bis zu meiner Schwangerschaft ausritt.





30. Dezember 1857

Ich mache ausgedehnte Spaziergänge, manchmal begleitet mich mein Franzl. Aber er hat meistens keine Zeit und ich muss alleine flanieren gehen. Hoffentlich wird es diesmal ein Junge, ich habe einen Sohn verdient, vor allem, wenn ich an dieses furchtbare Büchlein auf meinem Schreibtisch denke.

Wahrscheinlich hat es die Erzherzogin höchstpersönlich auf meinen Sekretär gegeben. Zuzutrauen wäre es ihr.


Auch um Néné sorge ich mich. Sie ist schon 22 Jahre alt, fast zu alt zum Heiraten, malt und pflegt die Kranken im Ort. Jetzt hat sie sich endlich verliebt, in Erbprinz Maximilian von Thurn und Taxis, der um ihre Hand anhält, dem König von Bayern aber nicht ebenbürtig genug ist. Mama schreibt jeden Tag an mich, wahre Brandbriefe, damit der Kaiser oder ich beim König intervenieren und die Néné den Maximilian heiraten kann. Ich schreib eifrig hin und her und beruhige Mama und Nene. Das bin ich ihr schuldig wegen Ischl. Man wird es nicht wagen, sich de der Kaiserin von Österreich zu widersetzen und alles wird sich gut ausgehen.


Zudem schreibt Mama mir auch wegen der armen Marie. Sie soll den Kronprinzen von Neapel heiraten, den in unserer Familie aber niemand kennt und sie ist eine außerordentliche Schönheit. Zudem hat sie ziemlich Angst, weil er nicht hübsch sein soll, sehr fromm ist und sie ihn nicht kennt, was ich gut verstehen kann und von Papa hat Mama bei solchen Angelegenheiten keine Unterstützung.


Außerdem habe ich schon viel Negatives über den Kronprinzen von Neapel gehört. Er ist kein liebenswürdiger junger Mann.




05. März 1858

Mir ist ständig schlecht und ich muss dauernd brechen. Tante Sophie meint, es würde dann ein Junge werden. Ich hoffe sehr, dass sie recht hat, aber sie hat vier Sohne und wird diese Beschwerden deuten können. Und ich weine mehr als nach dem Tod von Sophie, auch ohne Grund.


Zudem darf ich nicht mehr mit meinen Hunden spazieren gehen, um dem Erben nicht zu schaden.





05. August 1858

Franz hat mir heute von seinem ungarischen Problem erzählt!

Vom Grafen Gyula Andrássy!



Als leidenschaftlicher Patriot nahm dieser 1848 an der ungarischen Revolution gegen die Habsburger teil. Er war Anführer des Landsturms im Kampf gegen die kaiserlichen Truppen bei Schwechat sowie ungarischer Gesandter in Istanbul. Nach Niederschlagung der ungarischen Revolution wurde er in Abwesenheit zum Tode durch den Strang verurteilt. Er war nämlich nach Paris geflüchtet, wo er die Comtesse Katharina Kendeffy heiratete, und zog später nach London. Jetzt ist er nach Budapest zurückgekehrt, da der kaiserliche Erlass aufgehoben und seine beschlagnahmten Güter in Ungarn wieder freigegen wurden, sodass der Graf straffrei in seine Heimat zurückkehren kann.


Man nennt ihn den schönen Gehenkten und böse Zungen behaupten, dass auch seine schöne Comtesse es nicht vermag, ihn zu zähmen.

Ich bin schon sehr gespannt auf ihn!


Vielleicht kann ich ja in der ungarischen Sache vermitteln, die Ungarn mögen mich und auch, wenn es der Franz nicht zugibt, seine Schuld am ungarischen Blutbad und all den gehenkten Generälen lastet immer noch schwer auf seinen Schultern.



Ich schließe die Augen.


Die ungarische Tracht soll wunderschön sein, sie wird mich zieren wie keine andere Kaiserin zuvor, nicht einmal Maria Theresia wird in der ungarischen Tracht hinreißender ausgesehen haben.





21. August 1858

Bang sehe ich zu Franzl, den Leibarzt und der Hebamme.

Gestern ist in Schönbrunn ein Kronleuchter im Spiegelsaal ohne erkennbare Ursache von der Decke gestürzt und am Boden in tausend Stücke zerschlagen, wie mir die Bellegarde mitteilte. Ein schlechtes Omen!

Die Geburt war quälend lang und alles tat mir scheußlich weh.

Die Hebamme hält mein Kind im Arm.

„Ist es ein Sohn“, frage ich bang.

„Die Hebamme weiß es noch nicht“, sagt der Kaiser und ich zucke zusammen. Wieder nur ein Mädchen, ganz gewiss wieder nur ein Mädchen.

„Ach gewiss nur ein Mädchen, wieder nur ein Mädchen“, sage ich enttäuscht und richte mich erschöpft ein wenig auf.

„Nun, wenn es doch ein Knabe wäre“, fragt Franz mit seltenem Schalk in seinen blauen Augen und mein Herz vollführt aus purer Erleichterung wahre Jubelstürme.


„Ist es wirklich wahr“, frage ich mit klopfendem Herzen. Über mein Gesicht huscht ein jähes Lächeln.

„Gratulation Majestät, Sie haben einen gesunden, kräftigen Sohn, ein toller Bursche“, pflichtet die Hebamme dem Kaiser bei, zeigt mir meinen nackenden Prachtburschen. Die Erzherzogin, die neben der Hebamme steht, lächelt und nimmt der Hebamme das Baby aus dem Arm. Sie hält es hoch, hält kurz inne, besinnt sich und legt es mir in die Arme.

„Wie schön der Kleine ist“, sage ich schluchzend.


Franz laufen die Tränen über das Gesicht.


„Ein strammer Bursche ist er auf jeden Fall, kein Jung Siegfried, aber mit der richtigen Erziehung wird er einer werden und kein Kreiperl bleiben. Wir werden ihn Rudolf nennen, nach dem ersten Habsburger auf dem Thron des Heiligen Römischen Reiches“, sagt Franzl und drückt lächelnd meine Hand. „Du weißt ja, dass ich gerade das Grab Rudolfs von Habsburg in Speyer restaurieren lasse. Ich hoffe, an die alte Tradition der Habsburger Herrschaft über ganz Deutschland anzuschließen, die Kaiser Franz 1806 mit der Niederlegung der römischen Kaiserkrone aufgegeben hat. Auf unseren kleinen Rudi setzte ich große Hoffnungen. Auch dich will ich aus lauter Freude beschenken, liebe Sisi.“


Etwas umständlich legt er mir eine dreireihige Perlenkette um.


„75.000 Gulden“, flüstert er mir ins Ohr. „Und dich Rudi“, er schaut zu dem kleinen Rudi in die Wiege, „dich mache ich zum Oberst der Armee, damit du, der mir aus Gottes Gnade geschenkt wurde, der braven Armee dienst, ich lege dir den Orden des goldenen Vlieses in die Wiege. Und ich will, dass zu deinen Ehren die Reichen den Armen Almosen geben, zum Beispiel die Bankiers den Wöchnerinnen, den Findelkindern und den Kriegspopfern. Selbst die Provinzen werden an meiner Freude teilhaben, die Kroaten, die Slawonen, die Serben, das Banat und Siebenbürgen. Der Erbe des Reiches!“ Er klingt so stolz und ich bin es mit ihm.


Der kleine Rudolf Franz Karl Joseph ist Kronprinz und Thronfolger von Österreich, königlicher Prinz von Ungarn und Böhmen, der Lombardei, Venetien, Dalmatien, Kroatien, Slawonien, Galizien, Lodomerien und Illyrien. Vielleicht, nein gewiss, wird er einmal ein guter Herrscher, modern und liberal und gibt dem Land seine Konstitution und den Völkern seine Freiheit, denke ich ein wenig ketzerisch und setze große Stücke auf meinen Sohn, nur in anderer Form als der Kaiser es tut.


Für den gilt nur die militärische Ausrichtung des Knaben, sucht er doch erneut Karoline Freifrau von Welden, die kinderlose Witwe eines Feldzeugmeisters als Kinderfrau für Rudi aus, eine Frau, die keine pädagogische Vorbildung oder Erfahrungen mit Kindern hat, aber schon bei meiner Sophie als Kinderfrau diente. Witzigerweise mag Gisela sie. Vielleicht ist sie doch eine gute Wahl für Rudi und ich tu ihr Unrecht.


101 Kanonenschüsse zerreißen die Stille meiner Gedanken und teilen den Wienern mit, dass ich in Laxenburg einen Sohn zur Welt brachte und das Kaiserreich nun einen Kronprinzen hat.


Von der alten Prophezeiung, dass das Geschlecht der Habsburger mit einem Rudolf begonnen habe und mit einem anderen enden würde, will der Kaiser nichts wissen. Mir graut es bei diesem Namen, ich werde ihn nur Rudi nennen.



28. August 1858

In meinen Brüsten steigt schmerzhaft die Milch auf und ich habe Fieber. Sehr ärgerlich, da diese Milch unnütz ist, denn Kaiserinnen stillen ihre Kinder nicht, dafür eine mährische Bäuerin, die Sophie für Rudi ausgesucht hat. Dabei soll sie alle Kinder selbst gestillt haben, was ihr wohl entfallen ist. Seeburger meint, dass meine Milch durch mein Fieber vergiftet sei und ich den Kleinen damit gefährden würde. Ich habe doch nur Fieber, weil diese unnütze Milch aufsteigt. Und der will ein Mediziner sein!


Ein bayerisches Mädel kann ihrem Kind die Brust geben, aber nicht die Kaiserin von Österreich. Ich wäre viel lieber ein bayerisches Landmädchen. Die Schmähschrift auf dem Sekretär hatte recht. Die Landesmutter ist eine Gebärmaschine, alles andere hat sie nicht zu interessieren, nicht die Politik und nicht einmal die Ernährung und Erziehung der Kinder, die sie zur Welt gebracht hat.


Ich liege fiebernd im Bett, während ganz Wien in rauschenden Bällen und prächtigen Paraden die Ankunft meines Sohnes zu feiern scheint.




18. September 1858

Beerdigung Margaretes!

Sie war meine Cousine, die Tochter von meiner Tante Amalie, einer der Schwestern meiner Mutter, der Königin von Sachsen. Margarete war lieb und lustig und hatte meinen Schwager Karl Ludwig geheiratet. Auf einer Reise nach Oberitalien, die der Erzherzog mit ihr unternahm, erkrankte Margarete bei einem Aufenthalt im königlichen Lustschloss in Monza an Typhus. Sie starb am 15. September und wurde nur 18 Jahre alt.

Wahrscheinlich klopft der Tod auch schon bei mir an. Ich mag nichts essen, habe Fieber, bekomme keine Luft und mein Herz rast und klopft wie verrückt.


10. Oktober 1858

Die Geburt war schwer und ich erhole mich immer noch nur langsam. Ich bin noch recht schwach und die Erzherzogin hat den Kleinen zu sich geholt. Ist besser so.

Sie wissen ja alle ohnehin besser Bescheid als ich, was aus Rudolf werden soll. Allein dieser hochtrabende Vergleich zum ersten Habsburger, welch Bürde! Der Kaiser will ja einen Soldaten aus ihm machen. Was ist, wenn er mein Naturell geerbt hat und lieber liest, malt oder musiziert und keine Freude und kein Talent für das Schießen hat? Ich mag gar nicht daran denken, wenn ich den kleinen Wurm in den Armen halte.


Ich lenke mich mit der Gesellschaft meiner Papageien und den Wolfshunden ab und schreibe eifrig Gedichte, in denen ich vom lieben Bayernland und den Bergen träume.



Von meiner Schwester Marie habe ich einen Brief erhalten. Die Arme erwartet nächstes Jahr das Übel der Heirat und ihr graut schon jetzt. Sie wird mich im Januar besuchen auf dem Weg in ihr italienisches Gefängnis. Ich freue mich schon sehr, sie wiederzusehen. Ich vermisse alle unendlich und wünsche mir manchmal, der Franzl hätte die Néné genommen.


Sie war die eigentliche Siegerin damals in Bad Ischl!


PS: Mama war da mit unserem Leibarzt Dr. Fischer, zu dem ich natürlich mehr Vertrauen habe als zu dem unsäglichen Dr. Seeburger, der an Sophies Tod schuld ist und als Arzt nichts taugt. Ich habe nach wie vor manchmal Fieber, bin schwach und appetitlos, traurig und gleichgültig.




10. Januar 1859

Marie ist hier, auf dem Weg in ihr italienisches Gefängnis, sie wurde schon 1857 per procura mit dem Kronprinzen von Neapel – Sizilien verheiratet.


Marie, geliebte kleine Schwester. Wie schön du bist. Voller Lebenslust. Ich möchte nicht daran denken, was dich im fernen Neapel erwarten wird. Ich werde sie bis nach Triest begleiten.


Die nächste von uns Schwestern, die im zarten Mädchenalter verheiratet wird.


Für Mama ist eine Verbindung mit dem neapolitanischen Königshaus natürlich eine gute Partie. Was wir fühlen, ist egal. Maries Franz soll nachdem, was ich gehört habe, hässlich, missgestaltet, kränklich und geistig schwach sein.


„Wenigstens ist er, wie man hört, fromm“, sage ich und Marie bricht in wieherndes Gelächter aus, während sie hektisch an ihrer Zigarette zieht, die wir beide heimlich rauchen.

„Das ist für mich das allerschlimmste überhaupt. Bis auf Nene sind wir doch alle nicht fromm, Schwesterherz. Wenigstens ist sein Vater schon recht alt, er wird bald König und ich bekomme meine Krone. Es gefällt ihm sicher, näher mit euch verwandt zu sein und er hofft, dass dein Franzl ihm mit Truppen hilft.“




Ich werde die Marie gemeinsam mit meinem Bruder Ludwig bis nach Triest begleiten.

Was lachen wir heute gemeinsam über eine Erzherzogin in Ritterrüstung, die eigenständig loszieht und unsere Feinde massakriert.

Geliebte kleine Schwester!



27. Februar 1859

Ein Brief von Marie. Die arme Kleine, sie ist voller Kummer. Ihr Mann ist hässlich, schwächlich, dumm, impotent und hat einen religiösen Wahn. Was war sie doch voller Leben. Ihr erstes Zusammentreffen in Neapel verlief peinlich, da Marie kein Italienisch spricht und ihr Gatte kein Deutsch und kaum Französisch. Ich hoffe sehr, dass die Ehe sich mit der Zeit besser gestalten wird.


Wenn ich nur an unseren tränenreichen Abschied in Triest denke. Marie, die nun keine Wittelsbacherprinzessin mehr, sondern Prinzessin von Kalabrien und Kronprinzessin von Neapel – Sizilien war. In einer merkwürdigen Zeremonie wurde der Saal des Statthalters von Triest durch eine Schnur in zwei Hälften geteilt, eine symbolisierte Bayern, die andere war Neapel und als Marie hindurchschnitt, wurde sie zur Italienerin.

Mutterseelenallein segelte sie mit wildfremden Menschen, deren Sprache sie kaum verstand, nur mit ihrem Kanarienvogel, nach Bari. Es war wirklich ein herzzerreißender Anblick gewesen, der auch heute noch mein Herz rührt.


Mein Bruder Ludwig, der auch mitgereist war, hat das einzig richtige getan. Er findet heiraten nur der Raison wegen bescheuert. Marie und ich haben ihn alle beide ausgelacht und wahrscheinlich ob seines Mutes insgeheim bewundert. Und jetzt will er seine Worte wahrgemachen und seine langjährige Liebe, die Schauspielerin Henriette Mendel, mit der er sogar ein voreheliches Kind, die kleine Marie, hat, im Mai dieses Jahres gegen den Willen von Mama und Papa heiraten.

Dies hat er mir nach dem erbarmungswürdigen Triester Schauspiel, das sich ihm bot, unter dem Mantel der Verschwiegenheit gebeichtet.


Mama und Papa werden sicherlich toben und Ludwig muss gewiss auf sein Erstgeborenenrecht und sehr viel Geld verzichten.

Dafür hat er ein Leben in Freiheit – wie herrlich!

Ich stelle mir nur zu gerne Sophies sauertöpfisches Gesicht vor. Eine bürgerliche, jüdische Schauspielerin, die dem Schwager des Kaisers ein voreheliches Kind geschenkt hat.


Und die arme Marie hat einen impotenten Schwachkopf als Mann und ist dazu noch in einer äußerst prekären Lage. Die Revolutionäre wollen eine Republik und kein Königsreich, was ich verstehen kann. Aber umringt von den Revolutionären ist meine Schwester mit nichts als einem Schwachkopf an ihrer Seite, schutzlos und voller Angst.

Gottseidank gibt es noch den Vater des Prinzen, den König Ferdinand II., sodass Maries Franz nur Kronprinz ist.


Ich mag ihn mir nicht als König vorstellen!





09. April 1859

Von Marie höre ich selten. Die Korrespondenz nach Italien ist sehr schlecht, da ganz Italien in Auffuhr ist und die Einigungsbewegung unaufhaltsam voranschreitet.


Die radikalen Einigungskämpfer Giuseppe Garibaldi und Francesco Crispi planen mit Hilfe des Königreiches Sardinien-Piemont, der zu den Bourbonen gehörenden neapolitanischen Königsfamilie die Macht zu entreißen und deren Territorium dem künftigen italienischen Nationalstaat einzugliedern. Armee und Freiwillige schlossen sich schon Garibaldi an. Selbst unsere Provinzen in Oberitalien, die Toskana, Modena, Venetien und die Lombardei sind in Gefahr.


Das alles erfahre ich wieder einmal von Grünne und nicht vom Kaiser, dessen Gattin ich bin, selber. Sie halten mich alle für empfindsam und schwierig. Nur Grünne nimmt mich ernst, er ist mittlerweile mein bester Freund.


PS: Ich habe Ludwig und Henriette ein Telegramm zur Hochzeit geschickt.




24. April 1859

Wir haben Krieg!

Franz hat gestern ein Ultimatum nach Turin gesandt mit der Forderung, die Armee zurückzuziehen. Cavour hat abgelehnt und jetzt haben wir Krieg. Natürlich hat sich Cavour, der der Ministerpräsident des Piemonts ist, mit seinem König Viktor Emmanuel und Napoleon, dem linken Hund, gegen uns verbündet und uns in die Falle gelockt. Sein Heer stand schon an der Grenze zu Mailand und er hatte gar nicht vorgehabt, es zurückzuziehen. Natürlich steht Napoleon schon in den Startlöchern, um an Viktor Emmanuels Seite einzugreifen. Ein abgekartetes Spiel! Franz ist nämlich kaum vorbereitet auf eine militärische Auseinandersetzung. Es wird ein Fiasko werden – ein Fiasko mit tausenden Toten und Marie mittendrinnen. Wenn die Verwundeten in Laxenburg eintreffen, dann darf freilich ich sie pflegen. Das Los der Frauen!




19. Mai 1859

Für die ganze Welt ist Österreich der Angreifer und Frankreich kam dem Piemont natürlich zur Hilfe. Tausende von Soldaten, Tausende von grässlich Verwundeten, Tausende von Toten.


Keine Nachricht von Marie!

Preußen muss uns helfen! Oder die Russen!


Ich versuche mich, so gut es geht abzulenken und übereiche feierlich am Prater die Staatspreise für das Pferderennen, was vielleicht in der Bevölkerung nicht gut ankommt, aber eine strahlend schöne Kaiserin muntert die Leute sicher etwas auf.


Es ist so ein Durcheinander auf dieser Welt, die habsburgerischen Verwandten, die Herrscher in der Toskana und in Modena, mussten mit ihren Familien zu uns nach Wien fliehen und sind nun ständige Gäste bei unseren Familiendiners. Sie erzählen ausführlich von den Geschehnissen und schüren den Zorn auf die Revolution.




31. Mai 1859

Kann der Kaiser Marie helfen oder denkt er nur an Österreich? Er wird die Lombardei und Venetien an das Piemont verlieren und die Vorherrschaft in Italien an Frankreich. Ich habe Angst um ihn und ihn am Bahnhof unter Tränen verabschiedet. Er musste mir versprechen, gut auf sich Acht zu geben und um meiner und der Kinder willen nicht nur an Arbeit und Krieg zu denken. Auch Grünne flehte ich an, auf den Kaiser aufzupassen.


Heute bin ich in die Gnadenkirche Maria Lanzendorf und habe dort Gott um die Erhaltung des Lebens meines Gemahls gebeten, ganz innig habe ich ihn angefleht. Die Menschen waren wahrscheinlich ziemlich überrascht, mich zu sehen, da ich im Gegensatz zur Erzherzogin nicht unbedingt als überfromm gelte.


Ich bin Sophie nämlich schutzlos ausgeliefert und habe angefangen zu rauchen, um meine armen, strapazierten Nerven zu beruhigen. Sophie findet das fürchterlich. Ich sei eine zweite George Sand und würde mich ungebührlich wie ein junges Mädchen aufführen.

Ich bin jung!


Ich stehe nachts auf, rauche und schreibe in mein Tagebuch oder an den Kaiser. Er muss bald zurückkommen oder mich nachkommen lassen, aber das will er nicht. In das Hauptquartiersleben passen keine Frauen und er kann seinen Soldaten ja kein schlechtes Beispiel geben.




06. Juni 1859

Am 4. Juni haben unsere Truppen gegen die Franzosen und Piemontesen verloren. 10.000 Tote alleine bei den unseren. Die Lombardei ging verloren. Was für ein furchtbares Gemetzel. Sophie hat mich aufgefordert, die Verwundeten in Schloss Laxenburg zu versorgen.

Alles geht in diesem gottverdammten Krieg schief. Dem Kaiser, jung und militärisch unerfahren, passieren Fehler über Fehler. Erzherzog Albrecht und Sophie taugen als Berater nicht wirklich. Rieten sie ihm doch dazu, Max als Gouverneur zu entlassen und durch einen Grafen zu ersetzen, der nur dämlich und unfähig war und die Truppen zurückzog, statt anzugreifen, als noch genügend Zeit war, weil die Franzosen noch nicht da waren.


Franz will sich natürlich vor Ort aufhalten und Druck auf Preußen ausüben, damit diese uns endlich helfen und Truppen senden. Er könnte ja auch mit Napoleon verhandeln. Bei ihm sein darf ich freilich immer noch nicht, da der Kaiser seinen Truppen ein gutes Beispiel geben muss. Also bleiben nur Telegramme.






18. Juni 1859

Das Versorgen der verwundeten Soldaten ist nicht so schlimm, wie ich dachte. Es ist schon seltsam, um meine Kinder durfte ich mich nie kümmern, um fremde Menschen schon. Ich zeige Sophie, dass ich es kann. Helfen und Trösten. Diese armen Menschen brauchen so viel Trost. Viele sind sehr schwer verwundet, haben starke Schmerzen und sterben hier im Lazarett, manche in meinen Armen. Oft rede ich ihnen gut zu, dass sie in die rettende Amputation einzuwilligen. Viele sterben dennoch und ich tröste weinende Mütter und Väter, Töchter und Söhne, Ehefrauen, die Witwen werden, Kinder, die keinen Vater mehr haben, Eltern, die ihren Sohn verlieren.

Manchmal kann ich ihre Schreie nicht mehr hören, nicht mehr zusehen, wie ein Bein amputiert wird, dann reite ich einfach weg. Nur Holmes begleitet mich, er reitet so gut, dass ich von ihm noch etwas lernen kann. Sophie findet das natürlich anstößig, ich alleine in der Begleitung eines Mannes




09. Juli 1859

Natürlich hat Sophie alles dem Franzl gepetzt. Dass ich wie eine Wahnsinnige reite, die ganze Nacht wach bin und rauche, fast gar nichts esse, den Teegesellschaften und Diners, die Sophie gibt, fernbleibe. Unmöglich! Muss sich mein armer Franzl nun auch noch um mich sorgen? Er hat doch genügend eigene Sorgen. Erst Magenta und dann Solferino. Die entscheidende Schlacht fand am 24. Juni 1859 bei Solferino statt, wo unsere Truppen erneut eine schmerzhafte Niederlage erlitten. Österreich muss die Lombardei abtreten, auch die Nebenlinien der Habsburger in der Toskana, Modena und Parma verlieren ihre Besitzungen. Damit ist der Weg frei für die Errichtung des Königreichs Italien unter dem Haus Savoyen. Die Verluste von Solferino waren wie auch die von Magenta entsetzlich. Rund 6.000 Toten und 30.000 Verwundete auf beiden Seiten. Die blutigste Schlacht seit Waterloo 1815.


Franz tut mir so leid, er ist jung und militärisch unerfahren. Ich vermisse ihn, aber er wird nicht derselbe sein wie vor dem Krieg.


Habe ich ihn doch beschworen, mich mitzunehmen in das Hauptquartier. Doch da hätten Frauen keinen Platz und er müsste seinen Truppen ein gutes Vorbild sein.




14. Juli 1859

„Bald kommt der Papa heim“, sage ich zu Gisela, die mich mit großen Augen ansieht. „Dann ist alles gut. Komm wir gehen spazieren.“ Ich ziehe ungeduldig an Giselas Hand. Gestern hat der Kaiser mit Napoleon, dem Erzschuft, einen Waffenstilltand geschlossen.

Sie schüttelt trotzig den Kopf. „Omama, will Omama!“

Ich atme tief durch und mir ist danach, eine Zigarette zu rauchen. Ich lasse Giselas Hand los und nicke der Kinderfrau zu. „Geben Sie das Kind der Erzherzogin. Ich gehe an die frische Luft.“


Ich fühle mich rastlos und gedemütigt. Diese böse alte Frau. Franzl wird ob der vielen Toten und Verletzten keine Hilfe sein, sondern meine Stärke brauchen.


Ich werde dem nicht gewachsen sein.




15. Juli 1859

„Du siehst müde und blass aus, Franz“, sage ich leise. „Lass mich dir helfen.“

Er lacht bitter auf. „Das kannst du nicht, Elisabeth, du kannst dir nicht einmal selber helfen. Du musst mehr essen. Hör auf mit dieser dämlichen Eier - und Früchte Diät. Ich will nicht, dass du noch dünner wirst. Schlafe in der Nacht, denn die ist zum Schlafen da und nicht zum Lesen. Und reite nicht so heftig aus, schon gar nicht alleine mit Holmes, das kann ich dir nicht erlauben!“

„Ich will es aber“, schreit es in mir. „50 Zentimeter Taille. Meine Schönheit ist mein größter Triumph! Und ich will mit Holmes ausreiten, er ist der beste Reiter, besser als Grünne!“


Ich wache auf.




20. Juli 1859

Franz steht am Fenster.

Er ist furchtbar blass, ein Schatten seiner selbst, nichts erinnert mehr an den verliebten Franzl von Bad Ischl. Dieser Franzl ist irgendwo zwischen Magenta und Solferino gestorben und an seine Stelle ist ein besiegter General getreten. Seine Züge sind hart und verbittert geworden, sein Gesichtsausdruck mürrisch, tiefe Falten lassen ihn viel älter als seine 29 Jahre wirken.


Grimmig und verdrossen guckt er mich jetzt an.

„Du meinst, Maximilian hätte es anders gemacht? Ist es das, was du sagen willst, Elisabeth?“ Wie im Traum nennt er mich nicht Sisi, sondern Elisabeth. Wie im Traum klingt er gereizt.

„Du musst das Volk verstehen“, sage ich leise und trete neben ihn. „Es hat für den Krieg bitter geblutet und verlangt Rechenschaft. Die Menschen machen dich für die Niederlage verantwortlich, das würden sie bei Maxi auch so machen.“

„Ach ja und was würde Maxi anders machen?“ Franz Josephs Stimme klingt schneidend kalt.

Sich nicht in Laxenburg verkriechen und keinen Schritt vor die Tür gehen, denke ich bitter.

„Franz, sei mir nicht böse, du bist ein sehr konservativer Mensch und die Welt ändert sich. Mit der verklärten Allmacht des Kaisers ist es nun wohl endgültig vorbei, genau wie der Absolutismus. Und es reicht, so leid es mir tut, nicht aus, andere für deine Fehler bluten zu lassen. Das Volk besänftigst du damit nicht, wenn Kempen gehen muss. Das ist nur ein Anfang, du bist halt in militärischen Dingen unerfahren, das wäre anderen auch passiert.“

Franz hatte den Mund geöffnet, um zu protestieren und schloss ihn schnell wieder.


Ich atmete tief durch, ehe ich von neuem zu sprechen ansetzte. „Ich bin nicht mehr das naive Landmädel von damals, schon lange nicht mehr. Ich interessiere mich sehr für Politik. Vieles liegt im Argen und wir müssen handeln, sofort handeln. Wir müssen dem Staat eine Verfassung geben. Wir müssen zu Reformen bereit sein. Die Ansichten deiner Mutter sind überholt und haben uns das ganze Schlamassel eingebrockt.“


Franz zieht seine Stirn kraus.

„Meine Armee hat versagt, der Finanzminister hat sich umgebracht, weil er sich ungerecht der Unterschlagung beschuldigt fühlte, Onkel Ferdinand, dem ich meine Krone verdanke, behauptet, dass man nicht den Herrscher hätte wechseln müssen, um Schlachten und Provinzen zu verlieren. Weißt du, wie ich mich fühle? Und dann fällst auch du mir in den Rücken. Lass mich in Ruhe“, faucht er mich an und lässt mich stehen.





10. August 1859

Franzl steht am Fenster, wieder einmal.


Die Lippen fest zusammengepresst. In Ungarn flackert die Revolte wieder auf und es gab einen Mordanschlag auf Franz und Sophie, ein Diener sollte sie töten.

Warum wehrst du dich immer noch gegen die Verfassung, hast du denn nichts gelernt, will ich ihn anschreien, tue es aber nicht.



Er tut mir leid. Wenigstens hat Franzl einige der Minister, die für das Desaster verantwortlich sind, entlassen.

Ganz besonders freut mich die Entlassung von Baron Bach, der ein Erzfeind der Ungarn ist. Sophies Zeit ist endgültig vorbei.

Auch Grünne musste gehen, was mir persönlich leidtut, er bleibt aber mein Freund, denn er ist, wie wir alle wissen, ein Prügelknabe für den Kaiser, der als väterlicher Freund und engster politischer Vertrauter für Franz die Schuld auf sich nimmt und den Kopf hinhält. Auf Druck der öffentlichen Meinung musste der Kaiser Grünne als Generaladjutanten und Leiter der Militärkanzlei entlassen, allerdings wie es sich geziemt mit großen Gunstbeweisen. Grünne ist nun nur noch der Oberstallmeister.


Ich denke daran, wie liebevoll ich ihm eine bessere Zukunft gewünscht habe und ihm gesagt habe, dass ich mich nicht damit anfreunden kann, jemand anderen an seinem Platz zu sehen und wie dankbar ich ihm für unsere Freundschaft bin.

„Gottseidank haben wir Sie noch nicht ganz verloren und Sie bleiben mein liebster Gefährte zu Pferd“, habe ich ihm heimlich ins Ohr geflüstert und ihn zum Lächeln gebracht.


Franz hat kam noch ein liebes Wort für mich, in Italien schickte er Briefe mit Liebesschwüren und hier straft er mich mit Eiseskälte und berät sich nur mit seiner Mutter und das stundenlang.


Dabei ist ihre Zeit nun wirklich endgültig vorbei!

Er will das als treuer Sohn natürlich nicht wahrhaben!





25. September 1859

Sommer in Ischl ermüdend!

Am 12. September trat der Kaiser wieder bei einer Militärparade auf, nachdem er sich mehr als zwei Monate in Laxenburg verkrochen hatte. Wir fuhren im geschlossenen Wagen zum Prater, Franz sprach kein einziges Wort und sah streng und ernst aus. Uns hallte eisiges, feindseliges Schweigen entgegen wie damals in Italien.

Dann ging es nach Ischl – gemeinsam mit Max und Charlotte. Die beiden Brüder sind verfeindet und Charlotte redete nur von ihrer hohen Geburt, vom Schloss Miramar oder scheuchte alle rum. Eine furchtbare Person, dass Sophie das nicht merkt? Ich flüchtete mich zum Lesen auf mein Zimmer in der Kaiservilla.



Jetzt stürze ins Ballleben. Der Clou an den Bällen ist, dass nur die jungen Paare, nicht aber die Mütter der Mädchen wie sonst üblich eingeladen sind. Also hat auch Sophie auf den Bällen nichts verloren.

Und ich turne bei schlechtem Wetter in der Hofburg an den Ringen und Seilen, die ich mir anbringen lassen habe. Das passt Sophie natürlich auch nicht.


Dauernd mäkelt sie an mir, ich soll dem Kaiser eine bessere Ehefrau sein und den Kindern eine bessere Mutter. Ersteres gehst sie nichts an und das andere hat sie kaputt gemacht, indem sie mir die Kinder entfremdet hat. Gisela heult, wenn sie mich sieht und zu Rudi lassen sie mich nicht. Wahrscheinlich hat sie Angst, ich würde ihn verzärteln und er wird dann wegen mir kein guter Kaiser werden. Wahrscheinlich ärgert sie sich, dass sie ihre Zustimmung zu unserer Ehe gegeben hat.











25. April 1860

Die Bälle haben mich irgendwann ermüdet und ich kam mir wie eine aufgezogene Puppe vor.

Ich werde Mama besuchen, es ist nicht dasselbe, wenn sie herkommt und Papa kommt ohnehin nie zu Besuch, da es ihm vor Sophie, der Hofburg und dem Wiener Klimbim graut, was ich ihm nicht verdenken kann.

Marie fehlt mir wahnsinnig. Jeden Tag kann ihre neapolitanische Festung zusammenbrechen. Zudem ist ihr schwachsinniger Gatte nun König, denn sein Vater, Ferdinand II. starb letzten Mai.


Als sie damals bei mir war, was haben wir gelacht? Wie jung haben wir uns gefühlt? Geraucht haben wir mitten in der Nacht und wir wollten jeden Moment festhalten und dass nie Morgen wird.





10. Mai 1860

Garibaldi zieht mit tausend Mann gen Neapel und will ganz Sizilien vom Königreich losreißen und aller Welt zeigen, auf welch tönernen Füßen das bourbonische Königreich beider Sizilien steht. Ich sorge und ängstige mich und versuche zum Kaiser vorzudringen, der mir immer noch gebrochen und voller Apathie erscheint und so recht kein offenes Ohr für meine Anliegen hat.




10. Juni 1860

Vor wenigen Tagen ist Palermo gefallen. Marie ist in Lebensgefahr. Ihre verzweifelten Briefe häufen sich.


„Du schickst keine Truppen zu Marie nach Italien?“ Fassungslos starre ich Franz an. Ich bin wie gelähmt vor Trauer und voller Wut.

„Da unten ist ein junges Mädchen in Todesangst, das zufällig meine Schwester ist“, schreie ich Franz wutentbrannt an.

„Elisabeth“, er nennt mich erneut Elisabeth „du musst verstehen, wir können wegen der Niederlage im Sardinischen Krieg keine militärische Hilfe leisten und ihr nicht helfen. Unsere finanziellen und politischen Verhältnisse sind im Moment elend. Es tut mir sehr leid.“

Er macht einen Schritt auf mich zu.


„Sehr leid? Sie ist meine Schwester, Lass mich bitte, ich will alleine sein!“


Ziellos laufe ich durch den Schlosspark. Wie sehr sich der Kaiser verändert hat. Gottseidank kann ich mich zerstreuen, denn ich, die die Wiener Hof - und Tanzgesellschaft immer als geistlos verachtet habe, werde nun selber Bälle organisieren.




13. Juni 1860

Meine Brüder waren heute bei mir in Laxenburg und wir berieten wegen Marie, kamen aber zu keinem Resultat. Ihr Mann regiert nicht, sondern verwaltet nur, denkt gar, man könnte die verfahrene Situation durch pures Beten retten und meine bayerische Familie ist in heller Aufregung.




10. Juli 1860

Ich bin in Possi und Marie fehlt mir hier ganz besonders. Die Stimmung ist getrübt und wir sind gram vor Sorge. Seitdem Garibaldi auf Viktor Emmanuels Befehl die Grenze beider Sizilien überschritten hat und auf Neapel zugeschritten ist, haben wir nichts mehr von Marie gehört. Neapel ist dem Kaiser genauso fern und gleichgültig wie das chinesische Reich.

Mama und Papa schelten mich wegen des Essens und finden mich abgemagert, was mich reizbar macht. Meine Figur ist allein meine Sache.

Zudem habe ich einen quälenden Husten.


Papas Allüren treiben mich in den Wahnsinn. Erst war es amüsant, dass er meine Hofdamen provozierte, aber jetzt habe ich genug. Ihm mag es Freude machen, uns derbe Späße zu spielen, ich jedoch finde es unangenehm und mir tut Mama leid, die das alles mit ansehen muss. Vor allem, weil ich auf Franzens Anraten die kleine Gisela mitgenommen habe, die fast so pikiert wie ihre Großmutter wirkt mit ihren vier Jahren. Irgendwie kann ich mit diesem Kind wenig anfangen.




12. Juli 1860

Arme Mama, wie unendlich weh müssen dir Papas Liebeleien und Amouren tun, denke ich, sage aber nichts und halte Mamas Hand fest in der meinen. Viel zu lang habe ich mich von seinem Charme und seiner Fröhlichkeit blenden lassen und war gar ein Papakind. Die arme Mama sitzt treusorgend zu Hause, auf Papa wartend und er betrügt sie aufs schändlichste, unterhält in der Tat eine fremde Familie, bei der er sich vielleicht sogar mehr blicken lässt und involviert ist als bei uns.


„Es tut mir so leid, Mama“, sage ich leise und drücke ihre Hand.

„Ach, Kindchen, sei froh über den Kaiser“, schnieft Mama, „er mag ein wenig trist sein, aber er liebt dich und er betrügt dich nicht.“


Trist ist er, denke ich und streiche Mamas Hand. Alle Welt fordert seine Abdankung und wünscht sich Maxi an seiner Statt.



Aber er liebt mich und betrügt mich nicht.



Obwohl ich weiß nicht so recht?



Gerüchte machen die Runde. Sophie macht mir ohnehin schon seit geraumer Zeit Vorwürfe, ich würde Franz Joseph nicht genügend Muße und Freude für sein schweres Amt schenken und ein junger, gesunder Mann wie der Kaiser würde Mittel und Wege finden, sich zu zerstreuen und die freie Auswahl an den schönsten Versuchungen in Wien haben. Er würde wegen mir sein Junggesellenleben wieder aufnehmen und Liebschaften anfangen, weil ich nicht für ihn da sei. Und ich wäre schuld, wenn er mich betrügt, denn er würde den Verkehr brauchen.


Franzens Bruder Ludwig Viktor, der den Frauen abhold ist und seine Ohren an sämtlichen Wänden des Palastes hat, fragte mich eines kalten Wintertages ungeniert, ob ich in letzter Zeit die Gräfin Potocka gesehen hätte. Eine hübsche blonde Hofdame, die auf ihren Besitztümern in Böhmen lebte, früher aber ein gerngesehener Gast im Palast war, eine Passion, die sie nun wieder aufnahm und strahlendschön sämtliche Faschingsbälle durchtanzte, gerufen vom Kaiser persönlich, den ich Wochen lang kaum zu Gesicht bekam.


Auch die Esterházy, die alte Plaudertasche, machte solche widerwärtigen Andeutungen.


„Der Kaiser ist ein junger gesunder Mann, er sieht blendend aus, wer kann es ihm verübeln. Schon vor seiner Hochzeit erlagen die Wiener Damen reihenweise seinem Charme und wenn die Kaiserin ihr Schlafzimmer zusperrt, muss er woanders auf seine Kosten kommen. Deswegen hat er doch die junge polnische Gräfin zur Jagd nach Reichenau geladen. Die Blonde mit den schönen, grünen Augen. Ihr frisches Wesen und ihre Künste zu Pferd sind schon sehr einnehmend “, sagte die Esterházy zu meiner Kammerfrau, die hohl lachte.

Ich habe dem Geschwätz damals nichts beigemessen, weil es die furchtbar geschwätzige Esterházy und der ätzende Ludwig Viktor waren, die mich beide anscheinend nicht leiden können.



Der Kaiser betrügt mich nicht!

Es kann nicht wahr sein!

Es kann einfach nicht wahr sein!


Ich habe mich ihm entzogen, wenn er mit mir schlafen wollte, obwohl mir dieser Akt immer noch unangenehm und fremd ist. Franz mit seinen erregt leuchtenden Augen und dem heftigen Atem. Franz der so schwer auf mir liegt. Es tut immer noch weh, meine Scheide fühlt sich immer noch trocken an und wund. Franz hatte es nie geschafft, in mir Begehren und Sehnsucht zu wecken.



Ich bin vor dem Kaiser geflohen, der mir Vorhaltungen über meine vergnügungssüchtigen Bälle und mein Nächtedurchtanzen macht und der mich betrügt. Meine Frühjahrsbälle für Alleinstehende im März, junge Damen, junge Herren, ohne die Argusaugen der gestrengen Mütter, Walzerklänge von Strauß, das pure Vergnügen, wie du mir, so ich dir.


Mich, die vollkommene Schönheit!

Die gertenschlanke, die so eisern Diät hält, um perfekt zu sein.

Die perfekte Reiterin!



Alle Welt redet jetzt über die Ehekrise und meine schlechte Gesundheit, meine Sperenzchen und all das. Der Kaiser kommt besser weg als seine überspannte, empfindsame, hysterische Frau, die ihm das Leben schwer macht, wo er doch so sehr unter dem bitter verlorenen Krieg leidet.



Um den Schein zu wahren, muss ich im August an des Kaisers Geburtstag nach Wien zurück.

Nur, um den Schein zu wahren.

Nur deswegen.




Ich wollte nie Kaiserin werden

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