Читать книгу App to Date - Carine Bernard - Страница 7

Оглавление

SAMSTAG

Jenny hatte bereits Brötchen beim Bäcker geholt, den Frühstückstisch gedeckt und Kaffee gekocht, als Marcs roter Haarschopf endlich aus dem Schlafsack auftauchte.

»Riecht gut«, nuschelte er, ohne die Augen zu öffnen.

»Guten Morgen, kleiner Bruder«, erwiderte Jenny. »Das Frühstück ist fertig!«

»Mhm.« Marc streckte sich, bis sich der Schlafsack spannte, dann setzte er sich auf. »Guten Morgen!«

Er schälte sich aus der Ballonseide und verschwand im Bad. Jenny sah ihm hinterher. Die App hatte ihn gestern als grün, als perfekt passenden Partner angezeigt. Das war eine Überraschung. Sie hatte immer gedacht, dass sie und Marc sich nicht nur äußerlich ähnelten. Aber offenbar gab es auch genug Gegensätze, weswegen die App ihre Profile als harmonisierend einstufte.

Natürlich kannte sie die Algorithmen, nach denen die Profile abgeglichen wurden, sie war schließlich dabei gewesen, als sie entwickelt wurden. Sie wusste, dass es entgegen der landläufigen Meinung nicht nur auf Übereinstimmungen ankam. Genau genommen war es die Kombination aus Ähnlichkeiten und Gegensätzen in bestimmten Bereichen, die darüber entschied, wie gut zwei Menschen zusammenpassten. Herauszufinden, welche das genau waren, war Teil der Arbeit ihres Teams, und sie wurden dabei immer besser. Dass Marc ihr Bruder war, konnte der Algorithmus nicht wissen.

Als er zurückkam, versuchte sie, ihn nicht mit den Augen der Schwester zu sehen. Groß und schlank, aber immer noch sehr jungenhaft mit schmalen Schultern und dem sommersprossigen Gesicht. Die etwas zu langen Haare trugen ihr Übriges dazu bei, ihn jünger aussehen zu lassen als die sechsundzwanzig Jahre, die er zählte. Wie er jetzt in der Badezimmertür stand, die Locken verstrubbelt vom Schlaf, in Boxershorts und einem blauen T-Shirt mit verwaschenem Malibu-Aufdruck, sah er eher wie ein Student im ersten Semester aus und nicht wie der erfolgreiche Juniorbereichsleiter einer aufstrebenden Firma.

»Was ist los, warum siehst du mich so an?«, fragte er.

»Nichts«, gab Jenny zurück. »Ich habe mir nur gerade gedacht, dass du dich überhaupt nicht verändert hast.«

»Das will ich hoffen.« Er drückte ihr einen dicken Schmatz auf die Wange und setzte sich an den Frühstückstisch. »Oh, es gibt frische Brötchen!«

»Ich kann dich ja nicht ohne Frühstück gehen lassen, oder?« Jenny schenkte ihm Kaffee ein, während Marc dick Nutella auf sein Brötchen klatschte.

»Jetzt klingst du genau wie Mum«, sagte er mit vollem Mund.

»Ich hoffe nicht.« Jenny nahm sich ebenfalls ein Brötchen. Sie halbierte es und tunkte es in ihren Kaffee. »Was hast du heute vor?«

»Ich fahre gleich zum Messegelände, ich muss mit jemandem von der Messeverwaltung sprechen. Einer unserer Mitarbeiter ist seit gestern da, um den Aufbau unseres Standes zu beaufsichtigen, und es gibt wohl Probleme.«

Jenny hob die Brauen. »Aber wieso musst du …«

»Sie haben unseren Stand an eine neue Stelle verlegt. Das ist nicht weiter schlimm, aber wir brauchen jetzt eine andere Beleuchtung. Ich bekomme das schon geregelt.«

Jenny lächelte ihn an. Von dem kleinen Jungen war jetzt nichts mehr zu bemerken. »Das glaube ich auch.«

Den restlichen Tag verbrachte Jenny mit Hausarbeit. Sie traf sich mit einer Freundin, die ein Auto hatte, zum wöchentlichen Einkauf beim Großmarkt, sie putzte das kleine Ein-Zimmer-Appartement, das sie in einem Wohnkomplex bewohnte, der zur Uni gehörte, sie goss ihre Blumen, wusch Wäsche und erledigte all die vielen Dinge, für die sie während der Woche keine Zeit hatte.

Ihr Masterstudium näherte sich der heißen Phase, und sie war kaum noch zu Hause. Sie hatte alle Kurse bereits absolviert und verbrachte die meiste Zeit am Institut für vergleichende Psychologie mit dem großen Forschungsprojekt von Doktor Carsten Hennrich, dem Dozenten für Psychometrie, der auch der Betreuer ihrer Masterarbeit war. Obwohl sie nur eine halbe Stelle hatte, schien sie manchmal rund um die Uhr damit beschäftigt zu sein, endlose Datenblätter auszufüllen, Profile auszuwerten, Berechnungen anzustellen und mit dem Programmierer der App zu diskutieren.

Nur ein kleiner Teil ihres Jobs hatte unmittelbar mit ihrer Masterarbeit zu tun, die wiederum nur ein kleines Rädchen in diesem riesigen neuen Gebiet der Psychometrie war, in dem es darum ging, Menschen in Zahlen und Formeln zu zerlegen, die man mit wissenschaftlichen Mitteln vergleichen konnte.

Manchmal wunderte sie sich selbst, wie sehr sie sich inzwischen für diese Arbeit begeisterte. Als Studienanfängerin hatte sie sich als Therapeutin gesehen, als künftige Retterin psychisch kranker Menschen. Doch inzwischen hatte sie die Wissenschaft für sich entdeckt und fand ihre Tätigkeit ungemein spannend.

Carsten war daran nicht unschuldig. Ihr Dozent verstand es, selbst für die trockensten Datensätze noch Begeisterung zu entfachen. Und ihr Aufgabengebiet war beileibe nicht so trocken, wie es auf den ersten Blick aussah. Ihr Team hatte den Bereich der drögen Erstellung und Auswertung von Profilen längst verlassen und stieß mit zunehmendem Erfolg in das Neuland der Prognosen vor. Die App war Datenquelle und Testumgebung in einem, und weil sie funktionierte, waren immer mehr Menschen bereit, ihre privatesten Daten zur Verfügung zu stellen, in der Hoffnung, damit die Liebe ihres Lebens zu finden.

Als Jenny mit der letzten Wäsche aus der Gemeinschaftswaschküche wieder in ihre Wohnung kam, blinkte die Statusleuchte an ihrem neuen Handy, das auf dem Tisch lag. Eine Nachricht von Dana, ihrer Freundin und Kollegin: Ob sie Lust hätte, zum Essen zu kommen, ihre Mitbewohner hatten gekocht, und es wäre genug für sie da.

Jenny sah aus dem Fenster, es war bereits dunkel, und Regentropfen schlugen gegen die Scheibe. Einen Moment lang war sie versucht abzusagen, ihr kuscheliges Sofa und ein spannendes Buch erschienen ihr ungleich verlockender, aber dann gab sie sich einen Ruck. Das Wetter war keine Ausrede, Samstagabend alleine zu Hause zu hocken, und sie schickte der Freundin einen erhobenen Daumen zum Zeichen ihrer Zusage.

Auf dem Weg zu Dana bereute sie ihren Entschluss bereits. Der böige Wind trieb ihr den Regen ins Gesicht und schüttelte die nassen Bäume immer genau dann, wenn sie gerade darunter herging. Zum Glück wohnte Dana nicht weit entfernt, trotzdem war Jenny ziemlich durchnässt, als sie bei ihr ankam. Während sie auf den Türsummer wartete, wrang sie ihre grüne Strickmütze aus.

Danas Mitbewohner waren drei Männer, zwei Lehramtsstudenten, die schon seit ihrer Schulzeit ein Paar waren, und ein selten anwesender Soziologe. Auch heute fehlte er, weshalb Jenny seinen Platz am Küchentisch bekam.

Jenny wusste um die Kochkünste der beiden Männer und wurde nicht enttäuscht. Die Lasagne schmeckte himmlisch, der Rotwein war schnell geleert, eine zweite Flasche folgte, und als sie sich schließlich auf den Heimweg machte, hatte es zu regnen aufgehört. Der Mond leuchtete kalt vom Himmel und überstrahlte fast die wenigen Sterne, die in der Stadt zu sehen waren.

Trotz der inzwischen getrockneten Mütze fror sie, und sie beeilte sich, nach Hause zu kommen. Zwei Kapitel ihres Buches schaffte sie noch, bevor sie das Licht löschte. Alles in allem war es ein schöner Abend gewesen.

App to Date

Подняться наверх