Читать книгу Iskandrien - Die Welt im Nebel - Carl C. Pörksen - Страница 4
Der Tag danach
ОглавлениеAm Anfang war Stille,
war Leere, nur Nichts,
kein Leben zu spüren,
der Götter Verzicht.
Das sollte sich ändern,
ein Ort jetzt und hier,
den Göttern zu schaffen,
ein täglich Pläsier.
Sie schufen die Welt,
voll mit Pflanzen und Tier,
mit Elfen und Zwergen,
dem Mensch jetzt und hier.
„Des Schnitters Sense“ von Galfir Galbrandsson
„Nichts ist unmöglich.
Aber um Genaueres zu wissen, müssen wir nachsehen.“
„ER IST WEG!!!“
Die Tür flog auf und knallte gegen die Wand. Nat sprang vor Schreck aus dem Bett, die Hände vor seine Körpermitte gepresst. Er starrte mit großen Augen auf Odu, der in der Tür stand. Hinter ihm versuchte Tally, sich unter der Decke und dem Bärenfell zu verstecken.
„Kommt in das Kaminzimmer, ihr Beide. Es gibt böse Neuigkeiten.“ Mit diesen Worten rannte er aus dem Raum und stieß die Tür des gegenüber liegenden Zimmers auf.
„ER IST … Ooohuii!“ Nat warf einen schnellen Blick durch die Tür. Im anderen Zimmer war Ilana zuerst aus dem Bett gesprungen, so wie die Elfengötter sie erschaffen hatten und ihr Anblick ließ den hartgesottenen Steuermann verstummen.
Mit hochrotem Kopf stolperte er aus dem Zimmer.
„Sofort … Kaminzimmer“, krächzte er im Weggehen.
Nat drehte sich noch ziemlich verwirrt zu Tally um, aber die war bereits aus dem Bett und zog sich an.
„Verdammt, kann man hier nicht mal ausschlafen?“ Sie guckte aus dem Fenster auf die hoch am Himmel stehende Sonne.
„Na ja, immerhin war es spät, letzte Nacht.“ Sie ging an Nat vorbei und gab ihm einen Klaps auf den Po.
„Es scheint wichtig zu sein und wenn du dort noch länger so stehst … .“ Sie blickte auf den Gang, wo Odu mit hochrotem Kopf an der Wand lehnte. Tally ging zu ihm und trat ihm vors Schienbein.
„Hallo, Jemand zu Hause? Hast Du schon alle geweckt?“
Odu schüttelte den Kopf.
„Na dann los. Aber bei dem Zwerg und dem Elf wäre ich vorsichtiger, sonst hast du ganz schnell eine Axt oder einen Pfeil im Kopf.“
Sie gab ihrem Bootsmann und väterlichen Freund einen Schubs. So angetrieben stolperte er weiter zu den nächsten Zimmern.
Hinter der jungen Captrecce trat Nat aus dem Zimmer, auf der anderen Seite kamen Ilana und Sharn durch die Tür.
Sharn nestelte noch an seinen Hemdknöpfen, sein Haar war zerzaust und seine Hose hatte er den falschen Weg herum angezogen.
Die Elfin dagegen wirkte frisch und ausgeruht und sah bereits wieder aus, wie aus dem Ei gepellt. Nur ihre rosige Gesichtsfarbe ließ erahnen, dass sie keine reinrassige Elfin war und dass sie eine belebende Nacht hinter sich hatte.
Sie gingen die Treppe hinunter zum Kaminzimmer, auf dem Weg kamen sie an der Küche vorbei. Hier griffen sie sich schnell etwas Brot und kaltes Fleisch, von der Siegesfeier am Vorabend und liefen kauend weiter.
Als sie die Tür zum Kaminzimmer erreichten, trafen Sie auf Odu, Thibold Eisenhammer und Garondir.
Die Anführer der Zwerge und der Elfen waren natürlich schon länger wach, denn sie erschienen bereits mit voller Bewaffnung.
Im Kaminzimmer saßen Thorbeil Armstark, Parlass Walgardsson, Jorina und Mahti an dem langen Tisch, an dem die Gesellschaft gestern Abend gespeist hatte.
Vor ihnen stand zitternd, mit kalkweißem Gesicht, ein junger Mann. Er schwankte, als wolle er jeden Moment zusammen brechen.
Sharn schob ihm schnell einen Stuhl in die Kniekehlen, griff nach den Krügen, die noch vom Vorabend auf dem Tisch standen, füllte einen Becher und reichte ihn dem jungen Mann.
Der grunzte überrascht, nickte Sharn dankbar zu und stürzte den Inhalt des Bechers hinunter.
Sharn hatte jedoch ungewollt den scharfen Zwergenschnaps erwischt, den man extra für Thibold Eisenhammer serviert hatte.
Dem blassen Jüngling traten fast die Augen aus den Höhlen. Er japste nach Luft und seine Hände schossen zum Hemdkragen.
Ein lautes Keuchen, dann rötete sich sein Gesicht, die Atmung setzte wieder ein und seine Züge entspannten sich.
„Danke“, hauchte er.
Sharn lag bereits ein Spruch auf den Lippen. Doch als er die ernsten Gesichter der Personen am Tisch sah, blieb er lieber stumm.
Stille lag über dem Raum. Dann hörten die Anwesenden schnelle Schritte auf dem Gang und Kalistan betrat mit Gronik den Raum.
Da waren sie wieder versammelt, die Personen, die der größten Bedrohung für den Frieden und die Freiheit auf Iskandrien, der großen Insel im Nebelmeer, Einhalt geboten hatten.
Thorbeil Armstark, der Statthalter von Arkadien, Parlass Walgardsson, der Kanzler von Rimmond und sein Sohn Kalistan. Jorina und Mahti, die beiden alten Leuten, die die Bewohner des Kraters im Nebel anführten. Tally, ihre beste Captrecce und ihr Bootsmann Odu. Die Anführer der Zwerge, Elfen und Barbaren, Thibold Eisenhammer, Garondir und Gronik. Die Elfin Ilana und nicht zuletzt Sharn und Nat, die beiden jungen Männer, die Zufall, Vorsehung und Liebe in dieses Abenteuer getrieben hatte.
Alle warteten wie gebannt, bis Thorbeil Armstark den jungen Mann aufforderte, Allen zu erzählen was er ihm berichtet hatte.
Wie selbstverständlich hatte Armstark bereits wieder die Rolle des Anführers in Arkadien übernommen, obwohl er nach der Zeit, die der Schwarzdruide Rrordrak ihn im magischen Eis eingeschlossen hatte, noch erheblich geschwächt war.
Der junge Bote räusperte sich, blickte einmal rundum und ließ dann seine Worte in den Raum fallen, wie einen Krug mit Welfernbrunst.
„Rrordrak der Schwarze ist aus seinem Grab auferstanden und verschwunden.“
Einen Moment herrschte Stille, dann erklangen viele Stimmen, als hätte man eine Schleuse geöffnet.
„Das kann doch nicht … .“ „Der war auf jeden Fall tot.“ „Wir haben ihn doch … .“ „Er wurde doch bewacht.“
Die Stimmen verstummten, als Jedem der letzte Satz gewahr wurde.
„Was ist mit der Wache?“ Kalistan zog mal wieder als Erster die entsprechenden Schlüsse.
Der junge Mann schluckte hart, ein Kloß schien ihm im Hals zu stecken.
Sharn schob ihm noch einmal den Krug mit dem Zwergenschnaps zu, aber der junge Mann verzog nur angeekelt das Gesicht.
„Also los, sprecht Mann“, herrschte Armstark den Boten an.
„Ja, Herr.“ Er räusperte sich erneut.
„Ich sollte heute Morgen Hieronymus ablösen. Er hat das Grab von Rrordrak bewacht. Da wo wir ihn verschar … ääh … begraben haben.“
Der Mann schluckte. Tränen stiegen ihm in die Augen.
„Er war tot. Jemand hat ihn von hinten erstochen.“
„Und das Grab, was ist mit dem Grab?“
Kalistan stützte sich auf den Tisch und starrte den Mann aus zusammengekniffenen Augen an.
„Es … es ist leer.“
„Jemand hat den Toten ausgegraben?“ Kalistan schüttelte ungläubig den Kopf.
„Nein, Herr. Nicht so wirklich … also … ääh.“
„Raus damit Mann. Ihr sprecht in Rätseln.“
„Ja, Herr. Ich … also … .“ Der junge Mann nahm nun doch noch den Becher zur Hand und trank einen schnellen Schluck.
Seine Augen weiteren sich, als der scharfe Schnaps durch seine Kehle brannte.
„Er wurde nicht ausgegraben. Die Erde auf dem Grab war so seltsam aufgewühlt, aber nicht als wäre gegraben worden. Wir haben den Totengräber gerufen, weil wir sehen wollten, ob der Leichnam noch da ist. Die Leiche ist verschwunden, doch anscheinend nicht durch graben.“
„Was soll das heißen? Lasst euch doch nicht jedes Wort aus der Nase ziehen.“
Kalistan blickte verständnislos in die Runde. Auch die Gesichter der Anderen waren voller Verwirrung und Unglauben.
„Der Totengräber meint, wenn man jemanden ausgräbt um seine Leiche zu rauben, dann macht man das Grab nicht wieder zu. Und wenn doch, dann kommt es zu einer ganz speziellen Vermischung der Erdschichten. Dieses Grab jedoch sah so aus, als wäre der Leichnam heraus gestiegen aus der Erde.“
Der junge Mann zog den Kopf zwischen die Schultern, als erwarte er Schläge. Doch zu seiner Verwunderung erschien niemand ungläubig oder überrascht.
Vielmehr schossen Blicke hin und her, als gäbe es bereits erste Vermutungen, was hinter dieser Sache stecken könnte.
Parlass Walgardsson sprang von seinem Stuhl auf.
„Wenn das stimmt, was wir alle vermuten, dann darf vorerst niemand die Stadt verlassen. Wir müssen jeden Winkel absuchen, jedes kleine Versteck.“
Thorbeil Armstark rieb sich grübelnd das Kinn.
„Die Stadttore sind bis auf weiteres geschlossen, bis wir alle Kumpane des Schwarzen gefunden und festgesetzt haben. Auch die Hafeneinfahrt ist zu.“
Sein Gesicht wurde hart.
„Ich habe in der vergangenen Zeit mehr als einen Untoten gesehen. Wenn hier so ein … .“
„Nekromant.“ Jorina half ihm aus.
„… sein Unwesen treibt, dann können schreckliche Dinge passieren. Die Untoten bewegen sich hölzern und schwerfällig. Mit denen schleicht man sich nicht so einfach aus dieser Stadt. Und ein Reiter oder ein Boot werden die Sperren nicht unbemerkt verlassen können.“
„Dann muss er wohl fliegen.“ Sharn blickte in die freudlos grinsenden Gesichter um sich herum.
Nur Jorina schoss von ihrem Stuhl hoch, als hätte jemand einen Dolch durch die Sitzfläche gebohrt.
„Verdammt, das ist es. Bringt mich sofort zu der Stelle, wo der Drache und der Greif liegen.“
Das Grinsen in den Gesichtern der Anderen erlosch.
„Ist das denn möglich, dass … ?“
Die Blicke irrten umher und richteten sich auf die beiden Magiekundigen in diesem Raum. Ilana und Jorina.
Die Alte hatte ihren Stuhl zurück geschoben und stapfte schweren Schrittes zur Tür.
„Nichts ist unmöglich. Aber um Genaueres zu wissen, müssen wir nachsehen.“
Die Anderen schlossen sich ihr an und gemeinsam verließen sie den Raum. Zurück blieb der junge Soldat. Er trank mit einem Zug den Rest aus seinem Becher, keuchte und japste nach Luft. Dann sank sein Oberkörper auf den Tisch und er begann haltlos zu schluchzen.
Siegoin spürte die Kälte nicht, die in seine Knochen drang. Kälte war schon so lange ein Teil seines nekromantischen Daseins. Er konnte sich nicht mehr vorstellen, sich an ein Feuer zu stellen und die Hände zu wärmen.
Eine tiefe Mattheit hatte ihn erfüllt, nachdem er zuerst den Schwarzdruiden und dann seinen Drachen zu untoten Kreaturen gemacht hatte.
Er hatte gefürchtet, an dieser Aufgabe zu scheitern, obwohl er einer der stärksten und fähigsten Nekromanten war, den sein … sein Volk, seine Glaubensgemeinschaft, seine Horde hatte. Wie auch immer man die nennen wollte, die auf ihre Weise einen Kampf gegen Leben und Tod führten.
Sie töteten und entrissen dem Gott des Todes seine Opfer wieder, indem sie diese zu ihren Dienern machten.
Ja, er wäre fast gescheitert. Die Kraft war aus ihm heraus geflossen wie Blut aus einer klaffenden Wunde.
Nur der Splitter des Monolithen hatte ihm die Macht gegeben. Die Macht, seine Aufgabe zu erfüllen und seinem Volk zwei neue starke Verbündete zu bringen.
Außerdem musste er zugeben, dass es ihm ohne den Drachen wohl nicht gelungen wäre, die Stadt zu verlassen.
Auch wenn der große Plan vereitelt war, einen Krieg auf Iskandrien auszulösen und dann die Toten zu ernten, so brachte er doch neue Erkenntnisse mit, die helfen würden, die Macht auf der Insel an sich zu reißen.
Jetzt würde er neue Kraft schöpfen, im Schatten des Monolithen und sich wappnen für neue Aufgaben.
Es galt, den zweiten Plan in Angriff zu nehmen, der etwa zäher und gefährlicher sein würde, aber letztlich zum gleichen Ziel führte. Der Herrschaft über Iskandrien unter der Macht des Monolithen.
Siegoin spürte eine tiefe dunkle Glückseligkeit, wenn er an den Monolithen dachte. Der Monolith. Ein großes graues Etwas, ein mehr als zwei Mannshöhen großer Stein, nach oben spitz zulaufend, unten mit einem Umfang, dass drei Männer ihn knapp umfassen konnten.
Grau, ja vielleicht konnte man sagen, der Monolith war grau. Doch von so einem pulsierenden, stumpf schimmerndem Grau, dass man glaubte, auf etwas Lebendiges zu blicken.
Siegoin war einer der Ersten, der den Monolithen entdeckt hatte, seine Kraft gespürt hatte.
Er konnte sich kaum noch erinnern, was er vorher gewesen war. Ein unbedeutender Mensch in einer kleinen Kolonie, die versuchte einem kaum bekannten, von Dschungel überwucherten Eiland vor der Küste Iskandriens seine Schätze abzuringen.
Die Insel lag vor der Küste Borgkarsts, dem Land der Zwerge. Eine schmale Steinbrücke, ein Wunderwerk zwergischer Baukunst, überspannte eine Meerenge, zwischen zwei hohen, zerklüfteten Steilküsten.
Unten brandete das Wasser gegen eine unüberwindbare Steilküste. Kein Boot oder Schiff konnte an seinen zerklüfteten Küsten anlegen, kein Kletterer die steilen Felsen erklimmen. Daher hatten die Zwerge die lange Brücke gebaut, um die Insel in Besitz zu nehmen.
Als sie dann feststellten, dass die Insel keinerlei Bodenschätze oder irgend etwas von Wert für sie enthielt, verloren sie das Interesse an dem Eiland.
Dann fanden sich einzelne Menschen, Versprengte, Verfolgte und Suchende, die mit der Zustimmung der Zwerge über die Brücke schritten und sich auf der Insel ansiedelten. Da die Zwerge nicht gerne Fremde unbewacht in ihrem Rücken hatten, errichteten sie eine Festung, die Tag und Nacht die Brücke kontrollierte.
Eine Zeitlang gab es spärlichen Handel zwischen den Zwergen und der Insel. Doch insgesamt nahm niemand auf Iskandrien wirklich Kenntnis von der Existenz dieser Kolonie.
Es war eine karge, armselige Zeit mit vielen Entbehrungen. Doch diese Zeit zählte für Siegoin nicht mehr, es gab nur noch das Zeitalter des Monolithen.
Wenn er versuchte, sich an seine erste Annäherung an den Monolithen zu erinnern, spürte er die widerstreitenden Gefühle von tiefer Furcht und starkem Sehnen. Zögernd, doch mit immer stärker werdendem Wollen hatte er sich dem Stein genähert. Die pulsierende Oberfläche hatte ihn neugierig gemacht. Er spürte ein nicht erklärbares Unwohlsein und gleichzeitig eine Gier nach etwas Neuem, Unbekanntem. Woher der Stein kam, war dem jungen Mann völlig unklar. Er war schon häufiger an dieser Stelle des Waldes, doch diesen seltsamen Stein hatte er noch nie gesehen.
Der Moment als er die Hand auf den Monolithen legte, hatte sich unauslöschbar in sein Gehirn geprägt. Unfassbare Gefühle waren auf ihn eingeströmt. Macht, Glück, Tod, Wollen, tiefe Sehnsucht, dies alles war über ihn herein gebrochen, hatte ihn auf der Stelle in die Knie gezwungen. Eine innere Stimme schrie, er solle die Hand zurückziehen. Eine andere, viel stärkere befahl ihm, den Kontakt zu halten. Er hielt.
Wie lange wusste er hinterher nicht. Waren es Stunden oder Tage. Egal, alles war egal. Wichtig war nur die Macht, die ihn durchströmte. Dunkel, kraftvoll, auf der Suche nach Tod. Diese Macht musste er jetzt sofort ausprobieren, dass forderte sie von ihm. An einem lebenden oder toten Wesen. Erst jetzt fiel ihm auf, dass die Pflanzen rund um den Monolith tot waren, in verschiedenen Stadien des Zerfalls.
Auch Tiere entdeckte er nicht, in der näheren Umgebung.
Mühsam richtete er sich auf und stolperte auf steifen Beinen in den Wald hinein. Nach mehreren Schritten entdeckte er einen kleinen Hasen, der ihn unverwandt ansah.
Als Siegoin einen weiteren Schritt machte, zog der Hase die Ohren ein und machte sich sprungbereit. Der Mann zögerte, dann fixierte er den Hasen mit festem Blick. Er wusste in diesem Moment noch nicht, dass seine Augen ihre natürliche Farbe verloren hatten und intensiv rot leuchteten. Der Hase erstarrte, sein Körper zuckte, doch seine Augen konnten sich dem brennenden Blick nicht entziehen.
Die Gier in Siegoin, dem kleinen Körper seine Lebenskraft zu entziehen, ließ das Blut in seinen Ohren rauschen. So überhörte er auch das Knacken eines Astes und das Schwirren eines Knüppels. Der Schlag traf ihn am Kopf und mit einem Ächzen brach der Neunekromant zusammen.
Als er wieder zu sich kam, saß er auf einem Bärenfell, den Rücken an eine Höhlenwand gelehnt. Es herrschte ein düsteres Zwielicht, drei rot leuchtende Augenpaare waren auf Siegoin gerichtet.
Seltsamerweise verspürte er keine Furcht, sondern vielmehr das Gefühl nach Hause gekommen zu sein. Ein Augenpaar rückte näher und aus der Dunkelheit schälte sich ein Gesicht, dass Siegoin bekannt vorkam.
„Brenok!“ Siegoin erkannte den Mann, der vor einiger Zeit sein Dorf verlassen hatte und nie wieder zurückgekehrt war.
„Ja Siegoin. Du hast mich erkannt und wir erkennen dich als einen von uns. Der Stein hat dich genommen.“
Eine immer schwächer werdende innere Stimme schrie, dass Siegoin entsetzt, verängstigt, auf der Hut sein müsste. Woran er Brenok erkannt hatte, war ihm gar nicht klar. Das Gesicht des Dorfbewohners war eingefallen, die Hand, die er auf Siegoins Arm legte knochig, staubtrocken und kalt. Die Augen glühten rot, mit einer erschreckenden Intensität.
Doch Siegoin fühlte sich von all dem nicht abgestoßen. Er fühlte sich hin und her gerissen zwischen einer tiefen Zufriedenheit und einer nie gekannten Sehnsucht.
„Wir wissen auch, was du jetzt brauchst. Mehr als alles Andere.“
Mit diesen Worten stülpte er einen Sack um, der neben ihm gelegen hatte. Heraus fiel der Hase, den Siegoin fixiert hatte, als ihn der Knüppel traf.
Die Sehnsucht wurde immer stärker, der Wusch Lebenskraft zu entziehen, in sich aufzunehmen.
Ohne weiter darüber nachzudenken, packte Siegoin den Hasen mit beiden Händen, sah ihn an und murmelte leise fremdartige Worte, die er noch nie zuvor in seinem Leben gehört oder gesprochen hatte. Innerhalb von wenigen Augenblicken verlor das Fell des Hasen seinen Glanz, der Körper schrumpfte zusammen und die Augen wurden stumpf.
Siegoin fühlte sich wie losgelöst von seinem Körper, als würde er sich selber über die Schulter blicken.
Er sah, wie der Hase seine Lebenskraft verlor, aber ohne zu sterben. Als der Nekromant den Hasen wieder absetzte, bleib das Tier reglos stehen und starrte aus blicklosen Augen in die Welt.
Mit einem Gedankenbefehl forderte Siegoin das Tier auf, einen Schritt zu tun. Steifbeinig kam der Hase dem nach. Er ließ ihn eine Runde durch die Höhle staksen. Dann befahl Siegoin dem Hasen, sich auf die schwach glimmenden Holzstücke der Feuerstelle zu setzen. Auch dieser Aufforderung kann der Hase mit langsamen Bewegungen nach. Die Glut des Feuers griff nach dem trockenen Fell des Hasen, flammte auf, bis der Hase lichterloh brannte. Fasziniert beobachtete Siegoin, wie das Tier von den Flammen verzehrt wurde, ohne einen Fluchtversuch zu unternehmen. Erst als die Flammen erloschen, gelang es dem Nekromanten, seinen Blick zu lösen.
Ein leises trockenes Klatschen erklang.
„Sehr gut.“ Brenoks Stimme war flach und freudlos.
„Das war ein guter Anfang. Jetzt wenden wir uns größeren Aufgaben zu.“
Siegoin nickte ins Dunkel. Er war jetzt zu allem bereit, auch wenn er mit Bedauern festgestellt hatte, dass der Lebensentzug ihm nicht die erhoffte Befriedigung gebracht hatte. Es war, als wäre ein riesengroßes Loch in seinem Inneren, das von der Lebenskraft des Hasen nur zu einem verschwindend geringen Teil gefüllt worden war. Noch immer zerrte ein inneres Bedürfnis an ihm.
„Irgendetwas fehlt mir. Warum bin ich nicht … glücklich?“
Siegoins Stimme war rau und heiser.
„Weil das nur ein erster Schritt war. Erst wenn alle um uns herum so sind wie wir, dann sind wir zufrieden. Was glaubst du, warum die Völker auf Iskandrien sich bekämpft haben? Warum sie aus der Not heraus den Weg wählten, dass jeder sein Gebiet behält? Und warum diese Insel ein Fass voller Welfernbrunst ist, das nur entzündet werden muss. Es liegt in der Natur der denkenden Wesen, dass sie nur zufrieden sind, wenn alle um sie herum so sind wie sie selber. Also machen wir Iskandrien zu unserem Reich.“
Langsam, zögernd hatte Siegoin genickt. Ja, das war der Weg, den es zu gehen galt. Hier, in dieser Höhle entstand eine neue Macht, die Iskandrien in ihren Bann zwingen würde. Die Macht des Monolithen.
Die kleine vorgelagerte Insel wurde zu einem Ort des Schreckens und der Finsternis. Immer mehr Untote und Nekromanten tauchten auf der Insel auf, immer mehr Siedler verschwanden. Aufgebrachte Bewohner der winzigen Siedlungen verfolgten grau gewandete Gestalten, die ihre Freunde und Familienmitglieder in Untote verwandelt hatten. Sie wurden zum Monolithen gelockt, wo die furchtbare Macht des Steins ihre Wirkung entfaltete. Die Armee der Nekromanten gewann neue Streiter.
Die kleine Insel war das letzte Überbleibsel eines Abbruchs von der Hauptinsel Iskandrien.
Bewacht nur von der Festung der Zwerge, einer kleinen mit nicht einmal einem Dutzend Zwergen bemannten Enklave.
Dann, in einer Nacht, verschwand die gesamte Besatzung der Festung. Drei Tage später entdeckten die Zwerge, die die Ablösung für ihre Kameraden darstellten, dass alle Wächter verschwunden waren. Ein eilig zusammengestellter Suchtrupp, der über die Brücke geschickt wurde, um die Besatzung zu finden, stand plötzlich den eigenen Brüdern gegenüber. Mit verzerrten, leblosen Gesichtern und steifen hölzernen Bewegungen stapften sie auf die Angehörigen ihres eigenen Volkes zu und griffen sie ohne Vorwarnung an.
Der Suchtrupp setzte sich verzweifelt zur Wehr.
Im Kampfgeschehen tauchten plötzlich grau gewandete Gestalten auf. Sie berührten die gefallen Zwerge, verharrten einige Momente neben ihnen. Daraufhin erhoben sich die Zwerge und drangen ebenfalls auf den Suchtrupp ein. Mit Entsetzen sahen die Überlebenden ihre Freunde und Mitstreiter mit dumpfen Gesichtern auf sich zu trotten, mit gehobener Axt und seelenlosem Blick.
Mit letzter Kraft gelang es zwei Zwergen zu entkommen. Blutend und von Grauen erfüllt hasteten sie über die Brücke.
Der eine legte dem Anderen eine Hand auf die Schulter.
„Wir müssen die Brücke zerstören. Dieses Grauen darf unser Volk nicht erreichen. Ich halte sie auf und du löst die Lawine aus.“
Es lag im Wesen der Zwerge, sich doppelt und dreifach abzusichern. So war man stolz auf das Bauwunder, das diese Brücke darstellte. Aber man sorgte gleichzeitig für eine Möglichkeit, sie mit einem Schlag zu zerstören, wenn sie Gefahr bringen würde. Also sammelten die Zwerge Ladungen schwerer Steine zu einer Lawine, die durch eine weitere geschickte Konstruktion zurück gehalten wurde. Mit dem Zug an einem Hebel, konnte die Lawine auf die Brücke hernieder gehen.
Der Zwerg nickte. Seine Wunden waren zu schwer, um dieses Grauen auch nur einen Moment aufhalten zu können. Aber er brauchte einen Vorsprung, damit der Feind den Plan nicht vereitelte.
Während sein Freund die Axt fester packte und sich den nachrückenden Feinden entgegen stellte, schleppte der verletzte Zwerg sich mit letzter Kraft zu dem langen Hebel, der in einer kleinen Kammer der Festung aus dem Boden ragte.
Ein letzter Blick aus dem Fenster zeigte ihm, dass sein Freund immer weiter zurück gedrängt wurde, jetzt da stand, wo die Lawine die Brücke in Stücke schlagen würde. Mehrere Graue näherten sich dem verzweifelt kämpfenden Zwerg.
Mit einem bitteren Fluch auf den Lippen riss der Zwerg an dem Hebel. Er hörte ein leises Gleiten, dann ein schwaches Rumpeln, das immer lauter wurde. Eine Lawine aus Felsen stürzte auf die Brücke und dort, wo sich eben noch eine Gruppe von Wesen auf den verzweifelten Verteidiger gestürzt hatte klaffte bloß noch eine riesige Lücke. Der Einbruch ließ die gesamte ausgeklügelte Konstruktion in Sekunden über die gesamte Länge hinab in die aufspritzenden Wassermassen stürzen.
Weinend brach der letzte Überlebende neben dem Hebel zusammen. So entgingen ihm die beiden grau gewandeten Gestalten, die sich über den Hof der kleinen Festung schlichen und im Zwergenland verschwanden.Mit schnellen Schritten strebten Nat, Tally, Kalistan, Sharn, Ilana, Odu, Ygomir Wallin, Parlass Walgardsson, Thorbeil Armstark, Jorina, Mahti, Garondir und Thibold Eisenhammer der Tür zum Schlosshof zu.
„HALT!“ Jorinas Stimme übertönte das Geräusch der Schritte.
„Das ist Kuhdreck, was wir hier machen. Wir müssen uns nicht mit zwanzig Leuten eine Stelle auf dem Boden anschauen.“
„Wir sind nur dreizehn“, wandte Sharn ein, doch ein Blick der Alten ließ ihn verstummen.
„Einige von uns sollten sich darum kümmern, die anderen dringenden Aufgaben zu erfüllen. Manch einer hat ziemlich lange geschlafen.“ Sie ließ ihren strengen Blick über Nat, Tally, Sharn und Ilana gleiten.
Dann stieß sie Thorbeil Armstark auffordernd an.
Der Herrscher der Stadt Arkadien sah verlegen zu der alten Frau herüber.
„Du hast Recht.“ Er räusperte sich.
„Also, ich möchte, dass die Zwerge den Aufbau der zerstörten Verteidigungsanlagen vorantreiben, falls uns weiteres Ungemach droht.“
Thibold Eisenhammer zögerte kurz, warf den Anderen einen undefinierbaren Blick zu. Dann nickte er und stapfte aus dem Schloss.
„Die Elfen möchte ich bitten, dass Umland abzusuchen, ob Spuren des Flüchtenden zu finden sind oder es noch Leute des Schwarzen dort draußen gibt.“
„So sei es.“ Garondir folgte dem Zwerg.
„Gronik, mein Freund. Du sagtest, du bräuchtest Zeit, um das Greifenjunge an dich zu gewöhnen. Diese Zeit sei dir hiermit gewährt.“
„Aber mein Greif …?!?“
„Wir werden dir berichten, mein Freund, da sei dir sicher.“
Mit festem Blick sah Jorina den Barbarenführer an, bis dieser widerstrebend nickte.
„Odu, Mahti. Euch fällt die Aufgabe zu, den Hafen von Wrackteilen räumen zu lassen und die Brander von der Hafeneinfahrt zu entfernen. Mein Hafenmeister hatte wohl Furcht, ob seiner Unterstützung der Piraten in Ungnade gefallen zu sein.“
Das finstere Gesicht Armstarks zeigte, dass diese Sorge nicht völlig unbegründet war.
„Er hat sich den Piraten angeschlossen und ist wohl bei eurem Angriff gefallen. Zu Recht. Daher brauche ich erfahrene Leute, die diese Aufgaben übernehmen.“
„In Ordnung.“ Odu fasste Mahti am Arm und zog ihn hinter sich her.
„Aber ich bin der Hafenmeister“, hörte man noch die Stimme des Alten, dann waren sie verschwunden.
„Parlass, mein Freund. Dich würde ich bitten, weiter die Ansprüche der Städter aufzunehmen. Mir fehlt derzeit noch etwas die Geduld mit diesen Pfeffersäcken. Pangratius, die treue Seele und sein Vetter warten bereits auf dich. Ich würde dir auch gerne Wallin zur Seite stellen, da vielleicht nicht alle eine Ablehnung so klaglos hinnehmen.“
Der Kanzler nickte zustimmend.
„Gerne, aber seid vorsichtig da draußen.“
Er gab Ygomir Wallin ein Zeichen und gemeinsam begaben sie sich in die Arbeitsräume des Herrschers von Arkadien.
Thorbeil Armstark sah Jorina aus müden Augen an.
„Ist diese Gruppe mehr in deinem Sinne, meine Liebe?“
Die Alte nickte.
„Schon besser. Nun bleibst du noch zurück, um dich zu schonen. Du wärest nur ein Klotz am Bein.“
Ihr fester Blick ruhte auf der Gestalt Armstarks. Die Zeit, eingeschlossen im magischen Eis hatte ihm doch schwer zugesetzt.
Einen Moment lang schien er aufbegehren zu wollen. Doch dann nickte er müde.
„Du hast Recht. Ich könnte euch gar nicht mehr so folgen, wenn ihr jetzt zum Friedhof lauft. Ich bin nicht mehr so eine Gazelle wie du.“
Ein schelmisches Grinsen huschte über sein Gesicht.
„Aber meine Leute können das.“
Aus einem Durchgang kamen vier Männer und trugen eine große Sänfte heran.
„Ein Geschenk unseres verehrten Königs von Sylthania. Bis heute wusste ich nicht, was das sollte, aber jetzt sehe ich eine Verwendung für das Trumm. Du bist herzlich eingeladen, mit mir durch die Straße Arkadiens zu schweben, Jorina.“
Über das verblüffte Gesicht der alten Frau musste er herzhaft lachen. Galant reichte er ihr die Hand und führte sie zu der Sänfte, die die Träger auf den Boden gestellt hatten.
Widerstrebend stieg die Alte in das Gefährt. Mit einem Ruck, der sie aufschreien ließ, hoben die Träger die Sänfte an und verließen den Schlosshof.
Lachend und kopfschüttelnd folgten ihnen die Anderen.
Nach einem Zug durch die Stadt, bei dem sie viele staunende Bewohner passierten, kamen sie zum Friedhof.
Thorbeil Armstark ließ die Sänfte absetzen und kletterte hinaus. Er reichte Jorina die Hand und gemeinsam mit Nat, Ilana, Kalistan, Sharn und Tally gingen sie zu einem offenen Grab, um das mehrere Soldaten herum standen. Der Ring der Männer teilte sich und gab den Blick frei auf die offene Grube und den Leichnam, der an der Seite lag, wie ein alter Lumpensack.
Sie warfen einen Blick hinein in die leere Grube, dann auf den Toten.
„Er wurde erstochen.“
Einer der Soldaten schob sich nach vorne.
„Ein Stich in den Rücken. Wie es scheint sehr gut getroffen, denn es hat keinen Kampf und keine Gegenwehr gegeben.“
Er wies auf einen großen, massigen Mann, der etwas abseits stand.
„Das ist der Totengräber. Er sagt, hier wurde etwas aus der Erde gezogen, nicht ausgegraben. Die Erde wäre anders verteilt gewesen.“
„Gezogen. Ja. Oder es ist aus der Erde gestiegen.“
Entsetzen zeichnete die Gesichter der umstehenden Soldaten.
„Ich will sofort die Kadaver des Greifen und des Drachen sehen.“
Jorina schob Armstark voran, auf die nahe Steilwand zu.
Hinter einem schmalen Vorsprung lag die Stelle, an der am Ende eines unglaublichen Kampfes der Drache Rrordraks und der Greif Groniks zu Boden gestürzt waren. Neben ihnen hatte der geschundene Körper Nat’s gelegen, den nur seine Magie davor bewahrt hatte, hier sein Ende zu finden.
Als sie jetzt um die Ecke kamen, sahen sie die Kadaver der mächtigen Wesen, die jetzt nur noch zerfallende Haufen von Knochen, Fleisch, Fell und Federn waren. Aber der Drache, den man hier verwesend zurück gelassen hatte, für die Krähen und die Hunde, war fast verschwunden.
Wo gestern noch sein Kadaver hoch aufgeragt hatte, lag jetzt nur eine flache formlose Masse von Haut, Fleisch und Muskeln.
„Die Knochen. Sie sind weg.“ Fassungslos starrte Nat auf die Überreste des furchtbaren Tieres, das ihn um ein Haar mit in den Tod gerissen hätte. Mit Mühe war es ihm gelungen, das Ungetüm zu besiegen und nur seine Magie hatte ihn die Wunden und Verletzungen überstehen lassen.
Alle blieben wie erstarrt stehen, nur Jorina ging mit gebeugtem Rücken um die Reste des Kadavers herum. Ihr Blick war verschleiert.
Plötzlich richtete sie sich auf und ließ ein heiseres Fauchen ertönen. Ihr Gesicht war von Abscheu verzerrt. Sie griff nach dem Talisman, der um ihren dürren Hals hing und stieß abgehackte Wortfetzen aus.
Mit zitternder Hand deutete sie auf einen kleinen Haufen dunklen Staubs, der sich kaum von dem umgebenden Sand abhob.
Ilana richtete ihren Blick auf den Staub und geriet ins Schwanken. Ihre für eine Elfin überraschend dunklen Gesichtszüge wurden bleich.
„Tod, purer Tod.“ Sie wandte sich ab und spuckte auf den Boden, so als müsste sie einen ekelhaften Geschmack loswerden.
Sharn legte ihr schützend einen Arm um die Schultern.
„Was hat das zu bedeuten?“ Verwirrt blickte Thorbeil Armstark zwischen den beiden Frauen hin und her.
Jorina deutete auf den Staubhaufen.
„Das ist schwärzeste Magie. So tiefschwarz, dass mir von dem Anblick die Seele schmerzt. So etwas habe ich noch nie gesehen.“
Nur zögernd näherte sie sich dem Staub. Sie griff einen herumliegenden Zweig und stocherte in dem grauen Puder.
Mit einem Aufschrei schleuderte sie den Zweig von sich und ging einige Schritte von dem Staubhaufen fort.
„Dieses Zeug war mal ein Stein oder Teil eines Steins. In fester Form muss die Macht dieses Steins noch um ein Vielfaches größer sein. Und schon dieser Haufen Staub weckt in mir eine Sehnsucht nach dem Tod.“
Ihr Blick ging zwischen der zerfallenen Haut, dem Fleisch des Drachen und dem Staubhaufen hin und her.
„Hier muss ein Nekromant mit enormer Macht am Werk gewesen sein. Zwei Wesen in einer Nacht zu Untoten zu machen, noch dazu ein Wesen von der Stärke eines Drachen, dass muss eine gigantische Aufgabe gewesen sein.“
„Daher der Staub.“ Ilanas Stimme war brüchig und dünn wie Eis auf einer Wasserlache.
„Er hat seine unsägliche Kraft damit wieder aufgeladen.“
Jorina nickte zustimmend.
„So wird es gewesen sein. Der Stein, der hier zu Staub zerfallen ist, muss die Macht eines Nekromanten um ein Vielfaches steigern.“
Sie griff nach Thorbeils Arm, gleichermaßen um zu stützen und gestützt zu werden.
„Und der Greif?“ Nat blickte zu der Stelle, wo der Kadaver des stolzen Tieres lag, das ihm das Leben gerettet und mit ihm zusammen den übermächtigen Drachen besiegt hatte. Schnell eilten sie hinüber, doch Fell, Federn und Knochen des Tieres waren unangetastet.
„Das hätte wohl die Kräfte des Nekromanten überstiegen, auch noch ein so stolzes und starkes Tier zu vereinnahmen.“ Ilanas Blick ging zwischen den Überresten der beiden Wesen hin und her.
„Außerdem war er zu gut und um ihn zu beherrschen bedurfte es einer Verbindung wie zwischen Gronik und dem Greif.“
„Und genau deshalb brauchte er Rrordrak. Hmmm … . Lasst uns zurückkehren. Ich muss nachdenken“, ließ sich Jorina vernehmen.
Mit gesenkten Köpfen und in Gedanken versunken verließ die Gruppe den Friedhof.
„Ihr wollt … was?“
Parlass Walgardssons Stimme klang gefährlich leise. Jeder, der ihn genauer kannte, hätte jetzt gewusst, dass weitere Worte auf die Goldwaage zu legen waren, bevor sie ausgesprochen wurden. Doch dieses Wissen ging den beiden Frauen, die vor dem Tisch des Kanzlers standen, gänzlich ab.
„Eine Entschädigung für die ganze schmutzige Wäsche, die ich durch den Ruß dieses vermaledeiten Drachen hatte.“
„Jawohl, ich auch. Mindestens zwei … ääh … fünfmal musste ich mit der Wäsche zum Wasser, um den Dreck wieder raus zu kriegen. Wenn der Spelzer für seinen abgebrannten Kontor so eine dicke Abfindung kriegt, dann muss ich für meine … meine Qualen auch eine ordentliche Abfindung bekommen.“
„Jawohl , genau!“
Der Kanzler von Rimmond fixierte die beiden Frauen mit zusammen gekniffenen Augen. Die Frauen glichen sich wie zwei braune Hühner auf dem Hof. Beide waren übergewichtig, mit hochroten Gesichtern, aufgesetzten Frisuren und in wallende Gewänder gehüllt. Parlass Walgardsson hätte wetten mögen, dass keine dieser Frauen in den letzten Jahren jemals ein Stück Wäsche zum Wasser getragen hatte, geschweige denn es eigenhändig gewaschen hatte. Und jetzt wollte sie sich ein Stück von diesem Kuchen abschneiden, den Thorbeil Armstark denjenigen zugestand, die durch die Herrschaft des Schwarzdruiden Rrordrak und seines Drachen einen Schaden erlitten hatten. Diese Entscheidung des Führers der Stadt Rimmond hatte sehr schnell die Runde in der Stadt gemacht. Langsam spürte Walgardsson, wie ihm die Galle hoch kam.
Aber er musste ruhig bleiben. Als erfahrener Politiker in den ewigen Debatten um den Frieden auf Iskandrien wusste er, dass jeder Unzufriedene zwei, drei oder zehn neue Unzufriedene bedeuten konnte. Leider pflanzte sich Unzufriedenheit sehr viel wirkungsvoller fort als Zufriedenheit.
„Jetzt habe ich verstanden, worum es geht.“ Mühsam setzte er ein mehr oder weniger freundliches Politikerlächeln auf.
„Natürlich sollt ihr für den euch entstandenen Schaden auch angemessen entschädigt werden.“ Wie immer ich das auch meine, dachte er bei sich.
„Aber um euren Schaden ermessen zu können, muss ich natürlich wissen, um wie viele Stücke es sich handelt und welchen Schaden sie durch die übermäßige Wascherei genommen haben. Daher werde ich euch einen Trupp Soldaten schicken, der alle Kleider aus eurem Haus abholt. Dann müsst ihr sie nicht selber schleppen. Die werden wir dann hier im Schloss sorgfältig untersuchen um euch eine angemessene Entschädigung zukommen lassen.“
Die Frauen lächelten sich unsicher zu. Ein Trupp Soldaten im Haus. Die eigene Wäsche einer sorgfältigen Prüfung unterziehen lassen.
In Gedanken ging jede durch, wie viele Stücke nur notdürftig oder vielleicht gar nicht geflickt wären und welchen Eindruck man hier im Schloss ob dieser armseligen Garderobe kriegen würde.
Und Parlass Walgardsson war noch nicht fertig.
„Ihr seht ja auch, welche immensen Schäden der Drache und sein Herrscher hier in Arkadien angerichtet haben.“
Die Frauen nickten eifrig.
„Daher könnt ihr euch vorstellen, dass die Prüfung eures Anspruchs sicherlich einige Umläufe in Anspruch nehmen wird. Alle verfügbaren Leute sind bis auf weiteres dafür eingesetzt, zu eurer aller Sicherheit die Anlagen der Stadt wieder instand zu setzen.“
Den Frauen fiel die Kinnlade hinab. Mehrere Umläufe ohne andere Kleidung. Soldaten im Haus, die zu allem Überfluss vielleicht noch etwas kaputt machten und das hämische Gelächter der Schneider, wenn sie die fadenscheinige Wäsche in Augenschein nahmen.
„Ääh Herr, ich habe es mir überlegt. Ich möchte keine Kräfte der Stadt binden, um meinen Anspruch zu prüfen. Alles soll dafür gegeben werden, unsere geliebte Stadt wieder aufzubauen. Ich glaube, ich ziehe meine Anfrage damit zurück.“
Eine der Hennen faltete ihre Hände wie zum Gebet und sah den Kanzler von Rimmond reumütig an.
Die Andere seufzte, ihr Gesicht legte sich in kummervolle Falten.
„Ich sehe das natürlich genau so wie meine Freundin, hier. Was sind schon unsere Schäden im Vergleich zu dem Schicksal unserer Stadt. Auch ich ziehe natürlich meinen Anspruch für einen höheren Zweck zurück.“
Der Kanzler erhob sich von seinem Stuhl und verneigte sich tief vor den Frauen.
„Ich danke euch, auch im Namen des Herrn von Arkadien für euer Verständnis und eure Großmut. Wenn alle, die hier herkommen so anständig sind wie ihr, ist mir um die Zukunft dieser Stadt nicht bange.“
Mit diesen Worten geleitete er sie zur Tür und schob sie hinaus.
Als sich die Tür hinter den beiden Frauen schloss, blickte Walgardsson kopfschüttelnd zu Pangratius und Baldun.
„Was ist nur in die Menschen gefahren. Keine Notlage ist groß genug, dass man nicht versuchen kann daraus einen eigenen Vorteil zu ziehen. Wir sind eine Rasse von Ich-Wesen. Das wird noch einmal unser Ende sein.“
Seufzend ging er zurück zu seinem Stuhl.
Hinter ihm öffnete sich die Tür und die Wache brachte den nächsten Bittsteller herein.
Mit einem Krachen landete der skelettierte Drache auf der Lichtung, die Gelenke, die nur noch von dunkler Magie zusammen gehalten wurden, knirschten wie schlecht geölte Türscharniere.
Siegoin versuchte sich aufzurichten, doch seine kalten steifen Muskeln gehorchten den Befehlen seines Gehirns nicht.
Dann eben anders, dachte er bei sich. Per Gedankenbefehl forderte er Rrordrak auf, seinen Körper aufzurichten und vorsichtig aus dem Halt der Rippenbögen des Drachen heraus zu lösen. Nur mit Mühe gelang es dem Untoten, der schon zu Lebzeiten kein Muskelpaket gewesen war, dem Befehl nachzukommen.
Unsanft setzte der Nekromant auf dem Boden auf, strauchelte und brach in die Knie. Seine Hände krallten sich in den Staub. Im gleichen Moment spürte er eine starke dunkle Macht, die aus dem Boden in seine Hände zu ziehen schien, wie Kälte, die einem in einer frostigen Nacht die Knochen malträtiert. Doch diese Macht empfand er nicht als unangenehm. Es war das Sehnen, die tiefe Finsternis, die der Monolith immer in Siegoin auslöste. Die ihm die Kraft verliehen hatte, auch im fernen Arkadien zu wirken und ihm so starke Verbündete bescherte. Wobei das mit der Stärke Rrordraks vielleicht ein etwas falscher Begriff war. Wenn der über etwas nicht verfügte, war es körperliche Stärke.
Siegoin hob den Kopf und sah sich um. Unter den nahen Bäumen erkannte er die schemenhaften Umrisse von Menschen. Das waren die Anderen seines Stammes, seines Volkes, die mit weit aufgerissenen Augen die Wesen ansahen, die Siegoin auf die Insel geführt hatte.
Mit einer mühsamen Armbewegung versuchte der Nekromant die Anderen heran zu winken. Seine Stimme gehorchte ihm noch nicht, sein Rufen war nur ein schwaches Krächzen.
Ach verdammt, bei der Macht des Monolithen. Warum sollte er sich jetzt noch Gedanken machen. Er war wieder da, stand wieder unter dem Einfluss des Monolithen. Hier war er in Sicherheit, umgeben von seinen Leuten und zwei mächtigen Verbündeten, die unter seiner Kontrolle standen. Mit diesen beruhigenden Gedanken schloss er die Augen und ließ sich auf die Erde sinken. Noch bevor sein Kopf den Boden berührte, schlief er tief und fest.
Neben ihm stand bewegungslos die dürre Gestalt Rrordraks. Seine Gesichtszüge waren durch den Tod denen eines Skeletts noch ähnlicher geworden. Seine dunklen Augen waren trübe und starrten blicklos in die Luft. Die dreckverschmierte von geronnenem eingetrocknetem Blut verkrustete Kleidung hing ihm wie Sackleinen um den ausgemergelten Körper. Er war untot, eine Marionette des Mannes, der jetzt zu seinen Füßen lag. Gezwungen, jeden Befehl auszuführen, den der Nekromant ihm zudachte. Doch etwas war anders. So, wie es kein Nekromant und kein Untoter je erlebt hatten.
Die tiefe Bösartigkeit, die Schwarzdruidenmacht, das Besondere, das aus Rrordrak einen Menschen gemacht hatte, der eine Verbindung mit einem Drachen eingegangen war, das alles wehrte sich gegen ein untotes Dasein. In seinem toten Körper ruhend, versuchte es jetzt, wo der Körper wieder mehr oder weniger funktionierte die Macht über seine Gedanken zu ergreifen. Die Macht der Nekromantie und die Mächte, über die Rrordrak gebot, sie begannen einen lautlosen aber heftigen Kampf um die Vorherrschaft in der Hülle, die sein Körper darstellte.
Während er bewegungslos verharrte, tobte in seinem Inneren ein erstes Gefecht. Durch seine Füße schien eine schwarze Macht in seinen Körper einzudringen, wirkte unentschlossen ob sie die nekromantischen Mächte stärken sollte oder sich der neuen bisher unbekannten, aber nicht weniger schwarzen Macht des Druiden unterwerfen sollte.
Man hätte glauben können, dass man Schlachtenlärm vernommen hätte, wenn man das Ohr an den Bauch des Druiden gehalten hätte. Doch davon hielt einen schon der strenge Verwesungsgeruch ab, der ihn umwehte.
Von all dem merkten die Gestalten nichts, die sich langsam den drei Wesen näherten. Brenok führte die Gruppe an. Er hatte Siegoin natürlich sofort erkannt obwohl diesen die Strapazen der letzten Stunden gezeichnet hatten. Aber der Drache aus Knochen war so ein überraschender Anblick, dass er sich überwinden musste, um sich zu nähern.
Er blickte auf die ausgemergelte Gestalt in den dreckverkrusteten Sachen. Dann auf den Drachen, der völlig reglos da stand und aus leeren Augenhöhlen in die Ferne zu starren schien.
Brenok gab den Anderen, die ihn begleiteten ein Zeichen. Sie hoben Siegoin auf und trugen ihn von der Lichtung.
Mit steifen, scheinbar widerstrebenden Bewegungen folgte der Untote und hinter diesem setzte auch der Drache sich in Bewegung. Als der merkte, dass er den Menschen nicht unter die Bäume folgen konnte, blieb er wie zur Salzsäule erstarrt stehen.
Brenok blickte über die Schulter und sah den Drachen. Er konnte sich der Faszination nicht entziehen, die der Anblick dieses Drachen auf ihn ausübte. Eine Macht, die einen Drachen zu einem willenlosen Gehilfen machte. Unfassbar. Die Nekromantie, die Macht des Monolithen musste einfach die einzige Kraft auf dieser Welt werden. Nichts und Niemand konnte sich dem in den Weg stellen.Nat, Sharn, Ilana und Tally stapften durch die Stadt. Kalistan hatte sich von der Gruppe abgesetzt, um Gronik zu holen. Sharn vermutete, dass der Kanzlersohn die Gelegenheit nutzen wollte, die junge Frau, Ridora, wieder zu sehen, die hier in Arkadien so mutig an ihrer Seite gestanden hatte.
Überall herrschte reges Treiben. Am Stadttor stand eine lange Schlange von Händlern, Marktschreiern und anderen Bürgern Arkadiens. Sie wollten nach dieser langen Zeit des Eingesperrt seins die Umklammerung der Stadtmauern verlassen, Waren kaufen und verkaufen, die Märkte bereisen oder einfach nur ihre Freunde und Familien in den anderen Teilen Thorlands besuchen. In der Stadt wurde an vielen Stellen gebaut, repariert oder zerstört. Alles was an die Herrschaft Rrordraks erinnerte wurde zerschlagen, verbrannt und vergraben. Die Verwüstungen, die der Drache, der Druide oder seine Männer angerichtet hatten, wurden ausgeräumt.
Die Städter fühlten sich, als hätte man den Deckel ihres Sarges aufgeklappt und ihnen ein neues freies Leben geschenkt.
Eigentlich hätte die überschäumende Freude sich gerade an die Befreier richten sollen, die ihr Leben dafür eingesetzt hatten. Doch Nat spürte genau die Distanz, die zwischen ihm und den Bewohnern Arkadiens bestand.
Er sprach die Anderen darauf an. Tally und Sharn zuckten die Achseln, nur Ilana hatte eine Erklärung für dieses Verhalten.
„Sie schämen sich. Eine ganze Stadt voller Menschen, die sich wie Mäuse verkriechen. Und dann kommt eine kleine entschlossene Schar und befreit in einem Handstreich die Stadt.“
„Aber so einfach war es doch nicht. Ohne die Armee vor den Toren, ohne unsere Magie hätten wir Rrordrak und den Drachen nie besiegt. Die Stadtbewohner hätten keine Chance gehabt.“
Nat schüttelte ungläubig den Kopf.
„Da hast du Recht. Doch so einfach machen die Städter sich das nicht. Sie werden sich sagen, dass sie andere Vorteile hatten, die sie einsetzen konnten, um den Schwarzen zu besiegen. Sie haben es aber nicht gewagt. Sie waren zu feige.“
„Verstehe einer die Menschen. Heißt das, sie möchten uns so schnell wie möglich fort sehen?“
„Nun ja, du solltest bedenken, dass gerade wir, die wir in der Stadt gekämpft haben ein dauerndes Mahnmal für die Feigheit der Stadt sind. Die Armee vor der Stadt kann man akzeptieren, die stellten eine geballte militärische Macht dar, die man hier nicht hatte. Aber einige wenige entschlossene Kämpfer hätte doch auch diese Stadt aufbringen können.“
Nat verzog das Gesicht und rieb sich die Arme.
„Wenn ich daran denke, dass ich gestern fast gestorben bin, bei dem Kampf gegen den Drachen und nur meine Magie und die meines Vaters mich gerettet haben. Das hätte doch keiner von denen schaffen können.“
Ilana lächelte.
„So denken Menschen nun mal nicht. Und ich kann dir versichern, bei Zwergen oder Barbaren wäre das noch schlimmer gewesen.“
„Aber was ist mit den Elfen? Hätten die das für gut befunden?“
Ein Schatten huschte über Ilanas Gesicht. Einen Moment schämte Nat sich, diese Frage gestellt zu haben und alte Wunden in Ilana berührt zu haben.
„Nein, ein Elf denkt da anders. Er hätte sich gefreut, dass ein Anderer die Arbeit getan hätte. Und es hätte für ihn keinen Grund gegeben, sich zu schämen. Denn wenn nicht der Andere das gemacht hätte, dann hätte er selber die Aufgabe erledigt. Und das natürlich mindestens genauso gut oder besser. Das ist das Selbstverständnis eines Elfen.“
Nat brannten weitere Fragen auf der Zunge, aber er wagte es nicht, sie jetzt zu stellen und Ilana weiter zu bedrängen.
Jetzt sprang auch Sharn dazwischen.
„Was glaubt ihr, wo sind die Knochen des Drachen und wo ist das schwarze Schreckgespenst?“
„Wenn ich Jorina richtig verstanden habe“, antwortete Tally, „dann hat der Nekromant den Schwarzen wieder belebt oder zu einem Untoten gemacht und dann mit ihm an seiner Seite das Knochengerüst des Drachen magisch auferstehen lassen. Aber das muss eine unfassbare magische Leistung gewesen sein.“
Alle blickten zu Ilana, die als Elfin der Magie am kundigsten war.
Sie nickte langsam, ihr Blick war in die Ferne gerichtet.
„Daher der Staub an dem Platz, wo der Drache lag. Das müssen die Reste eines magischen Steines sein, der ein mächtiges Artefakt darstellte oder Teil eines noch viel mächtigeren Artefaktes ist. Wenn man sich vorstellt, dass dies vielleicht nur ein Splitter eines großen Steines ist … :“ Sie verstummte.
„Aber ein Artefakt von dieser Macht auf einer Insel, wo die Völker doch jeden Fußbreit Boden kennen. Davon müsste man doch wissen.“ Ilana nickte zustimmend.
„Ich gebe dir Recht, Tally. Aber es gibt innerhalb des Ringes, den der Nebel um die Insel und das umliegende Meer bildet und, wie du nur zu gut weißt, auch innerhalb des Nebels noch unerforschte Orte. Von dort können vielleicht noch die größten Schrecken kommen.“
„Wir sollten die anderen befragen. Wir haben die Anführer aller Völker hier in Arkadien. Wenn Irgendjemand weiß, ob es einen solchen Ort gibt, dann sind sie es.“ Sharn klatschte in die Hände.
„Lasst uns eine Sitzung abhalten, am besten mit Bier, Wein, Met und unseren Frauen.“
„Du hast das Essen vergessen.“ Ilana stieß Sharn lächelnd einen Ellenbogen in die Seite. Tally staunte. Eine Elfin, die die derben Scherze eines Menschen aufgriff und noch nachlegte. Unglaublich. Sie hakte sich bei Nat ein und gemeinsam stapften die vier jungen Leute zum Schloss.
Auch Jorina und Thorbeil Armstark waren zu ähnlichen Schlüssen gekommen wie Nat, Tally, Ilana und Sharn. Kaum hatte ihre Sänfte sie im Schlosshof abgesetzt, hatte der Herrscher von Arkadien bereits Diener ausgesandt, Garondir und Thibold Eisenhammer, Odu, Mahti, Kalistan und Gronik zu sich zu bitten.
Als die alte Frau und der immer noch geschwächte Schlossherr es sich gerade im Kaminzimmer gemütlich gemacht hatten, trafen nach und nach auch die Anderen ein.
Als alle versammelt waren, ergriff Thorbeil Armstark das Wort. Mit wenigen Sätzen schilderte er die Situation und welche Schlüsse er und Jorina aus ihren Feststellungen gezogen hatten.
„Daher suchen wir ein mächtiges Artefakt, dass Demjenigen der es trägt oder auch nur einen Splitter davon trägt, enorme nekromantische Fähigkeiten verleiht. Eine solche Macht kann nicht unentdeckt geblieben sein, daher möchte ich euch fragen, ob einer von euch einen Hinweis, vielleicht auch nur ein Gerücht oder eine Sage zum Auftreten nekromantischer Macht geben kann.“
Tiefes Schweigen legte sich über den Raum. Alle schienen in sich hinein zu horchen, ob die Worte Armstarks etwas in ihnen zum klingen brachten, doch keiner sagte ein Wort.
Jorina beobachtete die Gruppe aufmerksam. Besonders Garondir und Thibold Eisenhammer hatte sie dabei genau im Blick. Sie wusste von dem Stolz der beiden Völker und das keiner von ihnen so leicht etwas eingestehen würde, dass von den Anderen als Schwäche oder Fehler angesehen werden könnte.
Beide waren um unbewegte Gesichter bemüht, doch ihrem Blick entging nicht das leichte Zucken über der wulstigen Augenbraue des Zwerges.
„Thibold Eisenhammer, hat sich das stolze Volk der Zwerge in der jüngeren Vergangenheit mit Angriffen durch die abscheuliche Form der Magie auseinander setzen müssen? Oder Garondir, sind eure blühenden Haine mit dieser Form von Tod und Verderben in Berührung gekommen.“
Garondirs hochmütiges Gesicht blieb verschlossen, doch er schüttelte verneinend den Kopf.
Die Miene des Zwerges jedoch wurde von Wut und Trauer für einen kurzen Moment verzerrt. Dann wurde er gewahr, welche Gefahr für alle Völker dieser Insel drohte und dass falscher Stolz hier nicht angebracht war.
„Es gibt da eine kleine, unzugängliche Insel.“ Er räusperte sich.
„Bis vor einiger Zeit gab es eine Brücke, die vom Zwergenreich aus zu der Insel führte. Dies war der einzige Weg auf die Insel, da die Küsten so schroff und rau sind und die Insel von Untiefen und schartigen Felsen Umsäumt ist, dass kein Schiff dort landen kann. Da es auf dieser Insel nichts von Interesse für die Zwerge gab, haben wir sie Anderen überlassen, die dort ihr Glück versuchen wollten. Hauptsächlich Menschen, die ihr Heil in der Flucht suchten.“ Der Anführer der Zwerge blickte in die Runde. Die offenen und gespannten Gesichter der Umstehenden forderten ihn auf, mit seiner Geschichte fortzufahren.
„Wir haben diese Brücke, die ein einmaliges Bauwerk meiner Vorfahren war, durch eine Garnison bewachen lassen, da wir nicht gerne Fremde unbeobachtet in unserem Rücken haben.“
Das war eine Vorstellung, die den anderen Führern der Völker nur allzu nachvollziehbar war.
„Eines Tages verschwand die Besatzung unserer Garnison. Da die Vermutung bestand, es könnte mit der Insel zusammen hängen, schickte der örtliche Kommandant einen Suchtrupp auf die Insel, um nach den Verschwundenen zu forschen.“
Thibold Eisenhammer wischte sich über das Gesicht.
„Er hatte damit nicht gewartet, bis Verstärkung da war. Und ehrlich gesagt, der gerade erst entstandene Friede ….“ Ein kurzes Hüsteln. „… band schon noch einige Kräfte, so dass wir ihm nicht so unverzüglich zu Hilfe eilen konnten.“
Vollkommenes Schweigen, alle Zuhörenden hingen dem Zwerg an den Lippen, was ihm sichtlich unangenehm war. Die Zwerge, von Haus aus nicht die Mitteilsamsten, hassten nichts mehr, als vor einer interessierten Gruppe sprechen zu müssen. Außer, sie hatten die entsprechende Menge Bier oder Schnaps verkonsumiert.
„Was dann genau geschah ist nicht geklärt. Offensichtlich ist der Suchtrupp in Schwierigkeiten geraten. Nur einem Krieger ist es gelungen, über die Brücke zurück zu kommen. Er hat dann in der Garnison eine Lawine ausgelöst, die die Brücke zerstört hat.“
Nat hob an, eine Frage zu stellen. Doch als er merkte, dass er der Einzige zu sein schien, dem nicht klar war, warum die Zwerge eine Vorrichtung bauten, um ihre eigenen Bauwerke zerstören zu können, hielt er sich lieber zurück.
„Als wir ihn fanden, war sein Geist umnachtet. Er sprach davon, dass er von den Zwergen der Garnison angegriffen worden ist. Und das jeder seiner Freunde, der in dem Kampf gefallen war, wieder aufstand, um ihn anzugreifen. Als er die Lawine auslöste, stand wohl sein bester Freund auf der Brücke, um die Feinde aufzuhalten.“
Für einige Herzschläge schwieg der Anführer der Zwerge und ließ die Worte in den Köpfen seiner Zuhörer nachhallen. Jedem ging ein, welchem Schrecken dieser Zwerg ausgesetzt gewesen sein musste.
„Das wäre der Hinweis auf einen Ort, an dem die Nekromantie in besonders starker Form auftritt. Doch es gibt keine Möglichkeit, dort hin zu kommen. Oder die Insel zu verlassen.“
Brütendes Schweigen lastete auf der Gruppe.
„Jetzt schon.“ Kalistans Worte fielen wie Hammerschläge in die Stille.
„Jetzt gibt es für die Nekromanten die Möglichkeit, die Insel auf dem Rücken eines Drachen zu verlassen. Wenn wir davon ausgehen, dass die Knochen des Drachen fliegen können.“
„Davon müssen wir ausgehen. Ich wüsste nicht, wie jemand in der Nacht mehrere Wagenladungen voller Knochen aus der Stadt geschafft haben will. Oder die Knochen dieses Druiden benötigt haben könnte. Für eine Suppe war da nicht genug Fleisch dran.“
Trotz der bedrückenden Situation gelang es Thorbeil Armstark, mit seinen Worten ein Lächeln auf die Gesichter der Anderen zu zaubern.
„Wann gedachten die Zwerge, uns über diese Gefahr in unserem Nacken zu informieren.“ Der Hochmut des Elfenfürsten troff wie geschmolzenes Blei aus seinen Worten.
Brennende Röte schoss Thibold Eisenhammer ins Gesicht, seine Hand griff automatisch zu der Axt an seiner Hüfte.
„Es gibt keine Gefahr für die Völker dieser Insel. Nichts und Niemand kann diese Insel verlassen.“
„Trotzdem ist es mindestens einem Nekromanten gelungen.“
„Zweien. Einen haben wir bei dem Kampf an der Seite der Barbaren getötet.“
Mit einem Schlag schien die Temperatur im Raum um einige Grade zu fallen. Sharns kurze Bemerkung führte Allen mit wenigen Worten vor Augen, was man lieber verdrängt hätte.
Denn er erinnerte alle daran, dass bei diesem Kampf gegen Rrordrak eine Bande besiegt worden war, die sich aus dem Abschaum aller Völker, Barbaren, Elfen, Menschen und Zwerge zusammensetzte. Das kein Volk sich rühmen konnte, nur aus Angehörigen mit edler Gesinnung und einem reinen Wesen zu bestehen. Zudem machte er deutlich, dass die vollständige Abschottung der Insel der Nekromanten vielleicht nicht so vollständig war, wie der Zwerg es gerne gehabt hätte.
„Also gut. Dass bedeutet für uns, dass wir Schritte einleiten müssen, die Bedrohung, die möglicherweise von dieser Insel ausgeht zu finden und zu vernichten.“
Mühsam erhob Thorbeil Armstark sich und blickte entschlossen in die Runde.
„Ja, aber dabei müssen wir mit weiteren Angriffen rechnen, dürfen auch die Aufbauarbeiten in den Städten und Dörfern nicht vergessen, die durch die Banden Rrordraks beschädigt oder zerstört worden sind. Wir müssen den Seeverkehr nach Sylthania wiederaufbauen und alle Völker informieren, dass der Friede wieder zurückgekehrt ist, auf Iskandrien.“
„Wer sagt, dass wieder Friede herrscht. Ich mag es nicht, wenn andere Völker mir wichtige Mitteilungen vorenthalten.“ Der Elf machte den Eindruck, als wollte er vor dem Zwerg ausspucken.
„Vielleicht paktieren die Erdwühler sogar mit den Grauen, die aus ihrem Land kommen.“
Mit einem Aufschrei riss Thibold Eisenhammer die Axt von seinem Gürtel. Genauso schnell hatte Garondir sein kurzes Elfenschwert gezogen. Doch Nat und Kalistan hatten bereits eingegriffen. Nat packte den Arm des Zwergs, während der Heerführer der Menschen sich vor den Elfen stellte und ihn zurück drängte.
„SEID IHR DES WAHNSINNS?“ Parlass Walgardssons Stimme dröhnte durch den Raum, übertönte das Getümmel und ließ Alle innehalten. Er stand mit hochrotem Kopf in der Tür, soeben erst aus den Arbeitsräumen des Herrschers von Arkadien hier her geeilt.
„Tagelang ...“, Die Stimme des Kanzlers bebte vor Wut. „Tagelang schleife ich euch über die Insel, ertrage eure ungerechtfertigte Wut, rede auf euch ein wie auf ein krankes Maultier, euren Hass zu vergessen. Dann finden wir die wirklichen Feinde, besiegen sie mit einer einigen Macht, die beispielhaft für unsere Völker sein sollte. Und jetzt …“, der Zorn ließ eine Ader auf seiner Stirn pochen, „jetzt habt ihr nicht Besseres zu tun, euch wie Halbstarke zu reizen und im Angesicht der Gefahr AUFEINANDER LOS ZU GEHEN.“
Die letzten Worte hatte er herausgebrüllt. Jetzt holte er tief Luft, um sich zu beruhigen.
„Ich habe nicht alles mitbekommen, was hier gesprochen wurde. Aber vielleicht hat mir gerade das geholfen, die Trauer in den Worten Thibold Eisenhammers zu hören. Wir haben lernen müssen, dass kein Volk, kein einziges, sich rühmen kann, das alle seine Angehörigen gut sind und nur das Wohl Aller im Blick haben. Aber das würde nicht dazu führen, dass wir Mitglieder unseres Volkes diesem unsagbaren Leid aussetzen, ihren untoten Freunden gegenüber zu stehen.“
Er gab Kalistan und Nat ein Zeichen, die beiden Führer ihrer Völker los zu lassen.
„Wenn euer Hass so groß ist, dass ihr nicht in der Lage seid zu begreifen, wo der wirkliche Feind steckt, dann geht jetzt hinunter in den Hof und bringt euch gegenseitig um. Mit etwas Glück sterbt ihr beide und eure Nachfolger sind besonnener und klüger. Aber wenn ihr bereit seid, an unserer Seite wieder einmal die wirkliche Gefahr für Iskandrien zu finden und zu vernichten, dann steckt eure Waffen weg, gebt euch die Hände und LASST DIESEN SCHEISS.“
Noch immer zitterte Walgardssons ganzer Körper vor Wut. Und vielleicht war es das, was genug Eindruck auf Garondir und Thibold Eisenhammer machte. Der Ausbruch dieses Menschen, den sie als echten Politiker kennen gelernt hatte, dem man ein Ohrfeige verpasste und der dann versuchte zu überzeugen, warum es nicht sinnvoll sei, auch die andere Wange hinzuhalten. Denn langsam steckten beide ihre Waffen weg, gingen aufeinander zu und reichten sich die Hände, ohne sich dabei anzusehen.
„Ich weiß, dass ein paar Worte nicht reichen, um die tiefen Gräben zwischen euren Völkern zu füllen. Aber ich hoffe, dass ihr in der Zukunft eure Köpfe benutzt, um darüber nachzudenken, was euer Verhalten für eure Völker bedeutet. Und ob ihr mit euren wilden Vermutungen im Recht seid.“
Jetzt meldete sich auch Thorbeil Armstark zu Wort, der nicht so ein gewiefter Redner war, wie sein Freund, aber in der Lage, seinen gesunden Verstand auch zum Ausdruck zu bringen.
„Wir wissen auch jetzt nicht, wer oder was tatsächlich hinter diesem Ausbruch der Nekromantie steht. Aber das können wir nur gemeinsam herausfinden und bekämpfen. Es gibt so viel zu tun, lasst uns gemeinsam daran arbeiten, denn wenn Jeder alleine kämpft, machen wir es nur dem Gegner leichter, nicht uns.“
Ohne eine Erwiderung abzuwarten, wandte Armstark sich wieder an Alle.
„Gibt es sonst noch jemanden, der von nekromantischen Erfahrungen oder Gehörtem berichten kann.“ Als alle stumm blieben fuhr er fort.
„Dann sollten wir uns überlegen, wie wir auf die Insel gelangen können, um nach dem Artefakt zu suchen und es zu zerstören.“
Zustimmendes Murmeln. Sofort bildeten sich kleine Grüppchen, die erste Ideen miteinander besprachen. Dass Garondir diesen Moment nutzte, um unauffällig aus der Tür zu schleichen entging fast allen. Nur Ilana hatte den Anführer der Elfen keinen Moment aus den Augen gelassen. Schon bei dem Handschlag mit dem Zwerg hatte Ilana gespürt, dass diese Reaktion des Elfen nicht ehrlich und nur gezwungen erfolgte.
Sie seufzte. Vielleicht sollte sie dankbar sein, diesem hochmütigen und dabei so engstirnigen Volk den Rücken gekehrt zu haben und sich das ein oder andere Mal auf die Gefühlswelt der Menschen einzulassen. Sie blickte zu Sharn und eine ungeahnte Aufwallung der Gefühle ließ sie lächeln. Das musste die Liebe sein, die ihre Mutter ihr immer gewünscht hatte. Jetzt wusste sie warum. Es war ein sehr warmes und befriedigendes Gefühl.
Ärgerlich über dieses Abschweifen ihrer Gedanken schüttelte sie den Kopf und wandte sich wieder den Gesprächen im Raum zu.Die gespenstische Stille in dem Stollen wurde nur durch die unermüdlichen Schläge der Pickhacke unterbrochen. Klong, Klong, Klong. Wieder und wieder schlug die Hacke auf den Stein und ließ kleine und große Brocken heraus brechen. Mit vorsichtigen, gleichmäßigen Schritten ging Brenok durch den Stollen und zählte leise vor sich hin.
Nach jeweils zehn Schritten nahm er einen kleinen Stein aus einer Tasche an seiner linken Hüfte und ließ ihn in eine Tasche an seiner rechten Hüfte gleiten. Als er die beiden Schatten sah, die im flackernden Licht einer Fackel arbeiteten, blieb er stehen.
Die beiden Zwerge bewegten sich mit ungelenken Schritten, während der eine sich in die Wand vor ihm hinein arbeitete und der andere die abspringenden Steinbrocken in einen Tragekorb räumte.
Was für ein Glück, dass sie auf die Idee gekommen waren, die Zwerge für den Tunnelbau einzusetzen, dachte der Nekromant. Seit die hier unermüdlich schufteten, kam man viel besser voran. Die Zwerge hatten auch im Tod ihren Instinkt für das Gestein und seine Besonderheiten nicht verloren. Immer wieder schlugen Sie Wege zu kleinen Höhlen und Kavernen, die den Tunnelbau erheblich beschleunigten.
Brenok ließ sich auf einem Felsblock nieder und zog die Steine aus seiner rechten Tasche. Zehn Steine und noch einmal neun Steine. Also zehnmal zehn Schritte und neunmal zehn Schritte. Damit hatten Sie bereits ein beträchtliches Stück unter der meerdurchtosten Kluft hindurch geschafft, die ihre Insel, Monolithien, von Iskandrien trennte. Es war der dritte Versuch, die Hauptinsel auf diesem Weg zu erreichen. Der erste Versuch war daran gescheitert, dass man nicht tief genug gegraben hatte. Der Wassereinbruch hatte zwei seiner Freunde das Leben gekostet. Der zweite Versuch war an einer undurchdringlichen Wand gescheitert aus einem Material, dass jedem Schlag mit der Pickhacke nahezu ohne Kratzer widerstanden hatte. Ein dunkelviolett schimmerndes Gestein, das scheinbar in alle Richtungen den Weg nach Iskandrien versperrte.
Als sie die Zwerge für den Tunnelbau einteilten, hatten sie den dritten Versuch unternommen. Die Zwerge hatten sich sofort an der undurchdringlichen Wand entlang und weiter nach unten gearbeitet. Und tatsächlich hatte es dort eine kleine Höhle, gegeben, die unter der violetten Wand hindurch führte. Seit dem ging es recht zügig voran.
Brenok hatte den Zwergen den Befehl gegeben, auch in die andere Richtung zu graben, doch trotz seiner nekromantischen Macht hatten die Zwerge sich geweigert.
Auf einen drängenden geistigen Befehl hin, hatte einer der Zwerge die Pickhacke gehoben und einen Schlag in das Gestein vorgenommen. Dann hatte er gewartet. Brenok wollte ihm zuerst einen weiteren Befehl geben, doch dann hatte er gesehen, dass sich an der Schlagstelle Wassertropfen sammelten. Er fing einen der Tropfen auf und leckte ihn von seinem Finger. Salzig. Er schauderte. Mehrere Schläge in diese Richtung und sie hätten erneut einen Wassereinbruch gehabt.
Seit diesem Erlebnis ließ er den Zwergen bei der Wahl des Weges freie Hand. Anstrengend war nur, dass die Zwerge immer wieder durch Gedankenbefehl aufgefordert werden mussten weiter zu arbeiten. Ihre vertrockneten Gehirne reichten nicht mehr dazu aus, solche Gedanken lange zu speichern und nachzuverfolgen.
Hinter sich hörte er langsame schlurfende Schritte. Als er sich umsah entdeckte er Siegoin, der langsam auf ihn zukam.
„Hallo Brenok, ich bin deine Ablösung.“ Die Stimme des hochgewachsenen Mannes klang staubtrocken und brüchig.
„Wer hat dich geschickt. Du bist noch gar nicht in der Lage das zu leisten. Die Anstrengung, den Drachen zu rekrutieren hat dich fast …. hmmm … umgebracht.“
Kaum merklich hatte Brenok gestockt, unsicher, ob das Nekromanten-Dasein nicht auch bereits eine Form des Todes darstellte.
Siegoin lächelte mit zusammengebissenen Zähnen.
„Ich fühle mich auch nicht dafür geschaffen, in der nächsten Zeit ein solches Kunststück zu wiederholen. Aber die Nähe zum Monolithen gibt mir jeden Moment mehr von meiner Kraft zurück. Und ich wollte mir unbedingt ansehen, was ihr alles geschafft habt, in der langen Zeit, die ich nicht hier war.“
Brenoks rote Augen leuchteten intensiv in dem flackernden Halbdunkel des Stollens.
„Deine Idee, Zwerge einzusetzen war sehr gut. Sie sind die besten Gräber, kennen den Stein, können darin lesen wie in einem Buch, finden die Höhlen mit traumwandlerischer Sicherheit.“
Jetzt zeigte auch er die Zähne, der Abklatsch eines Lächelns.
„Ich hatte befürchtet, die Umwandlung hätte ihnen diese Fähigkeiten geraubt. Doch wahrscheinlich steckt dieses Wissen so tief in ihnen drin, dass sie es sich sogar jetzt noch erhalten haben. Gut für uns.“
Sein Gegenüber ließ sich schwerfällig auf einen anderen Felsbrocken sinken.
„Wie weit sind wir gekommen, wann glaubst du, kann der Durchbruch gelingen?“
„Ich denke, wir haben etwa die Hälfte der Strecke hinter uns gebracht und wenn wir etwas Glück mit weiteren Höhlen haben oder sogar einen Stollen der Zwerge finden, dann können wir sehr schnell in Borgkarst sein. So war ja auch der ursprüngliche Plan.“
Tatsächlich hatte der Plan etwas anders ausgesehen. Die Nekromanten hatten den Angriff gegen die Zwerge gewagt um einige ihrer Leute auf die Hauptinsel zu bringen, ohne in der Festung den Zwergen Rechenschaft für das woher und das wohin ablegen zu müssen. Sie mussten um jeden Preis vermeiden, dass die Bewohner Iskandriens Kenntnis von ihrem Dasein erlangten, sonst wären sie sicherlich gnadenlos angegriffen und verfolgt worden. Ein weiteres Volk, und noch dazu eins, dass den Tod lebte, hätten die Völker Iskandriens nicht geduldet.
Nachdem sie die Besatzung der Festung besiegt hatten, war große Unsicherheit aufgekommen, ob man bereits stark genug war, nach Iskandrien zu gehen, ohne einen Ort an den man sich in Sicherheit bringen konnte. Mit dem Kampf auf der Brücke hatten sich die Ereignisse überschlagen. Letztendlich wollte man den Kontakt zur Hauptinsel nicht verlieren.
Also hatte man zwei Männer nach Iskandrien gebracht. Sie hatten den Auftrag, nach Möglichkeiten zu suchen, Kämpfer für die Nekromanten zu rekrutieren und eine Basis für die Invasion der Untoten zu schaffen. Das die Brücke zerstört wurde, war nur ein geringer Rückschlag, da man ja bereits an anderen Wegen arbeitete die Kluft zwischen den Inseln zu überwinden. Das heißt, wohl eher unter als über.
Mehrere Monate hatten die beiden Nekromanten auf Iskandrien versucht, Freiwillige für eine Armee zu finden. Doch ihr Auftreten war so erschreckend, dass niemand, nicht einmal die übelsten Halunken bereit waren, für sie zu arbeiten. Außerdem mussten sie feststellen, dass die Entfernung zum Monolithen ihre Regeneration verlangsamte. Wenn Sie einen neuen Rekruten umgeformt hatten, spürten sie bereits deutlich den Verlust ihrer Kraft. Und sie brauchten Tage, um wieder vollständig zu regenerieren. Jeder von ihnen hatte einen Splitter des Monolithen bei sich, den sie aber nur im äußersten Notfall einsetzen wollten.
Siegoin war nach einiger Zeit die Unruhe auf Iskandrien aufgefallen, die durch einzelne Angriffe und Aktionen hervorgerufen wurde. Er hatte schnell ein gewisses System hinter diesen Unruhen erkannt. Und so hatte sein Weg ihn zu Rrordrak geführt.
Er hatte alles versucht, sich mit Rrordrak zu verbünden, Iskandrien ins Chaos zu stürzen und dieses Chaos dann für eine Invasion zu nutzen. Eine Handvoll fähiger Nekromanten, konnte mit der Unterstützung der Macht des Monolithen eine Armee aufbauen, die mit jedem Menschen, Barbaren, Elfen oder Zwerg, dem sie begegneten größer werden würde. Leider war der Plan an der Unfähigkeit des Schwarzdruiden und der Entschlossenheit einiger Kämpfer gescheitert.
„Wir haben noch nicht darüber gesprochen, aber weißt du was mit Pirrdor geschehen ist?“
Siegoin war es damals zusammen mit Pirrdor gelungen, die Brücke zu überqueren, bevor die Lawine sie zerstört hatte. Pirrdor hatte dann später die Aufgabe übernommen, die marodierende Bande Rrordraks zu überwachen und unauffällig zu führen, die einen großen Teil der Gräueltaten begangen hatte, die Iskandrien fast in einen neuen großen Krieg gestürzt hatte. Eine der Aufgaben war es, die Barbaren zu einem Angriff auf die Menschen zu verleiten. Das wäre auch fast gelungen. Doch aus Gründen, die Siegoin nicht bekannt waren, hatten die Barbaren sich nicht auf die Städte der Menschen gestürzt sondern auf Rrordraks Bande. Sie hatten die Truppe, die sich aus dem Abschaum aller Völker zusammensetzte, in einem wilden Gemetzel in Grund und Boden gestampft. Auch Pirrdor hatte diesem Gemetzel nicht entkommen können und war getötet und leider auch verbrannt worden. Siegoin hatte bereits Pläne geschmiedet, wie er seinen Freund und Mitstreiter wieder beleben konnte, bis ihm aufging, dass es höchstens noch eine Handvoll Asche gab, die er in den Wind streuen konnte. Bestenfalls waren einige Zähne oder Knochenteile übrig geblieben, die er an einer Kette um den Hals tragen konnte.
Der Nekromant dachte ohne große Reue an das Ende Pirrdors. Er wusste nur zu gut, dass es nicht das Ende sein musste, dass die unsterbliche Seele ihre Existenz mit dem Tod des Körpers nicht aufgab. Sie war es, die es galt mit der Nekromantie einzufangen und an sich zu binden. Das war das Wesen der Nekromantie. Seit der Monolith ihm die Augen geöffnet hatte, sah er die Lebensenergie der Wesen, die er errettete. Sie erkannten die Gnade des Nekromanten nicht, aber seine Macht gewährte ihren Seelen weitere Zeit auf dieser Welt, bevor sie in eine andere Welt hinüber gingen. Das konnten sie noch früh genug, damit wurde ihnen nichts genommen. Gebunden an ihren toten Körper harrten sie noch einige Zeit aus. Manche nur wenige Stunden, andere viele Tage. Was der Grund für diese unterschiedliche Dauer war, konnte Siegoin nicht erklären. Aber das war ihm auch egal. Wenn er eine gebundene Seele neben einem Toten entdeckte, sprach er die geheimen Worte, die der Monolith ihn gelehrt hatte. Damit band er die Seele an sich. Er gab etwas von seiner eigenen Lebenskraft und verlieh damit dem toten Körper so viel Energie, dass er in ein untotes Dasein eintreten konnte. Das endete entweder mit der Zerstörung des untoten Körpers, die zu einer Trennung von Seele und Körper führte. Also durch Verbrennen, Köpfen, Zerstückeln oder ähnlich unschöne Dinge. Oder es endete mit dem Tod des Nekromanten, der die Seele an sich gebunden hatte.
Brenok hatte ihm erzählt, dass er von Pirrdors Tod im selben Moment Kenntnis genommen hatte, weil die Untoten, die Pirrdor an sich gebunden hatte wie auf ein geheimes Kommando in sich zusammengefallen waren und die Seelen sich mit einem Seufzen verflüchtigt hatten. Siegoin vermutete für sich, dass das Seufzen ein Ausdruck der Unzufriedenheit war, weil die Seele jetzt ihre Zeit auf dieser Welt beenden musste und in eine neue unbekannte Zeit eintrat.
Siegoin hob den Kopf, abrupt, als wäre er aus einem leichten Schlaf erwacht.
„Ja, ich weiß, was mit ihm passiert ist, wie er gestorben ist. Der Versuch, die Barbaren gegen die Menschen aufzubringen, hat sich gegen ihn gewandt. Die Barbaren wurden offensichtlich informiert, wer tatsächlich hinter den Angriffen auf ihre Dörfer steckte und haben die Angreifer vom Antlitz dieser Welt getilgt.“
Ein freudloses Lachen erklang, wie ein trockenes Bellen eines Wüstenfuchses.
„Ein stümperhafter Plan, der den Kräften, die einen Krieg verhindern wollten viel zu viel Zeit ließ. Ich denke, es ist ihnen gelungen, die Barbaren von der Wahrheit zu überzeugen, bevor Ströme von Blut fließen konnten.“
Er rutschte auf dem Felsbrocken hin und her, um eine bequemere Sitzposition zu erreichen.
„Der Plan mit den Elfen und den Zwergen war da schon ausgeklügelter. Allerdings war es ein Fehler die Zwerge zu reizen. Die sind viel zu zäh in ihren Gedanken, als dass sie einen schnellen überraschenden Angriff wagen würden. Auch das gab den besonnenen Kräften wieder die Zeit, sich einzumischen und einen Krieg zu verhindern.“
Er schlug sich mit der Hand auf den Oberschenkel, dass eine leichte Staubwolke aufstieg.
„Nein, man hätte die Elfen angreifen müssen. Die hätten nicht so lange überlegt, weil sie in ihrem Hochmut alle anderen für unterlegen halten und sich immer das Recht heraus nehmen, über ihnen zu stehen. Die hätten sich nicht aufhalten lassen, niemals.“
Er blickte Brenok aus funkelnden Augen an.
„Daran sollten wir denken, wenn wir wieder einen Fuß nach Iskandrien setzen.“
„Denkst du denn, wir brauchen die Toten, um unsere Armeen zu schaffen? Lass uns doch auch die Lebenden nehmen.“ Ein gemeines Grinsen umspielte seine Lippen.
Siegoin schüttelte den Kopf.
„Glaub mir, ich weiß, wie viel Kraft es kostet, die Seele eines Lebenden an sich zu binden. Das kannst du einmal, vielleicht auch zweimal, dann brauchst du Ruhe. Wenn du umgeben bist von einem Heer von Feinden, wirst du diese Ruhe nicht finden. Dann scheitert unsere Sache schon in Borgkarst. Aber eine Gruppe von Zwergen, von uns kontrolliert, die in einen Elfenhain einfällt … das kann ein großer Schritt für unsere Sache sein.“
Er erhob sich mühsam und stand leicht schwankend vor Brenok.
„Und nun geh, ich übernehme für dich.“
Sein Gegenüber erhob sich ebenfalls, fasste Siegoin bei den Schultern und schob ihn den fertigen Stollen entlang.
„Nein, Siegoin. Ich kann hier noch Tage stehen und bin dem Zusammenbrechen nicht so nahe wie du. Komm wieder zu Kräften, dann kannst du dich an dieser Arbeit beteiligen, wie alle anderen auch. Aber bis dahin, überlässt du uns das.“
Seine Stimme wurde dunkel und rau.
„Aber du kannst dir ja schon mal Gedanken machen, wie wir die Mächte unserer neuen Diener nutzen. Mit dem Drachen können ein oder zwei von uns schnell an fast jeden Ort auf Iskandrien kommen. Warum sollen wir mit den kleinen Störungen warten, bis unser Tunnel fertig gestellt ist. Du kennst die derzeitigen Gegebenheiten auf Iskandrien am besten. Nutze dein Wissen für unsere Sache.“
Siegoin nickte zustimmend, dann schlurfte er mit müden Schritten davon.Heißer, schwefelgelber Dampf zog durch die kleine Senke. Ein beißender Gestank breitete sich aus. Knacken und Blubbern waren zu hören und ein Geräusch, wie ein gedämpftes hohes Pfeifen.
Die Farbe des Dampfes änderte sich, ein fahles Rot, immer mehr verblassend, sich zu Rauch auflösend, der immer dünner wurde und verflog.
Dann war Ruhe.
Der Gestank verflüchtigte sich.
Ein leises Geräusch.
Ein vorsichtiger Schritt. Leises Rieseln von Sand.
Über den Rand der Senke schob sich ein Schatten, ein Kopf. Blicke irrten durch die Senke. Verharrten auf einer Stelle.
Ein enttäuschtes Seufzen.
„Verdammt, verdammt, verdammt. Weg, einfach weg. Aufgelöst, weggeflossen. Also gut, dreiundsiebzig … gescheitert.“
Ein Stein wurde gehoben, klatschte in den Sand.
„Irgendwann, … irgendwann kriege ich dich. Das ist schon mal sicher. Also von vorne anfangen. Vierundsiebzig. Alles neu.“
Der Schatten entfernte sich und ließ die kleine Senke, still und friedlich zurück.
Stille.
Dann näherte sich ein Vogel. Ein altes Tier, zerzaust, das Federkleid zerrupft und von Maden bevölkert.
Mit letzter Kraft landete er in der Senke, pickte nach den schimmernden Sandkörner, die gerade noch stinkend und qualmend die Luft vergiftet hatten. Er legte den Kopf in den Nacken und schluckte die Körner hinunter. Dem ersten Schnabel folgte ein zweiter und ein dritter.
Einen Moment lang stand er völlig unbewegt. Dann fiel er um, ein letztes Heben der Brust, dann völlige Ruhe.
Keine Bewegung.
Stille.
Mit einer fauchenden Lohe verbrannte der Körper des alten Vogels. Als die Flamme verlosch, stand an der Stelle, wo der Vogel gestorben war ein etwa handtellergroßer junger Vogel. Flammen umtanzten einen Moment seinen Körper. Orangerote Funken fielen zu Boden und verglühten im Sand.
Der Schnabel des Vogels öffnete sich wie zu einem langen Ruf, doch stattdessen schlug eine kleine Stichflamme heraus.
Das Feuer erlosch, die Flammen fielen in sich zusammen.
Ihnen entstieg der kleine Vogel, der munter durch die Senke hüpfte. Dann erhob er sich in die Luft und flog mit schnellen Flügelschlägen davon.
Zurück blieb eine leere, mit dunklem Sand gefüllte Senke.
Und Stille.
Vollkommene Stille.“Ich habe keinen Zweifel an den Worten unserer Freunde, der Zwerge. Wenn sie sagen, dass es keinen Weg mehr gibt, von der Insel zu kommen, dann wird es so sein.“ Verärgert schüttelte Kalistan den Kopf. „Aber mit diesem Wissen dürfen wir uns nicht zufrieden geben. Der Nekromant verfügt jetzt über ein Flugtier, das ihn jederzeit nach Iskandrien bringen kann. Außerdem wissen wir nicht, wie viele Nekromanten es auf der Insel gibt. Vielleicht stehen wir plötzlich in unseren eigenen Ländern einer kleinen Armee von Nekromanten gegenüber. Soweit dürfen wir es nicht kommen lassen. Wir müssen vorher versuchen, die Insel anzugreifen.“
Er wandte sich Thibold Eisenhammer zu.
„Ihr spracht davon, dass es eine Brücke gab, die die Zwerge gebaut hatten. Wie lange würde es dauern, eine solche Brücke erneut zu bauen?“
Schulterzuckend blickte der Anführer der Zwerge ihn an.
„Wir müssten zunächst die Steine entwerfen, weil es sich um sehr besondere Formen handelt, die ineinander greifen und sich gegenseitig halten. Es gab alte Aufzeichnungen, doch die sind bei einem Brand vernichtet worden. Dann müssten diese Steine geschlagen werden. Auch wenn wir alle Zwerge darauf ansetzen, die nicht für den Wiederaufbau gebraucht werden, würde alleine das viele Umläufe dauern. Und es gibt zu bedenken, dass man sich nur sehr langsam und vereinzelt der Insel nähert. Damit gibt man den Nekromanten die besten Möglichkeiten weitere Angehörige meines Volkes in ihre untote Finsternis zu zerren.“
„Was wäre mit Seilbrücken“, meldete Thorbeil Armstark sich zu Wort.
„Dafür ist der Abstand zwischen den beiden Küsten zu groß. Man könnte mit einem guten Pfeilschuss oder einer Balliste das andere Ufer erreichen, doch die wären nicht stark genug, um über diese Strecke ein Tau hinter sich her zu ziehen, das sich dann auch noch fest auf der Insel verfängt. Das ist keine Möglichkeit.“
„Ein Schiff?“ Für Tally, als erfahrene Captrecce gab es eigentlich fast immer eine Möglichkeit mit einem Schiff in die Nähe einer Küste zu gelangen. Dann konnte man sehen, ob man nicht mit Booten auf die Insel gelangen konnte.
„Ich denke nicht.“ Mit einer abwehrenden Handbewegung schüttelte der Zwerg den Kopf.
„Ich kann das nicht so gut erklären. Ich bin kein Seemann … .“ Er schauderte innerlich bei dem Gedanken. „ … aber diese Insel ist wie … ich finde kein passendes Wort dafür. Um diese Insel herum tobt seit einigen Umläufen das Meer, als wäre gerade ein gigantischer Sturm. Es mag an der Küste das laueste Lüftchen wehen, dass sich gerade ein Blatt am Baum bewegt, aber das Wasser um die Insel ist aufgewühlt und umströmt die Insel mit unglaublicher Heftigkeit.“
Tally nickte verstehend.
„Ich weiß, was ihr sagen wollt. Wir sollten versuchen, die Insel zu umrunden, um nach einer Möglichkeit zu suchen. Aber wir dürfen nicht zu dicht heran, weil das für ein Schiff viel zu gefährlich wäre.“
Thibold Eisenhammer sah sie prüfend an, aber als er merkte, dass ihre Worte aufrichtig ernst gemeint waren, grunzte er zustimmend.
Die Runde schwieg. In allen Köpfen arbeitete es, bei dem Versuch eine Lösung für das Problem zu finden.
Zögernd meldete Nat sich zu Wort.
„Also, das heißt für mich, wir haben fünf Aufgaben.“ Er blickte in die Runde, in gespannte Gesichter.
„Wir müssen die Bewohner Iskandriens informieren, dass sie die Augen offen halten, falls Nekromantie eingesetzt wird und uns unverzüglich darüber unterrichten. Dann müssen wir eine Einsatzarmee bereithalten, die sofort dorthin gehen kann, wo die Nekromanten möglicherweise versuchen auf Iskandrien Fuß zu fassen.“
Thorbeil Armstark setzte zu einer Entgegnung an, aber Jorina legte ihm die Hand auf den Arm.
„Die dritte Aufgabe ist, die Zerstörungen in Arkadien wieder zu beheben und in den anderen Städten und Dörfern, in denen Rrordraks Männer gewütet haben. Als viertes müssen wir die Küste von Borgkarst erreichen und nach einer Möglichkeit für den Weg auf die Insel suchen. Und als letzte Aufgabe sehe ich, mit einem Schiff um Iskandrien herum zu segeln und die Insel vom Meer aus zu erkunden.“ Ein kurzes Zögern. „Oder?“
„Du hast Recht, Sohn.“ Nat rieselte ein warmer Schauer über den Rücken, als er dieses Wort hörte. Bis gestern hatte er geglaubt, dass sein Vater tot wäre. Jetzt wusste er, dass sein Vater lebte und noch dazu einer der größten Helden der Menschen war und der Kanzler von Arkadien.
„Aber die zweite Aufgabe, die du benanntest ist nicht so einfach, wie sie klingt. Parlass wird dir bestätigen können, dass das mit diesen Meldungen nicht so leicht ist. Die Zwerge, die Elfen und die Barbaren werden niemals einer Armee, nicht einmal einer gemeinsamen, Bescheid geben, wenn in ihrem Land eine nekromantische Gefahr auftaucht. Jeder wird das alleine erledigen wollen und sich nicht in die Schuld der Anderen begeben wollen. Wir Menschen aber, werden jede Kleinigkeit melden und auch versuchen, eine solche Armee für unsere Zwecke einzusetzen.“
Mit verstellter Stimme fuhr er fort.
„… aber wenn ihr schon mal hier seid. Mein Nachbar, der … . Könnt ihr ihm auf dem Weg nicht schnell mal den Kopf abschlagen. Ich kümmere mich auch um sein Land, sein Vieh und seine Frau.“
Nat kicherte. Auch die Anderen konnten ein Grinsen nicht verkneifen. Parlass Walgardsson bestätigte die Worte seines Freundes mit schwerem Nicken. Wenn er nur an die letzten Stunden zurück dachte und die unüberschaubaren Forderungen, mit denen die Stadtbewohner Hilfe erflehten. Und die Hintergründe, die ihm dann von Pangratius und Baldun erläutert wurden. Er hätte schreien können. Ja, so waren die Menschen nun mal.
„Was heißt das dann?“ fragte Nat seinen Vater.
„Das heißt, wir werden ein Schiff entsenden, dass Iskandrien umfährt und dann nach einem Weg auf die Insel von der Seeseite her sucht. Eine Abordnung wird mit den Zwergen nach Borgkarst gehen …“
„… sofern das Volk der Zwerge damit einverstanden ist“, vollendete Walgardsson den Satz.
„Die Arbeiten in den Städten und Dörfern können wir getrost den Bewohnern überlassen. Die werden sich schon zu helfen wissen. Parlass, dich möchte ich bitten, die zu instruieren, die den Völkern von dem Erhalt des … Friedens und dem Ende des Schreckens berichten. Das wird keine leichte Aufgabe, denn das Misstrauen wird noch groß sein. Hier können die Anführer der Zwerge, Barbaren und El… .“ Armstark verstummte überrascht.
„Wo ist denn der Elf?“
Alle blickten sich um. Kaum einem war das plötzliche und unauffällige Verschwinden Garondirs aufgefallen.
„Er ist gegangen.“ Ilana fühlte sich gefordert, zu sprechen.
„Vielleicht sah er dringendere Aufgaben, als die Zerstörung der Nekromantie. Aber ich weiß es nicht. Wer versteht schon das Wesen eines Elfen.“
Belustigte Blicke huschten durch den Raum. Interessant, eine solche Bemerkung aus dem Mund einer Elfe … einer Halbelfe zu hören.
„Dann müssen wir davon ausgehen, dass das Volk der Elfen ausreichend informiert wird und uns von dort kein Ungemach mehr droht.“
Der Herr von Arkadien blickte zu Thibold Eisenhammer.
„Wie ist es mit den Zwergen?“
„Seid versichert, dass euch aus dieser Richtung gewiss kein Ungemach droht.“
Seine gepressten Worte ließen deutlich erkennen, dass heiße Wut in dem Zwerg tobte. Nicht von ungefähr empfand er das Verschwinden des Elfen als bedrohlichen Affront.
„Und natürlich seid ihr willkommen, uns bei dem Kampf gegen die Feinde auf der Insel zu begleiten. Die Verluste, die wir dort erlitten haben, werden wir nicht untätig hinnehmen.“
„Graben.“ Scheinbar zusammenhanglos stieß Sharn dieses Wort hervor. Nat stieß ihm einen Ellbogen in die Rippen.
„Graben.“ Noch bevor Nat ihn ein zweites Mal malträtieren konnte, war Sharn geschmeidig ausgewichen.
„Die Zwerge sind doch die begnadetsten Gräber aller bekannten Völker. Könnt ihr euch nicht einen Weg unter der Meerenge hindurch graben und die Insel von unten her einnehmen.“
Nat blickte Sharn an, als hätte der den Verstand verloren, schien einen Moment versucht, sich für seinen Freund zu entschuldigen. Doch zu seiner Überraschung griff der Anführer der Zwerge die Idee interessiert auf.
„Graben, natürlich. Warum haben wir nicht gleich daran gedacht. Wir werden die natürlichen Höhlen nutzen und Gänge graben, um an die Insel heran zu kommen. Wir müssen tief graben, aber das schreckt einen Zwerg nicht.“
Mit Hochachtung sah Nat seinen Freund an. Manchmal hatte selbst dieser Kopf hervorragende Ideen, obwohl man glaubte, er würde sich nur mit Essen, Trinken und Frauen, in wechselnder Reihenfolge, befassen. Nein, Halt, inzwischen drehten sich seine Gedanken nur noch um eine Frau oder besser gesagt eine Halbelfin. Vielleicht ließ das mehr Platz für solche Geistesblitze.
„Damit bleibt nur noch die Frage, welches Schiff die Insel ansteuern wird…!?!“ Alle Blicke gingen zu Tally, die nachdenklich nickte.
„… und wer sich welchem Weg anschließt.“
„Ich fahre mit dem Schiff.“ Nats Grinsen schien von einem Ohr zum anderen zu reichen. Niemand nahm besondere Kenntnis von seinem Einwurf, weil ohnehin niemand daran gezweifelt hatte.
Aber im Weiteren entbrannte eine angeregte Diskussion, bis Thorbeil Armstark sich erhob und um Ruhe bat.
„Dann soll es so sein. Parlass Walgardsson, Kalistan, Gronik, Sharn, Ilana und Ygomir Wallin begleiten unseren Freund Thibold Eisenhammer. Auf dem Weg werden sie versuchen, die Elfen zur weiteren Mitarbeit zu bewegen.“
Als er das saure Gesicht des Zwerges sah, ergänzte er schnell, „Das müssen natürlich nicht alle tun, sondern nur eine Abordnung. Jorina, Nat und ich begleiten Tally auf ihrem Schiff, in der Hoffnung einen Weg auf die Insel zu finden.“
Thorbeil Armstark blickte in die Runde, in fest entschlossene Gesichter. Er hob zum Sprechen an, als … .
„Und was ist mit uns?“ In der Tür stand Ridora, neben ihr Pangratius, der entsetzt auf seine Schwester blickte.
„Wir haben geholfen Arkadien zu befreien. Aber ich habe nicht die ganze Zeit in Angst vor dem Schwarzen und seinem Drachen gelebt, gegen sie gekämpft und geholfen sie vorerst zu besiegen, um sie jetzt gehen zu lassen.“
Ihr Blickte schoss kurz zu Kalistan, dann richtete sie ihn wieder auf den Herrn von Arkadien.
„Verzeiht mein plumpes Auftreten, Herr, aber ich würde mich gerne der Gruppe anschließen, die den Weg ins Zwergenreich nimmt. Ihr seid ein guter Herr und überlegt, es mir auszureden, aber dann folge ich der Gruppe alleine, also … . Und mein Bruder ist so froh, seinen Herrn wieder zu haben … .“ Es arbeitete im Gesicht des Dieners, seine Freude über die Befreiung seines Herrn aus dem magischen Eis kämpfte gegen seine Angst vor weiteren Abenteuern. Der Kampf gegen Rrordrak hatte ihn gezwungen, einen Menschen zu töten. Einen bösen Menschen, aber einen Menschen. Das würde er sich nie verzeihen und es hatte ihm gezeigt, dass er nicht zum Helden geboren war. Dennoch nickte er tapfer und sah seinen Herrn bittend an.
„Nehmt mich mit, Herr. Ihr könnt, denke ich, derzeit noch meine Hilfe brauchen und ich will nicht hier bleiben, wo mich alles an … .“ Seine Stimme brach.
Thorbeil Armstarks Züge wurden weich.
„Ich weiß nur zu gut, was du für mich und diese Stadt, diese Insel getan hast, Pangratius. Ich habe auch aus dem Eisblock heraus vieles sehen können, was im Thronsaal geschehen ist. Du bist ein Held und ich wäre sehr geehrt, wenn du mich begleitest.“
Die beiden Männer lächelten sich an.
„Damit ist auch das geklärt.“ Jorinas Stimme durchschnitt die Stille. „Dann sollten wir jetzt dafür sorgen, dass alles für den Aufbruch bereit ist. Damit wird gewiss der heutige Tag noch verstreichen. Wie Odu mir berichtet hat, sind die Schäden an der Bucaneer zu groß.. Die werden so schnell nicht zu reparieren sein.“
„Dann nehmen wir die Arcadia, mein Flaggschiff. Leider steht nichts anderes zur Verfügung.“
Nat wunderte sich über das Bedauern seines Vaters, doch der ließ es unkommentiert.
„Auch die Zwerge sind morgen zum Aufbruch bereit. Wir werden einige unserer Baumeister hier lassen, die beim Wiederaufbau der Stadt und der Verteidigungsanlagen helfen. Die Anderen kehren mit euch ins Zwergenreich zurück.“ Thibold Eisenhammer strich sich über den Bart. Sein finsterer Blick ließ darauf schließen, dass ihm weitere Gedanken durch den Kopf gingen. Vielleicht im Zusammenhang mit dem überraschenden Aufbruch des Elfen.
Parlass Walgardsson sah sich nach seinem Sohn um.
„Kalistan, wir sollten noch heute einige Meldereiter auf den Weg bringen, die unser Volk über den Frieden informieren. Die Bedrohung durch die Nekromanten sollten wir aber noch für uns behalten, dass führt nur zu einer unnötigen Unruhe.“
Kalistan nickte und verließ mit schnellen Schritten den Raum. Ridora blickte ihm hinterher, dann gab sie ihrem Bruder ein Zeichen und auch die beiden gingen.
Nat stand etwas unschlüssig herum, seine Sachen waren schnell gepackt, eigentlich hatte er nur das, was er auf dem Leibe trug. Doch einer schien seine Gedanken zu lesen.
„Sohn, ich möchte, dass du mich begleitest.“ Mühsam erhob sich Thorbeil Armstark. Mit schnellen Schritten war Nat bei ihm und bot ihm die Schulter als Halt.
Gemeinsam verließen die beiden den Raum.
„Wir ziehen weiter, in ein neues, vielleicht noch größeres Abenteuer, als das, welches du gerade überstanden hast. Wenn ich bedenke, mit welch armseliger Ausstattung du dich auf diesen Weg machen musstest, schaudert es mich. Das soll nicht wieder vorkommen.“
Sie gingen einen langen Gang entlang, dann bog der Schlossherr auf eine nach unten führende Treppe ab. Vor einer schweren, eisenbeschlagenen Tür blieb er stehen. Brandflecken und Scharten von Axthieben bedeckten das Holz.
„Das ist eine Anfertigung meines besten Baumeisters aus dem Holz der Graueiche, mit einer besonderen Tinktur bestrichen, die das Holz noch härter und vor allen Dingen unbrennbar macht. Unsere Freunde hatten offensichtlich nicht so viel Geduld, ihr Glück zu versuchen. Und der Druide hatte wohl auch keine Lust, seine Kenntnisse hier anzuwenden. Schade.“
Mit einem Grinsen trat Thorbeil Armstark einen Schritt zurück und blickte auf die Wand zu seiner Linken. Er zog seinen Dolch und klopfte wuchtig gegen einen unauffälligen Stein. Der Stein glitt geschmeidig in die Mauer. In dem Loch schossen zwei Klingen aus der Wand. Hätte man den Stein vorsichtig in das Loch hinein geschoben, hätten die Klingen das Handgelenk durchtrennt wie eine Sense die Halme des Korns. Nat zuckte erschrocken zurück.
„Es war ein sehr genialer Baumeister mit einem etwas kranken Verstand, wenn es um Sicherheit und Fallen ging.“
Armstark drehte sich um und drückte auf einen anderen Stein an der gegenüberliegenden Wand. Mit einem Klacken entriegelte die Tür und schwang lautlos nach innen auf. Nat wartete darauf, dass sein Vater den Raum betrat, doch der blieb abwartend stehen.
Mit einer leisen Vorahnung blickte Nat auf den Türrahmen. Ein Zischen erklang, dann schossen drei Speere aus der Wand, zwei aus der rechten und einer aus der linken. Nat schrie auf, vor Überraschung. Ein erneutes Klacken und die Speere zogen sich zurück.
„Ein sehr kranker Verstand.“
Langsam betrat der Schlossherr den Raum. Zögernd folgt Nat ihm und überwand die Türschwelle mit einem schnellen Sprung, den Blick furchtsam auf die drei Löcher im massiven Türrahmen gerichtet.
Thorbeil Armstark konnte sich ein leises Lachen nicht verkneifen.
Er führte Nat zu einigen Waffen- und Rüstungsständern, die an der Wand standen.
„Wie gesagt, wenn ich daran denke, mit welcher Ausrüstung man dich auf deinen Weg geschickt hat, könnte mir jetzt noch schlecht werden. Gut gerüstet warst du nur durch deine … durch unsere Magie.“
Nat verfügte über die Fähigkeit, Magie für sich zu nutzen, um in bestimmten Situationen, in Gefahren oder Kämpfen, gezielt zu agieren und die notwendigen Schritte voraus zu ahnen. Außerdem bescherte seine Magie ihm eine besonders gute Heilung. Als er sich im Kampf gegen Rrordrak und seine Mannen immer mehr Arkadien genähert hatte, hatte sich seine Magie mit der Magie seines Vaters verbunden. Das hatte die Magie noch erheblich verstärkt und ihn so unter anderem den Kampf gegen den Drachen überleben lassen. Allerdings hatte dies die Magie seines Vaters erheblich erschöpft, weil sie ihn gleichzeitig im magischen Eis, in das Rrordrak ihn eingeschlossen hatte, am Leben erhielt.
„Da diese Magie im Moment nicht mehr stark genug ist, muss vielleicht das ein oder andere gute Stück Eisen seinen Zweck erfüllen.“
Er nahm eine geschlossene Weste von einem der Rüstungsständer. Nat betrachtete das stumpf dunkelviolette Ding, das aussah wie eine leicht ölige Froschhaut mit leichter Abscheu.
Wieder lachte sein Vater auf.
„Ich weiß, das habe ich auch erst gedacht.“
Er drückte seinem Sohn die Weste in die Hand.
Nat wunderte sich, ob des geringen Gewichts. Er zog sie über den Kopf. Hatte er die Weste zunächst für zu klein gehalten, passte sie sich jetzt seinem Körper an und umschloss ihn, wie von einem guten Schneider gefertigt.
„Das ist … Uufff … !“ Nat spürte einen schwungvollen Druck gegen seinen Bauch. Er sah seinen Vater an, der die Keule zurückzog, die er seinem Sohn gerade in den Bauch gerammt hatte.
„Siehst du, wie die Weste, die Rüstung den Angriff abfängt. Eigentlich hätte so ein Treffer dich umwerfen müssen, auch wenn ich noch nicht wieder ganz bei Kräften bin.“ Das angestrengte Keuchen unterstrich die Worte des Herrn von Arkadien.
Nat blickte an sich herunter. Die Weste hing geschmeidig am Körper und zeigte nicht die geringsten Spuren des Angriffs.
„Das sitzt gut. Was ist das?“ Nat ließ den Stoff der Weste durch seine Finger gleiten. Sie fühlten sich glatt und warm an, wie aus einzelnen feinen Gliedern zusammengesetzt.
„Das ist ein Metall, das die Zwerge Virodeum nennen. Ich glaube nicht, dass ein Menschenschmied in der Lage wäre, dieses Metall zu verarbeiten. Die Zwerge haben mir drei dieser Westen geschenkt. Eines habe ich Sharns Vater mitgegeben, als er Iskandrien verließ. Das zweite trage ich selber und das letzte gebe ich jetzt an dich.“ Die Worte kamen so entschlossen und so voller väterlichem Stolz, dass Nat keinen Versuch unternahm, seinem Vater zu widersprechen. Der hatte sich auch bereits abgewandt und ging zu einem Waffenständer. Hier waren mehrere Schwerter aufgestellt, an einem weiteren Ständer lehnten zwei Hellebarden.
Thorbeil Armstark griff nach einem der Schwerter. Er blickte sich prüfend um. Dann ging er mit einem leichten Nicken zu dem Ständer mit den Hellebarden. Mit einer Hand schwang er das Schwert mit der mehr als armlangen Klinge. Wie durch Butter fuhr das Schwert durch das Holz des Waffenständers und teilte ihn in der Mitte. Krachend fiel der Ständer in sich zusammen, die Hellebarden polterten zu Boden.
„Elfenstahl. Unzählige Male gefaltet und geschmiedet.“
Er hob abwehrend die Hand.
„Frag mich nicht, ich kann dir über diese Kunst nichts verraten. Ich weiß nicht, wie ein solches Schwert geschmiedet wird, weiß gerade was gefaltet und geschmiedet bedeutet. Ich kann dir nur sagen, dass dieses Schwert überraschend leicht ist, sich durch die meisten Materialien wie durch Gras schneidet und dabei unzerbrechlich zu sein scheint.“
Kichernd verzog der Schlossherr das Gesicht.
„Als ich so alt war wie du es jetzt bist, habe ich noch gedacht, ich bräuchte solche Waffen nicht. Schließlich sei ich doch ein überragender Kämpfer. Aber in einem Kampf oder einem Gefecht mit etlichen Gegnern, die nur deinen Tod wollen, brauchst du jeden Vorteil, den du erlangen kannst.“
Er drückte seinem Sohn das Schwert in die Hand. Der ließ die Waffe mehrmals hin und her schwingen. Es fühlte sich so leicht an, wie ein Zweig. Wie die, die er früher genommen hatte, wenn er mit seinen Freunden Krieg gespielt hatte. Er ließ die Waffe auf die Überreste des Waffenständers nieder sausen. Ohne großen Widerstand fraß sich die Klinge durch das Holz. Nats Augen weiteten sich und ein breites Grinsen verzog sein Gesicht.
Er sehnte sich gewiss nicht nach Kämpfen und Blutergießen, aber wenn es dazu kommen sollte ... Gnade den Gegnern, ihr Götter … dann würde er gerüstet sein.
Er zog das Schwert, das er trug und ließ es achtlos zu Boden fallen. Dann steckte er das Elfenschwert in die Scheide. Er vergewisserte sich, dass das Schwert auch wirklich sein Ziel gefunden hatte, denn er spürte kaum das Gewicht an der Hüfte.
Sein Herz quoll über vor Freude. Diese Waffe und die Rüstung waren die fantastischsten Dinge, die er je erhalten hatte. Aber selbst dann, wenn er einen Fassdeckel und ein Holzschwert bekommen hätte, wäre er unsagbar stolz gewesen, denn es waren die ersten Geschenke, die sein Vater ihm gemacht hatte, von denen er wusste.
Bewegt gab er dem Mann die Hand. Der zog seinen Sohn mit einem Ruck an sich und umarmte ihn innig. Und beide versuchten die Tränen zu verbergen, die ihnen über das Gesicht liefen, bei den Gedanken, was sie gefunden und was sie unwiederbringlich verpasst und verloren hatten.