Читать книгу Jan schöpft Verdacht - Carlo Andersen - Страница 4

Zweites kapitel

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«Was war das?» fragte Erling atemlos.

Und Jan erklärte trocken: «Das war eine Frau, die Hilfe braucht. Da ist sie schon!»

Er wies auf eine junge Frau, die rasch über die Mole rannte, unmittelbar gefolgt von einem Mann in sportlicher Segelkleidung, der mit den Armen gestikulierte und ihr etwas zurief.

Jan sprang unwillkürlich auf, aber Erling war auch nicht langsam; er packte Jan am Hosenboden und hielt ihn fest.

«Langsam, mein Freund! Immer mit der Ruhe.»

«Ja, aber...»

«Nein, unter gar keinen Umständen», sagte Erling und schnappte nach Luft, ohne seinen Griff zu lockern. «Eben war noch alles so geruhsam und friedlich, und jetzt...»

«Laß los, du dicker Esel!»

«Nein.»

Die Frau und ihr Verfolger waren schon verschwunden, durch die Anlagen hinaus auf den Ongardsvej. Die lauten Rufe des Mannes hörte man immer noch, aber die Worte waren nicht zu verstehen.

Ergeben ließ Jan sich auf die Ruderbank fallen. «Ach, Dicker, du bist aber wirklich ein Dussel erster Güte. Warum, zum Teufel, hast du mich festgehalten?»

«Im Hinblick auf unser gemeinsames Wohl, mein Freund», antwortete Erling ruhig. «Nun liegt endlich eine ruhige, friedliche Zeit vor uns. Wenn ich dich aber hinter diesem sonderbaren Paar hätte herlaufen lassen, würden wir vermutlich bald wieder in irgendeine nervenaufreibende Sache verwickelt sein, die uns gar nichts angeht.»

«Na, und wenn schon?»

Erling seufzte. «Lieber Jan, ich will dir nur das eine sagen: meine Nerven vertragen nicht mehr viel...»

«Quatsch!»

«Schon gut. Das ist deine Auffassung, aber ich halte mich an meine.»

Gerade kam Jesper vom Bäcker zurück. Er stellte sein Rad ab und war so eifrig bestrebt, rasch an Bord zu kommen, daß die Tüte mit dem Butterkuchen klatschend auf das Deck fiel.

«Krümel, du kleines Ungeheuer», rief Erling vorwurfsvoll. «Wie behandelst du unseren herrlichen Butterkuchen?»

«Na, ihr solltet bloß ...»

«Sei so gut und heb ihn erst auf.»

Jesper gehorchte, begann aber sogleich wieder zu erzählen: «Donnerwetter, das war vielleicht spannend, was mir da eben auf dem Strandvej passiert ist. Eine junge Frau kam in voller Fahrt angerannt, während ein Mann ihr nachlief. Er rief ihr etwas zu und wollte sie einholen, aber die konnte ihre Beine gebrauchen, das muß man ihr lassen. Sie stürzte sich mitten in den Verkehr hinein, so daß alle Autos bremsen mußten, und als von Norden her ein Taxi mit grünem Licht auftauchte, hielt sie es an und sprang hinein, bevor der Mann sie erwischte. Er blieb auf dem Gehsteig stehen und drohte ihr mit geballter Faust...»

Erling wehrte mit beiden Händen ab. «Nun bremse schon deine Beredsamkeit, Krümel. Den Anfang des Dramas, das du so spannend findest, haben wir mit erlebt. Sieh lieber zu, ob man den Butterkuchen noch retten kann, wenn er nicht schon ganz hin ist...»

«Du hast dir die Nummer des Taxis wohl nicht gemerkt?» fragte Jan.

Jesper schüttelte den Kopf. «Nein, die Nummer nicht, aber die Quersumme.»

«Die Quersumme?»

«Ja. Du weißt doch, das ist meine schwache Seite. Ich kann keine Nummernschilder sehen, ohne gleich die Quersumme zu errechnen.»

«Und wie war die Quersumme?»

«Siebzehn.»

«Prima, Krümel.»

Erling verflocht seine Finger vor Verzweiflung. «O Krümel! Du bist wirklich ein Unglücksrabe! Ich hoffte schon, wir würden ungeschoren bleiben, und da merkst du dir die Quersumme.»

«Na, und?»

«Na, und?» wiederholte Erling mit saurer Miene. «Verstehst du denn nicht, was du angerichtet hast?»

«Nein...»

«Ich gehe jede Wette ein, daß Jan daraus eine ‹Affäre› machen wird. Morgen wird er hinter allen Kopenhagener Taxis mit der Quersumme siebzehn her sein.»

«Quatsch, Dicker.» Jan lachte. «Wenn ich das täte, wäre ich an Weihnachten noch nicht fertig, obwohl...»

Er schwieg plötzlich, als wäre ihm eine Idee gekommen. Dann fuhr er leichthin fort: «Laßt uns nicht mehr darüber nachdenken. Vielleicht handelte es sich nur um ein Liebespaar, das Krach bekommen hat. Gehen wir zum Butterkuchen über.»

«Gute Idee», sagte Erling und sah hocherfreut aus.

Während die vier Tee tranken und den guten Butterkuchen verspeisten, sagte Jan kaum ein Wort. Er schien gedankenversunken und sah nur einmal zur Mole hinüber, als dort der sportlich gekleidete Segler erschien, anscheinend nicht in bester Laune.

Jan erhob sich und versuchte seiner Stimme einen gleichgültigen Tonfall zu geben: «Hm, ich glaube, ich muß mir die Beine ein wenig vertreten, bin gleich wieder zurück.»

«Oje, oje!» seufzte Erling, der den mißmutigen Segler auch entdeckt hatte.

Die Hände tief in den Hosentaschen vergraben, schlenderte Jan langsam über die Mole. Der Mann vor ihm blieb bei einem sehr eleganten, großen Motorboot stehen und ging an Bord.

Er war kaum in der Kajüte des Motorbootes verschwunden, als Jan sich lässig gegen einen der Pfähle lehnte, an denen das Motorboot vertäut war. Aus der Kajüte hörte er aufgeregte Männerstimmen. Einer der Männer sprach schwedisch, während die anderen offenbar Dänen waren.

«Ich habe sie nicht mehr erwischt», ertönte eine Stimme, die demnach dem Segler gehörte.

«Verflixt nochmal!» knurrte einer der anderen. «Jetzt steht unser Plan auf dem Spiel. Wie ist sie denn entkommen?»

«Sie sprang in ein Taxi.»

Der Schwede sagte erbost: «Bei solchen Vorhaben soll man nie Frauen mitmachen lassen. Ich habe euch ja gleich gewarnt.»

«Aber es war doch notwendig ... und Annie war sonst immer ein vernünftiges Mädchen.»

«Vernünftig?» echote der Schwede. «Frauen sind stets nur so lange vernünftig, bis ihre Nerven mit ihnen durchgehen. Ihr seht ja, daß ich recht hatte.»

Eine Zeitlang herrschte Schweigen, dann fragte einer der Männer: «Wo ist sie wohl hingefahren?»

Der Segler antwortete: «Das weiß ich nicht. Sie hat ja viele Freundinnen in Kopenhagen. Von einigen kenne ich die Adresse, aber es wird kaum möglich sein, sie zu finden.»

«Vielleicht kommt sie morgen freiwillig zurück.»

«Hm! Nach allem, was sie gesagt hat, glaube ich das nicht!»

Jetzt trat einer der Männer aus der Kajütentür, was Jan veranlaßte, langsam gegen das Molenende zu schlendern und dann umzukehren. Daß er in der schönen Abendluft einen kleinen Spaziergang machte, konnte niemand auffallen.

Er hatte die «Rex» kaum betreten, als Erling ihn mit bedenklicher Miene fragte: «Nun, mein Freund, hat sich deine Expedition gelohnt?»

Mit Unschuldsmiene schaute Jan ihn an. «Expedition? Wie meinst du das, Dicker?»

«Na, ich sah doch, daß du dem Segler nachgegangen bist. Jetzt ahne ich Schlimmes.»

Jan mußte lachen. «Mach dir nicht schon im voraus unnötige Sorgen. Es ist ziemlich unwahrscheinlich, daß daraus eine Affäre wird.»

«Ist das ein Versprechen?»

Jan zögerte ein wenig. «Na ja ... mit Versprechen soll man sparsam umgehen, sonst muß man sie womöglich brechen.»

Erling seufzte noch tiefer als zuvor. Er aß das letzte Stück Butterkuchen auf, und seine Laune sank zum Nullpunkt.

*

Kriminalkommissar Mogens Helmer, Jans Vater, saß am gleichen Abend in seinem Arbeitszimmer. Es klopfte an der Tür, und Jan trat ein.

Helmer schaute lächelnd von seiner Arbeit auf. «Nun, mein Sohn, was hast du auf dem Herzen? Ich habe, wie du siehst, ziemlich viel zu tun...»

«Ich weiß, Vater ... aber da ist etwas, worüber ich mit dir sprechen möchte.»

«Heraus damit!»

Helmer klopfte seine Pfeife aus und lehnte sich zurück. Er wußte sehr wohl, daß sein Sohn ihn nicht stören würde, wenn es nichts Wichtiges war. Jetzt war er recht gespannt, wenn man ihm das auch nicht ansah.

In kurzen, klaren Worten erklärte Jan, was sich im Laufe des Abends ereignet hatte. Als er geendet hatte, nickte der Vater ihm zu.

«Du hast, wie immer, deine Augen und Ohren benutzt, mein Junge. Hm, ja, aber eigentlich sehe ich nichts Rätselhaftes an der ganzen Geschichte.»

«Die Männer sprachen von einem ‹Vorhaben›, Vater.»

Helmer nickte. «Das sagtest du bereits. Aber genau genommen, kann es sich dabei doch um eine ganze Menge erlaubter Vorhaben handeln. Jedenfalls ist alles noch so unklar, daß sich die Polizei der Sache nicht annehmen kann, wenn keine Anzeige erstattet wird.»

«Die Männer im Motorboot werden sich hüten, die Frau als vermißt zu melden.»

«Ja, das glaube ich auch.» Helmer nickte. «Aber einen Grund zum Eingreifen hat die Polizei eben nicht.»

Er stopfte sich eine neue Pfeife und fuhr mit einem verschmitzten Augenzwinkern fort: «Wir können natürlich etwas anderes tun, Jan.»

«Ja, bitte?» fragte Jan eifrig.

Helmer starrte ihn etwas verblüfft an. «Warum sagst du ‹ja, bitte›? Du weißt doch noch gar nicht, was ich vorschlagen will.»

Jan konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. «Doch, Vater. Du willst sicher sagen, daß die Polizei schnell herausbekommen kann, wohin das Taxi die junge Frau gebracht hat.»

«Bravo, Jan! Genau daran habe ich gedacht. Da wir ja die Quersumme des polizeilichen Kennzeichens kennen, wird es nicht allzu schwer sein, diese Auskunft zu bekommen. Wie gesagt, solange keine Anzeige erstattet wird, kann sich die Polizei mit dieser Angelegenheit nicht beschäftigen ... aber meinetwegen kannst du ein wenig Privatdetektiv spielen, mitsamt deinen Freunden.» Ernster werdend fügte er hinzu. «Wenn ich dir diese Erlaubnis gebe, dann nur, weil ich die Sache für ungefährlich halte. Sollte sich aber etwas Außergewöhnliches ereignen, dann mußt du mir sofort Bescheid sagen, Jan!»

«Das werde ich auch, Vater.»

«Gut, dann sind wir uns einig, mein Junge. Ruf mich morgen nach Tisch im Präsidium an; dann kann ich dir sicher sagen, wohin die Frau gefahren ist.»

«Vielen Dank, Vater.»

«Keine Ursache», sagte Helmer gutgelaunt und zündete seine Pfeife an. «Ich wünsche euch bei euren Nachforschungen viel Glück, aber ich glaube nicht, daß ihr auf ein Abenteuer rechnen könnt. Gute Nacht, Jan.»

«Gute Nacht, Vater ... und danke.»

«Ist schon gut.»

*

Es ging zunächst genau so, wie der Kriminalkommissar es vorausgesagt hatte. Es bereitete der Polizei keine Schwierigkeiten, ausfindig zu machen, wohin das Taxi die flüchtende junge Frau gebracht hatte. Zuerst war sie zum Gammel Kongevej gefahren und hatte dort ein Haus betreten, war aber gleich zurückgekommen. Danach war sie im Richmond-Gebäude auf der Vestre Farimagsgade gewesen und schließlich zu einer Villa in der Jägersborg Allé gefahren. Dort hatte sie den Fahrer bezahlt und war in der Villa verschwunden.

Jan war außerordentlich zufrieden über diese Auskünfte. Seiner Meinung nach war es nicht sonderbar, daß die Frau so herumgeirrt war. Einer der Männer auf dem Motorboot hatte ja gesagt, daß sie viele Freundinnen in Kopenhagen hätte. Sicher hatte sie zunächst versucht, zwei zu erreichen, die nicht zu Hause gewesen waren. In der Jägersborg Allé hatte sie endlich Glück gehabt.

Als Jan seine Freunde am Nachmittag auf der «Rex» traf, sah Erling alles andere als erfreut aus. Er hatte im Laufe der Jahre einen sechsten Sinn entwickelt, was Jan anging. Eine Vorahnung sagte ihm, daß sich Unannehmlichkeiten zusammenbrauten.

«Nun, du Ungeheuer?» seufzte er ergeben. «Nur heraus damit! Was hast du auf dem Herzen?»

Nachdem Jan berichtet hatte, seufzte Erling noch tiefer. «Ach ja, dachte ich es mir doch. Ich hatte schon die halbe Nacht böse Träume. Wenn man dich kennt, Jan, dann hat man nie lange seinen Frieden. Und was jetzt?»

«Ja, was jetzt?» wiederholte Jan munter. «Kein Mensch hat gesagt, daß du deine faulen Glieder bewegen mußt. Wenn es dir besser paßt, werden wir andern das Nötige allein unternehmen.»

«Ganz richtig!» riefen Carl und Jesper im Chor.

Erling warf ihnen einen mitleidigen Blick zu: «Ja, ja, ihr beide sitzt bloß da und sagt ‹ganz richtig›. Seid ihr euch eigentlich darüber im klaren, was euch bevorsteht?»

«Nein ... bist du dir im klaren darüber?» hänselte Jesper.

Erling nickte mit düsterer Miene. «Ach, ihr lieben Freunde. Am Anfang sieht alles ganz unschuldig aus. Aber sobald Jan seine Finger drin hat, kommt Unheil zum Vorschein. Ich sehe schon mit banger Ahnung, daß wir wieder einmal keinen Schlaf und keine normalen Mahlzeiten bekommen werden...»

«Lieber Erling!» Jesper grinste. «Gehungert hast du, soviel ich weiß, noch nie. Und geschlafen hast du stets prächtig. Ich finde es herrlich, daß Jan unserem Leben wieder etwas Würze verschafft.»

Diese Worte ließen die anderen lächeln – sogar Erling mußte da mittun –, denn sie wußten ja alle, daß Jesper kein Held war. Ein paarmal hatte er Glück gehabt, und einige «Heldenrollen» waren ihm zugefallen, aber das waren nur Ausnahmen, die die Regel bestätigten. Seine Freunde waren jedoch rücksichtsvoll genug, ihn wegen dieser Zufälle nicht zu verspotten. Dem kleinen Jesper gönnte man gern ein wenig Heldenruhm.

Jan, der eine Weile schweigend dagesessen hatte, sagte jetzt: «Vielleicht handelt es sich nur um ein Irrlicht. Aber ich finde, wir sollten die Sache ein wenig näher untersuchen.»

«Was meint dein Vater?» fragte Carl.

Jan zog die Schultern hoch. «Er glaubt vorerst nicht, daß der Knochen Fleisch aufweist. Wahrscheinlich hat er recht. Aber ich möchte gern wissen, was die junge Frau zu ihrer Flucht veranlaßt hat, und die Herren auf dem Motorboot mit ihrem ‹Vorhaben› interessieren mich auch. Deshalb will ich der Sache nachgehen.» Lächelnd fuhr er fort: «Mein Vater hat mir das ausdrücklich erlaubt, weil er annimmt, daß damit nicht das geringste Risiko verbunden ist.»

Erling stöhnte wie ein waidwundes Tier. «Kein Risiko? Keine Gefahr? Ach, ihr lieben Freunde, habt ihr je erlebt, daß mit einer Sache, in die Jan uns hineingezogen hat, keine Gefahr verbunden war? Ich nicht! Mein sechster Sinn sagt mir im Gegenteil, daß wir jeder Menge Gefahren und Unannehmlichkeiten entgegengehen.»

«Hör schon auf, Erling!» sagte Carl mit leuchtenden Augen. «Was du Gefahren und Unannehmlichkeiten nennst, halten wir andern für Spaß und Spannung.»

«Genau!» sagte Jesper. «Wenn sich nicht bald wieder etwas rührt, werden wir vor Langeweile sterben.»

Erling gab ihm einen väterlichen Klaps auf den Rücken. «Liebster Krümel, dein Löwenmut schlägt ja geradezu Funken. Aber du brauchst nie Angst zu haben, daß wir vor Langeweile sterben, solange Jan gesund und munter ist. Übrigens bin ich überzeugt, daß diese Todesart vielen anderen vorzuziehen wäre.»

Jan mischte sich ein: «Mit eurem Gerede verlieren wir nur Zeit. Ich schlage vor, lieber eine Tasse Tee zu trinken, während wir beratschlagen, wie wir am besten vorgehen.»

«Bravo!» rief Erling und wurde zusehends lebhafter. «Mach dich an die Arbeit, Krümel! Tee ist deine Sache.»

Jesper seufzte ein wenig, ging aber sogleich in die Kombüse, während Carl den Tisch zu decken begann. Fast immer fiel diesen beiden die Arbeit zu, wenn auf dem Boot gegessen werden sollte. Jan hatte keine Hand für dergleichen, und Erling trat nur sehr selten in Aktion, wobei er allerdings seine Talente als Meisterkoch aufdeckte. In diesen seltenen Fällen wurde Jesper zum Küchenjungen degradiert, der Kartoffeln schälen und Geschirr spülen mußte.

Zehn Minuten später saßen die vier Freunde um den kleinen Kajütentisch herum. Erling kaute bereits an einem großen Wurstbrot und meinte: «Tee ist gut, meine Lieben. Aber ich brauche außerdem eine kräftige Unterlage. Ich hege den Verdacht, daß wir bösen Zeiten entgegengehen. Und da weiß man ja nie, ob man noch zu einem Imbiß kommt.»

Jan schöpft Verdacht

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