Читать книгу Jan und der Meisterspion - Carlo Andersen - Страница 3
Erstes kapitel
ОглавлениеDer Gefängnisdirektor lehnte sich in seinen Sessel zurück und trommelte einen Augenblick nachdenklich mit den Fingern auf die Schreibtischplatte. Dann warf er nochmals einen Blick auf den Brief des Justizministeriums und nickte dem militärisch aussehenden Herrn mittleren Alters, der ihm gegenüber saß, zu.
«Eine gute Nachricht. Jetzt werden wir Katz endlich los. Ich muß sagen, es wird für uns eine Erleichterung bedeuten.»
«Hm», sagte der Inspektor bloß.
Der Direktor lächelte versonnen. «Ich weiß, woran Sie denken, Holm... Aber unsere Polizisten haben die Verantwortung für Katz nur bis zur dänischen Grenze; dort übernimmt die westdeutsche Polizei das Risiko.»
«Katz ist zu gefährlich...»
«Bestimmt... wahrscheinlich der gefährlichste unter all unsern Gefangenen... aber in Handschellen und mit zwei tüchtigen Leuten als Bewachung bis zur Grenze brauchen wir gewiß keine Bedenken zu haben.»
«Hoffentlich nicht!»
Inspektor Holms Mißtrauen war verständlich. Der deutsche Meisterspion Paul Katz hatte den dänischen Behörden schon eine Menge Kopfzerbrechen bereitet. Auch Jan Helmer und seine Freunde waren mit diesem gefährlichen Herrn vor längerer Zeit zusammengestoßena. Damals war Katz den deutschen Behörden entschlüpft und hatte sein Unwesen dann in Dänemark getrieben. Dank Jans Aufmerksamkeit und Mut war es schließlich gelungen, ihn in der Nähe von Sonderburg ausfindig zu machen und nach einer abenteuerlichen Verfolgung in einem Zirkus zu stellen.
Zu dieser Zeit wußten nur wenige, daß Paul Katz zu den tüchtigsten und rücksichtslosesten Spionen Europas zählte. Erst nach und nach ging der dänischen Justizbehörde auf, welchen Fang sie da gemacht hatte. Denn Katz war ein gefährlicher Gegner, dessen Verbindungen weit über die Grenzen Dänemarks reichten. Jan und seine Freunde hatten dennoch die letzte Runde in diesem spannenden und nervenaufreibenden Kampf gewonnen, und Katz wurde zu einer längeren Gefängnisstrafe verurteilt. Inzwischen hatte die deutsche Justizbehörde einen Auslieferungsantrag gestellt, und daraufhin sollte er jetzt nach Deutschland geschafft werden, obwohl er seine Strafe in Dänemark noch nicht verbüßt hatte. Die deutsche Gegenspionage hoffte, von Katz wichtige Auskünfte über seine Hintermänner zu erhalten – wenn er bereit war, den Mund aufzumachen. Das war jedoch anzunehmen, denn Katz gehörte zu jenen Spionen, die für jeden beliebigen Auftraggeber arbeiten, wenn sie nur gutes Geld dafür bekommen. Er führte seine gefährlichen Aufträge nicht aus idealistischen Beweggründen, sondern aus Geldgier durch. Und eben deswegen war er so gefährlich. Er nahm keine Rücksicht, wenn man ihm in die Quere kam. Jan und seine Freunde hatten das mehrmals zu spüren bekommen.
Der Gefängnisdirektor richtete sich in seinem Sessel auf und sagte: «Ich bin froh, den Kerl loszuwerden.»
Inspektor Holm nickte. «Verständlich. Ich auch. Aber ich wage mich erst dann zu freuen, wenn er sich auf der anderen Seite der Grenze befindet. Wann soll er abgeschoben werden?»
«Morgen. Um die Mittagszeit soll die deutsche Polizei ihn bei Padborg übernehmen. Sorgen Sie bloß für sichere Bewachung, Holm.»
«Ja. Wir werden zwei Paar Handschellen nehmen, damit er doppelt gesichert ist», sagte der Inspektor ernst und erhob sich. «Diesmal soll er keine Gelegenheit zur Flucht finden... das hoffe ich wenigstens.»
«Ihre Bedenken kommen mir denn doch etwas übertrieben vor.»
«Ich habe immer Bedenken, solange Katz nicht wohlbehalten in einer Zelle sitzt. Es besteht ja kein Zweifel darüber, daß er nicht nur hier in Dänemark, sondern auch in Deutschland die besten Verbindungen hat, die alles daran setzen werden, ihn zu befreien.»
«Gewiß», räumte der Gefängnisdirektor ein. «Er hat auf beiden Seiten der Grenze gute Beziehungen. Möglicherweise wissen diese Leute schon jetzt, daß er den deutschen Behörden ausgeliefert werden soll... aber damit ist ja nicht gesagt, daß sie auch den genauen Zeitpunkt und den Ort der Auslieferung kennen. Wenn wir ihn bei Padborg losgeworden sind, sollen sich die Deutschen um alles übrige kümmern.»
Als die Tür sich hinter Inspektor Holm geschlossen hatte, beugte sich der Gefängnisdirektor über die Berichte, die auf seinem Schreibtisch lagen. Aber er konnte sich nur mit Mühe darauf konzentrieren. Der gefährliche Spion beschäftigte ihn zu sehr.
*
Der geräumige Polizeiwagen fuhr mit großer Geschwindigkeit durch Jütland. Der Fahrer saß vorne allein; auf dem Rücksitz Katz zwischen zwei kräftigen Polizisten. Seine beiden Handgelenke waren durch Handschellen mit denen seiner Bewacher verbunden, was recht außergewöhnlich war; aber Inspektor Holm wollte jedes Risiko ausschließen. Selbst die gefährlichsten Verbrecher wurden sonst nur an einen Polizisten gefesselt. Holm war jedoch der Meinung, daß Katz mindestens so gefährlich war wie ein Dutzend andere Verbrecher zusammen.
Lange saß der Spion stumm da; dann lehnte er sich plötzlich in seinen Sitz zurück und begann zu lächeln. Als er sich eine Weile vergnügt umgesehen hatte, fragte einer der Polizisten trocken: «Wir möchten auch an Ihrer Freude teilnehmen, Katz. Um was geht es?»
Katz lächelte weiter und gab dann in seinem etwas gebrochenen Dänisch zur Antwort. «Aber gern. Findet ihr es nicht komisch, daß man mich gleich an zwei starke Männer gefesselt hat?»
«Nein, Katz... wir machen uns nie über einen Befehl lustig. Schließlich sind diese Sicherheitsmaßnahmen nicht ohne Grund angeordnet worden. Die Vorstellung, die Sie seinerzeit bei Ihrer Flucht in Hansted gegeben haben, überbot alles, was je dagewesen war.»
Katz grinste zufrieden bei dem Gedanken an sein Glanzstück, das lange Zeit die ersten Seiten der Zeitungen gefüllt hatte. «Es dürfte ja nun schwerfallen, diesen Spaß zu wiederholen», meinte er und hob vielsagend die gefesselten Hände. «Ich kann ja nicht gut fliehen, wenn ich euch beide mitschleppen muß. – Darf ich um eine Zigarette bitten?»
«Natürlich.»
Einer der Polizisten zog eine Zigarette hervor, steckte sie dem Gefangenen zwischen die Lippen und gab ihm Feuer. Vergnügt paffte der Gefangene vor sich hin. Seine Bewacher blickten sich verstohlen an. Die Tatsache, daß Katz auf einmal so frohgemut schien, machte sie mißtrauisch. Ob er wohl wieder einen seiner bekannten Streiche plante?
Aber wo sollte er dazu die Gelegenheit bekommen?
Schließlich war er ja auf die sicherste Art und Weise an seine Bewacher gefesselt. Gefährlich und erfindungsreich mochte er ja sein... hexen aber konnte selbst er nicht!
Wieder lachte der Spion leise vor sich hin. «Ich kann mir denken, daß ihr beide bewaffnet seid?»
Der Polizist, der zu seiner Rechten saß, erwiderte barsch: «Worauf Sie sich verlassen können, Katz... Und wir haben Befehl, sofort zu schießen, falls es notwendig ist.
«Ich fühle mich geehrt durch so viel Fürsorge», entgegnete Katz ironisch und lehnte sich gemütlich zurück. «Aber ich kann euch beruhigen; diesmal wird es nicht nötig sein, von der Schußwaffe Gebrauch zu machen».
«Sie freuen sich wohl schon darauf, Ihre Landsleute begrüßen zu können?»
Diesmal lachte Katz laut. «Ehrlich gesagt, glaube ich, daß sich meine lieben Landsleute mehr darauf freuen, mich begrüßen zu können. Aber die werden enttäuscht sein, wenn sie glauben, daß sie mich zum Reden bringen können. Darauf läuft die ganze Geschichte doch hinaus.»
Eine Weile saßen die drei stumm im Wagen. Mit ziemlich hoher Geschwindigkeit durchquerten sie die freundliche südjütländische Landschaft. Die Herbstsonne schien über ihnen, und die Bäume am Rande der Landstraße leuchteten rot und golden. Åbenrå lag bereits hinter ihnen; bald würden sie die dänisch-deutsche Grenze erreichen.
Als der Wagen an der Sögård-Kaserne vorbeifuhr, fragte Katz mit gespielter Gleichgültigkeit: «Werde ich in Kruså oder in Padborg ausgeliefert?»
Einer der Wachleute setzte automatisch zu einer Antwort an, aber sein Kamerad kam ihm zuvor: «Warum wollen Sie das wissen, Katz?»
Der Spion zog die Schultern hoch. «Ach, nur so. Über irgend etwas muß man doch reden. Mir kann es schließlich gleich sein, wo ich ausgeliefert werde.»
«Dann ist ja alles in Ordnung», brummte der Polizist barsch. «Ihre Neugier wird bald befriedigt werden.»
Es war dem Deutschen nicht anzusehen, ob er sich über diese Antwort ärgerte oder nicht. Mit gleichgültiger Miene betrachtete er die Landschaft. Ein unterdrücktes Lächeln spielte um seine Mundwinkel, als sie sich der Kreuzung der sechs Landstraßen näherten und in Richtung Bov weiterfuhren. – Er sollte also nach Padborg gebracht werden!
Der Fahrer verlangsamte die Geschwindigkeit, als der Wagen durch Padborg fuhr, unter der Unterführung durch und weiter auf der weiten Straße zur Grenze.
An der Grenze hatten sie nur wenige Formalitäten zu erledigen, denn die Grenzbeamten beider Länder waren informiert. Die beiden Polizisten wechselten ein paar scherzhafte Bemerkungen mit den dänischen Grenzbeamten, die ihre Neugier nicht verbargen und Katz eingehend musterten. Schließlich sieht man ja nicht alle Tage einen berühmten Spion!
Auf der deutschen Seite der Grenze warteten westdeutsche Polizisten in ihrem Wagen. Sie lächelten, als sie feststellten, daß Katz doppelte Handschellen trug und gleich an zwei dänische Polizisten gefesselt worden war. Übertrieb man damit die sicher gebotene Vorsicht nicht ein wenig?
Die deutschen Polizisten stiegen aus, und gleich darauf bildete Katz den Mittelpunkt einer kleinen Gruppe. Ruhig und ungerührt stand er da, während seine Bewacher Grußworte und Papiere austauschten. Offenbar interessierte ihn der ganze Vorgang wenig. Immer noch war er an einen seiner dänischen Bewacher gefesselt, während der andere seine Handschellen gelöst hatte, um sich bei der Erledigung der Formalitäten frei bewegen zu können.
Als er fertig war, sagte er in fehlerfreiem Deutsch zu seinen deutschen Kollegen: «Paßt nur gut auf. Der Mann ist gefährlicher als man meint. Und er wird jede Fluchtmöglichkeit, die sich ihm bietet, ergreifen. Wir sind jedenfalls froh, daß wir ihn los sind.»
Er wandte sich zu Katz und fuhr lächelnd fort: «Stimmt doch, Katz, nicht wahr? Sie überlegen doch jetzt schon, wie Sie entwischen können.»
Der Spion gab keine Antwort; er sah sich gerade nach allen Seiten um. Es schien, als sei er plötzlich etwas nervös geworden. Aber niemand kümmerte sich darum. Schließlich war es nicht verwunderlich, daß Katz sich von der augenblicklichen Lage beeindrucken ließ. Bestimmt konnte er sich bei dem Gedanken, nun einige Jahre in einem deutschen Gefängnis zubringen zu müssen, nicht gerade freuen.
«Sind wir soweit?» fragte der dänische Polizist, der immer noch an den Spion gefesselt war.
«Ja», antwortete einer der deutschen Beamten und hielt ein Paar Handschellen bereit. «Wir werden schon aufpassen und ihn wohlbehalten nach Bonn schaffen.»
«Hals- und Beinbruch!»
«Danke.»
«Gute Fahrt!»
«Gleichfalls!»
Der Däne öffnete die Handschellen. Katz blieb ruhig stehen und schlenkerte die rechte Hand, als wolle er sich versichern, daß er die störende ‚Manschette‘ nun los sei. Dann rief er plötzlich laut und völlig unmotiviert: «Donnerwetter!»
Sowohl die Deutschen als auch die Dänen starrten ihn verblüfft an, aber gleich darauf ertönte ein ohrenbetäubender Knall. Hinter dem deutschen Zollgebäude wirbelten Erde und Steine hoch in die Luft, zerbrochene Fensterscheiben klirrten, und Dachziegel flogen herunter.
«Explosion», schrie jemand. «Duckt euch!»
Instinktiv warfen sich die Polizisten flach auf den Boden, und während einiger Sekunden herrschte größte Verwirrung. Autofahrer, die an der Grenze auf Abfertigung warteten, versuchten zu wenden und wegzufahren, Frauen schrien vor Angst auf. Vom Luftdruck waren einige Kinder zu Boden gerissen worden, wo sie liegenblieben und laut weinten. Ein dichter Regen aus Steinen, Kies und Erde ergoß sich über die erschrockenen Menschen, die nicht wissen konnten, ob der ersten Explosion eine zweite folgen würde.
In all der Verwirrung dachte niemand an Katz, bis plötzlich einer der dänischen Polizisten laut rief: «Achtung, Katz flieht!»
Der Spion lief gerade den steilen Bahndamm hinauf. Der Däne zog seine Pistole, aber sein Kollege fiel ihm in den Arm.
«Nicht schießen, Jensen!»
«Warum nicht?»
«Wir haben den Gefangenen abgeliefert und befinden uns auf deutschem Gebiet.»
«Ihm nach!» rief ein deutscher Polizist und rannte schon auf den Bahndamm zu. «Er darf uns nicht entkommen!»
Sämtliche Polizisten – Dänen und Deutsche – setzten sich in Bewegung, aber Katz hatte einen recht guten Vorsprung und war bereits auf der andern Seite der Eisenbahnschienen verschwunden.
Da keiner der Deutschen eine Pistole zog, rief Jensen dem Polizisten, der neben ihm lief, atemlos zu: «Seid ihr denn nicht bewaffnet?»
«Nein! Nur mit Knüppeln.»
«Dann nehmen Sie meine Pistole. Ich darf hier ja nicht schießen... Achtung!»
Jensen blieb unvermittelt stehen, denn hinter ihm krachte ein Schuß, und an seinem Ohr sauste etwas vorbei. Oben am Damm wurde eine kleine Staubwolke sichtbar.
«Katz hat Helfer! Wir werden beschossen! Von hinten», rief Jensen.
Die Polizisten blieben stehen und schauten sich um. Aber sie sahen nur die wartenden Autofahrer, die zu drehen versuchten und von dem Durcheinander vollkommen verwirrt zu sein schienen. Natürlich konnte keiner von ihnen geschossen haben, doch das ließ sich im Augenblick nicht feststellen.
«Weiter!» rief einer der Deutschen.
Ein paar Sekunden später standen alle oben auf dem Damm und blickten um sich. «Verflixt und zugenäht!» Die deutschen Polizisten fluchten nach Noten. Katz war verschwunden!