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Zweites kapitel Eine Drohung

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Onkel Helmer saß, über seine Rechnungen gebeugt, in seinem Arbeitszimmer, als Jan eintrat und fragte: «Störe ich, Onkel?»

Christian Helmer schüttelte lächelnd den Kopf: «Nein. Du bedeutest immer eine willkommene Arbeitspause. Was führt dich zu mir?»

Nach kurzem Zögern sagte Jan: «Eigentlich wollte ich dich nur fragen, ob du Poul Dahl auf Birkehöj kennst und einigermaßen Bescheid über ihn weißt.»

Helmer blickte seinen Neffen überrascht an und zog ein paarmal an seiner Zigarre, ehe er antwortete. «Du hast mich schon einmal nach diesem Mann gefragt, Jan, aber besonders viel kann ich dir nicht von ihm erzählen. Persönlich kenne ich ihn nicht. Er pflegt keinen Verkehr mit anderen Leuten hier in der Gegend.»

«Ist das nicht seltsam, Onkel?»

«Ja und nein; es kommt wohl auf den Standpunkt an», erwiderte Helmer. Nachdenklich betrachtete er die Glut seiner Zigarre. «Ganz abgesehen von dem gesellschaftlichen Verkehr haben wir Landleute ja viele gemeinsame Interessen, über die wir gern miteinander sprechen ... Aber Dahl bleibt alledem fern ... Augenscheinlich interessiert er sich mehr für das Fliegen als für den Betrieb seines Hofes. Er hat nicht einmal genügend Leute dafür eingestellt.»

«Warum hat er dann den schönen Hof gekauft?»

«Das habe ich mich auch schon gefragt, lieber Junge. Aber Dahl mag gute Gründe haben, hier draußen zu wohnen und sich ganz für sich zu halten.»

«Was willst du damit sagen?» fragte Jan.

«Muß ich dir das erst erläutern? Natürlich handelt es sich nur um Vermutungen, und damit muß man vorsichtig sein. Aber wir wissen ja beide, daß Dahl mit Direktor Kaj Schmidt, dem die Polizei mit deiner Hilfe auf die Spur kam, eng befreundet war und den Hof von ihm erworben hat. Schmidt war auch kein Landwirt, ebensowenig wie Dahl. Weshalb interessierst du dich übrigens plötzlich so sehr für den Mann? Glaubst du, daß bei ihm etwas nicht stimmt?»

«Glaubst du das nicht auch?» erwiderte Jan lächelnd.

«Kann sein, kann auch nicht sein», meinte Herr Helmer nachdenklich. «Vorläufig liegt jedenfalls nichts gegen ihn vor.»

«Was nicht ist, kann noch kommen», sagte Jan.

«Was soll das heißen?» fragte Helmer.

Jan berichtete, was er von dem Leiter des Sönderbyer Fußballklubs gehört hatte, und schloß: «Ich verstehe nicht recht, warum Herr Dahl so sehr darauf erpicht ist, den Sönderbyern ihren Fußballplatz wegzunehmen und dort sein Flugzeug unterzubringen. Warum braucht er einen Flugplatz, der in seiner unmittelbaren Nähe liegt, obwohl er doch schon einen besitzt, der nur fünf Kilometer weit weg liegt? Da er sicher ein Auto hat, spielt diese geringe Entfernung für ihn doch gar keine Rolle?.»

«Vielleicht opfert er gern ein paar tausend Kronen, wenn er es dann etwas bequemer hat?» meinte Helmer. «Seltsam dünkt mich das jedenfalls nicht. Reiche Sportsleute lassen sich ihr Vergnügen oft etwas kosten.» Nach einer kurzen Pause fuhr er fort: «Übrigens sollst du ja den Sönderbyern helfen, das Spiel gegen Framlev zu gewinnen. Gelingt euch das, dann bekommt der Klub die fünftausend Kronen, die er braucht, um den Platz so herzurichten, wie es die Gemeinde wünscht. Und dann gehört der Platz dem Klub. Ihr müßt also eben gewinnen. Dann ist das Problem gelöst, und Dahl scheidet aus.»

«Ja, wenn wir siegen. Aber Framlev ist in blendender Form.»

Helmer nickte. «Stimmt! Sonst hätte das Spiel ja sportlich auch wenig Interesse. Ihr müßt euch also mächtig anstrengen. Aber ihr werdet es schon schaffen. Fünftausend Kronen sind ja ein recht netter Siegespreis.» Er sah aus dem Fenster. «Da fährt Erling gerade weg, mit dem Rad. Was hat er vor?» Jan lächelte: «Wahrscheinlich rückt er aus!»

«Was sagst du?»

«Ich vermute, daß er vor den Eierkuchen der guten Mads geflohen ist. Sie hat versprochen, ihm eine ganze Schüsselvoll zu backen. Dem zieht er sogar eine Radtour vor.»

«Nanu? Das klingt ganz unglaubhaft.»

«Mads hat ihn – in der Absicht, ihm seine Lieblingsspeise zu bieten –, denn das war es mal –, mit Eierkuchen dermaßen überfüttert, daß ihm ganz übel wird, wenn er bloß an Eierkuchen denkt. Deshalb ist er wohl ausgerückt.»

Helmer lachte. «Na, er wird schon wieder auftauchen, sobald das Mittagessen auf dem Tisch steht. Er wird sich ja sagen, daß es nicht nur Eierkuchen gibt. Hast du sonst noch etwas auf dem Herzen?»

Jan verneinte und verließ nachdenklich das Arbeitszimmer. Viel klüger war er durch das Gespräch mit seinem Onkel nicht gerade geworden.

Natürlich war es nicht merkwürdig, daß ein Mann, der zu seinem Vergnügen Flugsport trieb, Start- und Landeplatz bequem in der Nähe haben wollte, wenn er reich genug war, sich das leisten zu können. Aber trotzdem ... Jan schüttelte den Kopf.

Eine Stunde später kam Erling von seinem Ausflug zurück. Er sah verschwitzt aus, aber er grinste vergnügt über das ganze Gesicht.

«Wo bist du denn gewesen, Dicker?» fragte Jan neugierig.

«In Silkeborg.»

Das war der nächste größere Ort.

«Und was hast du da gemacht?»

«Ein wichtiges Anliegen, mein Freund», erwiderte Erling grinsend. «Ich war beim Doktor, um mir ein ärztliches Attest zu holen.» Erling reichte seinem Freund schmunzelnd ein Blatt Papier: «Lies selber!»

Jan nahm das Blatt und las mit großen Augen. Der Doktor verbot Erling für die nächste Zeit, Butterteig, Eierspeisen und speziell Eierkuchen zu essen.

Jan lachte laut auf: «Das hast du fein gedeichselt! Wie hast du den Doktor denn dazu gebracht?»

«Ich habe ihm die Wahrheit erzählt: daß die Eierkuchen der guten Mads mich dauernd bedrohen und mich an den Rand des Wahnsinns treiben! Er lachte und meinte, das begreife er. Und aus Mitleid ...»

Er wurde von einer Stimme auf der Gartenterrasse unterbrochen. Es war Mads.

Sie rief: «Na, da bist du ja, lieber Erling. Wo hast du denn bloß die ganze Zeit gesteckt? Ich habe eine große Schüssel Eierkuchen für dich gebacken. Komm zu Tisch und laß sie dir schmekken!»

Erling blickte Jan vergnügt an.

«Gib mir das Attest», sagte er. «Ich habe mich noch nie über ein Blatt Papier so gefreut wie über dies hier.»

«Arme Mads!» erwiderte Jan lächelnd. «Ich bin gespannt auf ihr Gesicht, wenn sie das Attest liest.»

*

Nach dem Mittagessen legten sich die drei Freunde auf den Rasen. Jan und Jesper hörten interessiert zu, als Erling ihnen die Eigenart des Hubschraubers erklärte.

«Dieser Flugzeugtyp mit Drehflügeln wurde zwar schon 1907 in Frankreich erfunden, bekam aber erst dreißig Jahre später durch den deutschen Flugzeugkonstrukteur Focke die Form, die ihn gebrauchsfähig machte, und entwickelte sich dann nach dem Zweiten Weltkrieg schnell weiter. Mit Hilfe von Propellern, die auf nahezu senkrechten Achsen montiert sind, erhebt er sich senkrecht in die Luft. Hernach werden die Schraubenblätter so verstellt, daß Vortrieb entsteht. Diese Bauart bietet den Vorteil, daß die Maschine auf ganz kleinen Plätzen starten und landen kann. Auch spielt die Fluggeschwindigkeit beim Hubschrauber keine ausschlaggebende Rolle. Da er sich nach allen Richtungen mühelos bewegen, in der Luft aber auch schwebend an einem Punkt verharren kann, eignet er sich besonders als Rettungs- und Sanitätsflugzeug zur Aufnahme Verwundeter oder Verunglückter an sonst schwer zugänglichen Stellen. Außerdem wird er in der Land- und Forstwirtschaft verwendet, zum Beispiel zur Schädlingsbekämpfung auf großen Flächen aus der Luft. Und schließlich benutzt man ihn im Luftverkehr zum Zubringerdienst auf kurzen Strecken. Dafür hat man heute Typen entwickelt, die zehn und mehr Personen aufnehmen können. Die Entwicklung geht aber immer noch weiter. Wahrscheinlich wird der Hubschrauber schon in wenigen Jahren für den eiligen Geschäftsmann an die Stelle des Autos treten.»

Auf Erlings Zuhörer machten seine Ausführungen großen Eindruck. Jan war dabei sehr nachdenklich geworden. Es war ja denkbar, daß die Fliegerei für Dahl nur ein Steckenpferd war. Es war aber auch möglich, daß etwas ganz anderes dahinter steckte. Dieser Gedanke schien gar nicht so abwegig, wenn man Dahls Freundschaft mit Kaj Schmidt in Betracht zog.

Aber im Augenblick hatte Jan an andere Dinge zu denken, denn noch am selben Nachmittag begann er mit der Sönderbyer Wettspielmannschaft zu trainieren. Wie stets fand sein schnelles, gewandtes und elegantes Spiel allgemeine Bewunderung. Er täuschte, schoß, als wäre alles nur eine Kleinigkeit, denn Fußball war seit vielen Jahren sein Lieblingssport. Aber er war dem Fußballsport nie mit einem blinden Fanatismus ergeben gewesen, und er dachte gar nicht daran, um seinetwillen seine täglichen Pflichten zu vernachlässigen.

Seine beiden Freunde verfolgten natürlich das Trainingsspiel mit dem größten Interesse, hing doch von dem in Aussicht stehenden Wettkampf diesmal ganz besonders viel für den Sönderbyer Klub ab.

Der sachkundige Erling nickte anerkennend. «Hast du das eben gesehen?» fragte er Krümel begeistert. «Mir will scheinen, Jan war noch nie in einer so glänzenden Form.»

«Ganz wie dein Magen», neckte ihn Jesper. «Dessen Leistungsfähigkeit heute beim Mittagessen war wirklich kaum noch zu überbieten.»

Erling seufzte. «Lieber kleiner Krümel», sagte er, den Kopf schüttelnd. «Deine an sich sehr geistreichen Bemerkungen über die Leistungsfähigkeit meines Magens solltest du wirklich nachgerade etwas mehr variieren. Augenscheinlich ist es an der Zeit, daß ich deine Erziehung wieder in die Hand nehme. Aber jetzt beschäftigt mich das Fußballspiel. Das erscheint mir wichtiger als du.»

Als das Trainingsspiel zu Ende war, zogen sich die ziemlich erschöpften Spieler in den bescheidenen Umkleideraum zurück, den sie – etwas übertrieben – «das Klubhaus» nannten. Denn dieses «Klubhaus» bestand lediglich aus einem ziemlich roh gezimmerten Schuppen. Daß keine Dusche vorhanden war, schien fast selbstverständlich, aber selbst eine verschließbare Tür hatte man für unnötigen Luxus gehalten.

Auf dem Wege zum «Klubhaus» meinte der Führer der Mannschaft vergnügt: «Gut, daß wir dich haben, Jan. Mit deiner Hilfe werden wir Framlev sicher vermöbeln.»

«Hoffen wir das Beste», war alles, was Jan darauf zu erwidern wußte. So unbedingt sicher schien er der Sache also durchaus nicht zu sein.

Der Mannschaftsführer – Jens Sörensen – lachte bloß. Er kannte Jans übergroße Bescheidenheit. Jan konnte es eben nicht leiden, daß man ihn in seiner Gegenwart lobte. Das war alles. An seinen überragenden Fähigkeiten zu zweifeln, fiel niemandem ein, der ihn kannte.

Jens war selber ein ausgezeichneter Spieler. Er fuhr fort: «Sicherlich werden wir allerlei zu tun bekommen, da Framlev neuerdings angefangen hat, sehr hart zu spielen.»

«Ein Grund für uns, um so größeres Gewicht auf die Schnelligkeit zu legen», meinte Jan. «Vielleicht sollten wir deshalb in den nächsten Tagen beim Training vor allem auf die Verbesserung der Lauftechnik sehen. Bei einem hart spielenden Gegner hat man oft die größten Chancen, wenn man ihm größere Schnelligkeit und Behendigkeit entgegensetzt.»

«Ein guter Gedanke», meinte Jens. «So wollen wir’s machen.»

Nach einer kurzen Pause fuhr Jan etwas unsicher fort: «Hör mal zu. Ich sage das nicht, weil ich mir einbilde, besonders klug zu sein. Aber glaubst du nicht auch, es könnte vorteilhaft sein, die Aufstellung der Spieler nach diesem Gesichtspunkt etwas zu ändern? Anders zum Beispiel ist ein so guter Läufer, daß man ihn vielleicht besser als linken Außenstürmer einsetzen sollte. Auch einige andere Spieler würde man wohl mit Nutzen auf einen anderen Platz stellen.»

Jens nickte. «Stelle sie um, Jan, wenn du es für vorteilhaft hältst.»

«Ich bin natürlich keineswegs unfehlbar», wich Jan aus.

«Das ist niemand», erwiderte Jens. «Aber ich glaube, daß wir nicht schlecht fahren, wenn wir auf deinen Rat hören. Wir müssen diesmal über Framlev siegen, weil wir dann unsere Platzsorgen endlich los sind. Ich betone: wir müssen siegen. Und alles, was dazuhelfen kann, ist uns willkommen.»

«Hoffentlich hilft’s wirklich», warf Jan ein. «Bei einem Fußballkampf zwischen zwei guten Mannschaften muß man alle Möglichkeiten in Betracht ziehen. Das weißt du so gut wie ich.»

Jan ging zu seinen Kleidern, die auf der Bank lagen, setzte sich hin und begann, seine Stiefel aufzuschnüren. Eine Dusche, dachte er, wäre jetzt eine herrliche Sache. Aber wenn es keine Dusche gab, mußte es eben auch so gehen.

Da fiel sein Blick auf ein blaues Stückchen Papier, das unter seinem Rock lag und an der Seite hervorsah. Er zog es heraus, und machte große Augen, als er las, was auf dem Zettel mit flüchtiger Schrift geschrieben stand: «An Jan Helmer! Betrachte diese Nachricht als eine ernste Warnung! Du bist kein Mitglied des Sönderbyer Fußballklubs. Falls du die Frechheit haben solltest, trotzdem gegen Framlev anzutreten, wird es dir dreckig ergehen. Also stecke deine Nase nicht in Dinge, die dich nichts angehen! Ein Freund

Ein Freund!

Jan mußte lächeln. Wer diese dumme «Warnung» geschrieben hatte, war sicherlich kein «Freund»!

Er warf einen schnellen Blick in die Runde. Aber keiner von den anderen Spielern, die sich ebenso wie er gerade umzogen, schien irgend etwas bemerkt zu haben.

Er steckte die «Warnung», die der geheimnisvolle «Freund» für ihn hinterlassen hatte, in seine Rocktasche, ohne den anderen etwas davon zu sagen.

Jan siegt zweimal

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