Читать книгу Jan und das verhängnisvolle Telegramm - Carlo Andersen - Страница 4

Zweites kapitel

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Jan fand es sonderbar, wieder in der Heimat zu sein, während sich seine Freunde auf der anderen Seite der Erdkugel aufhielten. Sein Zimmer war für ihn bereit, aber er vermißte Erling, mit dem er hier zusammengearbeitet hatte. Daß er sein Studium fortsetzen würde, galt als selbstverständlich, doch seine Eltern meinten, er könne damit warten, bis Erling ebenfalls aus dem Ausland zurückkehrte. Die unzertrennlichen Freunde wollten ja beide Ingenieur werden und beim Studium miteinander Schritt halten. Frau Helmer war überglücklich, ihren Sohn wieder um sich zu haben, aber für Jan wäre es doch ein wenig langweilig gewesen, wenn er nicht Boy zur Gesellschaft gehabt hätte.

Anfangs zeigte sich der Hund seinem neuen Herrn gegenüber ziemlich abweisend, doch da Jan mit Schäferhunden umzugehen wußte, dauerte es nicht lange, bis die Freundschaft geschlossen wurde. Boy schlief bei Jan im Zimmer, und jeden Tag unternahm er mit dem Hund einen weiten Spaziergang. Mit der Zeit gehorchte ihm Boy aufs Wort.

Eines Abends kam Jens Bach und suchte Jan in seinem Zimmer auf. Er ließ sich im Sessel nieder und sagte lächelnd: «Es ist ja schön, dich wieder hier zu haben, Jan, aber ich hege den Verdacht, daß du dich langweilst. Dir fehlen nicht nur deine Kameraden, sondern auch spannende Ereignisse, nicht wahr?»

«Wie man’s nimmt», antwortete Jan ausweichend.

«Geh, ich kenne dich doch!» Jens lachte. «Offen gestanden, ich hätte auch ganz gern etwas Abwechslung, und eigentlich habe ich auf dich gezählt. Aber es besteht wohl keine Hoffnung?»

Jan betrachtete seinen zukünftigen Schwager belustigt. Jens war ein flotter, sportlicher junger Mann, der das Leben zwar nicht leichtnahm, aber gleichzeitig von Abenteuerlust beseelt war und sich gegebenenfalls als zuverlässiger Helfer erwies, wenn es galt, auf Verbrecher Jagd zu machen.

«Spannende Ereignisse kommen immer wie ein Blitz aus heiterm Himmel», sagte Jan munter.

«Manche haben in dieser Beziehung mehr Glück als andere», erwiderte Jens mit einem kleinen Seufzer.

Er konnte nicht ahnen, wie bald sein Wunsch in Erfüllung gehen sollte...

Zur selben Stunde waren in einem alten Haus vor der Stadt mehrere Männer versammelt. Dieses Haus war früher das Hauptgebäude einer Gärtnerei gewesen, aber als der Grund und Boden zum Verkauf ausgeschrieben worden war, hatte ein Deutscher das Haus erworben. Dieser Mann gab sich als Schriftsteller aus und erklärte, für seine Arbeit Ruhe zu brauchen. Tatsächlich hätte ein Fremder, der einen Blick durchs Fenster warf, ihn am Schreibtisch sitzen sehen können, aber die Arbeit des «Schriftstellers» bestand hauptsächlich darin, Wochenberichte an eine Spionagezentrale in Hamburg zu senden.

Der Mann war Mitglied einer weitverzweigten internationalen Spionage-Organisation, einer von jenen, die sich für den Höchstbietenden verdingten, und er arbeitete zur Zeit in Dänemark. Der eigentliche Chef hieß Werner Katz und war der jüngere Bruder des berüchtigten Meisterspions Paul Katz, der Jan und seinen Freunden große Schwierigkeiten bereitet hatte. Er war schlank und trug meistens einen eleganten dunklen Anzug; wenn er Dänisch sprach, hörte nur ein sehr feines Ohr den fremdländischen Tonfall heraus. Im allgemeinen verhielt er sich ruhig und beherrscht, doch wenn er in Zorn geriet, trat der Fanatiker zutage. Dann schwollen ihm die Schläfenadern, seine Stimme wurde schneidend, die Augen nahmen einen geradezu unheimlichen Ausdruck an. Seine Helfershelfer achteten ihn wegen seiner Tüchtigkeit, fürchteten ihn aber auch sehr. Da die Spionagetätigkeit gut bezahlt wurde, nahmen sie manches in Kauf.

Werner Katz leitete die Zusammenkunft, die jetzt in dem alten Gärtnerhaus stattfand. Die Männer hatten ihm aufmerksam zugehört, warfen einander aber bedenkliche Blicke zu, als er schloß: «Und da Jan Helmer jetzt nach Dänemark zurückgekehrt ist, muß er unschädlich gemacht werden!»

Eine Weile herrschte Schweigen. Dann sagte der «Schriftsteller», der Herbert Schön hieß: «Wir werden ein ganz unnötiges Risiko laufen und uns unter Umständen in die Nesseln setzen...»

«Was soll das heißen?» entgegnete Katz scharf. «Wer befiehlt hier, du oder ich?»

Schön zuckte die Schultern. «Natürlich du, Katz, aber deswegen kannst du doch auf einen vernünftigen Rat hören. Auch dein Bruder war rachedurstig, und das ist ihm zum Verderben geworden. Meiner Meinung nach wird uns Jan Helmer bei der Arbeit nicht schaden, wenn wir ihn in Frieden lassen.»

Katz beugte sich über den Tisch vor und sagte eiskalt: «Ich fürchte mich nicht vor Jan Helmer, aber ich will mich an ihm rächen. Er und seine Freunde sind schuld daran, daß unsere Organisation ihren Meisterspion verloren hat.» Mit blitzenden Augen fügte er hinzu: «Und unser Meisterspion war mein Bruder!»

Wieder zuckte Schön die Schultern. «Du bist der Chef, und du trägst die Verantwortung.»

Die andern hatten geschwiegen. Sie wußten alle, daß mit Werner Katz nicht zu spaßen war. Er pflegte unbarmherzig abzurechnen, wenn man sich ihm widersetzte.

Katz blickte ringsum. Er sah wieder friedlich aus, und seine Stimme klang ruhig, als er sagte: «Wir sind ohnehin ohne Arbeit, da ich vom Büro in Hamburg neue Anweisungen abwarten muß. Diese Zeit wollen wir für die Abrechnung mit Jan Helmer nutzen, und diesmal soll es kein Fiasko geben.»

Die Männer waren sich darüber klar, worauf er hindeutete. Kriminalkommissar Helmer wurde von der internationalen Spionage-Organisation als einer der gefährlichsten Widersacher betrachtet, und da Werner Katz ihn gleichzeitig persönlich haßte, war beschlossen worden, ihn zu entführen. Was dann weiter mit ihm geschehen sollte, hätte vom Hauptbüro in Hamburg bestimmt werden müssen; doch während man diesen Beschluß noch abwartete, war Helmer die Flucht gelungen. Zwei Wächter hatten einander bei der Ablösung mißverstanden, so daß die Kellertür einige Minuten nicht abgeschlossen gewesen war. Eine knappe halbe Stunde später erschienen Streifenwagen bei dem Haus am Greve-Strand, doch inzwischen war die Flucht des Kommissars entdeckt worden, und die Bande hatte schon das Weite gesucht. Seither arbeitete die Polizei unter Hochdruck, um ihr auf die Spur zu kommen, jedoch vergebens; denn mittlerweile war das neue Hauptquartier in dem alten Gärtnerhaus aufgeschlagen worden. Wie die Füchse verfügten die Spione über mehrere Verstecke, und die unterirdische Arbeit wurde ungehindert fortgesetzt.

«Also kein Fiasko mehr», sprach Katz weiter. «Eure Aufgabe ist es, Jan Helmer zu beschatten, abwechselnd immer zu zweit, von sechs Uhr morgens bis Mitternacht, und wenn sich die Gelegenheit ergibt, müßt ihr schnell handeln. Er wird dann hierher entführt.» Mit bösem Lächeln schloß er: «Ich will mit dem Burschen reden.»

Nachdem die Helfershelfer gegangen waren, lehnte sich Katz zufrieden zurück und zündete sich eine Zigarette an. Hin und wieder lachte er leise vor sich hin. Abgesehen von dem Fehlschlag mit Kommissar Helmer hatte der Chef des Spionageringes allen Grund, mit den Zuständen zufrieden zu sein. Die Arbeit in Dänemark ging ganz nach Wunsch. Es war ein harter Schlag für die Spionage-Organisation gewesen, daß sich Paul Katz, in die Enge getrieben, das Leben genommen hatte; aber im Lauf der Zeit war das Netz neu geknüpft worden, und Werner Katz zeigte sich ebenso tüchtig und rigoros wie sein berüchtigter Bruder. Er hatte sich schon viele gute Verbindungen geschaffen. Meistens handelte es sich um nichtsahnende Leute, die sich von den geriebenen Spionen «auspumpen» ließen und ihrem Vaterland schadeten, ohne es zu wollen.

Katz hatte sein Spionagenetz in Dänemark schon so fein gesponnen, daß er sogar über Jans Ankunft in Kopenhagen Bescheid wußte. Ein Kodekabel von der Zentrale in Bombay hatte ihm die Abflugszeit der Maschine mitgeteilt. Um sicherzugehen, war er zum Flughafen Kastrup gefahren und so Zeuge der Ankunft gewesen. Auf diese Weise bekam er auch einen Eindruck von Jans Aussehen, so daß er ihn seinen Leuten beschreiben konnte.

Werner Katz war sich durchaus darüber klar, daß seine persönlichen Rachegefühle ihn daran hinderten, sich seinen eigentlichen Aufgaben zu widmen; doch er konnte nicht dagegen an, mochte es auch unklug sein. Für ihn bedeuteten Gegner nichts anderes als Steine in dem großen Spiel, aber einen Menschen gab es, den er von ganzem Herzen haßte, und dieser eine Mensch war Jan Helmer.

Jan und Jens Bach waren im Kino gewesen. Nun saßen sie in Jens’ kleinem Sportwagen, der vor dem Helmerschen Gartentor hielt, und sprachen noch über den Film, den sie gesehen hatten. Es war ein milder, stiller Frühlingsabend, und es herrschte in dieser Gegend nur wenig Verkehr.

Nach einer Weile brachte Jens die Rede auf die Entführung des Kommissars. «Weißt du, was ich befürchte, Jan? Dieser gefährliche Werner Katz könnte es im Grunde auf dich abgesehen haben.»

«Durchaus möglich», antwortete Jan. «Ich werde auch die Augen offen halten. Aber seiner Meinung nach befinde ich mich irgendwo im Fernen Osten auf der ‹Flying Star› und...»

«Da bin ich gar nicht so sicher», unterbrach ihn Jens. «Wenn er als Spion gute Verbindungen hat, weiß er, daß du nach Dänemark zurückgekehrt bist.»

«Na, und?» gab Jan unbekümmert zurück. «Das nützt ihm nicht viel, denn er und seine Leute wissen ja nicht, wie ich aussehe.»

«Könnte er nicht ein Bild von dir haben? Du warst ja öfters in den Zeitungen abgebildet.»

«Zuletzt vor einem Jahr, und inzwischen habe ich mich stark verändert. Im übrigen ist die Kriminalpolizei an der Arbeit, und vielleicht hat sie die Spione geschnappt, bevor Katz mich aufspürt.»

«Trotzdem würde ich an deiner Stelle...» Jens brach mitten im Satz ab und starrte mit offenem Mund auf ein Auto, das in entgegengesetzter Richtung langsam an ihnen vorbeifuhr. Dann rief er verdutzt: «So etwas! Das ist doch nicht möglich!»

«Was ist denn los?» fragte Jan verwundert.

Jens drehte sich um. «Siehst du das Auto dort?»

«Ja, was ist damit?»

«Es hat ein gefälschtes Nummernschild!»

«Ihm nach, Jens!» Jans Kommando kam instinktiv. Es war sozusagen der Detektiv in ihm, der ihn so handeln ließ. Erst als der kleine Sportwagen gewendet hatte und dem Auto folgte, dachte Jan nach und erkundigte sich: «Woher weißt du eigentlich, daß das Nummernschild gefälscht ist?»

Jens schüttelte den Kopf. «Sonderbare Sache. Du siehst doch, daß das Auto vor uns ein Ford ist und die Nummer A 2204 trägt, nicht wahr?»

«Ja, das ist klar. Aber woraus schließt du...»

«Ich will es dir erklären. Die echte Nummer A 2204 ist nämlich ein Chevrolet, der einem Fabrikdirektor draußen in Lyngby gehört. Er ist einer der besten Freunde meines Vaters und war erst vor drei Tagen bei uns zu Besuch.»

«Bist du ganz sicher?»

«Bombensicher!»

«Interessant», sagte Jan.

«In dem Auto sitzen zwei Männer», stellte Jens fest.

«Halte gut Abstand», mahnte Jan. «Sie dürfen nicht merken, daß wir ihnen folgen.»

Beim Bahnhof Österport bog der Wagen mit dem falschen Nummernschild nach links ab und fuhr schneller, so daß auch Jens mehr Gas geben mußte. Der Verkehr war in dieser Gegend so lebhaft, daß die Männer von der Verfolgung kaum etwas merken konnten. Sogar bei einem Kreisel ließ das Tempo nicht nach. Als das Auto von einer Geschäftsstraße nach rechts abbog, rief Jan: «Sieh dich vor, Jens, gleich werden sie wieder langsam fahren.»

Er behielt recht. In der stillen Nebenstraße bewegte sich der Ford im Schneckentempo weiter.

«Wie konntest du das wissen?» fragte Jens erstaunt.

«Siehst du denn nicht, wo wir sind? Das ist doch unsere Straße! Wir sind im Kreis herumgefahren. Ich hege den Verdacht, daß in dem Ford zwei Leute der Katz-Bande sitzen, die Vater oder mir auflauern. Schau, wie langsam sie an unserem Haus vorbeifahren... und jetzt... jetzt halten sie!»

«Was nun?»

«Weiterfahren!» antwortete Jan rasch. «Ich ducke mich, damit sie mich nicht sehen können.» Von seinem Versteck aus sagte er: «Du darfst den Kopf nicht drehen, wenn du an ihnen vorbeifährst. Sonst werden sie mißtrauisch.»

«Und was machen wir, wenn wir an ihnen vorbei sind?»

«Fahr noch hundert Meter weiter und halte auf der linken Straßenseite.»

Nachdem Jens diese Anweisung befolgt hatte, tauchte Jan wieder auf und erkundigte sich: «Stehen sie immer noch vor unserm Haus?»

«Ja», antwortete Jens, der sich vorsichtig umgedreht hatte. «Sollten wir nicht deinen Vater alarmieren?»

Jan schüttelte den Kopf. «Wenn wir das versuchen, riskieren wir, daß sie inzwischen verduften. Warten wir lieber ab, was geschieht. Schalte nur die Standlichter ein, aber laß den Motor laufen. Wir müssen bereit sein, die Verfolgung wiederaufzunehmen.»

Obwohl die Wartezeit langsam verstrich, war es spannend. Jens sah sich immer wieder um und überzeugte sich, daß der Ford immer noch vor dem Helmerschen Hause stand.

Es schlug Mitternacht, und plötzlich rief Jens: «Jan, sie fahren ab!»

«Ich ducke mich wieder», sagte Jan schnell. «Laß ihnen einen Vorsprung bis zur nächsten Kreuzung, bevor du ihnen folgst.»

Kurz darauf war die Verfolgung wieder in vollem Gang.

Nachdem der Ford abgebogen war, rief Jan: «Volle Kraft voraus, Jens! Wir müssen sie einholen!»

Jens antwortete nicht, sondern biß die Zähne zusammen. Der Sportwagen sauste so schnell dahin, daß ein Verkehrspolizist ihn wahrscheinlich aufgeschrieben hätte. Aber das war gut, denn diesmal beschrieb der Ford keinen Kreis, sondern setzte die Fahrt geradeaus fort. Jan richtete sich wieder auf und nickte zufrieden, als er den Wagen weiter vorn sah. «Jedenfalls können sie nicht wissen, daß sie verfolgt werden», sagte er.

«Dazu ist der Verkehr auch zu lebhaft», meinte Jens.

Das änderte sich jedoch, als sie Lyngby hinter sich hatten und unter einem Eisenbahnviadukt durchfuhren. Sie mußten dem Ford wieder einen größeren Vorsprung lassen. Er zweigte mehrmals ab, und als der Sportwagen wieder einmal um eine Ecke bog, konnten Jan und Jens die Schlußlichter des Fords plötzlich nicht mehr sehen. Eine Zeitlang fuhren sie aufs Geratewohl hin und her, aber A 2204 war wie vom Erdboden verschwunden.

«Zu ärgerlich», sagte Jens enttäuscht.

«Nicht so schlimm», erwiderte Jan. «Auf jeden Fall wissen wir jetzt, daß der Wagen mit dem falschen Nummernschild in diese Gegend gehört, und so können wir die Sache morgen abend näher untersuchen.»

«Wir?» gab Jens bedenklich zurück.

Jan lachte. «Ich weiß, was du denkst, Jens. Du findest, ich müßte es Vater erzählen, aber damit möchte ich lieber noch warten.»

«Warum?»

«Aus dem einfachen Grund, weil ich Vater nicht mit einer halben Geschichte kommen will. Mit Sicherheit wissen wir vorläufig nur, daß wir ein Auto mit gefälschtem Nummernschild verfolgt haben. Daß es sich dabei um die Spionenbande handeln könnte, ist nichts als bloße Vermutung.»

«Du bist unverbesserlich, Jan», sagte Jens. «Ich verstehe übrigens, was du meinst und... na ja, ich bin mit von der Partie!»

«Fein. Fahren wir also nach Kopenhagen zurück.»

Jan und das verhängnisvolle Telegramm

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