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Drittes kapitel

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Kriminalkommissar Mogens Helmer sass im Polizeigebäude in seinem Büro und las einige umfangreiche Rapporte. Die Sonne schien zum Fenster herein, und der Kommissar warf einen sehnsüchtigen Blick auf den blauen Himmel. Ach ja, hier sass man mitten in einem Stapel staubiger Schriftstücke, während draussen die freie Natur lockte! Helmer hatte die grösste Lust, allen Rapporten und Verhören den Rücken zu kehren, seinen Stock zu nehmen und über die seeländischen Landstrassen zu wandern, um den Sommer zu begrüssen. Sein Urlaub begann jedoch erst in einigen Wochen, und im übrigen war es noch recht zweifelhaft, ob er es sich überhaupt leisten konnte, in diesem Jahr Ferien zu machen. Die Arbeit häufte sich, das Personal war knapp, und es liess sich nicht absehen, wann einmal eine Möglichkeit bestand, einen Vertreter anzustellen.

Und auch die Menschen machten einander das Leben schwer, dachte Helmer mit einem kleinen Seufzer. Was stak denn im Grunde hinter den meisten Kriminalfällen, mit denen er zu tun hatte? Kleinigkeiten, nichts anderes als Kleinigkeiten. Wenn die Menschen nur lernen würden, einander mit etwas Höflichkeit und Freundlichkeit zu behandeln, anstatt sich von morgens bis abends zu bekämpfen und sich gegenseitig das Dasein zu erschweren!

Der Kriminalkommissar öffnete seine Schublade und entnahm ihr eine Zigarre. Er paffte heftig, als ob er seine düsteren Gedanken im blauen Tabakrauch verlieren könnte, und vertiefte sich dann in den nächsten Rapport. Es nützte ja nichts, sich Träumereien hinzugeben. Man musste für die Aufgaben bereit sein, die das Leben dem Menschen auferlegte, und ausserdem konnte man nur dankbar sein, wenn man Arbeit hatte und in der Lage war, eine Familie zu erhalten.

Der Zigarrenrauch legte sich in dicken Wolken über Helmers Kopf, während er die Rapporte weiterlas. Plötzlich wurde an die Türe geklopft, und ein Polizeibeamter trat ein.

«Es ist ein Herr draussen, der mit Ihnen sprechen möchte, Herr Kommissar», meldete er.

«Wie heisst er?» fragte Helmer.

«Josef Bergvall. Es ist der schwedische Filmregisseur.»

Helmer erhob sich.

«Lassen Sie ihn eintreten, lassen Sie ihn eintreten!»

Kurz darauf stand Bergvall in der Türe. Helmer ging ihm mit erfreutem Lächeln entgegen.

«Josef! Das ist wirklich eine Überraschung. Komm, setz dich und lass mich Neuigkeiten aus Schweden hören.»

Er bot seinem Besucher eine Zigarre an, reichte ihm Feuer und lehnte sich in seinem Sessel zurück.

«Jan erzählte mir von dir und sagte, es stünde alles gut. Du bist also ein berühmter Filmmann geworden, seit wir uns das letztemal gesehen haben.»

Nun war Helmer in seinem Element; die niedergedrückte Stimmung hatte er abgeschüttelt. Die lebhafte Unterhaltung drehte sich um alte Erinnerungen an Schweden und Dänemark, bis Bergvall dem heiteren Gespräch ein Ende machte und sagte: «Aber in Wirklichkeit hat mich eine ernste Angelegenheit zu dir gebracht, lieber Freund. Ich bin gekommen, um deinen Beistand als Polizeimann zu erbitten.»

«Als Polizeimann? Du hast doch nicht etwa ein Verbrechen begangen?»

«Nein, das nicht», erwiderte Bergvall mit einem kleinen Lächeln. «Aber es ist ein Verbrechen geschehen, und ich möchte dich bitten, uns beim Aufspüren zu helfen.»

«Was ist es denn» fragte der Kommissar.

«Mein Film ist verschwunden!»

«Dein Film?»

«Ja, einfach verschwunden.»

«Ich muss dich um eine etwas ausführlichere Erklärung ersuchen», sagte Helmer. «Ich verstehe kein Wort. Von was für einem Film redest du eigentlich?»

Bergvall strich die Asche von seiner Zigarre und beugte sich über den Schreibtisch. «Ich will dir alles von Anfang an erzählen», sagte er. «Vor einem Monat wurde ich von der Rex-Filmgesellschaft beauftragt, eine dänische Fassung von einem Film zu machen, mit dem ich in Schweden grossen Erfolg gehabt habe. Der Film heisst ‚Lied der Wellen‘ und spielt in Segelsportkreisen. Vor vierzehn Tagen begannen wir in Kopenhagen mit den Aufnahmen. Die Hauptrollen spielen Jens Martin und Birthe Bang, die Tochter von Ivar Bang, dem Direktor der Rex-Film. Das Ganze sah sehr vielversprechend aus, und wir kamen mit den Aufnahmen recht gut voran, abgesehen davon, dass Jens Martin ab und zu krank wurde, so dass wir mit ihm noch nicht viele Szenen drehen konnten. Aber du weisst ja, dass man beim Filmen selbst bestimmen kann, in welcher Reihenfolge die Szenen gedreht werden sollen, und wir haben deshalb mit Rücksicht auf Martin zuerst alle die Szenen vorgenommen, in denen er nicht mitwirkt. Alles ging gut; doch dann gelangten wir zu dem Punkt, wo wir die übrigen Szenen mit Martin drehen mussten. Da erhielten wir plötzlich Bescheid von seinem Arzt, dass sein Gesundheitszustand sich verschlechtert hätte, und dass er ein paar Wochen lang nicht arbeiten könnte. Er hat ein Halsleiden und muss sich vollständig schonen. Er selbst ist natürlich unglücklich deswegen; aber Krankheit ist eine höhere Gewalt, über die man nicht Herr ist. Dagegen lässt sich nichts machen.»

«Was hat denn das alles mit dem verschwundenen Film zu tun?» warf Helmer ein.

«Gar nichts. Ich erzähle es dir nur, damit du einen Überblick über die ganze Lage hast.»

«Und der Film?»

«Ja, höre. Bis jetzt haben wir fast die Hälfte aufgenommen, und es ist noch keine Kopie hergestellt worden, so dass wir also nur die Originalaufnahmen haben. Dieser Film lag in der technischen Abteilung der Rex-Gesellschaft in einem Schrank, und gestern nachmittag sahen wir ihn zum letztenmal. Als die Techniker heute morgen erschienen, um mit dem Kopieren anzufangen, waren die Filmrollen weg!»

«Ein Einbruch?»

«Es sieht so aus. Ein Fenster in der technischen Abteilung ist gewaltsam geöffnet worden, und der Schrank, in dem die Filmrollen lagen, ist beschädigt. Er scheint mit einem Brecheisen aufgebrochen worden zu sein. Die drei Metallkassetten mit dem Film sind verschwunden. Sonst fehlt nichts.»

«Hat man den Einbruch gemeldet?»

«Bis jetzt nicht, aus guten Gründen, die ich dir auch erklären will. Als die Techniker entdeckten, dass die Filmrollen verschwunden waren, meldeten sie es sofort Direktor Ivar Bang, der mich anrief und von dem Geschehnis in Kenntnis setzte. Wir hielten dann eine Sitzung ab, um zu besprechen, was wir machen sollten, und das Ergebnis war, dass wir den Entschluss fassten, die Polizei nicht zu benachrichtigen.»

«Warum denn nicht?»

«Das ist eine etwas verwickelte Geschichte. Die Sache ist nämlich die: Als die Rex-Filmgesellschaft beschloss, das ‚Lied der Wellen‘ in einer dänischen Fassung zu drehen, hatte ihre Konkurrenz, die Dana-Filmgesellschaft, die Absicht, einen ähnlichen Segelsportfilm zu machen. Die Rex-Gesellschaft hatte aber einen zeitlichen Vorsprung, weil alle Vorarbeiten schon geleistet waren, und darum gab die Dana ihre Pläne auf. Ein Konkurrenz-Film hätte auch keine grossen Chancen gehabt, denn die schwedische Fassung vom ‚Lied der Wellen‘ war ein so grosser Erfolg geworden, dass auch die Rex-Gesellschaft mit einem vollen Erfolg rechnen konnte. Die Dana gab es also auf, den geplanten Segelsportfilm zu drehen, und das hörten wir natürlich, da in Filmkreisen vieles durchsickert, auch wenn die leitenden Stellen den Mund halten. Wir begannen also frohgemut mit den Aufnahmen, und alles liess sich gut an, abgesehen davon, dass Martins Erkrankung die Arbeit verzögerte und nun noch mehr verzögern wird. Trotzdem haben wir auf jeden Fall einen Vorsprung, und selbst wenn wir durch Martins Arbeitsunfähigkeit längere Zeit aussetzen müssten, könnten wir uns nicht davon abhalten lassen, den Film fertigzustellen. Es ist schon so viel Geld hineingesteckt worden, dass wir die Arbeit nicht abbrechen dürfen. Wenn es aber in der Öffentlichkeit bekannt wird, dass wir nicht beizeiten fertig werden, und dass alle unsere bisherigen Aufnahmen gestohlen worden sind, kann es sein, dass die Dana-Gesellschaft ihren Plan doch wieder aufgreift, und dann geraten wir möglicherweise zeitlich ins Hintertreffen. Deshalb wollen wir über den Diebstahl Stillschweigen bewahren und schauen, ob sich die Sache nicht aufklären und bereinigen lässt, ohne dass die Polizei benachrichtigt und die Neuigkeit überall verbreitet wird. Ich weiss nicht, ob ich mich genügend verständlich gemacht habe?»

«Vollkommen», antwortete Helmer. «Ich begreife auch die Beweggründe der Filmgesellschaft, die Sache nicht an die grosse Glocke zu hängen. Aber was soll ich denn nun tun?»

«Den gestohlenen Film wieder herbeischaffen!»

«Vielen Dank für das Vertrauen. Das wird jedoch eine schwierige Sache werden, bei der man den Polizei-Apparat braucht. Wir müssen überlegen, wie sich das Problem lösen lässt, ohne dass über das Geschehnis geredet wird. Wie viele Menschen wissen bis jetzt, dass die Filmrollen verschwunden sind?»

«Vier.»

«Und wer sind die vier?»

«Direktor Bang, zwei Techniker und ich. Sonst weiss niemand etwas, und wir haben die Absicht, die Arbeit fortzusetzen, als ob nichts geschehen wäre.»

«Aber Jens Martin ist doch krank...»

«Wir gehen mit dem Gedanken um, die Rolle umzubesetzen. Vorläufig haben wir ja erst ganz wenige Szenen mit Martin aufgenommen, und es wäre kein grosser Verlust, sie noch einmal zu drehen. Ursprünglich hatten wir überhaupt im Sinn, die männliche Hauptrolle dem jungen Schauspieler Kaj Winther zu geben; aber Birthe Bang, die Tochter des Direktors, die die weibliche Hauptrolle spielt, war so sehr dagegen und machte so viele Einwendungen, dass die Rolle schliesslich mit Martin besetzt wurde. Birthe Bang und Kaj Winther waren früher recht gute Freunde; es ging sogar das Gerücht, dass sie heiraten wollten. Aber Birthe brach die Beziehung plötzlich ab, und so kam es, dass Jens Martin ihr Partner wurde. So etwas kann vorkommen. Ich persönlich hätte den Film am liebsten mit Winther gedreht; doch da sich der Direktor und seine Tochter widersetzten, konnte ich meinen Wunsch nicht durchsetzen. Vielleicht fügt sich nun alles so, dass Kaj Winther die Rolle spielen wird, die Martin bekommen hatte. Die Lage ist ja ziemlich ungewöhnlich, und die Rex-Gesellschaft sitzt in einer argen Klemme. Direktor Bang hat viel Geld in den Film gesteckt, und ich nehme an, dass ich Martins Szenen noch einmal mit Winther drehen werde. Das lässt sich leicht machen. Schlimm ist nur, dass auch alle anderen brauchbaren Szenen fort sind, die wir schon gedreht haben. Durch den Diebstahl hat sich unsere Lage verzweifelt gestaltet. Du musst uns helfen, lieber Freund!»

Der Kommissar antwortete nicht gleich. Er trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte, während er über das Gehörte nachsann. Schliesslich zündete er sich eine neue Zigarre an, stand auf und schritt mit den Händen in den Taschen im Zimmer auf und ab. Nach einer Weile blieb er vor dem Regisseur stehen und sagte: «Du wirst mich vielleicht für verrückt halten; aber ich habe einen Vorschlag und möchte dir raten, darauf einzugehen.»

«Warum auch nicht? Ich bin bereit, auf jeden Vorschlag einzugehen, der uns aus dieser Klemme retten könnte. Wer soll etwas tun?»

«Jan.»

«Jan?» wiederholte Bergvall verwundert.

«Ja. Wir müssen Jan auf die Spur setzen. Du wirst es vielleicht unsinnig finden, einem Jungen eine so ernste Aufgabe anzuvertrauen; aber ich sehe im Augenblick keinen andern Ausweg. Ich selbst kann natürlich zu euch kommen und mir die Dinge anschauen; doch da die Sache nicht offiziell in die Hände der Polizei gelegt werden soll, handelt es sich um eine Privatangelegenheit, und damit kann ich mich nicht dienstlich beschäftigen. Ich möchte deshalb Jan auf die Spur setzen und abwarten, ob er nicht dahinterkommt, wie alles zusammenhängt. Er hat schon früher schwierige Aufgaben vortrefflich gelöst. Ich glaube, du solltest auf meinen Rat hören und Jan in eurem Betrieb herumschnüffeln lassen. Das kann er wahrscheinlich machen, ohne Aufmerksamkeit zu erregen, und das Geheimnis des Diebstahls bleibt gewahrt. Was meinst du dazu?»

Josef Bergvall überlegte ein Weilchen.

«Einverstanden», sagte er dann. «Das machen wir. Ich habe ja schon von Jans Detektiv-Begabung gehört, und da du es vorschlägst, sehe ich keinen Grund, deinen Rat nicht zu befolgen. Kann er gleich anfangen?»

«Ich fahre mit zur Rex-Gesellschaft hinaus und setze Jan auf die Spur», erwiderte Helmer. «Ich werde ihn beraten und ihm auf jede erdenkliche Weise helfen. Ich bin sicher, dass er etwas erreichen wird.»

Der Kommissar ergriff den Telephonhörer und liess sich mit seiner Wohnung verbinden.

«Ja, ich bin’s. Ist Jan zu Hause? — Ach, er ist am Hafen? Dann fahre ich dorthin. Ich sage dir, Mutter, ich habe eine Aufgabe für ihn, die seine Ferien zu einem besonderen Erlebnis machen wird!»

Helmer hängte ein und lächelte wohlgelaunt. «Jan und Kompanie werden es schon schaffen», murmelte er. «Komm, wir wollen gehen.»

Die beiden Männer gingen auf die Strasse hinaus und setzten sich in Bergvalls Sportwagen. Kurz darauf waren sie am Hellerup-Hafen, wo sie Jan und Erling in einem der Juniorenboote beschäftigt fanden.

«Hallo, ihr beide!» rief Helmer. «Kommt einmal herauf. Ich muss mit euch sprechen.»

Die Buben kletterten aus dem Boot, und Jan sagte: «Bereit zur nächsten Aufgabe, Herr Kommissar!»

Helmer stutzte. «Was meinst du damit?»

«Dass du uns etwas anzuvertrauen hast, Vater», antwortete Jan keck.

«Wie kommst du darauf?»

«Herr Kommissar Helmer verlässt sein Büro nicht vor sechzehn Uhr, wenn nicht etwas los ist», lächelte Jan.

«Richtig. Es ist etwas los, und ich habe tatsächlich eine Aufgabe für dich. Wir wollen uns hier auf die Bank setzen, damit ich euch die Sache kurz erklären kann.»

«Darf Doktor Watson mitkommen?» fragte Erling.

«Selbstverständlich. Du bist ja unentbehrlich», schmunzelte Helmer. Nachdem sie sich niedergelassen hatten, sagte er: «Also, aufgepasst...»

Der verschwundene Film

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