Читать книгу Suburra - Carlo Bonini - Страница 8

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I.

Am Fenster der Anna-Magnani-Suite, im vierten Stockwerk des Hotels La Chiocciola, das im Werbeprospekt als „charmantes Boutiquenhotel hinter dem Campo de’ Fiori“ beschrieben wurde, in den Augen des Pöbels jedoch ein sündteures Stundenhotel der kapitolinischen Elite war, öffnete der Abgeordnete Pericle Malgradi, ein Musterbeispiel christlicher Lebensführung, den schwarzen Seidenmorgenmantel mit dem schneebedeckten Fujiyama darauf – Kimono heißt das, Kimono, hatte ihm Samurai erklärt, aber der hatte einen Knall – holte sein Geschlechtsteil heraus, das – wie er urbi et orbi zu verkünden pflegte – zu einer phänomenalen Erektion fähig war –, und segnete Dächer und Passanten der Ewigen Stadt mit einem gelben Strahl.

– Sabrina!, kläffte er, ohne sich zu seiner Favoritin umzudrehen, die noch immer auf dem king-size bed lag, neben der anderen, der Litauerin, – Sabrina, du bist doch Römerin, du kennst doch Bellis Gedichte … wie heißt es doch gleich? Ich bin der König … und ihr seid nichts …

Ach, das Wasserlassen, das göttliche postkoitale Wasserlassen, was für ein Genuss, was für ein Vergnügen! Er pisste auf die armen Teufel hinunter, die nachts arbeiten mussten, er ließ seinen Strahl wie aus einer Gießkanne hinunterregnen, ließ ihn zuerst empor schießen wie aus einem Springbrunnen, stoßweise und ruckartig, und dann hinuntertröpfeln oder ihn einfach wie einen mächtigen Wasserfall in die Tiefe rauschen.

– Sabrina, schau! Ich habe einen auf der Glatze erwischt! Köstlich, er schaut, schaut nach oben, ja, ärgere dich nur über die Möwen und die Krähen … ich bin oben und du bist unten … begreifst du endlich, wie das Leben funktioniert? Sabrì? Sabrinaa … Verdammt, komm her und schau, ihr werdet mir doch wohl eine kleine Freude machen, bei dem, was ich euch bezahle!

Schweigen. Die Huren waren wahrscheinlich eingeschlafen. Kein Wunder. Er hatte die beiden ja fertiggemacht. Er, Pericle Malgradi! Aber er würde sie wieder aufwecken, die beiden „Professionellen“!

Der Abgeordnete fischte eine Patek Philipe Annual Calendar 4937G aus der Tasche des Kimono, küsste zärtlich und mit berechtigtem Vaterstolz das kleine Bild seiner Töchter, das er im Inneren des Gehäuses einfügen hatte lassen, ließ den Deckel aufklappen – wer außer ihm konnte sich eine Medikamentenschachtel mit einem Drachen drauf um mehr als fünfzigtausend Euro leisten? – und holte ein paar Levitra-Tabletten heraus.

– Levitra, Sabrì, hast du verstanden, nicht das Armeleutezeug, das die anderen fressen, Cialis, Viagra … von dem man nur Kopf- und Bauchweh bekommt. Das ist was Besonderes, mein Mädchen, erstklassige Ware, von meinem Bruder Temistocle eigenhändig hergestellt. Irgendwann stelle ich ihn euch vor, er hat ja auch einen Champions-League-Schwanz … das liegt bei uns in der Familie … die Brüder Malgradi, Klasse ist dicker als Wasser … Ach, Sabri’, kommt her, du und die andere, die Slawin, wie heißt sie doch gleich … hört ihr mich nicht, ihr Nutten?

Nichts. Schweigen. Verdammt! Sabrina war dabei, es sich zu verscherzen. Sie war ja nicht die einzige Nutte in Rom, in Rom konnte man aus dem Vollen schöpfen! Nächstes Mal nahm er sich zwei Schwarze. Nein, noch besser, zwei Schwarze und eine Transe. Um ein bisschen Spaß zu haben. Das stand ihm zu, er hatte ja sein Leben lang der Gemeinschaft gedient. Der Transe würde er jedoch von Anfang an klarmachen; geben ja, nehmen nein! Er war ja keine Schwuchtel!

Der Herr Abgeordnete steckte die Uhr in die Tasche zurück, holte eine Prise Koks aus dem Stanniolpapier, vermischte es mit den zerbröselten Tabletten, legte das Ganze auf das Fensterbrett und sniefte.

– Sabrina! Slawin! Für euch ist auch noch was da!

Nach wie vor Schweigen. Jetzt reichte es aber. Ihm wurde so schwindlig, dass er schwankte. Er lehnte sich an die Balustrade. Das Zeug stieg ihm zu Kopf. Bald würde es im Schwanz ankommen. Während der Erektionscocktail langsam wirkte, überkam ihn ein angenehmes Gefühl der Unbesiegbarkeit. Alle riefen dazu auf, auf die Bremse zu steigen, alle sagten, sie tanzten am Rande eines Vulkans, alle fürchteten, die Dinge könnten sich von einem Augenblick auf den anderen verändern. Alle faselten von Sparkurs, von Moral … zum Teufel damit! Italien würde sich nie ändern. Wir werden immer oben sein, und die armen Teufel unten.

– Hilfe!

Endlich ein Lebenszeichen.

– Setzt euch den Brillanten ein, Onkelchen kommt.

Ach ja, der Brillant. Damit hatte ihn Sabrina überzeugt, dass sie besser als alle römischen Huren war. Ein kleines Schmuckstück im Loch, dem hinteren. Das auf diese Weise immer offen und einsatzbereit blieb, wenn Sie mich verstehen. Malgradi leckte es gerne ab. Ein köstliches Vorspiel! Mit nur einem Nachteil: Es bestand die Gefahr, dass man das kleine Teil verschluckte. Aber ihm, Pericle Malgradi, der Number One, passierte so was nicht.

Malgradi drehte sich um.

Sabrina starrte ihn an, leichenblass.

– Was zum Teufel ist los?

– Vicky geht es nicht gut.

Allmählich dämmerte es ihm, dass es möglicherweise ein Problem gab.

– Und was soll ich tun?

– Sie stirbt, du Trottel.

Was war in Sabrina gefahren? Warum schrie sie so?

– Verdammt, halt den Mund, ich denk’ ja schon nach!

Sabrina schnaubte vor Wut. Malgradi begriff allmählich. Um Himmels willen! Die Slawin war grün geworden, grün wie eine Artischocke kurz vor der Ernte. Sie lag auf dem schwarzen Seidenlaken und schnappte nach Luft, ihr Brustkorb, der sich verzweifelt hob und senkte, gab ein ungesundes Geräusch von sich, ein Rasseln.

– Um Himmels Willen! Sie stirbt! Sie stirbt! Die Idiotin stirbt!

Er war wie gelähmt. Er konnte keine Entscheidung konnte keine Entscheidung treffen. Er konnte nicht sprechen. Sabrina kramte in der Tasche und holte ein Handy heraus.

– Wir müssen die Rettung rufen!, sagte Sabrina

Endlich konnte der Abgeordnete einen klaren Gedanken fassen: Ich bin im Arsch! Neben dem Bett, neben der Ausländerin, die immer bleicher wurde und immer heftiger keuchte, sank er in die Knie. Während die Benommenheit infolge des Koks abnahm und die hysterische Klarheit infolge des Amphetamins zunahm, liefen die eventuellen Konsequenzen wie ein Film vor ihm ab.

Donna Fabiana, Ehefrau und Mutter, fromm und gläubig, die bei den Figlie della Vergine ein- und ausging. Aus.

Seine Funktion als Parteisekretär, der sein Leben der Rettung der Familie und dem Kampf gegen die Schwulenehe und die Abtreibung gewidmet hatte. Aus.

Seine Wahlkreise in Kalabrien, enttäuscht und verärgert.

Aus. Skandal. Elend. Gefängnis.

Die Litauerin keuchte, gelblicher Schaum stand ihr vor dem Mund. In dem letzten verzweifelten Versuch, Luft zu bekommen, ballte sie krampfhaft die Hände.

Malgradi riss Sabrina das Handy aus der Hand.

– Du rufst niemanden an, verstanden! Los, hau ab! Ihr seid nie hier gewesen! Ich kenne euch nicht!

– Um Himmels willen, sie stirbt! Wir müssen Hilfe holen!

– Pech für sie! Verdammt, ich hau ab!, schrie Malgradi und raffte seine Kleidungsstücke zusammen.

Sabrina, plötzlich kalt wie eine Hyäne: – Sicher, es hat dich ja auch niemand heraufkommen sehen.

Das Hotel La Chiocciola, ein Boutiquenhotel. Abfackeln sollte ich es, samt euch beiden. Und dich, du Hure, sollte ich darin anbinden, mit einem dreifachen Knoten! Samt dieser verdammten Vicky und ihrem Clan, wir waren viel zu tolerant gegenüber den Ausländern, viel zu sehr, wir haben ihnen den kleinen Finger gegeben, und sie wollten gleich die ganze Hand, ich bin im Arsch, im Arsch …

Röchelnd erbrach die Arme einen kleinen Klumpen, dann war sie still.

– Sie ist tot!, flüsterte Sabrina.

Sie schloss ihrer Freundin die Augen und blickte Malgradi an, mit einer Mischung aus Verachtung, Ekel und Widerwillen.

Aber der Herr Abgeordnete war ganz woanders. Aus der Tiefe seiner Seele war eine Erinnerung an die ferne Kindheit in Kalabrien aufgetaucht, wie hatte doch Großvater Alcide gesagt, als sie in Le Castella zum Fischen hinausfuhren, bete, bete, damit ein Fisch geschwommen kommt, wenn du nicht mehr weiterweißt, musst du beten, und da fiel Malgradi auf die Knie, faltete die Hände und flehte den Lieben Gott an, lege deine gebenedeite Hand auf mein demütiges Haupt, ich gehe ins Kloster, ja ins Kloster, aber bewahre mich vor diesem Skandal, du, der du allmächtig bist, ich bitte dich, ich …

– Ja, bete nur. Gleich kommt der Schutzengel auf einem fliegenden Teppich.

Ach, die Hure riss das Maul auf. Und traute sich sogar, ihn zu beschimpfen. Was erlaubst du dir? Du schleppst diese Schwindsüchtige an, die vielleicht sogar krank war, und jetzt reißt du das Maul auf?

Der Abgeordnete Malgradi wurde plötzlich unsagbar wütend. Er stand auf, stürzte sich auf Sabrina und verpasste ihr einen harten Schlag, sie fiel zu Boden.

– Sehr gut, sagte sie, ohne die Fassung zu verlieren, und strich sich mit der Hand über die Wange. – Bringst du mich jetzt auch um? Damit du zwei Leichen entsorgen musst?

– Und was soll ich deiner Meinung nach tun, ha? Hast du vielleicht eine Idee, du dumme Kuh?

Sabrina nahm das Handy und rief jemanden an.

– Spadino? Ich brauche Hilfe.

Eine halbe Stunde später klopfte ein ungefähr zweiundzwanzigjähriger Mann in schwarzem T-Shirt und verwaschenen Jeans an die Tür der Suite. Er war klein, untersetzt, hässlich wie die Sünde.

Sabrina ließ ihn herein und zeigte auf das Bett.

Dem Jungen reichte ein Blick, er begriff sofort, dass er einen Volltreffer gelandet hatte. Die Leiche, Sabrina, traurig und angewidert, der verschwitzte Typ, der die Hände rang … Ja, das war eine Riesenchance. Mehr als er zu hoffen gewagt hatte, als Sabrina ihn angerufen hatte.

– Vielleicht können Sie uns helfen, uns aus dieser … peinlichen Situation zu befreien …

Das große Tier kam näher, lächelte wie auf einer Wahltribüne und zitterte wie kurz vor einer Panikattacke. Hoffentlich wimmerte er nicht wie ein Mädchen.

– Und?

– Nun … ja … Sabrina hat mir nur Gutes von Ihnen erzählt …

– Mir übrigens auch von dir, grinste Spadino.

Der Abgeordnete steckte eine Hand in die Tasche und zog eine dicke Brieftasche heraus.

– Wenn Sie mir helfen könnten …

Er wusste nicht weiter. Wie hätte er es formulieren sollen? Der Junge machte sich einen Spaß daraus, ihn ein wenig zappeln zu lassen, dann nickte er und zündete sich eine Zigarette an.

– Also, was nun genau? Ich soll die tote Hure wegbringen … okay.

Ein erleichtertes Lächeln breitete sich auf dem Gesicht des Abgeordneten aus.

– Genau!, sagte er und öffnete die Brieftasche. – Ich dachte, für die Unannehmlichkeiten …

– Wieviel hast du dir vorgestellt?

Der Abgeordnete reichte ihm ein Bündel Banknoten.

– Also …

– Wir zählen sie später, sagte der Junge wie zum Trost und steckte die Beute gierig ein.

Malgradi setzte ein Lächeln auf wie nach einem wichtigen Geschäftsgespräch, das zur allgemeinen Zufriedenheit ausgegangen war.

– Ich werde nicht vergessen, was Sie für mich getan haben, Herr …

– Nenn mich Spadino. Und was den Dank anbelangt … dafür ist später noch Zeit! Hau jetzt ab!

Malgradi zog sich im Rückwärtsgang zur Tür zurück, wobei er weitere Dankesworte von sich gab.

– Ich glaube, dein Freund ist wirklich ein Arschloch, sagte er, als dieser das Feld geräumt hatte.

– Ein Riesenarschloch, das kannst du mir glauben.

– Hilf mir, die arme Sau anzuziehen, Sabrì.

Seufzend machten sie sich an die Arbeit.

Sie hatten vor, sie an einem Ort abzulegen, den Spadino gut kannte. Einem sicheren Ort. Allerdings mussten sie sie zuerst aus dem Hotel hinausbringen, ohne dass der Portier der Chiocciola, die Zimmermädchen oder eventuelle Gäste, denen sie unterwegs begegneten, Verdacht schöpften. Doch selbst angezogen und parfümiert – es war ein heißer Abend, es roch schon unangenehm –, sah die Litauerin eindeutig wie eine Leiche aus. Also befahl Spadino Sabrina, sie zu schminken. Sabrina setzte ihr auch noch die verspiegelte Tom-Ford-Brille auf, die sie trug, wenn sie nach einer harten Nacht schnell einen Quickie absolvieren musste und die Augenringe verbergen wollte. Die Wirkung war nicht überwältigend, aber es ging. Sie mussten nur ein paar Meter zurücklegen, mit etwas Glück würde es gutgehen.

Sie zogen sie hoch, stützten sie, jeder auf einer Seite. Wie schwer sie war, Gott hab sie selig! Sie kamen nur mühsam voran, es war eindeutig, dass sie nicht ging, sondern dass sie sie zogen.

– Anders geht es nicht, sagte Spadino. Dem Portier sagen wir, sie sei betrunken. Im Notfall geben wir ihm hundert Euro, damit er begreift, dass er wegschauen soll.

Das leuchtete ihr ein.

Sie machten sich auf den Weg.

Der Gang im vierten Stockwerk war leer. Der Lift kam sofort. Schon waren sie in der Lobby. Spadino bat den Portier, die schwere Drehtür aufzuhalten, der Mann tat es, unterwürfig lächelnd. Sabrina steckte ihm ein paar Hunderter zu.

Als das merkwürdige Trio draußen war, ging der Portier zur Rezeption zurück, legte den „Corriere dello Sport“ weg, den er jeden Tag andächtig las, um sich als echter Römer und – je nach Bedarf – als Roma- oder Lazio-Fan zu fühlen, und dachte nach. Er hieß Kerion Kemani, war fünfunddreißig Jahre alt und kam aus Albanien. Ein Zweifel quälte ihn. Er verdankte dem Abgeordneten Malgradi viel: den Arbeitsplatz, bald würde er die Staatsbürgerschaft erhalten. Aber wo hörte die Dankbarkeit auf? Auch er war kurz auf der Straße gewesen, bevor er wieder auf den rechten Weg zurückgefunden hatte. Im Übrigen hatten ihm die Italiener auch keine andere Wahl gelassen. 1991 war er mit der ersten Migrationswelle in Bari an Land gegangen. Noch beinahe ein Kind, hatte er sich mit vielen anderen in einem Stadion wiedergefunden, das sich bald in einen Raubtierkäfig verwandelte. Um die Überfahrt zu bezahlen, hatte sein Vater alles verkauft, was er besessen hatte, das Haus, das Feld, die wenigen Tiere, die er seinerzeit vor dem Zugriff der Kommunisten hatte bewahren können. Die Alona-Mafia im Stadion hatte den Rest besorgt. Seine Schwester war auf den Strich gegangen und er hatte sich als Schuldeneintreiber verdingt. Er hatte Familienväter terrorisiert, hin und wieder jemandem die Knochen gebrochen, widerspenstige Huren bestraft. Sowas eben. Dann hatte sein Leben sich verändert, sicher, doch gewisse Erinnerungen konnte man nicht auslöschen. Auf der Straße hatte er zumindest gelernt, dass die Kleine mit der Sonnenbrille alles andere als betrunken war.

Sie war tot.

Was also sollte er tun? Fürs Erste dachte er nach.

Was auch immer in der Suite vorgefallen war, Malgradi hatte damit zu tun. Und welchen Vorteil konnte er, Kerion, dabei herausschlagen?

Malgradis Großzügigkeit war nicht uneigennützig. Malgradi half ihm dabei, in Italien Fuß zu fassen, und er garantierte ihm im Gegenzug maximale Diskretion bei seinen turbulenten Sexaffären. Kein Meldezettel, keine peinlichen Meldungen ans Präsidium, keine Dokumente. Zum Dank wählten ihn alle seine Landsmänner, die die heiß ersehnte Staatsbürgerschaft erhalten hatten – bisher ungefähr tausend.

Es handelte sich also gar nicht so sehr um Großzügigkeit, sondern um ein Abkommen. Und Abkommen gelten, wie man weiß, nicht ewig. Beziehungsweise können sie neu ausgehandelt werden.

„Jetzt bin ich am Zug, Herr Abgeordneter.“

Deshalb ging Kerion Kemani, ein albanischer Portier und angehender italienischer Staatsbürger, in die Anna-Magnani-Suite hinauf, nahm einen Kissenbezug, der nass war und stank, wonach, wollte er gar nicht genau wissen, und ein Stück Stanniolpapier mit weißem Pulver, lud das Handy und machte der Vollständigkeit halber ein paar Fotos vom Tatort. Später, in seiner Zweizimmerwohnung im Pigneto, in der er mit seiner Schwester wohnte, die jetzt keine Hure mehr war, sondern eine alte Dame im Rollstuhl betreute, schrieb er einen kurzen Bericht und ging zu Bett.

Zu gegebener Zeit würde er das brauchen können.

Spadino und Sabrina luden die Leiche im Nationalpark Marcigliana ab, der ein paar Kilometer von Monterotondo Scalo entfernt war. Spadino entdeckte eine Art kleiner Schlucht, gemeinsam zerrten sie die Litauerin aus dem Auto und legten sie auf einem schönen Bett aus Blättern und trockenen Ästen ab.

– Ruhe in Frieden, Amen, sagte Spadino und rollte sich eine Zigarette.

– Bringst du mich jetzt bitte nach Rom zurück?

– Entspann dich, Sabrí, schau dir den schönen Sternenhimmel an. Die Sache fängt erst an. Ich glaube, den Abgeordneten wird der Spaß eine schöne Stange Euro kosten.

– Damit will ich nichts zu tun haben.

– Ich habe dich auch nicht darum gebeten. Im Gegenteil: Du kennst mich nicht mal, klar?

– Pass auf, Malgradi ist gefährlich.

– Wer? Der?

– Er hat die richtigen Freunde, Spadí, unterschätz ihn nicht.

– Red’ keinen Unsinn! Ich bin gefährlich, meine Liebe! Hör jetzt zu flennen auf, was geschehen ist, ist geschehen.

– Spadino, ich möchte mein Leben ändern.

– Pech für dich, sagte er sarkastisch und warf die Kippe weg. – Ich habe jetzt Lust bekommen.

– Ich bitte dich, fahren wir nach Rom zurück.

– Das kostet aber was, sagte er kurz angebunden und knöpfte sich die Hose auf.

Sabrina machte sich an die Arbeit.

Vom Geruch angelockt, tauchten ringsherum unsichtbare und schweigende Schatten auf. Wilde Hunde.

II.

Spadino rief in der Abgeordnetenkammer an und verlangte Malgradi. Man verband ihn mit einer freundlichen Sekretärin.

– Der Herr Abgeordnete ist in der Stiftung.

– Wo is’ die?

– Bitte?

– Wo befindet sich die Stiftung?

– Auf dem Largo dei Lombardi. Kennen Sie den ehemaligen Sitz der PSI?

Von der PE-ES-I hatte Spadino noch nie etwas gehört, es dauerte eine Zeitlang, bis er begriff, dass dort auch der Laden war, wo er sich – wenn die Geschäfte gut liefen – mit geilen Schuhen eindeckte.

Er fuhr mit dem Moped hin, stellte es wie gewöhnlich neben dem Halteverbotsschild ab.

Sechs große straßenseitige Rauchglasscheiben bildeten ein L entlang der Piazza und des ersten Stücks der Via del Corso, dahinter bewegten sich flüchtige Schatten, es war nicht deutlich zu erkennen, wer dort ein und ausging. Die Tür aus bruchsicherem Glas öffnete sich automatisch mittels Fotozellen, und darüber befand sich eine Emailkokarde in den Farben der Trikolore. Auf einem Schild stand: „Rialzati, Roma“, erhebe dich, Rom. Warum, wann war Rom gefallen? Und wer sollte bei der Erhebung helfen? Malgradi? Ich bitte dich!

Die beiden Türsteher waren bekannte Gesichter: zwei Bodybuilder aus Ostia, die als Rausschmeißer in Diskotheken gearbeitet hatten, damals, als er Shit vor Schulen verkaufte. Sie nickten und ließen ihn hinein.

Sofort trat eine spindeldürre Schwarzhaarige auf ihn zu.

– Guten Tag. Wie kann ich Ihnen helfen?

– Ich suche den Herrn Abgeordneten.

– Haben Sie einen Termin?

– Wir sind alte Freunde.

– Sagen Sie mir bitte Ihren Namen?

– Ich bringe ihm etwas, das er gestern in der Chiocciola vergessen hat, sagte Spadino und tippte an seinen Rucksack.

– Es wird etwas dauern. Der Herr Abgeordnete hat heute Vormittag jede Menge Sitzungen.

– Ich habe nichts vor. Ich warte.

– Dann folgen Sie mir bitte in die Italia-Lounge …

– Gerne.

Spadino folgte ihr über einen kurzen, dunklen Gang, über einen Kunstharz- und Betonboden, und von dort aus in ein sehr großes, viereckiges, fensterloses Zimmer. Über die mit Holz und Schieferplatten verkleideten Wände liefen kleine Wasserbäche, das Wasser sammelte sich in Stahlbecken, im Boden eingelassene Lampen verbreiteten ein kaltes Licht. Verdammt, dachte Spadino, mein Großvater, Gott hab ihn selig, hatte recht. Politik ist die beste Möglichkeit, Geld zu machen.

Mitten im Raum, in einem Halbrund schwarzer Ledersofas, Marke Chesterfield, vor einem Glastisch mit runden Füßen und einer Kopie der Trajanssäule darauf, saß ein schmächtiger, hohlwangiger Typ in blauem Nadelstreifanzug. Er unterhielt sich mit jemandem, der ihn ständig unterbrach und ihn mit „Herr Anwalt“ ansprach. Die beiden befanden sich mitten in einer Diskussion, die offenbar genauso angeregt wie heikel war.

– Das ist der Koordinator der römischen Sektionen, erklärte die spindeldürre Schwarzhaarige, – Anwalt Mauro Lotorchio. Fürs Erste können Sie sich mit ihm unterhalten.

– Ich nehme mir mal einen Kaffee.

Die Schwarzhaarige zeigte auf die kurze Seite der Lounge. Auf einer Theke aus Glas und Stahl thronte eine chromglänzende Vintage-Kaffeemaschine. Daneben standen zwei zwanzigjährige Blondinen in schwarzem Top, weißen Leggins und Highheels.

– Unsere beiden Volontärinnen helfen Ihnen gerne, sagte sie kurz angebunden, verärgert, und ging.

Spadino ging zur Bar, er musste nicht einmal einen Wunsch äußern. Eine Hand mit blaulackierten Nägeln reichte ihm einen Espresso.

– Arbeitest du wirklich umsonst?

– Der Abgeordnete sagt, Politik sei Dienst am Volk. Eine Leidenschaft. Keine Arbeit.

– Ach ja? Das sagt der Abgeordnete? Und was isst du am Abend?

– Der Abgeordnete oder einer seiner Mitarbeiter lädt mich zum Essen ein.

– Ach so.

Spadino blickte wieder Lotorchio und den Mann an, mit dem er sich angeregt unterhielt. Die beiden bemühten sich zwar leise zu sprechen, doch er verstand, was sie sagten. Der Typ wollte eine Wohnung. Lotorchio schlug eine vor, doch der andere lehnte ab. Keine war ihm recht. Aber wie viele Wohnungen hatten sie zur Verfügung? Und wem gehörten sie? Malgradi?

Nach dem ersten Kaffee trank er einen zweiten, und dann einen dritten. Die Zeit verging, keine Spur von Malgradi. Spadino stieg langsam das Blut zu Kopf. Schließlich einigten sich Lotorchio und sein Gesprächspartner und reichten einander die Hand. Der Typ zog ab. Ein hohes Tier der Verkehrspolizei kam herein, in Uniform. Er sah Lotorchio und ging ihm entgegen, wobei er einen Packen Dokumente schwenkte.

– Mein lieber Herr Anwalt! Ich bringe Ihnen die Behindertenausweise, um die mich der Herr Abgeordnete gebeten hat.

Na sowas! Spadino zündete sich gerade angewidert eine Zigarette an, trotz der „Rauchen-Verboten“-Schilder an den Wänden, als die Stimme Malgradis das Gespräch zwischen Lotorchio und dem Polypen unterbrach. Der Abgeordnete hatte sich bei einem kleinen, korpulenten Typen untergehakt, der einen schmutzig grünen Anzug, ein rosa Hemd und eine braune Krawatte trug. Das Gespräch, der Grund seines stundenlangen Wartens, schien zu Ende zu sein.

– Verstehen Sie das Problem, Herr Abgeordneter? Diese Sache mit dem Entlassungsschutz wird allmählich zur Qual. Warum darf ich einem Angestellten keinen Fußtritt geben, wenn der Laden leer ist? Wo sind wir? In Nordkorea? Ich kann Leute nur brauchen, wenn sie mir Geld bringen. Wenn nicht, tschüss, auf Wiedersehen. Nach Hause. Entlassung, unbezahlte Ferien.

– Mich müssen Sie nicht überzeugen. Ich habe eine Gesetzesänderung vorgeschlagen und werde sie im nächsten Finanzausschuss besprechen. Wir müssen das Land von der Diktatur der Gewerkschaften befreien. Rechte, Rechte … Die Linken können gar nicht genug kriegen von diesem Wort. Und die Pflichten? Wo bleiben die Pflichten?

– Kann ich also meine Leute im Verein beruhigen? Versprechen Sie es mir?

– Auf Malgradis Wort kann man sich verlassen.

– Und auf die Stimmen des Vereins.

Sie lachten beide herzlich.

Endlich sah Malgradi Spadino. Den aus der Chiocciola. Er ging zu ihm hin und begrüßte ihn, mit einem Zittern in der Stimme, von dem er nicht wusste, ob es Angst oder Wut war.

– Was machen Sie hier?

– Abgeordneter!, lächelte Spadino.

– Was fällt Ihnen ein?, flüsterte er ihm ins Ohr, legte ihm eine Hand auf die Schulter und führte ihn Richtung Tür.

Spadino pflanzte sich mit gespreizten Beinen vor der Tür auf. Mit beiden Händen packte er den Rucksack und nahm eine drohende Haltung ein.

– Regel Nummer eins: Von nun an duzen wir uns. Wie gute Freunde. Regel Nummer zwei: Eine Hand wäscht die andere. Von nun an kaufst du bei mir Stoff. Und nicht bei diesen Idioten aus Ostia, die da draußen für dich Wache stehen.

– Welchen Stoff?

– Du willst nicht verstehen? Nimm, im Rucksack sind deine Parfums. Genug für dich und deine Freundinnen, um eine Woche lang zu sniefen. Macht fünftausend. Wenn du sie nicht dabei hast, gibst du sie mir beim nächsten Mal.

– Und wenn ich die Polizei rufe?

– Ruf doch gleich den Polypen, der dort steht. Umso besser.

Spadino legte die rechte Hand auf Malgradis Schlüsselbein und drückte ihn sanft weg. Als er zur Tür ging, blieb er ein letztes Mal stehen.

– Ich rufe dich an. Du bereitest das Geld vor. Wir beginnen mit fünftausend pro Woche. Wenn du eine kleine Party feiern möchtest, kann ich dich mit Stoff eindecken. Kostet ein wenig mehr, ist aber erstklassige Ware. Ach, viele Grüße von unserer gemeinsamen Freundin, du erinnerst dich doch an Sabrina, nicht wahr?

Malgradi folgte ihm mit dem Blick, bis er auf den Largo dei Lombardi hinaustrat. Schwitzend nahm er sein Handy.

Der Mann, der Numero Otto genannt wurde, antwortete beim dritten Klingeln. Malgradi verzichtete auf Höflichkeitsfloskeln. Seine Stimme zitterte, er weinte beinahe.

– Kennen Sie … kennen Sie einen gewissen Spadino?

– Klar kenne ich ihn. Er ist aus Cinecittà. Warum?

– Schauen Sie, er ist untragbar. Er ist hier in der Stiftung aufgetaucht und hat vor allen Leuten herumgeschrien, dass ich und er … nun, ja … Nun, dass ich gewisse Dinge von nun an nur noch mit ihm machen soll.

– Und wie ist er überhaupt dorthin gekommen? Was hat er mit einer Person wie Ihnen zu tun?

– Ich sagte ja schon … Es ist unerhört. Er sagte, eine Freundin habe ihm meinen Namen gegeben … ich sagte, das soll wohl ein Scherz sein? Nun, ich wollte Sie um einen Rat bitten. Denn ich möchte nicht, dass er mich noch mal belästigt. Sonst verbreitet das Gesindel noch Gerüchte.

– Keine Sorge. Ich kümmere mich darum, Herr Abgeordneter. So gut wie erledigt.

– Sie sind unbezahlbar. Wie immer. Unbezahlbar wie immer.

III.

Numero Otto stieg in seinen schwarzen Hummer V8 und sah auf die Uhr. Halb zwei. Gleich würde er Spadino treffen. Am selben Ort wie immer. Mit der linken Hand fuhr er sich über den kahl geschorenen Schädel, bis er den zwei Zentimeter hohen Streifen ertastete, der in seinem Nacken eine perfekte erhabene Acht bildete.

Numero Otto. Verdammt, was für ein schöner Name.

Als er noch ein kleiner Junge gewesen war und die Billardsäle in Ostia zwischen Levante und Ponente unsicher gemacht hatte, hatte man ihn aus Scherz so genannt. Damals hieß er noch Cesare, wie ihn sein Vater getauft hatte. Den Nachnamen – Adami – hatte er nie verwendet. Alle kannten ihn, hüteten sich jedoch davor, ihn auszusprechen. Vor jedem Spiel, bevor er den Queue ansetzte, nahm er die Kugel vom grünen Tisch – die Nummer 8, immer sie – und ließ sie über den frühzeitig kahlen Kopf rollen. So hatte es angefangen.

Dann war daraus Ernst geworden. Großer Ernst. Er war eine ernsthafte Person geworden. Die ernsthafteste von allen.

„Numero Otto“ und aus. Mit fünfunddreißig Jahren war er der Boss von Ponente.

Ein paar Arschlöcher behaupteten zwar, das sei nicht sein Verdienst. Vor dreißig Jahren hatte ihn Libano zum Waisen gemacht. Er konnte sich noch daran erinnern, wie man seinen Vater am Strand von Lega Navale in einem Netz an Land gezogen hatte, von den Fischen angebissen und aufgedunsen wie ein Wal. Sie sagten, wenn Zio Nino nicht für ihn gesorgt hätte, wäre in Ostia von ihm und seiner Familie nicht einmal der Gestank übriggeblieben. Nino und Libano hatten sich ins Zeug gelegt und die Adami hatten sogar die Bande überlebt. Libano war gestorben. Dandi war gestorben. Nino hingegen hatte weiße Haare bekommen und war jetzt der Boss der Küste, sonst gab es ja niemanden mehr. Koks, Haschisch, Heroin. „Alle müssen durch die Kapelle des Zio.“ Neapolitaner, Sizilianer, Kalabresen. Dann – man musste die Dinge ja anständig machen – hatte sich die Familie vergrößert. Zio Nino hatte noch einen Waisen aufgezogen, der ein paar Jahre jünger war als er: Denis. Den Erstgeborenen der Sale, einer alten Familie von Ponente, die als eine der Ersten aus einem römischen Vorort nach Nuova Ostia verpflanzt worden war, einen total Durchgeknallten. Mit sechzehn Jahren hatte er einem Lehrer das Gesicht zerschnitten, weil dieser gewagt hatte, ihn daran zu erinnern, dass seine Familie von Zigeunern abstammte.

Denis hatte eine Anacleti geheiratet, die Anacleti waren die Bosse von Roma Est. Die Ehe hatte nur kurz gedauert, die Ärmste war auf der Colombo in einem Mercedes Slk gegen eine Pinie gekracht.

Adami, Sale, Anacleti – das war nicht von schlechten Eltern. Zio Ninos Meisterwerk. Drei Familien und halb Rom in der Tasche. Von Osten nach Westen. Appio, Tuscolano, Cinecittá, Quadraro, Mandrione, Casilino auf der einen Seite. EUR, Axa, Infernetto, Casalpalocco und Ostia auf der anderen. Achtundzwanzig Kilometer entlang der Umfahrungsstraße: wie die Krone einer Königin. Bloß schade, dass Zio sein Werk nicht genießen konnte. Seit fünf Jahren saß er im Gefängnis. Kriminelle Vereinigung und Rauschgifthandel. Aber er konnte ruhig sein. Jetzt war er am Zug, Numero Otto.

Jetzt war er der Boss. Deshalb war Spadino erledigt.

In weniger als einer Viertelstunde war er am Treffpunkt. Der Hummer fuhr an Ostia Antica zur Rechten und den großen Parkplätzen des Megaplexx Extreme vorbei, das war eines der ersten Geschäfte, mit denen Zio Nino Geld gemacht hatte. Er kam an der Abzweigung zum Hafen von Fiumicino vorbei, von wo die Schiffe nach Sardinien auslaufen. Am Kreisverkehr des Leonardo-da-Vinci-Flughafens, nach der Shell-Tankstelle, bog er rechts in die Straße ein, die an der Landebahn R1 entlangführte.

Die Pinien von Coccia di Morto erhoben sich vor ihm wie eine Theaterkulisse. Dunkelheit hinter ihm. Dunkelheit vor ihm. Nur die kleinen roten Lichter der Landebahn hinter dem Zaun des Flughafens zeigten die Richtung an. Diesen Ort hatte ihm sein Vater gezeigt, als er noch ein Kind war. Im Grunde die einzige unschuldige Erinnerung, die er an ihn hatte. Gemeinsam waren sie bei Sonnenuntergang hierhergekommen, mit einem manipulierten Funkgerät, und hatten die Frequenzen des Towers abgefangen. Sie lauschten den Gesprächen zwischen Tower und startenden und landenden Flugzeugen. Sie stellten fest, wer abflog und wer ankam. Schöne Zeiten. Dann hatte Libano seinen Vater kaltgemacht, und jetzt benutzte er Niedrigfrequenzen nur noch, um den Polizeifunk abzuhören.

Er fuhr langsamer. Spadinos Smart stand mit ausgemachten Scheinwerfern auf der kleinen Lichtung, zweihundert Meter vom Rande des Pinienhains entfernt, auf der Höhe der Kurve, hinter der die Straße zum Meer führte. Er fuhr an den Straßenrand heran. Stieg aus und ging zu Fuß zu Spadino. Spadino saß am Steuer, bei herabgekurbeltem Fenster. Numero Otto lehnte sich mit ausgebreiteten Armen auf das Dach des Smart.

– He, Spadí, ich hab gehört, du versuchst es im großen Stil, fährst aber immer noch mit einer Scheißkarre rum.

– Ich hab keine Zeit zu verlieren. Vor allem nicht mit dir. Was willst du?

– Du weißt nicht, was ich will? Du bist doch intelligent, Spadí. Du weißt doch, wie das Gebot lautet. Du sollst nicht begehren …

– … deines Nächsten Weib. Aber du willst nicht über Weiber reden. Ich weiß, der Abgeordnete hat sich bei dir ausgeweint. Ich hab mit deinen Leuten gesprochen. Und jetzt wiederhole ich, was ich auch ihnen gesagt habe: Wir haben uns nichts zu sagen. Malgradi gehört jetzt mir. Und wenn du wissen willst warum, dann frag doch den Hosenscheißer, ich wette, er hat es dir nicht gesagt.

– Erklär du es mir.

– Eine Hure ist ihm abgekratzt. Und ich habe sauber gemacht. Reicht dir das als Rechtfertigung? Ich habe es verdient, verstanden? Jetzt gehört er mir.

Es dauerte nur ein paar Sekunden. Numero Otto hob die rechte Hand vom Dach des Smart, steckte sie ins Fenster und packte Spadino an den Haaren, auf der Höhe des Nackens. Er leistete nicht einmal Widerstand. Auf und ab. Auf und ab. Er schmetterte Spadinos Kopf gegen das Lenkrad, bis der Schädel brach. Dann zerrte er den Körper aus dem Auto.

– Eine schöne Melone haben wir da aufgebrochen.

Er schleppte ihn zu einer Pinie. Und dort begann er von Neuem. Auf und ab. Auf und ab. Er schleuderte den Kopf, der nur noch Brei war, gegen den Stamm.

Fünf Minuten waren vergangen, nicht mehr. Er betrachtete die Landebahn R1. Er atmete tief ein, die Luft roch nach Nacht und Kerosin. Er ging zum Hummer zurück und zog eine ordentliche Nase. Der Stoff stieg ihm zu Kopf. Erst jetzt öffnete er mit einem Knopfdruck auf den Schlüssel den Kofferraum und holte einen Fünf-Liter-Kanister heraus.

– Man muss auf alles gefasst sein. Nie ohne Reservekanister fahren.

Dann setzte er Spadinos Leiche wieder auf den Fahrersitz, leerte Benzin über das Auto und zündete es an. Er legte den Rückwärtsgang ein und fuhr rasch zurück, während der Smart und sein Fahrer in Flammen aufgingen.

– Gute Reise, Spadí. Du hattest recht. Wir hatten uns nichts zu sagen.

IV.

Marco Malatesta, der Oberstleutnant der Sondereinheit der Carabinieri, stand auf dem Gleis des Bahnhofs Tiburtina und machte mit der Sohle der grünen Turnschuhe die x-te Zigarette aus. Seit zwei Wochen leitete er nun die Abteilung zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität und seit zwei Wochen rauchte er nun wieder Camel light, obwohl er sich drei Jahre lang bemüht hatte, abstinent zu bleiben. Mit kleinen kreisförmigen Bewegungen massierte er langsam seine rechte Schläfe. Die alte Narbe pochte wie verrückt. Wie immer, wenn es etwas zu tun gab.

Marco steckte die Hände in die tiefen Taschen der Motorradjacke, die sich hervorragend dazu eignete, eine Beretta 92 Fs zu verstecken. Er nahm das Smartphone. Er drückte auf das Display, der Bildschirm wurde hell und das Fahndungsfoto tauchte auf.

Gennaro Sapone.

Ein x-beliebiges Gesicht, ein Angestelltengesicht. Einer von Scampias schlimmsten Killern. Mit einem einzigen Schlag in den Nacken hatte er einen armen Teufel ins Jenseits befördert, allerdings war es „ein Irrtum“ gewesen. Er hatte einen Hilfsarbeiter, der von der Arbeit nach Hause kam, mit einem Mafiaboss verwechselt. Seit diesem Tag war Sapone verschwunden. Die Leute aus dem Viertel suchten ihn. Der Staat suchte ihn. Also er, Marco. Doch wenn der Tipp stimmte, hatte die Suche jetzt, auf diesem Bahnsteig, ein Ende.

Seitdem Emanuele Thierry De Roche, der Kommandant der Sondereinheit, ihn ins Hauptquartier nach Rom, in die Heimat, zurückgerufen hatte, war das seine erste richtige Aktion. Davor war er elf Jahre lang als Beamter der Multinational Special Unit im Einsatz gewesen. Er und Thierry kannten sich schon seit einer Ewigkeit. Marco hatte Thierry viel, wenn nicht gar alles zu verdanken. Er verstand noch immer nicht, warum sie Freunde waren, obwohl sie doch so verschieden waren. Thierry, groß, schlank, förmlich, der letzte Nachfahre von Lucien Bonaparte, Principe di Canino, einem Großneffen von Napoleon dem Großen, und er, Marco, der sein ganzes Leben lang ein Junge aus Talenti bleiben würde. Doch in einem waren sie sich einig: Rom musste gerettet werden. Vor allem vor sich selbst.

Malatesta schaute auf die Uhr und auf die Ankunftstafel. Dreiundzwanzig Uhr. In fünf Minuten würde ihm der Regionalzug aus Neapel den flüchtigen Mörder liefern. Aus den Augenwinkeln überprüfte er noch einmal, ob seine Jungs am Bahnsteig gut postiert waren. Ein verkleideter Zugführer am oberen Ende des Gleises. Ein Müllmann am unteren. Ein verkleideter Getränkeverkäufer, der in seinem Getränkekorb kramte. Zum Glück war sonst niemand da, der die Sache hätte komplizieren können.

Die Scheinwerfer der einfahrenden Lokomotive durchbrachen die Dunkelheit, während eine Stimme aus dem Lautsprecher die Leute aufforderte, hinter der gelben Linie stehen zu bleiben. Malatesta steckte wieder die rechte Hand in die Jacke, entsicherte die Waffe, umklammerte fest den Schaft.

Der Zug kam pfeifend näher. Die Türen gingen auf. Es stank nach Bremsbelag. Eine bunte, erhitzte Menge stieg aus. Zu viele Menschen.

Wo war Sapone?

Malatesta kannte die Situation. Das Adrenalin stieg. Aber keine Spur vom Killer.

Zum Teufel, dachte er mit einem Anflug von Ärger, drehte den Waggons den Rücken zu und nahm das obere Ende der Rolltreppe ins Visier.

Jetzt stieg Sapone aus.

Marco hatte das begriffen, weil zwei Schüsse aus einer 38er abgefeuert worden waren, die der Neapolitaner in der rechten Hand hielt, gleich darauf begann eine junge Mutter zu schreien. Die Bestie hatte ihr das Kind aus der Hand gerissen.

Sapone hatte sie ausgetrickst.

Malatestas Jungs zogen sich hinter die Stützpfeiler des Bahnsteigdaches zurück, zielten mit ihren Dienstwaffen auf ihn und forderten ihn umsonst auf aufzugeben.

– Carabinieri! Carabinieri! Werfen Sie die Pistole weg!

Sapone richtete die Pistole auf den Kopf der kleinen Geisel.

– Kommt her, ihr Arschlöcher. Kommt her, wenn ihr euch traut.

Das Mädchen weinte. Die Mutter schrie. Die Passagiere liefen davon. Pattstellung.

– Ich will ein Auto!, schrie der Mafioso. Oder ich schieß dem Kind ein Loch in den Kopf!

Die Weisungen in solchen Fällen waren klar und eindeutig. Aufgeben. Auf alle Fälle keine Opfer in der Zivilbevölkerung.

Die Carabinieri senkten die Waffen.

Marco schüttelte den Kopf.

Manchmal ging es eben nicht anders.

Er ging langsam auf Sapone zu, nur noch fünfzig Schritte trennten ihn von ihm. Völlig im Gleichgewicht, die Pistole in der ausgestreckten Rechten zu Boden gerichtet. Er blickte dem Mörder ins Gesicht, er hatte nämlich gelernt, dass man am Grunde der Augen lesen konnte, ob jemand bereit war zu töten.

– Bleib stehen! Verdammt, bleib stehen! Ich bring dich um. Ich bring dich und die Kleine um … ich bring dich um!

Je näher Malatesta kam, desto mehr roch er, dass Sapone nach Schweiß und Angst stank.

– Ich bring dich um, du Scheißbulle … ich bring dich um! Ich bring die Kleine um!

– Colonello, passen Sie auf!, schrie einer seiner Männer hinter ihm.

Er gab keine Antwort.

In einer Entfernung von fünf Metern blieb er stehen und zwang sich, das Mädchen nicht anzusehen. Er wusste, er durfte keine Zeit verlieren. Die Worte sollten ihm nur einen winzigen Vorsprung verschaffen.

– Sapone, es ist aus!

– Es gibt zwei Möglichkeiten, Scheißbulle. Entweder bring ich dich um oder die Kleine!, sagte der andere und riss seine glasigen Kokser-Augen auf.

Das waren die letzten Worte des Neapolitaners.

Malatestas rechter Arm schnellte im rechten Winkel empor wie eine Feder. Er schoss, ohne zu zielen. Das Projektil zerschmetterte Sapones Hand. Er ließ die Pistole fallen und ging zu Boden. Marco stürzte sich auf das Mädchen. Er umarmte sie und trocknete ihre Tränen. Er flüsterte ihr beruhigende Worte zu, sie zitterte am ganzen Körper.

– Es ist vorbei. Es ist alles vorbei.

Die Mutter riss ihm das Mädchen aus den Armen. Sie schrie.

– Sie sind verrückt!

Sie sah ihn aus leeren Augen an, Marco senkte den Blick. Es gab nichts zu erklären. Sapone hätte das Mädchen umgebracht. Mehr gab es nicht zu sagen.

Sicher würde es endlose Polemiken geben. Und ganz bestimmt ein Disziplinarverfahren. Doch Marco würde wie immer unbeirrt weitergehen.

Er drehte der Frau den Rücken zu und wandte sich an den Mafioso, den seine Jungs gerade verarzteten.

– Drei Möglichkeiten. Es gab drei Möglichkeiten, und die dritte war für dich bestimmt, du Arsch.

Ein paar Stunden später, während er sich noch immer vor den Beamten der Spurensicherung rechtfertigte, klingelte sein Handy: Thierry.

– Die Pineta in Flammen. Ein verbrannter Smart. Ein verkohlter Leichnam. Fahr hin und berichte mir.

Marco ging zu seinem Motorrad, einer weißen Triumph Bonneville 800, die auf dem Piazzale vor dem Tiburtina-Bahnhof stand. Er nahm langsam die letzten Kurven der Tangente, durchquerte die Ödnis von Porta Maggiore, wo wie üblich nur das Neonlicht des Porchetta-Stands in der Dunkelheit leuchtete, fuhr durch San Giovanni, über eine Reihe von Kreuzungen, an denen die Ampeln gelb blinkten, bog in die Via dell’Amba Aradam ein, fuhr über den Piazzale Numa Pompilio und durch die Bögen der Caracalla-Thermen. Er genoss die kühle Morgenluft, obwohl es nur zwei, drei Grad weniger hatte als untertags, und fuhr weiter Richtung Westen, über die Cristoforo Colombo und das kleine Stück Autobahn Roma–Fiumicino. Als er auf den Autobahnzubringer Tre Fontane einbog, warf er einen kurzen Blick auf das verrostete Riesenrad, ein Denkmal aus seiner Kindheit und einer stehengebliebenen Zeit. Die Stadt war nicht imstande, sich aus den Ruinen zu erheben, sie häufte nur Ruinen auf Ruinen an.

Mit dem Handschuhrücken wischte er sich das Visier des Motorradhelms ab, auf dem die blutigen Reste von Mücken und Fliegen klebten, ein Geschenk des Autobahnkreuzes Tor di Valle. Irgendjemand war auf die Idee gekommen, dass hier das neue römische Stadion entstehen sollte. Keine Ahnung, ob es eine gute Idee war. Im Magliana-Viertel fuhr er langsamer. Früher einmal war dieses Viertel, das von einem der vielen Städtebaugenies unter dem Niveau des Flusses angelegt worden war, ein berüchtigtes Verbrecherviertel gewesen. Wahrscheinlich hatten die Bewohner die Nase voll von ihrem zweifelhaften und mittlerweile ungerechtfertigten Ruf. Wer weiß, was sie von der Idee hielten, dachte er grinsend, das Magliana-Viertel mit einer Seilbahn mit dem EUR zu verbinden. Einer Seilbahn. Warum baute man nicht gleich ein Thermalbad oder eine Skipiste mit Kunstschnee?

Er kannte den Tatort wie seine Westentasche. Als Kind war er mit seinem Vater oft nach Coccia di Morto gefahren. Am Nachmittag, wenn sein Vater aus dem Büro im Ministerium kam. Um den Flugzeugen zuzusehen. Seinem Vater hätte es gefallen, wenn er Pilot geworden wäre. Armer Papa! Er hatte ihn ziemlich leiden lassen. Er hatte ihn gehasst. Er hatte ihn zugrunde gerichtet. Viel zu spät hatte er begriffen, wie ungerecht er ihm gegenüber gewesen war. Ein richtiges Schwein.

Am Gestank erkannte er, dass er angekommen war. Die ausgebrannte Karosserie des Smart stand in einer Lache aus Schlamm, Wasser und feuerlöschendem Schaum, der noch nicht hart geworden war.

Ungefähr hundert Meter von der Abzäunung entfernt, die man um den Ort des Brandes errichtet hatte, blieb er stehen. Er stellte das Motorrad auf die Gabel. Er nahm den Helm ab und band ihn langsam am Sattel fest. Er verstaute die Handschuhe in einer der seitlichen Ledertaschen. Er strich sich über die Jeans, auf der Höhe der Schenkel, um die Wärme der Zylinder loszuwerden. Und dann ging er langsam zum Tatort. Das machte er so seit seiner ersten Leiche, einem Chinesen im Abflusskanal einer illegalen Färberei. Es war zur Gewohnheit geworden, oder vielleicht war es auch Aberglaube. Bevor er dem Tod ins Antlitz blickte, musste er ein Stück zu Fuß gehen. Er zeigte der Wache seine Marke, die den Zugang zum Pinienhain absicherte. Capitano Alba Bruni entfernte sich von der kleinen Gruppe der Spurensicherung in ihren weißen Overalls und kam schnell auf ihn zu.

– Colonello …

– Guten Tag, Capitano.

– Die Spurensicherung arbeitet schon seit einiger Zeit, aber offenbar ist es ziemlich kompliziert.

– Die Dinge sind nie einfach.

– Entschuldigen Sie, ich wollte sagen …

Er sah, wie sie rot wurde. Es tat ihm leid. Zwischen ihnen gab es viel Unausgesprochenes. Vor kurzem hatten sie eine Affäre gehabt, die kurz aufgeflammt und sofort wieder erloschen war. Wenn etwas „ernst“ wurde, hegte er nämlich augenblicklich Fluchtgedanken.

Alba war jung, entschlossen, begehrenswert. Aber sie war in ihn verliebt. Und das war für Marco ein unlösbares Problem. Distanz zu wahren, während man Seite an Seite arbeitet, kann zur Qual werden. Es wäre jedoch grausam gewesen, sie zu belügen und hinzuhalten.

Er blickte auf die Karosserie des Smart und machte Bruni ein Zeichen, sie solle ihm folgen. Ein Laken lag über dem Fahrersitz. Malatesta hob es langsam hoch. Der Gestank von ineinander verschmolzenem Fleisch und Plastik überwältigte ihn. Dass er menschliche Überreste vor sich hatte, erkannte er nur am Schädel und am oberen Teil des Brustkorbs, den die Flammen nicht vollständig verzehrt hatten. Ansonsten hatte das Feuer alle Spuren vernichtet.

– Wir wissen nicht einmal, ob es sich um einen Mann oder um eine Frau handelt, sagte Bruni.

– Und in der Umgebung? Habt ihr die Umgebung abgesucht?

– Die Spurensicherung hat an dem Pinienstamm da hinten drei Zähne gefunden.

Bruni zeigte auf einen Spezialisten der Spurensicherung, der nahezu verkohlte Rindenstücke von den Überresten eines Baumes in zehn Meter Entfernung schälte. Malatesta ging zu ihm hin.

– Colonello Malatesta, Abteilung zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität, guten Tag. Was haben wir außer den Zähnen?

– Rund um das Auto gibt es jede Menge Fußabdrücke, dass sie etwas mit der Tat zu tun haben, ist jedoch reine Vermutung. Sagen wir, so sicher wie ein Lottodreier. Die Feuerwehrleute haben eine Sauerei angerichtet und jede Menge Wasser verspritzt, das macht die Arbeit unmöglich. Es ist ein Sumpf. Sie haben das Feuer jedoch rechtzeitig gelöscht und die Nummer des Fahrgestells gesichert. Wenn wir Glück haben, finden wir heraus, auf wen der Smart zugelassen war.

– Habt ihr die Zähne in der Nähe des Baumes gefunden?

– Positiv. Und aufgrund einer ersten Untersuchung können wir sagen, dass sie zur Leiche gehören.

– Dann können wir zumindest sagen, dass es kein Autounfall war und dass es sich auch nicht um einen Junkie handelt, der mit einer brennenden Zigarette im Auto eingeschlafen ist, oder?

– Positiv. Ich würde sagen, es sieht alles nach Mord aus. Wir sollten die Ergebnisse in absehbarer Zeit bekommen.

Malatesta nickte langsam.

– Offenbar war da jemand sehr wütend, flüsterte er.

Langsam ging er zu seiner Bonneville zurück, mit Alba im Gefolge. Er nahm sein Handy und wählte die Nummer von General Thierry De Roche.

– Marco, was ist?

– Sagen wir, ich bin nicht umsonst hergefahren.

– Sollen wir den Fall behalten oder geben wir ihn der Bezirkspolizei ab?

– Ich würde sagen, wir behalten ihn. Zumindest fürs Erste, General.

– Gibt es irgendetwas, das ich gleich wissen sollte?

– Nichts Dringendes. Auch weil wir … noch nicht einmal wissen, ob es eine weibliche oder eine männliche Leiche ist.

– Dann warte ich im Büro auf dich.

– Zu Befehl.

– Was ich vergessen habe … bei der Sapone-Geschichte hast du dich wie üblich nicht um die Weisungen geschert …

– Du an meiner Stelle …

– Das war als Kompliment gemeint, nicht als Vorwurf.

Er drückte auf die rote Taste und wandte sich an Bruni, die in ein paar Metern Abstand stand.

– Frühstück?, sagte er und zeigte auf das Motorrad.

– Ich habe keinen Helm.

– Glaubst du etwa, sie halten uns auf?

Bruni lächelte. Sie umarmte sanft den Colonello und schwang sich auf den bequemen, niedrigen Sattel der Bonneville.

– Ein Cornetto bei Sisto in Ostia?

– Ein Cornetto bei Sisto.

Marco drehte den Zündschlüssel bis zum Anschlag und genoss das Gefühl, dass sich ein kleiner Busen an seinen Rücken drückte.

V.

Ein paar Tage nach dem Tod der Litauerin erhielt Sabrina einen Anruf.

– Bist du die Nutte, die mit dem Abgeordneten die Nacht verbracht hat?

– Wer spricht?

– Ein Freund.

– Ja, das bin ich.

– Hör mir gut zu, Nutte. Es hat keine Nacht gegeben, keinen Abgeordneten, keine tote Hure. Habe ich mich klar genug ausgedrückt?

– Ja, aber … wer spricht?

– Ich sagte ja schon, ein Freund. Vergiss alles und leb in Frieden weiter. Wenn du dir aber Flausen in den Kopf setzt, liegst du bald neben deiner Freundin … hast du mich verstanden?

– Bestens.

– Sehr gut. Mach weiter so.

Sabrina war ein pragmatisches Mädchen.

Mit siebzehn Jahren war sie in der Handelsschule schon zweimal sitzen geblieben. Bücher gingen ihr auf die Nerven. Sie musste sich was einfallen lassen, damit sie nicht endete wie ihre Mutter, dieser unförmige Sack, diese Versagerin, die sich den Arsch aufriss, um alten Weibern um vierzig Euro pro Tag den Kopf zu waschen, schwarz natürlich. Aber wo sollte sie anfangen? Überall, wo sie hinschaute, im Viertel, in der Schule, bei ihren Freundinnen, sah sie nur Apathie und Elend. Ihr damaliger Freund, Sandro, einer aus Quarto Miglio – womit alles gesagt war –, faselte von Ehe, Kindern, ewiger Treue und ähnlichem Schwachsinn, obwohl sie gerade mal geschützten Sex gehabt hatten. Auch er war ein Versager: Nur wegen seines Lohns als Zimmermannslehrling hatte sie ihn noch nicht zum Teufel gejagt. Das Geld war kaum der Rede wert, aber eine Pizza und ein Joint gingen sich immer aus, besser als nichts.

Nein. So konnte es nicht weiter gehen.

Es musste was passieren.

Und es passierte auch tatsächlich was.

Es passierte an dem Abend, als sie ihren achtzehnten Geburtstag feierte. Sandro hatte ihr zu Ehren eine Party im Palacavicchi organisiert, einer Megadiskothek außerhalb von Ciampino. Das bedeutete: ein Tisch ganz weit weg von der Tanzfläche, um den die Kellner einen großen Bogen machten, ein befreundetes Pärchen, er Bauarbeiter, sie Haarwäscherin, na so ein Zufall, Prosecco in Plastikbechern und Shit, der aussah wie Schuhwichse.

Sabrina war deprimiert und verließ mit einer Ausrede den Tisch. Ein Typ kam aus dem abgesperrten Extrazimmer, vor dem die unvermeidlichen, mit Steroiden aufgeblasenen Türsteher standen, und warf ihr einen interessierten Blick zu, dann lud er sie ein, irgendwo auf einen Drink zu gehen.

Sie nahm an. Alles war besser als dieser groteske Abend. Irgendwo: Das bedeutete in der Villa des Typen in Grottaferrata. Er hieß Enzo und war Broker bei einer Versicherungsgruppe. Sie fickten, angeturnt von einer Nase Koks. Sabrina hatte zum ersten Mal gesnieft. Es gefiel ihr. Es gefiel ihr, machte ihr jedoch auch ein wenig Angst. Auf jeden Fall steckte ihr Enzo danach ein paar Geldscheine zu.

Sabrina hielt sie ratlos in den Händen.

– Schon gut, du hast recht, meine Schöne, ich war ein wenig geizig. Nimm, das sind dann dreihundert, mehr kann ich dir beim besten Willen nicht geben, die Geschäfte gehen im Augenblick sehr schlecht … und das nächste Mal bekomme ich Skonto, ja?

Sabrina wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. Der Typ hielt sie für eine Hure. Sabrina konnte sich zur Wehr setzen oder sich damit abfinden. Sie hatte die Wahl. In diesem Augenblick begriff Sabrina, dass ihr das Schicksal gnädig die Hand reichte, um sie aus dem Elend zu retten und ihr eine glanzvolle Zukunft anzubieten. Das war die Wende. Der Ruf.

– Ich gebe dir meine Handynummer. Ruf an, wenn du willst. Wenn du einen Freund hast, ist er mir willkommen.

So hatte Sabrinas – beziehungsweise Laras, wie ihr Künstlername lautete – Karriere als eine der renommiertesten Escortladies von Rom begonnen.

Aber Sabrina war ein pragmatisches Mädchen.

Sie wollte nicht als Hure alt werden.

Ihr Lebensplan hatte darin bestanden, ungefähr zehn Jahre lang auf der Straße zu arbeiten, nicht mehr, denn die Straße machte einen auf Dauer kaputt, und es gab nichts Traurigeres als eine verblühte alternde Hure, noch dazu, wenn sie noch immer auf der Straße stand. In spätestens drei Jahren wollte sie aufhören.

Sie würde ein Lokal eröffnen. Eine Bar. Eine diskrete, elegante Bar, wo sich die Typen, die aussahen wie die vom Corso Trieste, zur Happy Hour bei einem Fußballspielchen und einer Nase entspannten. Oder ein Friseurgeschäft, warum nicht. Vielleicht konnte sie ihre Mutter an die Kasse setzen.

Damit war es jetzt aus.

Der Anrufer war eindeutig gewesen. Sehr eindeutig.

Malgradi hatte seine Kontakte spielen lassen. Spadino war verrückt, er hatte gedacht, er könne den Abgeordneten erpressen. Hätte sie ihn warnen sollen? Aber warum eigentlich? Spadino war ein Arschloch wie alle anderen auch. Das Klügste war, sich ruhig zu verhalten.

Und wenn das nicht reichte? Wenn sie glaubten, dass sie trotzdem eine Gefahr darstellte?

Sabrina löschte die Internetseite www.larasecrets.com, bezahlte einen Rumänen, damit er eine Telefonkarte auf seinen Namen ausstellen ließ, warf ihr Handy weg, schnitt sich die Haare und färbte sie blond.

Reichte das als Verwandlung?

Doch wie sollte sie jetzt Geschäfte machen?

Sabrina hatte eine Freundin. Teresa war eine von denen, die im Augenblick des größten Erfolgs aufgehört hatten. Sie war nicht so wie die anderen „Ehemaligen“, sie war nicht ins Kloster gegangen, spielte sich nicht als anständige Dame auf, hatte den Kontakt zu den alten Freundinnen nicht abgebrochen. Sie hatte eine Schwäche für Sabrina, und nicht nur für sie. Mit Männern wollte sie nichts mehr zu tun haben, sie hasste sie. Bei den Frauen war das ganz anders. Die Frauen waren immer Schwestern gewesen und würden es immer sein.

Sie trafen sich im Fitnesszentrum an der Tuscolano, das Teresa mit eiserner Hand führte. Nur Frauen durften hier trainieren.

– Entschuldige, Sabrina, du steigst einfach aus der Szene aus und Amen, oder nicht? Es gibt keine Zuhälter mehr, die dir was anschaffen können!

– Das kann ich nicht. Ich habe noch nicht genug Geld beiseite geschafft, um mir das zu leisten.

– Mach eine neue Seite auf.

– Ich dachte, ich sollte etwas Diskreteres, Privateres machen. Ich habe dir ja gesagt, ich kann dir zwar nicht erklären warum, aber ich muss eine Zeitlang abtauchen.

Teresa machte einen Schluck von ihrem frischgepressten Karotten-Apfel-Saft und dachte nach. Als sie sich bückte, berührte sie ganz zart, beinahe wie zufällig, die Brust ihrer Freundin. Sabrina ließ es geschehen.

– Du solltest versuchen, in die linke Szene hineinzukommen, Sabrina.

– Was? Bei den Kommunisten? Aber die hassen uns ja!

– Glaub mir. Ich erklär es dir.

Teresa bückte sich wieder, aber diesmal schnellte Sabrina zurück, um sich der „zufälligen“ Berührung zu entziehen. Sie war noch nicht so weit.

VI.

Es war zwar schon finster, aber der Sand am Strand von Ostia Ponente war noch warm. Numero Otto kletterte über den Zaun des hintersten konzessionierten Strandbads vor der Mole des Touristenhafens. Er musste sich ein wenig anstrengen. Er stellte die schwere Technisub-Tasche auf den Boden und blickte auf das Peter-Pan-Schild, das in den Farben des Regenbogens leuchtete und in Kursivschrift beschriftet war. Er betrachtete den kleinen Stempel unten rechts: „Comune di Roma. Municipio XIII. Sozialgenossenschaft von öffentlichem Interesse. Staatliche Genehmigung Nr. 24/ 8. Mai 2007, Strandnutzung ausschließlich für Kinder, Minderjährige und Personen mit besonderen Bedürfnissen.“

Behinderte und Kinder! Genossenschaft! Pfui Teufel!

Die Strände waren es wert, um sie zu kämpfen. Der achthundert Meter lange Strand, der im Norden von den Wellenbrechern des Touristenhafens begrenzt wurde, war Gold wert. Gold. Wie übrigens jeder Meter Strand von Ponente bis zu den Gittertoren von Capocotta. Warum sonst zahlte der letzte Trottel in Levante bis zu sechs Millionen Euro für eine dreijährige Konzession? Aber es gab auch einen guten Grund, warum der Strand in Ponente den Bossen von Ponente gehören sollte. Sind wir Herrn im eigenen Haus oder nicht? Es gab sehr wohl einen Grund, sich an den Strand zu ketten wie an einen Schatz.

Einen triftigen.

„Waterfront.“

Waterfront, hatte ihm Samurai eines Tages lächelnd erklärt.

– Ostia wird die Waterfront von Rom sein. Boardwalk Empire. Atlantic City, Italien. Stell es dir vor, versuch es dir vorzustellen. Versuch dich hin und wieder aus der Gosse zu erheben. Zumindest ein paar Zentimeter. Ich weiß, das kannst du nicht, aber versuch es wenigstens. Ich sage nicht, immer. Aber hin und wieder.

– Uoterwas? hatte er wiederholt, er sprach ja kaum Italienisch, geschweige denn Englisch.

Samurai hatte ihn wie immer etwas mitleidig angeblickt, doch sein Mitleid ging schnell in eine angewiderte Grimasse über. Er hatte übersetzt, als wäre er ein Analphabet.

– Kasinos, Hotels, Restaurants, Fitnessclubs, Yachten, Geschäfte. Das bedeutet Waterfront, du Hirnamöbe.

Numero Otto war so nachtragend wie ein Affe. Ein Verrückter, der wegen jeder Kleinigkeit außer sich geriet. Aber aus Respekt hatte er sich zu einem Lächeln gezwungen. Und aus Geldgier. „Zi’, diesmal mache ich dir ein Geschenk“, hatte er im Gefängnis begeistert zu Nino gesagt und wie ein kleiner Papagei das Wort nachgeplappert, das er nicht verstand, uoterfront.

„Ich bau dir eine uoterfront, zì!“

Davor musste der Strand allerdings von Eindringlingen gesäubert werden. Die Kommunisten im Kapitol hatten ja mehr Schaden angerichtet als zehn Fluten. Das Meer gehöre allen – aber ja doch! –, hatten sie gesagt. Und einer Handvoll Pennern sechs Parzellen auf Konzession überlassen. Kooperativen nannten sie es. Was für Kooperativen? Verdammte Kommunistenkooperativen!

Es hatte etwas gedauert, bis das in Ordnung gebracht worden war. Numero Otto hatte den Abgeordneten Pericle Malgradi, der eine unersättliche Koksnase und ein Hurenbock war, gratis beliefert, und der Einsatz hatte sich gelohnt. Er hielt ihn an den Eiern. Die Dinge hatten sich geändert. Die Kommunisten hatten das Feld geräumt, es gab ein neues Gesetz, es besagte, dass die Konzession nur dann verlängert wurde, wenn der Betreiber unter Beweis stellte, dass „er in der Lage war, erfolgreich eine in sozialer Hinsicht wichtige Dienstleistung, nämlich den Badebetrieb am Strand, zu gewährleisten“. Diese Worte waren wie Musik. Vor allem wenn man zwischen den Zeilen zu lesen verstand.

Denn wer war schuld, wenn ein Strandbad abbrannte? Der Betreiber, er war dann nämlich nicht in der Lage, seinen Betrieb „erfolgreich zu führen“. Und wenn dann ein anderer, eine Person guten Willens, etwas Geld in die Hand nahm und unter Beweis stellte, dass sie in der Lage war, den Betrieb „erfolgreich zu führen“, dann war es nur gerecht, dass sie die Konzession erhielt. Das war freie Marktwirtschaft, oder nicht? So stand es im Gesetz. Was die „sozial“ wichtige Dienstleistung, die Kinder und die Behinderten, anbelangte: Eine neue Rutsche, eine Gehhilfe und ein Plastikbassin konnten auch sie aufstellen. Aber dort, wo es ihnen passte. Weit weg vom Strand, wo sie nicht störten. Irgendwo.

Die Buden der Strandbäder waren der Reihe nach abgebrannt. Das war sein Werk, das Werk von Numero Otto. Darin hatte seine Aufgabe bestanden. Eine pro Woche. Immer in der Nacht. Immer mit demselben Benzin und derselben primitiven Zündvorrichtung, die er im Schaltkasten des Strandbads montierte. Der Rest war ganz einfach gewesen. Kabinen, Sonnenschirme, Pavillons waren von der Salzluft ausgetrocknet und brannten wie Zunder. In Sekundenschnelle. Und die Brände waren zu einem begehrten Schauspiel geworden, fast wie die Hundekämpfe, die sie in Garagen veranstalteten. Die Leute kamen aus ganz Rom, um zuzusehen, wie sich die Pitbulls zerfleischten. Gut, es waren auch ein paar Euro im Spiel, aber deshalb kamen die Leute nicht, sie wollten vor allem das Schauspiel genießen.

Er betrachtete die Zeiger der Rolex Oyster Perpetual. Es war bereits nach Mitternacht und er musste sich beeilen. Peter Pan, auf uns beide!

Er schickte ein SMS an Robertino, einen seiner Jungs, den er hinter sich herschleppte, seitdem er ein kleiner Junge war: „Los.“

Während er die Elektroleitungen des Peter-Pan-Strandbades manipulierte, stieg auf der Piazza Lorenzo Gasparri die erste Rakete kerzengerade in die Höhe. Die zweite Rakete, die in Form einer Trauerweide aus grünen, weißen, roten Funken explodierte, beleuchtete den Kanister, während er den Inhalt über die Bude leerte. Einen Augenblick lang betrachtete er das Feuerwerk, das auf den Terrassen der Zinskasernen auf der Piazza Gasparri und der Via Forni, dem Zentrum von Ponente, explodierte. Nuova Ostia, sein Ostia. Es war seine Idee gewesen, denn wie ihm Zio Nino beigebracht hatte, „reichte es nicht, eine Sauerei anzurichten, wenn du etwas gelten willst. Die Leute müssen auch wissen, wer die Sauerei angerichtet hat“.

Peter Pan hatte er sich bis zuletzt aufgehoben. Hierher kamen tatsächlich Kinder, und die Zerstörung war Überstunden wert. Eine zwei Meter lange Rutsche, die aussah wie eine mittelalterliche Burg, Spielzeug, Plastik-Traktoren und -Seepferdchen, Haufen von Eimern und Förmchen, Surfbretter mit Gormiti und Pokémons drauf. Bevor er das Ganze anzündete, musste er noch höchstpersönlich Hand anlegen.

Die Axt lag neben den Feuerlöschern. Funkelnagelneu. Perfekt im Lot, fabriksneu. Ein Griff aus hellem Holz, mit rotem Kopf. Er nahm sie mit der Rechten und hievte sie über die Schulter, auf der Höhe des Ohrs. Dann stürzte er sich auf die Rutsche, kreischte im Falsett, spreizte die Beine wie ein Comicungeheuer.

– Ihr lieben Kinderlein, jetzt kommt Captain Hook! Tick, tack, tick, tack.

In weniger als zehn Minuten hatte er das Traumschloss mit methodischem Furor zerhackt.

– Oh, oh! – track. – Oh, oh – track.

Bei jedem Hieb stieß er grinsend ein Überraschungsmotto aus. Dann kam der Platz mit den Traktoren, den Seepferdchen, den Surfbrettern dran. Schließlich fischte er eine Zigarette aus dem Overall und zündete sie mit dem Zippo aus mattem Metall an, auf dem sich das schwarze Profil des Duce befand. Zuerst die Zigarette. Dann Peter Pan.

Als er über die Uferpromenade ging und die Tasche im Kofferraum des Hummer verstaute, hatten die Benzindämpfe und die Flammen die Bude schon verschlungen. Er ließ den Motor an, während das Feuerwerk am Himmel von Ponente mit einem lila Sprühregen zu Ende ging.

Das Off-Shore, das Reich von Numero Otto, war nicht weit entfernt. Es befand sich genau auf dem Strand von Coccia di Morto. Tausend Quadratmeter Holz und Glas, aus dem man aufs Meer blickte. Ein Vorgeschmack auf die uoterfront in Ostia. Numero Otto hatte den Namen Off-Shore gewählt, um Samurai zu ärgern, der sagte, er sei dumm wie die Nacht. Eine vierhundert Meter lange Bar, die gemeinsam mit einer Theke eine Art Liktorenbündel bildete. Ein Fitnesscenter mit fünf Laufbändern, die auf den Strand blickten, ein Boxring und so viele Gewichte, dass ein olympisches Team hier hätte trainieren können. Das Lager, wo der Alkohol und die Schießeisen für den Notfall aufbewahrt wurden, war mit zwei Panzertüren mit Nummernkombination versperrt, und in einem Winkel daneben befand sich sogar ein Tattoo-studio, Er Geko, mit Liegen, die mit Wassermatratzen bestückt waren. Und natürlich hatte er auch drei Darkrooms eingerichtet, die aussahen wie drei Schlafzimmer à la Scarface: Conchiglia, Amaca, la Giostra.

Das Juwel hatte eine Kleinigkeit gekostet. Aber nicht an Baustoffen und Arbeitskräften, für ihn arbeiteten die Leute ja gratis. Sondern an Schmiere für einen General der Rathauspolizei. Eine Sau. Ein Piranha. Hunderttausend sofort in Zehnerscheinen. Eine Rumänin für den achtzehnten Geburtstag seines Sohnes, und ein Schlauchboot für den Sommer im Canale dei Pescatori, mit zwei Yamaha-Motoren zu je zweihundertfünfzig PS.

Aber die Bewilligungen waren wenigstens in Ordnung.

Inzwischen war es drei Uhr morgens, und das Off-Shore war gerammelt voll. Numero Otto stank nach Holz, verbranntem Plastik und Schweiß. Er drückte Albin, dem rumänischen Parkplatzwächter, die Autoschlüssel in die Hand, der rollte sich gerade einen riesengroßen Joint.

– Wenn er staubig wird, reiß ich dir den Arsch auf.

Er betrat die Conchiglia. Morgana beugte sich gerade über den Glastisch vor dem muschelförmigen Bett und sniefte. Die Kleine hatte einen großartigen Arsch. Klein und knackig. Sie war zwanzig Jahre alt und die einzige Frau aus Ponente, die er in seiner Bande aufgenommen hatte. Aber nicht nur, weil er sie fickte.

Auf der Straße war sie nämlich böse wie eine Hexe, und im Bett gefügig wie eine Geisha. Lachend steckte er ihr einen Finger zwischen die Hinterbacken und leckte mit der Zunge ihr Ohr aus.

– Ich will mich entspannen. Aber später. Ich dusche mich und dann sehen wir uns drüben. Wer ist da?

– Nahezu alle. Sogar Rocco.

– Anacleti?

– Ja, er ist gemeinsam mit Spartaco, der Ratte, gekommen.

– Dem Journalisten?

– Ja, Liberati. Er hat gesagt, er wolle sich wieder mal sehen lassen.

– Wahrscheinlich braucht er Geld, der Erpresser.

Morgana ging hinaus. Er nahm rasch eine Dusche, seifte sich lange Hals und Brust ein, wo zwischen den Haaren ein Jokergesicht hervorlugte. Er zog ein weißes Hemd an, zog zwei Straßen und ging zur Bar.

Rocco Anacleti, der Boss der Zigeuner von Roma Est und Chef von Spadino, kam ihm entgegen und umarmte ihn, bahnte sich mühsam einen Weg durch einen Schwarm von zugekoksten Mädchen, Anwälten, Ärzten und ein paar runderneuerten Vorstadtwichsern aus Fiumicino. Er trug ein rosa Hemd und eine Pluderhose aus weißem Leinen, in der er fetter und kleiner aussah, als er wirklich war. Die Umarmung wirkte echt. Über Spadino wusste er natürlich nichts. Aber wirklich nichts.

– Okay?

– Alles okay.

– Ich warte schon seit einer Ewigkeit auf dich.

– Ich habe jede Menge zu tun. Ich weiß nicht, um wen ich mich zuerst kümmern soll.

– Du sagst es. Cinecittà ist ein Affentheater geworden. Zu viele Leute, die sich wichtig machen. Auch die Kaffer glauben, sie könnten tun, was sie wollen. Unglaublich.

– Ja, es laufen zu viele Idioten herum.

– Übrigens … hast du Spadino gesehen?

Numero Otto fiel aus allen Wolken.

– Ich? Nein, warum?

Rocco sah ihn scheel an.

– Er sagte, er wolle dich treffen.

Numero Otto vernahm plötzlich ein unangenehmes Hintergrundgeräusch.

– Mich? Und wann?

– Tja, ich glaube, gestern. Er ist nämlich verschwunden. Angeblich haben sie in der Pineta eine verkohlte Leiche gefunden.

– Ja, hab ich gehört … aber was hat Spadino damit zu tun?

– Die verkohlte Leiche saß in einem Smart. Und Spadino hatte einen Smart.

– Was soll ich dir sagen? Ich hör mich um. Ach, wie ich sehe, hast du Spartaco mitgenommen.

– Rate mal, was er braucht.

– Was braucht er wohl? Kohle, oder?

Spartaco lehnte an der Bar und trank einen Mojito – den er sicher geschnorrt hatte, dachte Numero Otto –, schwenkte die Arme und umarmte ihn, ein echter Judas. Er war ein Ex-Kamerad um die fünfundfünfzig, ein ehemaliger Meister im Kickboxen, seine Karriere war allerdings früh und unehrenhaft zu Ende gegangen. Er war aus dem Verein ausgeschlossen worden, weil er einen Gegner ins Koma geprügelt hatte. Er hatte ihm den Schädel eingetreten, als er schon am Boden lag. Dann hatte er bei einem Radiosender angeheuert, deshalb war er für alle Spartaco, der Journalist. Die Stimme von Radio Fm 922, „der Marsch auf Rom, dimme te …“

Ein Journalist. Ach ja. Eine Marionette dessen, der ihn bezahlte. Samurais Schoßhund, er hatte ihn schon als kleiner Junge kennengelernt, als es Krieg mit den Kommunisten gab. Geld, Geld. Das war das einzige Wort, das er verstand. Das einzige, was er wollte. Genau deshalb war er da.

– Das Off-Shore ist großartig. Wird immer schöner, sagte er.

– Spartaco, ich hab keine Zeit. Sag mir, was du brauchst.

– Meine Sponsoren lassen mich ein wenig im Stich. Gib mir zehntausend und ich mache einen Monat lang Werbung für das Off-Shore. Du könntest ja ein paar Liveinterviews geben, oder?

– Tausend. Dann verschwindest du.

– Du bist ein echter Freund.

Er antwortete nicht mal. Er packte Morgana am Handgelenk und zerrte sie von einem Typen weg, der sie seit einer Weile ansabberte.

– Jetzt passt es mir.

Suburra

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