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Knapp zwei Monate später,

Freitag, 16. Dezember 2005

Das schrille Klirren, das durch das Schlagen der Messerspitze auf das Glas erzeugt wurde, war im gut gefüllten Gemeinschaftsraum der Polizeiinspektion in Kronach kaum wahrzunehmen. Erst als Robert Behrschmidt, der Dienststellenleiter am Kaulanger, auf einen Tisch gestiegen war, um sich, pausenlos klopfend, endlich Gehör zu verschaffen, senkte sich der Geräuschpegel sehr schnell. Und als auch das letzte Wispern noch verstummt war, wandte sich der Chef mit sicherer Stimme und klarem Blick an seine Mitarbeiter. Das hohe Podest verließ er so schnell wie er es erklommen hatte. Er machte ein bisschen den Anschein, eine billige Kopie von Günther Jauch zu sein, hielt er doch einige von diesen DIN A5 Notizzetteln in seiner rechten Hand und begann sogleich, sich an das Auditorium zu wenden.

»Ja, nun, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ich darf für ein paar Minuten um Ihre Aufmerksamkeit bitten, da ich Ihnen jetzt, wo wir hier so kurz vor dem Jahreswechsel zu einer gemütlichen, gemeinsamen Feierstunde zusammengekommen sind, sozusagen als Rückblick, aber auch gleichzeitig als Vorausschau, noch einige Worte mit auf den Weg geben möchte.«

Behrschmidts selbstsicherem und mit einem Dauerlächeln behaftetem Auftreten stand auf der anderen Seite eine Gruppe von Beamten gegenüber, die wusste, dass ein Jahresabschlusswort des Dienststellenleiters zum Protokoll dazu gehörte, aber gleichzeitig hofften alle, dass er sich kurz fassen würde. Schließlich war die alljährliche Weihnachtsfeier, die traditionsgemäß am vorletzten Freitag vor Heiligabend stattfand, für diejenigen, die daran teilnehmen konnten, nicht nur eine Pflichtveranstaltung, sondern auch eine Gelegenheit, das zurückliegende Jahr feuchtfröhlich noch einmal zu resümieren und ausklingen zu lassen.

»Und deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, gilt es dennoch schon jetzt, den Blick auch in die Zukunft zu richten.«

Hauptkommissar Pytlik stand in vorderster Reihe neben seinem Assistenten Cajo Hermann, der ebenso wie sein Vorgesetzter mit versteinerter Miene den nun schon 20 Minuten dauernden Vortrag über sich ergehen ließ. Pytlik und Hermann kannten sich lange genug, so dass Jeder wusste, was der Andere gerade dachte. Beide hatten auch schon das eine oder andere Bier getrunken und obwohl sie mit dem neuen Chef am Kaulanger bisher ganz gut zurechtgekommen waren, hätten sie sich jetzt gewünscht, dass er seinen langweiligen Monolog schnell beenden würde.

»Die Globalisierung der Welt und die damit verbundenen Auswirkungen auch auf unser regionales Zusammenleben, zum Beispiel in unserem Landkreis Kronach, machen unsere Arbeit in Zukunft ja nicht leichter und deshalb…«

Das anfangs gelegentliche Räuspern, Husten und Naseputzen wurde mittlerweile deutlich mehr und es war zu spüren, dass die Ungeduld stieg. Doch erst, als ein Handyklingeln die Klassenzimmeratmosphäre plötzlich und unerwartet störte, Hauptkommissar Pytlik sich daraufhin mit einer entschuldigenden Geste und schnellen Schrittes nach draußen verabschiedete, schien wohl auch Robert Behrschmidt gemerkt zu haben, dass seine Worte in diesen Momenten nicht mehr verarbeitet wurden.

»Lassen Sie mich abschließend Ihnen allen und Ihren Familien noch ein frohes und gesegnetes Weihnachtsfest und einen guten Rutsch ins neue Jahr wünschen. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit und die Zusammenarbeit im abgelaufenen Jahr.«

Das einigermaßen abrupte Ende seiner Rede löste einen durchaus begeisterten Beifallssturm aus, der wohl weniger der inhaltlichen Komponente des Vortrags galt, dessen war sich auch Behrschmidt bewusst. Er war aber Profi genug, um das zu überspielen und sein anfängliches Lächeln auch am Schluss zu präsentieren.

***

»Ja, ich hatte geplant, am Freitag so gegen Mittag loszufahren, dann wäre ich am späten Nachmittag oder am frühen Abend bei euch. Wenn das in den nächsten Tagen so weiter schneit, wie die das vorausgesagt haben, dann wird es wahrscheinlich besser sein, wenn ich mit dem Zug fahre. – Nein, ich weiß nicht, was Johannes und Klara machen. Ich habe auch ehrlich gesagt keine Lust mehr, mir ständig dieses depressive Zeug anzuhören. Die soll sich endlich mal in Behandlung begeben, das würde auch dem Johannes sicherlich helfen. – Wie? Die haben sich bei euch darüber beschwert, dass ich keinen Kontakt zu ihnen halte, oder was? Dass ich nicht lache!«

Pytlik war in den Flur gegangen, da er von seinem Bruder Georg aus München angerufen worden war. Es ging um die Weihnachtsplanung. Er und seine Frau hatten Pytlik eingeladen, nach München zu kommen, um mit ihnen Weihnachten und den Jahreswechsel zu feiern. Zu Georg hatte Pytlik ein sehr gutes Verhältnis, während sein anderer Bruder Johannes, der mit seiner Frau in Kronach lebte, mit eigenen und vor allen Dingen den Problemen seiner Frau zu kämpfen hatte. Das Verhältnis war erkaltet.

»Ja, ja! Ich will mich auch gar nicht mehr aufregen. Aber der verdreht einfach nur die Tatsachen. – Ich will es aber nicht verstehen, verstehst du? Es gibt eben nicht nur die Probleme von Johannes und seiner Frau! – Na gut, können wir ja dann nächste Woche noch mal drüber sprechen. Sag meiner Lieblingsschwägerin schon mal schöne Grüße! – Okay, mache ich. Bis dann.«

Nachdem Pytlik das Gespräch beendet hatte, überlegte er kurz, aber er wollte sich die bis dahin gute Laune nicht wieder dadurch verderben lassen, dass er sich einen Kopf über die Probleme Anderer machen sollte. Er ging schnell in sein Büro, holte die Jacke vom Haken, setzte sich eine Wollmütze auf, damit sein kahler Schädel nicht fror und verließ für eine schnelle Zigarette das Gebäude.

***

Die Weihnachtsfeier in der Polizeiinspektion Kronach war, wie anderswo wahrscheinlich genau so, auch hier eine Veranstaltung, bei der man abseits von Dienstgrad und Vorschriften ein paar Stunden miteinander verbrachte. Pytlik saß mit seinem Assistenten Hermann, ihrer beider Sekretärin Gundi Reif, Justus Büttner, dem Leiter der Schutzpolizei und dessen Stellvertreter Egon Schneider an einem Tisch. Als ob die Fünf nicht schon das ganze Jahr über genug miteinander zu tun hätten und sich nicht auch das eine oder andere Mal gegenseitig nervten, mussten sie auch jetzt noch ihre Köpfe zusammenstecken. Aber das war wohl ganz normal. Pytlik, der – es war schon nach 22 Uhr – selbst schon ordentlich getankt hatte und zum Rauchen nun schon gar nicht mehr extra nach draußen ging, sondern ungeniert am Tisch qualmte, stieß Hermann mit einem leichten Lächeln auf den Lippen und mit einer Kopfbewegung zum schräg gegenüber sitzenden Schneider in die Seite. Als Schneider, wie auf Kommando, in diesem Moment seinen Kopf mit den nur noch halb geöffneten und Hilfe suchenden Augen in Richtung der beiden Ermittler drehte, mussten diese spontan lachen, ohne dass es ihnen gelang, ihr Amüsement vor den Anderen zu verbergen. Pytlik war die Asche seiner Zigarette ins Bierglas gefallen, ohne dass er es merkte, Hermann, der gerade einen Schluck genommen hatte, hatte Mühe, die Flüssigkeit im Mund zu behalten.

»Woss hobbdn ihr jetzt?«, brummte plötzlich Justus Büttner, der sich mit der am Kopfende sitzenden Adelgunde Reif intensiv über die Rolle von Oma und Opa bei der Erziehung der Enkel in der heutigen Zeit unterhielt. Als Schneider, der nicht mehr ganz Herr seiner Sinne zu sein schien, Pytlik und Hermann dann auch noch für mehrere Sekunden mit seinem Blick fixierte, aber weder fähig war, etwas zu sagen, noch mit Gesten etwas zum Ausdruck zu bringen, dann blitzartig seinen Kopf wieder geradeaus richtete und nur einmal kurz mit der Schulter zuckte, brüllten der Hauptkommissar und sein Assistent erst richtig los. Pytlik klopfte sich auf den Oberschenkel, ergriff sein Glas und nahm einen großen Schluck.

»Pass auf, Franz!«, schrie Hermann, während er sich gleichzeitig mit der flachen Hand die Tränen aus dem Gesicht wischte. Als Pytlik, kaum dass er das Bier geschluckt hatte, das Gesicht angewidert verzog und sein Lachen für den Moment verstummt war, gipfelte die Situation darin, dass Hermann beim leichten Wippen mit dem Stuhl das Gleichgewicht verlor und samt seiner Sitzunterlage hinten überkippte und kurze Zeit danach wie ein erlegter Bär auf dem Boden lag.

»Oh Gott, Cajo, mein Junge, ist dir was passiert?«

Gundi Reif war die Erste, die aufgesprungen war und sich zu Hermann hinunter beugte. Pytliks Assistent schien aber Glück im Unglück gehabt zu haben. Außer, dass er nun – es war laut und deutlich zu hören – Häme und Spott über sich selbst ergehen lassen musste, schien ihm rein äußerlich nichts passiert zu sein. Auch Pytlik hatte seinen Stuhl zur Seite gedreht, um Hermann aus seiner misslichen Situation zu helfen. Im gleichen Augenblick fielen Egon Schneiders Augen endgültig zu und sein Kopf fast gleichzeitig in seine verschränkten Arme auf der Tischplatte. Einzig Justus Büttner schien wie ein Fels in der Brandung von dem ganzen Treiben unbeeindruckt zu bleiben.

»No, Saggramend, fodroochd ihr nix oder woss? Dann sauft hald a nix! Meine Herrn!«

Blutschnee

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