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Vorwort: Erbe wahren, Öl nutzen, Zukunft gewinnen

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Seinen Ursprung und Namen verdankt Abu Dhabi der Legende nach der Oryx-Gazelle. Als Beduinen der Bani Yas-Stämme aus den Liwa-Oasen am Rand der großen Wüste Rub al Khali (übersetzt „Leeres Viertel“) bei ihren Jagdexkursionen bis an die ufernahen Inseln der Golfküste gelangten, sahen sie der Überlieferung zufolge auf einer besonders nahen, grünen Insel jenseits einer Furt eine Gazelle an einer Quelle trinken. Sie vermuteten deshalb, dass dort reichlich Süßwassser zu finden sein würde und gründeten auf jener Insel 1761 eine Siedlung an der Küste. Sie erhielt den Namen Abu Dhabi, „Vater der Gazelle“.


Oryx-Gazelle im Naturreservat auf der Insel Sir Bani Yas

Scheich Zayed I.1 genannt „Zayed der Große“ und Herrscher von 1855 bis 1909, gelang es durch militärische Aktionen und strategische Verheiratung seiner Söhne mehrere Stämme zu einen und Abu Dhabi, die Siedlung um das Fort Qasr al Hosn, als ein regionales Machtzentrum zu etablieren. Zuvor waren 1833 allerdings 800 Mitglieder der Bani-Yas-Föderation nach internen Streitigkeiten von Abu Dhabi fortgezogen und hatten in Dubai ein eigenes Emirat gegründet. Dessen ungeachtet erlebte Abu Dhabi unter Zayed I. eine erste wirtschaftliche Blütezeit dank der Perlentaucherei und des Perlenhandels.

Das abrupte Ende dieser Einkommensquelle in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts nach der Erfindung der Zuchtperle in Japan wurde für die Emiratis zu einer traumatischen Erfahrung, vergleichbar mit dem Trauma der Inflation in der deutschen Wirtschaftsgeschichte. Scheich Shakhbut, Herrscher von 1928 bis 1966, agierte deshalb geradezu übervorsichtig, als die Natur den Stämmen am Golf unvorhergesehenen neuen Reichtum bescherte, Erdöl und Erdgas. Statt die Entwicklung seines Landes zu fördern und in die Infrastrukur zu investieren, Straßen, Schulen und Krankenhäuser zu bauen, hortete er die Ölerträge, als ab 1958 – fast 20 Jahre nachdem er mit den Briten einen Ölkonzessionsvertrag geschlossen hatte – die Quellen und demzufolge die Einnahmen zu sprudeln begannen. In der Bevölkerung und in der Herrscherfamilie wuchs der Unmut. 1966 drängte ihn der Familienrat zum Rücktritt. Versehen mit einer Apanage ging er ins Exil nach Libanon.

Die Macht übernahm sein 13 Jahre jüngerer Bruder Zayed II., der sich zuvor schon als Gouverneur der Ostregion um die Oasenstadt Al Aïn als tatkräftiger Administrator und Reformer erwiesen hatte – und nicht nur dort. So hatte er, als er seinen Bruder bei einer längeren Auslandsreise in der Hauptstadt vertreten hatte, auf die Schnelle eine Schotterstraße von der Küste bis zum Kanal zwischen der Abu-Dhabi-Insel und dem Festland gebaut. Scheich Zayed II. trieb die Entwicklung seines Landes mit Energie und Weitsicht voran. Mit Hilfe der besten ausländischen Experten und unter Einsatz der Milliarden Dollar aus den Öl-Erlösen stieß er eine Entwicklung an, die Abu Dhabi innerhalb weniger Jahrzehnte an die Weltspitze in punkto moderner Infrastruktur führte. Zayed verteilte Grundstücke und Gelder an die eigene Bevölkerung, so dass ein dynamischer Mittelstand entstand. Das Rückgrat der Wirtschaft Abu Dhabis bilden aber immer noch Staatsfonds und vor allem die ADNOC, die Abu Dhabi National Oil Company2.


Bohrgestänge einer Ölplattform (hier zur Reparatur im Hafen)

Zudem setzte Zayed II. bin Sultan al Nahyan den Reichtum Abu Dhabis dazu ein, sich die Nachbaremirate gewogen zu machen. Als die Briten Ende der 60er Jahre ankündigten, sich vom Golf zurückziehen zu wollen, war Emir Zayed II. mit dem Emir von Dubai, Scheich Rashid bin Saeed al Maktoum, die treibende Kraft bei der Gründung der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE). Sie wollten die sogenannten Trucial States zusammenhalten, die seit 1853 als „Vertragsstaaten“ in einem protektoratsähnlichen Abhängigkeitsverhältnis zu den Briten existiert hatten. Nur gemeinsam würden sie sich gegenüber ihren Nachbarn behaupten können, glaubten beide Emire. Heute spielen die 1971 gegründeten VAE, zu denen neben den beiden Großen noch die Emirate Sharjah, Ajman, Umm al Quwain, Ras al Khaimah und Fujairah gehören, insbesondere aufgrund ihrer Wirtschaftskraft die Rolle einer Führungsmacht am Golf.

Scheich Zayed II., der bereits als Gouverneur in Al Aïn durch den Ausgleich zwischen den Interessen der Stämme Anerkennung als Führer gewonnen hatte, praktizierte diese Politik auch auf staatlicher und gesellschaftlicher Ebene. Abu Dhabi als größtes und reichstes Emirat stellt immer den Präsidenten der VAE, Dubai immer den Regierungschef. Gesellschaftlich hat sich der 2004 verstorbene Staatsführer, der heute als „Vater der Nation“ verehrt wird, stets auch für die Rechte der Frauen eingesetzt. Sie besetzen inzwischen Ministerposten in der VAE-Regierung.

Der alte Emir war und ist sogar so etwas wie der geistige Führer seiner Nation. In Reden und Gedichten hat er immer wieder die Werte der beduinischen Stämme wie Gastfreundschaft und Offenheit gegenüber Fremden beschworen. Sein Wunsch, das kulturelle Erbe der alten Gesellschaft zu wahren, ist prägend für die staatliche Kulturpolitik des Emirats – zumal in einem Land, in dem die ethnischen Emiratis zur Minderheit geworden sind. Von den 2,3 Millionen Einwohnern Abu Dhabis sind etwa 80 Prozent Ausländer, vor allem Südostasiaten. Die meisten sind mit zeitlich begrenzten Arbeitsverträgen ausgestattet.

Vor dem Hintergrund des wirtschaftlichen Zusammenbruchs am Ende der Perlen-Ära haben die Mächtigen der VAE langfristige Pläne für die Zeit nach Ausschöpfung der Erdöl- und Erdgasvorkommen entwickelt. Dubai als Tourismus- und Finanzplatz ist dabei am weitesten. Auch Abu Dhabi beschreitet diesen Weg. Nichts geht – insbesondere auch bei der Weiterentwicklung der Industrie – ohne ausländische Arbeitskräfte und nach wie vor genauso wenig ohne ausländische Experten. Auf die Dauer wird dies auch zu einem politischen Problem, wenn das Land einerseits das Erbe wahren, andererseits aber mit Hilfe der Öl-Einnahmen sowie von ausländischem Knowhow und Ausländern die Zukunft gewinnen will.

Das Land lebt in einem Spagat zwischen Tradition und Moderne. Es ist offen und im Vergleich zu anderen arabischen Ländern sehr liberal. Aber das politische System einer aufgeklärten Monarchie mit traditionellen Beteiligungsmustern wie dem Majlis, wo jeder der Einwohner sich mit seinem Anliegen direkt an den Herrscher wenden kann, funktionierte in einer Stammesgesellschaft, lässt sich aber nicht so einfach in die Hightech-Welt und die Massengesellschaft übertragen. Der Nationale Konsultativrat Abu Dhabis mit 60 Mitgliedern aus führenden Stämmen und Familien lässt sich nicht mit einem westlichen Parlament vergleichen. Andererseits wäre es westliche Hybris, von den Emiratis zu erwarten, unser System zu kopieren.

Gleichwohl werden die Familien-Eliten in den Emiraten weitergehende Formen der politischen Beteiligung entwickeln müssen, wenn der Spagat zwischen Tradition und Moderne auf Dauer gelingen soll. Sie brauchen die Ausländer, aber wollen die eigene Macht nicht teilen. Trotz oder gerade wegen dieser Widersprüche ist dieses hochentwickelte und offene Land für Touristen ein spannendes Reiseziel.

„Mein Abu Dhabi“ verrät schon im Titel, dass der Autor keine allgemeingültige Darstellung des Emirats anstrebt. Vielmehr lässt er sich bei der Wahl der Themen von seinen persönlichen Präferenzen leiten. Gelegentlich gibt er auch schlaglichtartige Einblicke in eigene Erlebnisse. Er hofft, dass die Leserinnen und Leser ihm trotzdem oder gerade deshalb mit Vergnügen an die „77 interessanten Orte im Emirat am Golf“ folgen.

Carlo Reltas

Silvester 2018

1 Arabische Personennamen und Ortsbezeichnungen werden in der Regel nicht in eingedeutschter Form, sondern in der gängigen englischen Transkription wiedergegeben. Denn sie ist es auch, die der Reisende bei seinem Besuch vor Ort auf Schildern und in Publikationen vorfinden wird.

2 Anglizismen, englische Namen von Firmen, Hotels, Resorts, Restaurants, anderen Lokalen, Parks und Malls werden im Folgenden kursiv gesetzt, Personennamen und (geographische) Ortsbezeichnungen dagegen nicht. Englische Zitate werden wie andere Zitate mit An- und Abführungszeichen versehen und in normaler Schrift wiedergegeben.

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