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Sosopol – erste Begegnung mit einer alten Stadt

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Die Wikipedia weist es als älteste Stadt des Landes aus, und im Reisebüro wird mir versichert, dass es dort ziemlich ruhig zugehen müsse, weil partyhungrige Teenager andere Ziele an Bulgariens Schwarzmeerküste bevorzugen. Hinzu kommen Fotos, auf denen felsige Küstenabschnitte zu sehen sind, die beim Schnorcheln wesentlich mehr Abwechslung versprechen als der sonst allgegenwärtige und viel gepriesene „kilometerlange Sandstrand“, ein reichhaltiges Ausflugsangebot und ein kleines Familienhotel zu erschwinglichen Preisen – und unsere Buchung ist perfekt.

Meine Vorstellungen von dem, was uns erwartet, sind aufgrund jahrelanger Erfahrungen in der anderen Himmelsrichtung geprägt vom Flair mediterraner Kleinstädte mit großer Geschichte und Touristen, die es genau deshalb dorthin zieht.

Dass Sosopol anders ist, merken wir schon auf der Fahrt vom Flughafen in Burgas in unser Hotel – vor lauter flanierenden Urlaubern sind die jeweiligen schmalen Bürgersteige kaum auszumachen. Das Gewimmel wälzt sich über sämtliche große Straßen – so groß sie in einer Kleinstadt mit normalerweise 6.000 Einwohnern halt sein können. Erleichtert atme ich auf, als der Fahrer, der uns vom Flughafen zum Hotel bringt, in eine Seitenstraße einbiegt, die auf Anhieb bedeutend ruhiger wirkt als das, was wir vorher gesehen hatten.

Abgesehen von einigen wenigen Touristen, deren Hotel sich ebenfalls in dieser Straße befindet, erlebt man hier tatsächlich das, was man von Orten dieser Größe in Bulgarien kennt – kleine Lebensmittelgeschäfte mit familiärer Atmosphäre und überaus kinderfreundlichen Verkäufern, Vorgärten mit Tomatenpflanzen, deren Früchte, wie uns der betagte Besitzer stolz versichert, bis zu einem Kilo schwer werden (was wir ihm angesichts der bereits vorhandenen grünen Exemplare auch unbesehen glauben), und die obligatorischen Gedenkanzeigen für Verstorbene an Laternenmasten, Bäumen und Zaunpfählen.

Empfangen werden wir von der außerordentlich freundlichen Hotelbesitzerin, deren später beiläufig eingestreute Bemerkung, sie sei schon über fünfzig, mich ehrlich erstaunt, weil sie bedeutend jünger wirkt. Sie ist es auch, die uns auf einem Stadtplan von Sosopol sofort alles markiert, was wir wissen müssen: wo die Neustadt in die auf einer schmalen Halbinsel gelegene Altstadt übergeht, wo die Busse zu den einzelnen Ausflugszielen abfahren, wo man die besten Fischgerichte essen kann und welche Restaurants man lieber meiden sollte, weil die Preise dem Straßennamen „Côte d’Azur“ alle Ehre machen.

Dass diese Etablissements vor allem für zahlungskräftige Touristen gedacht sind, versteht sich fast schon von selbst, denn Dreh- und Angelpunkt des Lebens der meisten Menschen in Bulgarien ist die Überlegung, wie man es schafft, über die Runden zu kommen in diesem Europa, von dem sich viele ein besseres Leben versprochen haben, das nun aber auch schon wieder etliche Jahre auf sich warten lässt.

Was hatte unser Fahrer gesagt, als er uns auf der Fahrt vom Flughafen in Burgas die einzige Erdölraffinerie Bulgariens zeigte, die mehrheitlich dem russischen LUKOIL-Konzern gehört: „Wir sind ein EU-Staat mit russischer Wirtschaft“, denn LUKOIL ist beileibe nicht der einzige Konzern aus dem benachbarten Riesenreich, der sich hier Mehrheitsanteile gesichert hat.

Und auch wenn der hiesige Finanzminister stolz verkündet, dass Bulgarien eines der wenigen EU-Länder sei, die aus der weltweiten Wirtschaftskrise ohne zusätzliche Neuverschuldung und ohne Steuererhöhungen hervorgegangen sind, macht sich doch das Bestreben derer, die weniger finanzkräftig sind, deutlich bemerkbar, auch ein kleines Stück vom großen Kuchen abzubekommen, der in Sosopol natürlich vom Tourismus bestimmt wird.

Damit sind wir auch wieder beim Ausgangspunkt angekommen: Ja, Sosopol ist eine sehr alte Stadt – es entstand im 7. Jahrhundert v. Chr. Zahlreiche alte Gemäuer erinnern an diese Epoche und andere, ebenfalls längst vergangene Zeiten. Doch man muss sich bemühen, sie zu sehen, muss sie wirklich finden wollen, weil einem ansonsten die Unmenge an Souvenirständen, Imbissbuden aller Art, Karussells, Spielwarenautomaten und Kiosken mit Strandzubehör den Blick darauf verstellt.

Ganz Bulgarien zieht es im Sommer an die Küste, und diejenigen, die sich hier in der Sommersaison das Geld verdienen müssen, von dem sie den Winter über anderswo leben, suchen natürlich genau die Orte auf, wo potenzielle Kunden zuhauf zu finden sind – da kann schon leicht die eine oder andere Sehenswürdigkeit dahinter verschwinden.

Doch auch die Verkaufsstände selbst sind durchaus einen genaueren Blick wert – neben den üblichen Billig-Sonnenbrillen, Muschelketten und Keramik-Souvenirs gibt es beispielsweise für deutsche Verhältnisse ausgesprochen viele antiquarische Bücherstände mit einem mehr als breit gefächerten Angebot. So sah ich, während mir einer der Verkäufer ein Buch mit Kindergeschichten bulgarischer Autoren empfahl, das sich im Nachhinein tatsächlich als Glücksgriff herausstellte, dass an seinem Stand Erich Kästners „Als ich ein kleiner Junge war“ und Hitlers „Mein Kampf“ jeweils in bulgarischer Sprache geradezu einträchtig in unmittelbarer Nähe zueinander ihr Dasein fristeten – eine Kombination, die in deutschen Buchgeschäften natürlich undenkbar wäre und die auch mich mit sehr gemischten Gefühlen zurücklässt.

Hier aber bleibt uns nur, es in die Reihe der vielen Gegensätze einzugliedern, die die kleine Stadt mit den – zumindest in den Sommermonaten – vielen Menschen zu bieten hat, und uns aufzumachen, weitere von ihnen zu entdecken.

August 2011


Reiseskizzen aus Bulgarien

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