Читать книгу Reiseskizzen aus Bulgarien - Carola Jürchott - Страница 4
Afrika am Schwarzen Meer?
ОглавлениеAls unsere rührige Hotelchefin uns ans Herz legte, auf jeden Fall die Bootsfahrt auf dem Fluss Ropotamo mitzumachen, fühlte ich mich gleich durch den Namen an den sagenhaften Fluss Limpopo erinnert, der durch Afrika fließt und vielen Kindern aus Kornej Tschukowskis „Doktor Aibolit“, einer Adaptation des „Doktor Doolittle“, bekannt ist.
Der Name des Flusses, der aus dem Altgriechischen kommt und „Grenzfluss“ bedeutet, klingt für bulgarische Verhältnisse schon recht ungewöhnlich, doch er ist bei Weitem nicht die einzige Besonderheit. Ropotamo heißt ein ganzes Naturschutzgebiet, das auf einer Fläche von mehr als 1.000 Hektar beispielsweise 232 Vogelarten beherbergt.
Dafür, dass diese sich ungestört entwickeln können, sorgt das strikte Verbot jeglichen menschlichen Eingreifens in das natürliche Gefüge im Einzugsgebiet des Flusses. So stehen beispielsweise am Ufer des Flusses in regelmäßigen Abständen Schilder mit der Aufschrift „Angeln verboten“, die unter anderem dazu dienen, die Fischbestände als Futterreserve zu sichern, denn allein ein Kormoran vertilgt zwei bis vier Kilogramm Fisch pro Tag.
Das Verbot menschlicher Tätigkeit am Fluss erstreckt sich allerdings keineswegs auf den Tourismus, sodass den ganzen Tag über Ausflugsboote von der Anlegestelle zur Ropotamo-Mündung verkehren – dreißig Minuten hin und dreißig Minuten zurück. Unterwegs trifft man jede Menge Schiffe mit Gleichgesinnten, die auch jedes Mal mit einem lauten Hupsignal gegrüßt werden, was in der ansonsten so angenehmen Stille des ruhig dahingleitenden Flusses reichlich paradox wirkt. Dennoch würde einem zugegebenermaßen vieles entgehen, wenn Bootsfahrten hier nicht gestattet wären, obwohl es vielleicht sogar angenehmer wäre, den Ropotamo individuell mit einem Kanu entlang zu paddeln, weil man dann die Möglichkeit hätte, die Fahrt hier und da zu verlangsamen und Schildkröten, Reiher und anderes Getier genauer ins Visier zu nehmen.
Anderes Getier? Habe ich mich verhört, oder sprach die Reiseführerin tatsächlich gerade von einem Löwenkopf, der gleich zu sehen sein sollte? Gibt es hier etwa doch einen Hauch von Afrika, oder spielen mir meine Assoziationen einen Streich? Nein, es gibt ihn tatsächlich, den Kopf der afrikanischen Raubkatze. Allerdings handelt es sich dabei um einen Felsen, der
aussieht wie eine schlafende Löwin, müde geworden von der wachsamen Beobachtung des Strandscha-Gebirges, in dessen nördlichen Ausläufern wir uns hier befinden. Immer wieder fliegen Vögel vor uns her und über uns hinweg – sichtbar genug, um alle Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, aber dennoch zu schnell, um Amateurfotografen auch nur den Hauch einer Chance auf ein gutes Bild zu lassen. Einzig und allein eine Lachmöwe hat sich dort, wo der Fluss ins Schwarze Meer mündet, auf einem Stein in Positur gestellt und verharrt regungslos, bis alle Schnappschüsse im Kasten sind.
Nein, mit Afrika hat diese Gegend sicherlich nicht mehr zu tun als jeder andere Landstrich in Europa, sehenswert aber ist sie allemal, auch wenn weder Elefanten noch Flusspferde die Wasserläufe bevölkern und der einzige Löwe aus Stein ist.
Auch bleibt es ein Scherz der Reiseführerin, dass der für die Wildtiere aufgestellte Schutzzaun am Flussufer auch zur Verteidigung gegen die Türken dienen könne (zu denen das Verhältnis der Bulgaren seit den Tagen des Osmanischen Reiches ein ohnehin schwieriges ist).
Nichtsdestotrotz ist es aber ein sehr lohnender Ausflug, der einen vom Getümmel der Touristenstrände in die Idylle einer Natur entführt, die man noch fast „unangetastet“ nennen kann.
August 2011